Gut genug für 20 Jahre: Stoewer „Greif“

Genug von den 20er Jahren? Ist es das, was Sie vielleicht denken? Natürlich nicht in Bezug auf die Gegenwart – es ist ja alles perfekt wie nie zuvor in unseren Tagen, nicht wahr?

Aber die 1920er, die werden in meinem Blog vielleicht dem einen oder anderen zuviel. Auch wenn ich diesen unbeabsichtigten Schwerpunkt erklären kann:

Die 30er haben zwar die großartigeren Karosserie-Kreationen hervorgebracht – doch die Markenvielfalt war schon damals infolge der Auslese der Weltwirtschaftskrise arg reduziert.

Gleichzeitig bietet die Frühzeit bis zum 1. Weltkrieg zwar die größte Auswahl an Konzepten und Fabrikaten, doch aufgrund der geringen Stückzahlen ist das noch vorhandene Material nicht so umfangreich – so ergibt sich ein natürlicher Fokus auf die 20er Jahre.

Dennoch soll es heute um eine andere Ausprägung von 20 Jahren gehen – nicht als Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts, sondern schlicht als Zeitraum von 20 Jahren.

Paradoxerweise wird die Welt in diesem Zeitraum zwar einmal auf den Kopf gestellt – doch eine Konstante begleitet uns dabei und bleibt erstaunlich auf der Höhe der Zeit.

Das Auto, das sich als „gut genug für 20 Jahre“ erwies, war der 1935 eingeführte Stoewer „Greif“ – anfänglich als „Greif Junior“ bezeichnet. Die aus der Insolvenzmasse von Röhr übernommene Konstruktion stammte ursprünglich von Tatra und ist kaum noch bekannt:

Ein luftgekühlter Vierzylinder mit 34 PS – war das nicht die Spezifikation des VW Käfer ab den 1960er Jahren? Nur mit dem Unterschied, dass der Hubraum 1,5 Liter statt 1,2 Liter beim VW betrug und der Stoewer „Greif“ nur 100 km/h schnell war – verglichen mit knapp 120 km/h beim Käfer (mein gut eingestellter 1200er schaffte das jedenfalls).

Aber: Anno 1935 gab es den VW nur als Vorserienexemplar und mit sparsamen 22 PS aus 1 Liter Hubraum. Damals war Stoewers Greif also eindeutig das bessere Auto und zudem tatsächlich zu kaufen, wenn auch für den Normalbürger unerschwinglich.

Dass der „Greif“ von Stoewer gut genug für die nächsten 20 Jahre war, das will ich mit einer Bilderserie illustrieren – die entgegen sonstiger Gewohnheit mit wenigen Worten auskommt.

Dabei unternehmen wir zugleich eine Zeitreise durch 20 Jahre deutscher Geschichte. Stellen Sie sich auf einige erstaunliche Begegnungen ein. Den Anfang macht diese elegante Limousine mit Berliner Zulassung:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Das Modell gab es außerdem als schicke Cabriolet-Limousine mit besonders schnittiger Optik, wie an diesem Exemplar aus Süddeutschland zu besichtigen:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Doch auch ein vollwertiges Cabriolet ohne die feststehenden Seitenteile der Cabriolimousine war zu bekommen – hier ein Beispiel wiederum aus dem Raum Berlin:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ein adrettes Automobil war das, finden Sie nicht? Dabei kennt ihn heute kaum einer mehr.

Der Stoewer Greif wurde sogar in einem zeitgnössischen Tankstellenaushang eigens hervorgehoben – und zwar in ziemlich rasanter Form – bei dem es um Kraftstoffe für die damals in Deutschland gebräuchlichen Autotypen ging:

Standard-Reklame mit Abbildung einer Stoewer „Greif“-Limousine; Original: Sammlung Michael Schlenger

Eine weitere Aufnahme aus meinem Fundus zeigt wieder eine im Raum Berlin zugelassene Limousine dieses Typs. Hier gefällt mir vor allem der unzeitgemäße Haarschnitt des jungen Manns auf der Fahrerseite in Verbindung mit der verwegenen Krawatte:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ein weiteres hübsches Dokument, das einen Stoewer „Greif“ in Friedenszeiten zeigt, ist das folgende, welches im schlesischen Liegnitz entstand. Zum Aufnahmezeitpunkt ging meine Mutter dort noch auf die Grundschule, während diese junge Dame schon volljährig war:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Damit hätten wir die ersten fünf Jahre der Karriere des Stoewer Greif abgedeckt.

