Über Michael Schlenger

Ich bin gelernter Kaufmann und studierter Ökonom (Dipl-Vw.). Nach langen Jahren der Tätigkeit in der Wissenschaft und im Bereich Vermögensverwaltung arbeite ich als freiberuflicher Übersetzer und Texter mit Spezialisierung auf den Finanzsektor. Privat sammle und warte ich historische Automobile und Motorräder - je älter und patinierter, desto besser. Auf bestimmte Marken bin ich nicht festgelegt. Mein Fotoarchiv umfasst mehrere tausend historische Originalaufnahmen und sonstige Dokumente von Vorkriegsfahrzeugen. Am Herzen liegen mir außerdem historische Baudenkmäler, Musik von Renaissance bis Spätromantik sowie klassische Literatur. In allen Lebensbereichen folge ich dem Grundsatz der Aufklärung: Glaube nichts, prüfe alles, denke selbst!

Souvenir aus Italien: Ein „Enigma“-Tourer um 1912

Über eine Woche ohne Blog-Eintrag – mir ist bewusst, dass dies für einige meiner Leser eine arge Beeinträchtigung ihrer Alltagsroutinen darstellt.

Ich kann zu meiner Entschuldigung nur vorbringen, dass ich diese Woche brauchte, um mich von einem arbeitsintensiven Jahresauftakt zu erholen, der sich wider Erwarten bis April hinzog.

Dann waren die Batterien erst einmal leer und mussten durch intensive Betrachtung solcher Szenerien in Italien wieder aufgeladen werden:

Valle Umbra bei Spello, Mai 2024; Originalfoto: Michael Schlenger

Eine ordinäre Aufnahme, wie sie jedem im Mai in Mittelitalien gelingt – der Klatschmohn ist dann allgegenwärtig, auch in intensiv bewirtschafteten Gebieten.

Warum diese Pracht, von der mir noch meine Eltern erzählten, in beackerten deutschen Gefilden kaum noch in dieser Fülle zu sehen ist, kann vielleicht ein Leser erklären.

Dass die bisweilen noch mit deutscher Arroganz belächelten Italiener auch sonst vieles besser machen in ihren alten Kulturlandschaften, durfte ich auf der 2-stündigen Fahrt durch die kerngesunden und windindustriefreien Laubwälder feststellen, die den Weg von der Autobahnabfahrt „Cesena Nord“ bis in die Valle Umbra hinein säumen.

Die Probleme, für die minderwertige und standortfremde Nadelbäume bei uns sorgen, sind dort praktisch nicht vorhanden – obwohl die Bau- und Brennholzwirtschaft in Italien sehr intensiv ist.

Wer sich wie ich gern mit dem Rad in den umbrischen Wäldern herumtreibt, sieht sich vom „germanischen“ Baum schlechthin förmlich umzingelt – der Eiche. Sollten die barbarischen Horden aus dem Norden am Ende der Antike doch irgendetwas anderes als sinnlose Zerstörung bewirkt haben? Nein, mitgebracht und hinterlassen haben sie praktisch nichts.

Als teutonischer Nachfahr der Neuzeit spürt man noch denselben Drang nach Süden. Doch diesmal kommt man in Bewunderung dessen, was man vorfindet und wünscht sich, ein wenig zu seinem Erhalt beitragen zu können.

Dazu gehören auch die Zeugnisse der italienischen Automobilbaukultur, welche in einem Land florierte, das – vom Norden abgesehen – lange von großer Armut geprägt war. Mein eigener Beitrag in praktischer Hinsicht beschränkt sich zwar auf einen Fiat 1100 von 1964 und einen Innocenti „Mini t“ von 1967, doch auf dem Papier kann ich mehr bieten.

Als Beispiel möchte ich heute dieses schöne Souvenir aus Italien vorstellen:

Italienischer Tourenwagen um 1912; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieses Foto, das irgendwo an einem Landhaus zwischen den Alpen und Sizilien entstand, lässt sich anhand der Kleidung der abgebildeten Personen auf die Zeit direkt vor dem 1. Weltkrieg oder kurz danach datieren.

Der Tourenwagen mit seiner beeindruckend dimensionierten Kühler- und Haubenpartie war zum Zeitpunkt der Aufnahme wohl schon einige Jahre alt.

Auf eine Entstehung vor dem 1. Weltkrieg deuten die gasbetriebenen Scheinwerfer hin. Bei Automobilen dieser Klasse wichen sie beginnend 1914 elektrisch betriebenen.

