Wer wie ich öfters die Schweiz von Norden kommend durchquert, der bekommt – mit etwas Glück – bei günstiger Wetterlage den Alpenhauptkamm in all‘ seiner Majestät präsentiert.
Dieser Anblick nutzt sich auch beim x-ten Mal nicht ab und rückt die irdischen Dinge in die rechte Proportion. Auch wegen solcher demutfördernder Erlebnisse ist das Reisen horizonterweiternd. Mag sein, dass ich deshalb mit den Kopfgeburten eines Kant aus Königsberg nichts anfangen kann – angeblich ist er nie von dort weggekommen.
Heute muss ich allerdings eine neue Einsicht vermelden. Selbst die Alpen können verblassen, wenn man nur das richtige Automobil davor platziert. Mit dem kürzlich besprochenen Hanomag „Sturm“ wäre das wohl nicht passiert.
Dabei hat der heutige Star auf vier Rädern mit dem Dickschiff aus Hannover auf dem Papier etwas Wichtiges gemeinsam – einen 2,3 Liter Sechszylindermotor mit im Zylinderkopf hängenden Ventilen (ohv) mit 55 PS.
Dass wir es heute aber nicht mit einem wuchtigen Produkt teutonischen Maschinenbaus zu tun haben, sondern mit lässiger Raffinesse aus Österreich, das lassen bereits Details wie die acht (statt nur vier) Kurbelwellenlager ahnen. Gleichzeitig spricht die 12 Volt-Elektrik dafür, dass man seinen Kunden keine 6 Volt-Funzeln und müden Anlasser zumuten wollte.
Die Rede ist vom 1936 eingeführten Typ 220 der österreichischen Traditionsmarke Steyr. Dessen Reiz entfaltet sich aber erst jenseits Papierform auf der Straße vor Alpenpanorama:

In der Ausführung als feines 2-Türen-Cabrio ist der Wagen weit entfernt vom jüngst vorgestellten Hanomag „Sturm“ – den es freilich auch mit eleganten offenen Aufbauten gab.
Der Kühlergrill ohne Mittelsteg ist ein Hinweis auf ein ab 1937 gebautes Fahrzeug, ansonsten muss ich passen, was die genauere Ansprache angeht. Denn vom Steyr 220 wurde eine dermaßen erschlagende Vielfalt an Manufaktur-Cabrios gebaut, dass kaum ein Wagen aussieht wie der andere.
Mal variiert die Scheinwerferposition, mal die Haubengestaltung (Luftschlitze und/oder -Luftklappen), angedeutete Trittbretter oder keine usw.
Die deutsche Zulassung – hier eine bayerische aus der frühen Nachkriegszeit – spricht dafür, dass wir es mit einem Aufbau aus Deutschland zu tun haben:
Wer in der frühen Nachkriegszeit über einen dermaßen leistungsfähigen und eleganten Wagen verfügte, der konnte sich glücklich schätzen. Der Steyr 220 blieb noch eine ganze Weile konkurrenzfähig – nur wenige Autos übertrafen ihn in den 50er Jahren.
Damit konnte man sich sehen lassen und die Alpen schrumpften zur Staffage – nicht nur bildhaft , sondern auch die Ansprüche an Motorisierung und Fahrwerk betreffend.
Heute scheinen die überlebenden Fahrzeuge auf Österreich konzentriert zu sein, was ich schade finde, weil die österreichischen Marken in Deutschland einst keineswegs exotisch waren, sondern von Kennern hochgeschätzt wurden.
Nach dieser Charmeoffensive sollte doch ein sachkundiger Leser aus unserem südlichen Nachbarland nur zu gerne mehr über die Cabrioversionen des Steyr 220 berichten…
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Schön, dass mein kurzer Beitrag Sie so inspiriert hat – der Steyr war ein wirklich exzellentes Auto, das heute in Deutschland völlig unterbelichtet ist. In der Vorkriegszeit scheint das ganz anders gewesen zu sein, auch andere österreichische Fabrikate waren sehr präsent. Durch die Orientierung am immer noch reichlich vorhandenen zeitgenössischen Fotomaterial – ohne Markenpräferenz – erhält man näherungsweise ein repräsentatives Bild von den tatsächlichen Relationen im deutschen Straßenbild…
Endlich, endlich kann ich die Gelegenheit zur lange überfälligen Eloge auf den herrlichen Steyr 220 nutzen:
Im ersten Typenbuch über die deutschen Autos 1920-39 (damals noch v. Fersen) entdeckte ich mit unschuldigen 19 Jahren das Bild der 220er Limousine und empfand spontan das Besondere der schlanken und irgendwie ganz faszinie- runden Linien dieses Wagens und er war seither mein heimlicher Liebling unter den Autos der Dreißiger Jahre!
Man dachte ja nie daran, einmal einem solchen Steyrerwogn in Natura zu begegnen!
Bei der „2. Sachsen Classic“ umschlich ich dann eines der formidablen Gläser 2- Sitzer Cabrios und fotografierte es natürlich von allen Seiten.
