Noch rechtzeitig ausgewandert: Ein Dixi von 1914

Im Sommer 1914 spielten die sogenannten Eliten Europas mit dem Feuer – und konnten schon bald die Flammen, die sie mit auf Konfrontation angelegten Bündnissen und naiver Selbstüberschätzung entfacht hatten, nicht mehr löschen.

Am Ende standen fast alle Kriegsparteien als Verlierer da – vielleicht abgesehen von Italien und Rumänien, die ihr Territorium ab 1918 auf fragwürdige Weise erweitern konnten.

Zu den Gewinnern zählten neben den Vereinigten Staaten letztlich nur diejeinigen, die rechtzeitig ausgewandert waren – sofern sie nicht von den Kolonialmächten England und Frankreich als Kanonenfutter wieder zurück nach Europa geschickt wurden.

Dieses finstere Kapitel in der Geschichte Kanadas, Australiens und Neuseelands sowie Indiens und etlicher afrikanischer Staaten wird gern übergangen, dabei sprechen die Soldatenfriedhöfe in Frankreich auch in der Hinsicht eine erschütternde Sprache: Eine ganze Generation junger Männer aus aller Welt wurde für einen Krieg verheizt, dessen Ziel schon nach den ersten Monaten keiner der Schreibtischtäter mehr benennen konnte.

Dass Kriege eine fatale Eigendynamik entwickeln, aus der schwer bis unmöglich wieder herauszukommen ist, weil die Entscheider davon nicht direkt betroffen sind, sollte auch den neuerdings in Europa wieder fleißigen Kriegsertüchtigern zu denken geben.

Doch leider lehrt die Geschichte nur eines: dass die Menschen nur aus dem lernen, was sie am eigenen Leib erfahren haben – und die letzte Generation, für die das noch gilt, verlässt uns gerade. So mag man auf den Teppichetagen von heute wohl die Fehler von anno 1914 wiederholen oder andere kolossale Dummheiten begehen, die Dritte bezahlen müssen.

Genug davon – wir wollen uns heute mit einem Zeitzeugen beschäftigen, der im Sommer 1914 noch einmal davon gekommen ist – während es seinem Kameraden nicht gelungen ist.

Die Rede ist von einem Tourenwagen der Eisenacher Fahrzeugwerke, deren Automobile unter dem griffigen Markennamen Dixi verkauft wurden. Hier sehen wir einen davon:

Benz und Dixi-Tourenwagen ab 1914; Originalfoto: Sammlung Jason Palmer (Australien)

Moment mal, werden jetzt die Kenner sagen – hier ist doch eindeutig ein Benz zu sehen und links daneben ein Opel oder Dürkopp – jedenfalls der Kühlerform nach zu urteilen.

Tja, was den Benz betrifft, ist der Fall in der Tat klar. Die Marke zählt neben Daimler, NAG, Opel, Protos, Stoewer und Wanderer zu den häufigsten, die auf deutschen Fotos aus dem 1. Weltkrieg vertreten sind.

Speziell Benz-Automobile wurden so oft abgelichtet, dass ich noch längst nicht alle entsprechenden Fotos aus meinem Fundus oder dem von Sammlerkollegen hier gezeigt habe – das wäre auf die Dauer langweilig, so unglaublich das klingt.

Im vorliegenden Fall wollen wir aber auch dem Benz Gerechtigkeit zuteil werden lassen – offenbar ein mittelgroßes Flachkühlermodell aus der Zeit ab 1913/14, worauf die elektrischen Parkleuchten unterhalb der Windschutzscheibe hindeuten:

Die Interpretation von Details wie der Kennung vor dem Kühler und des runden Gegenstands neben dem in Fahrtrichtung links befindlichen Vorderrads überlasse ich gern sachkundigen Lesern – ich schätze fundierte Ergänzungen und auch Korrekturen sehr.

Vielleicht findet ja sogar jemand heraus, in wessen „Garage“ das deutsche Heer hier irgendwo in Belgien oder Frankreich ungebeten „eingezogen“ war.