Der haubenförmig gestaltete „Windlauf“ zwischen Motor- und Innenraum taucht im Serienbau zwar erst ab 1910 auf, wurde aber oft auch bei älteren Modellen nachgerüstet, was die Typansprache und Datierung in solchen Fällen erschwert:

Die vom Mercedes-Vorbild inspirierte Form des Kühlers findet sich vor dem 1. Weltkrieg bei unzähligen europäische und amerikanischen Automobilen, sie hilft hier nicht weiter.

Begrenzt man die Betrachtung auf italienische Hersteller, kommen in der damaligen Zeit etliche Firmen in Frage. Neben Fiat sind heute weniger bekannte Marken wie beispielswiese Aquila, Diatto, Itala, Isotta-Fraschini, SCAT, SPA und Brixia-Zust in Betracht zu ziehen.

Zwar verfüge ich diesbezüglich über einschlägige Literatur wie „Le piccole grandi Marche Automobilistiche Italiane“ von Augusto Costantino (1983) und habe auch ausgiebig im Netz nach Entsprechungen gesucht.

Dennoch ist mir bislang keine eindeutige Identifkation gelungen. Den Vorschlag eines Mitglieds meiner Vorkriegsauto-Gruppe auf Facebook, das es sich um einen umkarossierten Austro-Daimler aus der Zeit vor 1910 handeln könne, sehe ich vorerst skeptisch.

So kam es, dass ich dieses Souvenir aus Italien bis auf weiteres als Rätselfall klassifizieren muss – daher die geheimnisvolle Ansprache im Titel als „Enigma“.

Nach wie vor meine ich, dass das unscharf wiedergegebene Kühleremblem in Verbindung mit der waagerecht verlaufenden Vorderachse den Schlüssel zur Lösung darstellt.

Nun sind Sie gefragt, verehrte Leser. Denn ich habe mich bereits einige Zeit an diesem Dokument ohne Erfolg abgearbeitet und habe noch anderes zu tun – nicht zuletzt, um im Blog wieder an die alte Schlagzahl anzuknüpfen…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Schnappschuss auf dem Heimweg: Dixi DA1 3/15 PS

Sollten Sie Anstoß an den oft auf Effekt bemühten Überschriften nehmen, mit denen ich meine Blog-Einträge einzuleiten pflege, dann haben Sie recht. Ich bin diesbezüglich selbst mein schärfster Kritiker.

So ist die Bezeichnung „Schnappschuss“ für das Foto, das ich heute zeigen möchte, die Untertreibung des Jahres – bisher jedenfalls. Tatsächlich handelt es sich um ein kleines Meisterwerk.

Das gilt für das abgebildete Auto ebenso wie für die Inszenierung, die irgendwann um 1950 entstand. Wann genau und wo das war, ist mir nicht bekannt. Die Rückseite des Abzugs trägt den Stempel eines Fotoladens aus Hofheim am Taunus – nicht allzuweit von meinem Heimatort Bad Nauheim in Hessen.

Doch natürlich kann die Aufnahme überall entstanden sein. Dem darauf abgelichteten Auto waren trotz nur 15 PS Leistung nahezu keine Grenzen gesetzt. In England in der ersten Hälfte der 1920er Jahre als Austin 7 entstanden, fand das enorm populäre und wie Fords Model T unverwüstliche Automobil seinen Weg auch in deutsche Lande.

Die Rede ist von der Lizenzproduktion durch die altehrwürdige Eisenacher Fahrzeugfabrik unter der Marke Dixi, welche Ende 1927 begann.

So – jetzt stellen Sie sich vor, Sie gehören zu besseren Gesellschaft in der frühen Nachkriegszeit – sagen wir um 1950. Sie sind bei Leuten auf dem Land eingeladen, die es schon wieder zu Wohlstand gebracht haben oder diesen durch den Krieg retten konnten.

Zumindest das repräsentative zweistöckige Wohngebäude aus dem 19 Jh. mit weitläufigem Garten und gekiestem Vorplatz ist erhalten geblieben und von der Beschlagnahme durch Bonzen des NS-Regimes, Bombenangriffen oder randalierenden Besatzungstruppen verschont geblieben.

Für ein Abendessen mit Kammermusik und Gesang reichen die Mittel und Beziehungen – dass der alte Flügel in den im Winter ungeheizten Räumen verstimmt ist, tut der Stimmung der Gäste selbst keinen Abbruch.

Auch für geistige Nahrung in flüssiger Form ist gesorgt und bis Tagesanbruch wird „getagt“. Draußen ist es noch kühl, doch die Sonne scheint und man macht sich irgendwann auf den Heimweg.