Und erst vor ca. 10 Jahren stieß ich unverhofft auf das Angebot einer leibhaftigen 220er Limousine – auf dem Staatsgebiet der ehem. DDR!
Mit Historie (lt. Brief)
In Berlin(Ost). Ein Betriebsleiter war es wohl, der lange an ihm festgehalten hatte (verständ- licherweise, sodaß auch eine Tauschmaschine dokumentiert war).
Ich konnte dann einen Bekannten animieren, den in der Substanz gut erhaltenen Wagen zu erwerben. Was wohl aus ihm wird? Für mich war es der Anlass, mich mit der Automobil-
Historie der Steyrwerke und dem Typ 220 im Besonderen näher zu beschäftigen:
Gerade die ungewöhnlichen Gestaltungsmerkmale der Limousine geben Anlass zum Sraunen. Die B-Säulenfreie Viertürer-Karosse? Fast schon selbstverständlich bei einem fortschrittlichen Auto der gehobenen Mittelklasse in den späten Dreißigern…
Aber warum umfasst der untere Türabschluß den Karosserie- schweller weitgehend? Und warum überlappt ein breites Steinschlag- Schutzblech als Türbestandteil den vorderen Bereich des Hinterkotflügels?
Die Vorstellung einer ein-(oder aus-) steigenden „Besseren Hälfte“ im langen Pelzmantel (damals ein weiteres Attribut gediegenen Wohlhabenheit) verschafft Aufschluß:
Damals war zu jeder Jahreszeit noch damit zu rechnen, daß der Wagen von unten verkotet sein würde, sodaß ein fürsorglicher Konstrukteur Vorsorge traf (und der Saum des Pelzteils nicht in Kotakt zu außenliegenden Partien kam)!
Auch die hohen Türfenster bei entgegen dem Zeitgeschmack extrem niedriger Gürtellinie erklären sich nur aus der bei den im vorwiegenden Einsatzgebiet ja nicht unüblichen Passfahrten erwünschten guten Aussicht nach oben wie auch ins Tal.
( im Prospekt wird eine Bergsteigefähigkeit von 40%(!) garantiert, selbstverständlich unter voller Auslastung!
Ja, und warum 8 KW- Lager, wo ein gut konstruierter 6- Zyl.- Motor doch allemal mit 7 auskommen sollte?
Ja, dieses Achte ist die Erfindung von Ferdinand Porsche, auf den ja die Grund-konstruktion dieser Motoren- Generation noch zurückging (und das er dann ja auch beim für Wanderer konstruierten Motor anwendete – samt der “ nassen“ Zylinderbuchsen!).
Er erkannte nämlich, daß die lange 6-Zyl.-Kurbelwelle störende Drehschwingungen auf die Venilsteuerung ausübte, wenn man sie ließ!
Abhilfe: Antriebrad für die Nockenwelle an der Schwung-
scheibenseite und ein achtes Hauptlager zu dieser hin!
Eine intensive Beschäftigung mit der Konstruktion der (letzten Entwicklungsstufe) der berühmten Steyr-Pendelachse ergibt die Erreichung der Zusammenlegung der Drehachsen der Achshälften mit der Angriffachse des Achsan- triebes und damit maximale Ausnutzung der möglichen Schwingarmlänge zur Minimierung der Spuränderung beim Durchfedern.
Das konnte vorher nur Ledwinka beim Tatra-Wagen und – viel später – Mercedes mit der sog. „Fritz Nallinger- Gedächtnis-achse“.!
Irgendwie scheint der Motor auch „besser“ gewesen zu sein als die anderen 2,3ltr.- Sechszylinder mit den damals üblichen 55 PS und hätte sicher klaglos auch 65 – 70 PS abgegeben – wenn nur der ausgeschenkte Treibstoff es zugelassen hätte!
Die technische Beschreibung verrät die damalige Auslegung für 74 Oktan !
Dankesehr! Ferdinand Lanner verweist hier auf das Werkscabrio von Steyr, was ich ebenfalls plausibler finde. Die Gläser-Cabrios waren von der Seitenlinie her eleganter.
Besten Dank – es scheint neben Gläser weitere Hersteller solcher Cabrios auf Basis des Steyr 220 gegeben zu haben.
Sehr geehrter Herr Schlenger,
danke dass sie wieder einmal Österreicher ins Bild rücken. Die direkte Frage kann ich natürlich nicht unbeantwortet lassen. Das Bild zeigt wie sie richtig erkannt haben einen Steyr 220 die Karosserie kommt in dem Fall von Gläser aus Dresden. In dem Fall ein 2 türiges 2 Fenster Steyr Gläser Cabriolet.
Mein Lob für ihre Bemühungen mich mit zeitgenössischen Fotos heute alter aber damals aktueller Fahrzeuge zu Erfreuen.
Thomas Billicsich
Das ist ein schönes 2-Fenster-Cabriolet, von Gläser 1938 gebaut. Danach gab es noch das 4-Fenster-Cabriolet, welches das Ende der Ära des Karosseriebaus markierte. Vom 4-Fenster-Cabriolet (ca. 150 – 200 Stück gebaut) sollen noch 3 Stück existieren.