Noch spannender bleibt aber die Frage, was es mit dem zweiten Wagen auf sich hat, der am Rand der Szene steht, aber für mich das viel interessantere Gefährt ist.

Jason Palmer aus Australien – selber Sammler von Vorkriegsfahrzeugen und Kenner früher europäischer Fabrikate – ist der Ansicht, dass wir hier einen Dixi von anno 1914 sehen:

Naja, wird jetzt vielleicht einer selbstgewiss denken, ein Opel oder Dürkopp hatte doch einen ganz ähnlichen Kühler und überhaupt: Wo findet man denn Dokumente, die zeigen, dass Dixi damals ebenfalls so einen birnenförmigen Kühler verbaute?

Wer sich leichtfertig auf die bisher verfügbare (teils veraltete) Literatur verlässt, der kann leicht übersehen, das Dixi ab 1913/14 tatsächlich zu einer neuen Kühlerform überging. Ob das bei allen Modellen der Fall war und ob womöglich – wie bei Benz – neue und alte Form parallel angeboten wurden, das kann ich bislang nicht sagen.

Jedenfalls fand ich in der Literatur (Dixi-Kapitel aus: H. Schrader, BMW-Automobile) nur eine einzige Prospektabbildung, die einen Dixi aus der Zeit kurz vor dem 1. Weltkrieg mit genau so einem Kühler zeigt (Typ S 16).

Das ist vielleicht etwas dünn, um als Beleg zu gelten, zumal reine Prospektabbildungen stets mit Vorsicht zu genießen sind, sind sie doch oft idealisierend oder zeigen in etlichen Fällen Ausführungen, die zwar angeboten, doch nie verkauft wurden.

Heute sind wir aber in der glücklichen Lage, dass uns Jason Palmer als Eigner des Fotos aus dem 1. Weltkrieg auch die Evidenz mitgeschickt hat, die den Fall sonnenklar macht.

Und nun halten Sie sich fest: Gerade noch rechtzeitig vor Ausbruch des 1. Weltkriegs verließ im August 1914 ein Dixi des Mittelklasse-Typs R12 per Schiff Europa und kam nach einigen Wochen im fernen Australien an, wo sein Aufbau von der Firma TJ Richards & Son in Adelaide vervollständigt wurde.

Das wissen wir deshalb so genau, weil dieses Auto noch im Originalzustand existiert:

Dixi-Tourenwagen Typ R12 von 1914; Bildrechte: Sammlung Jason Palmer (Australien)

Man sieht: Wer seinerzeit das Glück hatte, nach „down under“ auszuwandern, hatte eindeutig die besseren Überlebenschancen – zumindest, wenn es sich um einen automobilen Zeitgenossen handelt.

Überhaupt hat sich Australien – noch so ein Land, aus dem man in Europa praktisch nichts erfährt, außer wenn irgendwo mal wieder der Busch brennt – geradezu als „Safe Haven“ für heute rare europäische und speziell deutsche Wagen aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg erwiesen. Wir kommen bei Gelegenheit darauf zurück.

Ob nun der Dixi auf dem Foto aus dem 1. Weltkrieg ebenfalls ein Typ R12 oder ein anderes Modell aus der breiten Dixi-Palette anno 1914 war, sei dahingestellt. Jedenfalls hat die Einschätzung, dass es sich um einen Dixi und nichts anderes handelt, einiges für sich.

Damit übergebe ich das Wort an die Markenspezialisten…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

6 Gedanken zu „Noch rechtzeitig ausgewandert: Ein Dixi von 1914

  1. Danke für diese detaillierte Kommentierung – sehr hilfreich! Dixi-Spezialist Matthias Doht hält nach erster vorläufiger Analyse ebenfalls den R12 für wahrscheinlich. Letztlich werden wir andere Versionen nicht ganz ausschließen können – das Nebeneinander des historischen und des modernen Fotos macht die Sache aber aus meiner Sicht so bemerkenswert:

  2. Es handelt sich auf jeden Fall Mal wieder um ein tolles Foto, welches von Herrn Palmer zugesteuert wurde und die Zuordnung als Dixi um 1914 ist ebenfalls korrekt. Eine exakte Modellzuordnung gestaltet sich jedoch äußerst schwierig. Man muss zudem beachten, dass es bei Dixi in der Zeit ab ca. 1912 sogar zwei dieser birnenförmigen Kühlervarianten gab. Eine wie sie sich z.B. in dem Schrader-Werk auf S.164 findet (1. Auflage von 2003) und auch am Dixi R9 wie er im Eisenacher Museum steht, mit im oberen Wasserkasten eingeprägtem Dixi-Signet und eine Variante mit nochmals höheren glatten oberem Wasserkasten ohne Einprägung wie auf dem hier gezeigten „Heereswagen“ sowie dem Überlebenden in Down under. Ein Bild eines ähnlichen Dixi R12 Phaetons mit glattem Kühlerkasten findet sich ebenfalls im Schrader auf S.49 und zeigt die Mobilmachung 1914 vor dem Gothaer Autohaus Oscar Büchels.

    Der glatte Wasserkasten des Kühlers sowie die Ähnlichkeit mit der Front des Wagens im Birdwood Mill Museum in Australien deuten für mich stark auf den R12, von dem laut Werner Oswald und Eberhardt Kittler „alle BMW Automobile seit 1928“ im Jahr 1914 im Vgl. zu den anderen Modellen immerhin 69 Stück gebaut wurden.

    Von den weiteren Modellen die 1914 gebaut wurden, R5, R8, R9, R10 sowie S15 bzw. S16, würde ich den R5 (deutlich kleiner) sowie R8 (meist vorn nur 8 Holzspeichen – auf dem Foto zähle ich 10) ausschließen. Bleiben neben dem R12 (für mich Favorit) noch
    S15/S16 (3,4 l)
    R9 (1,74 l)
    R10 (1,8l)
    als Alternativen übrig.

    Als Hinweis möchte ich nochmal erwähnen, dass das BMW-Buch von Schrader Fluch und Segen zugleich ist. Einerseits ist es das einzige mir bekannte Buch, welches Dixi-Modelle vor dem DA1 umfassend behandelt (dafür großes Lob). Andererseits sind viele Abbildungen eindeutig falsch zugeordnet und bergen mit dem Vergleich von Fotos mit diesen Werk die Gefahr einer Falschzuordnung.
    Beispiel: Beim Modell R5 (S. 170/171) welches eine hintere Cantilever-Federung besaß (steht sogar so im Text) werden sowohl auf S.170 groß als auch auf S.171 Modelle mit Dreiviertel-Elliptik-Federn abgebildet! Das Bild S.171 zeigt sogar das gleiche Victoria-Coupé wie auf den Seiten des Modells S16 gezeigt wird (bloß mit offenem Verdeck)!
    Hier ist eine Fehlzuordnung vorprogrammiert!

  3. Vor „ation“ sind rund sieben Buchstaben zu sehen – der erste scheint ein großes „P“ zu sein – so wie bei dem Benz. Evtl. hilft das weiter.

  4. Vielleicht war die Garage von den Deutschen requiriert, denn der Dixi trägt zwar kein militärisches Kennzeichen, aber auf der Seite läßt asich schwach das Wappen mit Reichsadler erahnen und auf der Motorhaube steht die Einheit, von dem der Wagen kommt – oder wie ich annehme – zu der der Wagen geht. Leider ist die Auflösung nicht gut genug um sie komplett zu lesen. Irgendwas mit „mation“.
    KD

  5. Hallo,
    wenn der Benz sich zur Zeit der Aufnahme in seinem angestammten Gebiet befand, sehen wir ihn irgendwo in Belgien, da er das Kennzeichen GG für Generalgouvernement Belgien führt. Schaut man sich die Verteilung des Namens Toumson in Belgien an so ist die Wahrscheinlichkeit überwältigend, dass der Wagen in oder um Lüttich herum im Einsatz war, eventuell aber auch in Namur.
    Gruß,
    KD

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