Dabei ergibt sich bei einem jungen Paar, das zu den Teilnehmern der Festivität gehörte, der spontane Wunsch, die denkwürdige Situation inklusive dunklen Augenringen festzuhalten.

Was sucht man sich dazu als dekorativen Hintergrund aus? Schauen Sie einfach selbst:

Dixi Typ DA 1 3/15 PS; Originalfoto der frühen Nachkriegszeit (Sammlung Helmut Kasimirowicz)

Ist es eigentlich völlig daneben, wenn ich hemmungslos begeistert bin von dieser Selbstinszenierung? Für mich ist das eines der eindringlichsten Autoportraits seit langem und es freut mich diebisch, dass ich es für einen einstelligen Betrag bei ebay abstauben konnte.

Der Dixi DA 3/15 PS war als Triumph Gloria von 1935 angepriesen worden, weshalb er bei den Dixi-Enthusiasten durchs Suchraster gefallen war. Da ich „offen“ suche – also alles anschaue, was es in der Billigfraktion an alten Fotos zu kaufen gibt – machte ich das Rennen.

Über diesen Fund freue ich mich diebisch, zumal ich weiß, dass ich damit einem besonderen Oldtimer-Kameraden eine Freude machen kann, in dessen „Beuteschema“ dieser Dixi DA1 3/15 PS von Ende der 1920er Jahre perfekt passt.

Die Identifikation gelingt anhand des schemenhaft erkennbaren alten Dixi-Emblems, das einen vorwärtsstürmenden Kentauren zeigt:

Wo der Wagen mit Kennzeichen aus der amerikanischen Besatzungszone Hessen (ab 1948) zugelassen war, dies festzustellen überlasse ich gern meinen Lesern. Auf das Ergebnis bin ich sehr gespannt! – Nachtrag: Wiesbaden!

Mir ist jetzt aber noch etwas anderes wichtig. Irre ich mich, oder hat unser Paar hier ein Selbstporträt mit zeitverzögertem Auslöser gemacht?

Eine Möglichkeit ist, dass „sie“ hier den Abzug in der linken Hand hält – man sieht allerdings das Übertragungskabel nicht.

Eine andere besteht in einem mit Zeitverzögerung arbeitenden Selbstauslöser, und die beiden wussten, nach wievielen Sekunden die Blende betätigt und das Negativ belichtet wird. Dann könnte ihre Handhaltung Ausdruck der Spannung sein, während der Selbstauslöser ablief.

Wie interpretieren Sie die Szene? Habe ich etwas übersehen? Bitte hinterlassen Sie einen Kommentar, wenn Sie eine Idee dazu haben. Auch ich habe bisweilen einen Tunnelblick.

So kann ich diese Informationen (also auch die zur Zulassung und vielleicht sogar zum Aufnahmeort) – dem Foto mit auf den Heimweg geben. Ja, Sie haben richtig gelesen.

Wie angekündigt sind wir hier Zeuge eines wunderbaren Dokuments „auf dem Heimweg“ – von der Party wie auch zu der Person, welche solchen Zeugen des deutschen Austin-Lizenzbaus Dixi DA1 3/15 PS eine ideale Heimstatt gibt.

Gemeint ist Helmut Kasimirowicz aus Düsseldorf, dem wohl hierzulande bekanntesten Enthusiasten, was dieses letzte Dixi-Modell betrifft, und Betreiber einer einschlägigen Website, die schier unerschöpfliches Material dazu zugänglich macht.

Meine Lieblingskategorie dort sind die historischen Reiseberichte. Besonders gut gefällt mir die Aufbereitung einer Italienfahrt im Dixi DA1 anno 1932.

Während das heute gezeigte Foto nun im Original die Heimreise antritt und bald in Helmut Kasimirowicz‘ Sammlung ihr Zuhause findet, mache ich mich am Wochenende selbst nach Italien auf – zwar nicht im Vorkriegsauto, aber mit derselben Reisefreude wie einst.

Es wird im Blog ein paar Tage keine neuen Einträge geben, aber kommende Woche funke ich dann direkt aus dem Süden. Der Mai in Umbrien mit seiner Blütenpracht ist eine Zeit, die alles vertreibt, was einen sonst im Alltag plagen mag. Daran will ich Sie gern teilhaben lassen…

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Fährt auch mit Oberleitung: Simson „Supra So“ 8/40 PS

Die kalauernde Überschrift muss sein. Zudem entspricht es ganz der Wahrheit, dass auch Automobile mit Oberleitung fahren können. Dem kann ich heute sogar eine neue Dimension hinzufügen!