Zwar endete im Jahr des Kriegsausbruchs 1939 die Produktion des Wagens – Stoewer baute von nun an Militärfahrzeuge – doch das Modell sollte noch ein langes Leben vor sich haben, auch wenn die Umstände denkbar ungünstig waren.

Hier sehen wir nun ein frisch für die Wehrmacht beschlagnahmtes ziviles Exemplar wohl im Jahr 1940 während des deutschen Angriffs auf Frankreich:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Zwei deutsche Soldaten bei der Morgenwäsche – was hier noch friedlich wirkt, stellt sich beim nächsten Dokument schon ganz anders dar. Hier sehen wir nämlich einen Stoewer Greif inmitten einer deutschen Militärkolonne während des Kriegs gegen die Sowjetunion:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wie die Sache ausgeht, wenn es mit deutscher Arroganz gegen die angeblich primitiven Ostvölker geht, scheint heute bei vielen Zeitgenossen in Vergessenheit geraten zu sein.

Deshalb kann man nicht oft genug daran erinnern, was man auslöst, wenn man sich einmal leichtfertig auf die militärische Option (sofern man eine hat..) einlässt.

Daran ändert auch die vermeintliche Harmlosigkeit vieler Privataufnahmen aus Kriegszeiten nichts. Diese hier entstand im Mai 1944 – also vor genau 80 Jahren – irgendwo in Deutschland und zeigt einen Stoewer Greif im Dienst einer Luftwaffeneinheit:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Zu diesem Zeitpunkt war das Kriegsende nur noch ein Jahr entfernt, doch bis dahin sollte es auf deutscher Seite mehr Opfer geben als im gesamten bisherigen Kriegsverlauf.

Ob der bieder wirkende ältere Militär rechts – wohl ein Veteran des 1. Weltkriegs – „seine Jungs“ nach Möglichkeit schonte oder sie rücksichtslos verheizte, als die Front näherrückte – wer kann das wissen?

Der Krieg entfaltet seine eigene unheilvolle Dynamik – schon allein deshalb gilt es ihn möglichst zu vermeiden, sofern es nicht um das blanke Überleben eines Volkes geht.

Im Mai 1945 – rund 10 Jahre nach Erscheinen des Stoewer Greif – schwiegen zumindest in Europa die Waffen. Nicht allzulange Zeit danach entstand irgendwo in Hessen dieses Dokument, das zeigt, dass das Leben weiterging:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Selbst im zerbombten und in den letzten Kriegswochen zerschossenen Berlin oder dessen Umland scheint der andere oder andere Stoewer Greif irgendwie überlebt zu haben.

Jedenfalls sehen wir hier ein Exemplar, das 1952 im Grunewald abgelichtet wurde:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Die Cabrio-Limousine scheint die Kriegswirren gut überstanden zu haben, obwohl das Modell gern für das Militär einkassiert worden war und nur selten heil die Zeit überstand.

Noch bemerkenswerter finde ich aber etwas anderes: Der Wagen wirkt auch auf diesen Nachkriegsaufnahmen keineswegs „aus der Zeit gefallen“ oder einfacher gesagt: veraltet.

Erinnern wir uns: Anfang der 1950er Jahre war der VW Käfer nach mühsamem Beginn dank britischer Starthilfe allmählich ins Laufen gekommen. Aber damals war er immer noch dem Stoewer in vielen Belangen unterlegen.

Neben der besseren Motorisierung bot der Stoewer auch hydraulische Bremsen, während der Volkswagen – wenn ich mich nicht irre – noch mit seilzugbetätigten Bremsen unterwegs war. Natürlich funktioniert das, aber es hat schon seinen Grund, weshalb sich die Hydraulikbremse ab den 1920er Jahren – da sind sie wieder! – durchzusetzen begann.

Wie gut der Stoewer Greif auch nach 20 Jahren noch in die Zeit passte – von seiner Eleganz her – das illustriert das für heute letzte Foto, das Mitte der 1950er Jahre entstand:

Stoewer Greif; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

So sehr ich meinen Käfer für seine langjährigen Alltagsdienste (er gab erst bei 220.000 km mit erstem Motor auf) schätzte, könnte ich mir vorstellen, dass nach dem 2. Weltkrieg genausogut der Stoewer Greif das Rennen hätte machen können.

