In weiten Teilen der Republik hat sich nun doch der Winter festgebissen – nur Hartgesottene wagen sich jetzt noch mit historischen Vehikeln auf die vielerorts gestreuten Straßen. Doch kann man sich als Klassikerfreund auch gut die Zeit mit winterlichen Autobildern von anno dazumal vertreiben.
Das folgende Originalfoto aus den frühen 1930er Jahren erweist sich dabei als unerwartet zäher Gegner:
© Limousine der späten 1920er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Die technische Qualität des Fotos ist sehr gut, doch die Personen auf dem Bild verdecken fast alle Partien, die eine Identifikation des Wagens erlauben. Ein Übriges tun mehrere Paar Skier nebst Stöcken, die zwischen Ersatzrädern und Motorhaube untergebracht sind.
Offenbar handelt es sich um eine klassische Limousine im Stil der späten 1920er Jahre. Die klare, schlichte Linienführung findet sich bei diversen deutschen Herstellern jener Zeit. Die Wahrscheinlichkeit spricht für Adler, Opel oder Mercedes. Vielleicht hilft ein genauerer Blick weiter:
Dummerweise ist die Kühlermaske durch einen Überzug verdeckt, an dessen unterem Ende eine Jalousie zur Drosselung der Luftzufuhr angebracht ist. Bei großer Kälte ließ sich nur so der Motor rasch auf Betriebstemperatur bringen. Auch der Blick auf eine etwaige Kühlerfigur ist verstellt. Nicht zuletzt sitzt der junge Herr mit dem Verband an der linken Hand so vor der Front, dass auch Bauteile wie Hupe oder Nebelscheinwerfer nicht zu sehen sind.
Vergleicht man Bilder solcher Limousinen jener Zeit, fällt ein Detail aus dem Rahmen – die Gestaltung der Felgen. Bei Adler oder Opel waren seinerzeit Scheibenräder gängig, Holzspeichenräder gab es bei schweren Fahrzeugen kaum noch. Hier handelt es sich jedoch um stählerne Speichenräder, und die finden sich in der vorliegenden Form Ende der 1920er Jahre bei Mercedes-Benz.
Tatsächlich: ein Mercedes-Modell stimmt in allen Details mit dem Wagen auf dem Bild überein, der Mercedes-Benz 300 bzw. 350, der von 1926-30 gebaut wurde. Darauf weist auch die Form der Trittschutzplatten unterhalb der Einstiegstüren hin, ebenso die Heckpartie der Karosserie und die Form der hinteren Schutzbleche.
Elemente wie Frontscheibe, Lenkrad und Suchscheinwerfer entsprechen formal ebenfalls den Gegebenheiten beim Mercedes 300 bzw. 350. Man möchte eine frühe Version des eleganter gezeichneten Nachfolgemodells “Mannheim” nicht ausschließen, doch dagegen sprechen das Fehlen der Stoßstange und der Verbindung zwischen den Scheinwerfern sowie die Form der vorderen Schutzbleche.
Wie dem auch sei, ein in den späten 1920er Jahren entwickeltes Modell von Mercedes-Benz kann als sehr wahrscheinlich gelten. Wann aber wurde das Foto aufgenommen?
Die sportliche Kleidung der beiden Personen ganz links – eventuell Geschwister – deutet eher auf Mitte der 1930er als die späten 20er Jahre hin. Interessant ist auch der wenig schonende Umgang mit dem Mercedes – bei einem relativ neuen Wagen hätte man die Skier vermutlich nicht so lässig untergebracht.
Wahrscheinlich hatte das Auto zum Aufnahmezeitpunkt schon einige Jahre auf dem Buckel, da machte man sich um Lackbeschädigungen keine Sorgen mehr. Unterstützt wird diese Annahme durch das Erscheinungsbild des Herrn ganz rechts:
Wäre da nicht der glattrasierte junge Mann im Vordergrund, könnte man sich den schnauzbärtigen Herrn im langen Mantel mit Pelzkragen auch auf einem Winterbild aus der Zeit des 1. Weltkriegs oder davor vorstellen. Genauso waren damals die noch im Freien sitzenden Chauffeure vermögender Automobilbesitzer ausstaffiert.
Zwar lässt es sich nicht mit Gewissheit sagen, doch die Gesamtsituation spricht dafür, dass sich hier eine junge Gesellschaft Papas angejahrten Mercedes nebst altgedienten Chauffeur für einen Skiausflug “ausgeliehen” hat.
Mit Schneeketten war der wackere Mercedes offenbar auch bei winterlichen Straßenverhältnisse gut zu bewegen. Auf zeitgenössischen Aufnahmen sieht man dieses Accessoire recht oft – spezielle Winterreifen waren noch nicht üblich. Hier ein Ausschnitt aus einem Zubehörkatalog von 1935:
© Schneeketten der Marke “Pistor” im Katalog des Zubehörhändlers Otto Plümecke, Hannover; Faksimile des Archiv-Verlags