Das älteste mir bekannte Beispiel sind die O-Busse der Vorkriegszeit, von denen mir meine aus dem schlesischen Liegnitz gebürtige Mutter zu berichten wusste. Sie waren einst überall dort stark verbreitet, wo es dank heimischer Kohle oder Wasserkraft Strom satt gab.

Dieses geniale, da nicht schienengebundene Elektro-Verkehrsmittel ist zwar jeder modernen U-Bahn ökonomisch überlegen, aber der Deutsche hat es gern kompliziert und teuer – ob es einen Mehrwert bringt, ist nachrangig.

Damit die Moderne einziehen konnte, musste erst einmal Bewährtes zerstört werden – also verschwanden die O-Busse, dann die Straßenbahnen und selbst die irre Mühe des Rückbaus des Schienennetzes der Bahn scheute man nicht.

Nach diesem jahrzehntelangen Feldzug konnten „Experten“ dann die Stromzufuhr aus der Oberleitung als Neuerung verkaufen, die freilich erst einmal erprobt werden muss, weil damit ja keine Erfahrungen vorliegen…

So in etwa – stelle ich mir vor – müssen die Politprojekte zu LKW-Oberleitungen auf den deutschen Autobahnen entstanden sein, die an bisher drei Abschnitten gebaut wurden. Eine davon bestaune ich seit Jahren regelmäßig auf der A5 vor Darmstadt.

190 Millionen Euro hat der Steuerzahler für diese Possen berappen müssen. Das Geld ist aber nicht weg, es haben jetzt bloß die ausführenden Firmen und Zulieferer sowie Heerscharen von Planern und – vermutlich – Provisionsempfängern in der Politik.

Da inzwischen der Rückbau der ersten dieser Schildbürger-Anlagen ansteht, will ich dem Thema Oberleitung in Sachen Auto eine neue Facette hinzufügen – diese hier:

Simson Typ So 8/40 PS; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Beigesteuert hat dieses prachtvolle Dokument zum Thema Automobil mit Oberleitung Leser Matthias Schmidt (Dresden). Er ist es auch, dem ich bislang die meisten Aufnahmen des abgebildeten Autotyps in meinem Blog verdanke (siehe Simson-Galerie).

Die Rede ist vom Simson Typ Supra So 8/40 PS – einem von 1925-29 in Suhl (Thüringen) gebauten Modell, hinter dessen Spitzkühler sich ein bemerkenswerter Motor verbarg.

Das nur knapp 2 Liter messende Aggregat leistete dank strömungsgünstig im Zylinderkopf hängender Ventile und Steuerung über obenliegende Nockenwelle 40 PS. Dafür waren damals sonst größere und kostspieligere Motoren mit 2,5 bis 3 Liter Hubraum erforderlich.

Damit war der Simson Typ So bis zu 100 km/h schnell, was ihn in Verbindung mit den Vierradbremsen in Deutschland auch noch Anfang bis Mitte der 1930er Jahre zu einem durchaus leistungsfähigen Fahrzeug machte.

Nun mögen Sie sich fragen, wie ich darauf komme, dass dieser einst von der „Oberleitung“ einer Radrennveranstaltung genutzte Simson erst in den 30ern abgelichtet wurde.

Ich gebe zu, dass es einiger Recherchen bedurfte, welche sich interessanterweise aber nicht auf den Wagen, sondern das daneben abgebildete Rennrad bezogen:

Die Vorkriegsfahrrad-Experten unter Ihnen werden es erkennen, aber mir zunächst nicht klar, dass dieses Rad einen präzisen Hinweis auf seine frühestmögliche Entstehung liefert.

Schaut man genau hin, weist das Rad am hinteren Ausfallende einen drahtseilbetätigten „Umwerfer“ auf, mit dem auf einem dreiteiligen Zahnkranz am Hinterrad unterschiedliche Übersetzungen gewählt werden konnten. Zum Ausgleich war weiter vorne ein Kettenspanner vorgesehen.

Diese Konstruktion entspricht genau der 1932 erstmals vorgestellten „Super Champion“-Schaltung des Schweizer Radrennfahrers Oscar Egg (1890-1961). Er soll auch einer der ersten gewesen sein, welche die auf dem Foto zu sehenden Trinkflaschenhalter einsetzten.

Damit haben wir die frühestmögliche Datierung für den Simson „mit Oberleitung“. Wohl einen Vertreter derselben sehen wir im Hintergrund in Form eines feisten Herrn mit merkwürdig kleinen Händen, dem ich nichts Positives abgewinnen kann.