Doch das Werk in Stettin war ein Opfer des Kriegs geworden und nicht auf Großserienproduktion ausgelegt gewesen. Nur 4.000 Wagen des Stoewer Greif wurden zwischen 1935 und 1939 gebaut.

Eine ganze Reihe davon haben wir heute auf ihrem Weg durch die Zeiten begleitet und man darf wohl das Fazit ziehen, dass diese Konstruktion ohne weiteres „gut genug für 20 Jahre“ war, ohne dabei irgendwie alt auszusehen.

Sehen Sie es mir nach diesem Ausflug durch bewegte Zeiten nach, dass mich der nächste Blog-Eintrag wieder in die 20er Jahre zurückführt. Das ist auch nicht meine Schuld, vielmehr will der nächste Abschnitt der „Beckmann-Spurensuche“ angegangen werden…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

2 Gedanken zu „Gut genug für 20 Jahre: Stoewer „Greif“

  1. Die Herkunft aus der Röhr-Konkursmasse und den Tatra-Ursprung habe ich noch nachgetragen – ansonsten haben Sie alles Wesentliche wieder einmal brillant ergänzt – danke!

  2. Um die Entstehungsgeschichte dieses hübschen Modells der fast schon überzeichnet typischen europäischen Stilrichtung der späten Dreißiger Jahre herzuleiten muß freilich erwähnt werden, daß dieser als Komplettpaket ( Lizenz, Teilebestände, Zeichnungssatz, Produktionsanlagen) aus der Konkursmasse der 2.,der „Neuen
    Röhrwerke“ übernommen wurde
    und den Stoewer- Werken wenigstens die Chance verschafft hätte, mit einem volkstümlichen kleineren Wagen
    am boom der Enddreissiger teilzuhaben.
    Tragischerweise war es aber auch dem ach so genialen Konstrukteur Röhr verborgen geblieben, daß aus der Absatzmisere der Weltwirtschaftskrise nur ein volkstümliches, für weitere Kreise erschwingliches Auto mit
    fortschrittlicher Konzeption heraushelfen würde, sodaß er schon auf die Lizenznahme der wegweisenden Tatra- Produkte des böhmischen
    Konstrukteurs Hans Ledwinka zurückgriff.
    Daraus folgt: Lizenz Tatra(Typ 30 ?) = Röhr Junior, Lizenz Röhr Junior = Stoewer Greif !
    Die Grundprinzipien waren auch hier, wie bei allen Ledwinka- Konstruktionen das tragende Zentralrohr mit vorne fest angeflanschtem Motor, im Rahmenrohr zum hinten fest
    verbauten Differential führender Antriebswelle (eben nicht: Kardan!) mit konzentrisch um das Antriebsritzel schwingenden
    rohrförmigen Halbachsen und darübergelegter Querblattfeder.
    Durch diesen, einen maximalen Schwingradius der hinteren Halbachsen ermöglichenden, um einen in Wagenmitte liegenden
    Drehpunkt gelang es, die nachteilig wirkende Spur- und Sturzänderung der sog. Schwing- Achse durch den längstmöglichen Schwingradius von 1/2 Spurweite zu minimieren!
    Bei den luftgekühlten Motoren dieser Tatra und Epigonen sehen wir jedoch, wie vorsichtig, um nicht zu sagen ängstlich, man
    insachen Leistung man damals noch die Luftkühlung anging:
    Verdichtung 1: 5,4 und ein Steigstromvergaser, der unter Richtungsumkehr des Ansaugstromes eine minimale Zylinderfüllung sicherstellen sollte, reichte den Automobilisten damals um mit mäßigem Tempo
    bei maximaler Schonung von Rädern und Bereifung das angesteuerte Fahrtziel zu erreichen.
    Eine unwesentliche
    Anhebung der Verdichtung (vielleicht wenigstens 6,3) und die Verwendung eines modernen
    Fallstrom- Vergasers ( wie z.B. dem Solex PBJ beim BMW 328)
    hätte den Greif durchaus den Käfer unseres Blog- Warts „versägen“ lassen….

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