Solche unangenehmen Typen bekamen ab 1933 Oberwasser und nutzten zielsicher das Angebot an Ämtern und Titeln, welche das neue Regime für Zivilversager und opportunistische veranlagte Vertreter des bisherigen Establishments zu bieten hatte.

Meine Sympathie gilt ganz dem jungen Fahrer mit den erkennbar trainierten Unterarmen – jawohl, Radfahren ist nicht nur Beinarbeit – der Vertreter einer von Kampfgeist beseelten Generation war, die man einige Jahre später in den 2. Weltkrieg hetzte.

Leider ist nichts über den Radler und die Umstände der Aufnahme bekannt – wie gerne würde man dem Thema „Auto mit Oberleitung“ am Ende doch noch Konkretes und Erhellendes abgewinnen…

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Fund des Monats: Ein SAM „C25“ Tourer

Der Fund des Monats April ist nicht zum ersten Mal ein hübsches Beispiel für die erfreuliche Zusammenarbeit von Sammlern aus der Welt des Vorkriegsautomobils.

So gilt heute mein Dank gleich zwei Enthusiasten, deren Interessen und Archive sich hier vortrefflich ergänzen – sie werden weiter unten noch gewürdigt.

Im Unterschied zu Zeitgenossen, die ängstlich ihre Schätze vor dem Auge des Publikum verbergen, als ob sie dadurch irgendwie beeinträchtigt werden könnten, lassen sie uns an den Ergebnissen von Jahren der Suche, Recherche und Aufbereitung ihrer Funde teilhaben.

So soll es sein und gern stelle ich in solchen Fällen meinen Blog als Plattform zur Präsentation zur Verfügung. Dass dies von Vorkriegsfreunden geschätzt wird, bekam ich dieser Tage schwarz auf weiß in mein Postfach geliefert.

Ein Blog-Leser aus Hamburg schrieb mir auf einer Postkarte mit einer Ansicht aus Berlin in den 1920er Jahren, dass er Freude an diesen meinen Aktivitäten hat und sich auf diese Weise einfach bedanken wollte.

Das hat genau den Stil, dessen Fehlen ich in unseren Tagen ich immer wieder beklage – zumal die Postkarte sogar ein historisches Original war, das nach rund 90 Jahren ihre bestimmungsgemäße Verwendung fand.

Sie wird einen besonderen Platz in meiner Sammlung finden, denn ich schätze solche alten Stücke dann besonders, wenn ich ihre Herkunft kenne. Daher besten Dank an den Leser aus Hamburg!

Zurück zum Fund des Monats April. Tatsächlich ist er mir schon vor etwas längerer Zeit übermittelt worden, doch erst heute ist die Gelegenheit, ihn angemessen vorzustellen. Der Besitzer der Aufnahme ist jemand, dessen Arbeit in Sachen Vorkriegsdokumentation schon öfters als vorbildlich erwähnt habe.

Was er im Alleingang zur Historie von Fiat (nebst Derivaten) und Steyr/Puch zusammengetragen und im Netz attraktiv aufbereitet zugänglich gemacht hat, ist nach meiner Einschätzung in dieser Breite hierzulande konkurrenzlos.

Die Rede ist von Ferdinand Lanner und seiner Website, die ständig ergänzt wird und in der man sich verlieren kann. Selbst in Italien wüsste ich keine bessere Online-Quelle zur langen Fiat-Historie mit allen ihren unterschiedlichen Phasen und allen ihren Verästelungen.

Bei einem dermaßen breit und vielfältig angelegten Sammelthema und tief in der Familie wurzelnder Autoleidenschaft bleibt es nicht aus, dass sich auch Entdeckungen anderer Art ergeben, die der Welt ebenfalls nicht vorenthalten werden dürfen.

Auch wenn es kein Fiat ist, kann man einen solchen eleganten Tourer mit unverkennbar italienischer Kühlerpartie doch nicht unveröffentlicht lassen, oder?

SAM C25; Originalfoto: Sammlung Ferdinand Lanner

Vom Hersteller dieses kompakten und knackig gezeichneten Wagens dürften die wenigsten je gehört haben – auch mir war der Markenname neu: SAM – Società Automobili e Motori.

Unter diesem Namen wurde ab 1923 in Legnano bei Mailand zunächst ein von Guglielmo Ghioldi entwickeltes Motordreirad mit luftgekühltem 1,1 liter-V2-Aggregat gefertigt. Dazu hatte der Mailänder Industrielle Attilio Vaghi die Rechte von Ghioldi erworben.

Dem Dreirad wurde eine vierrädrige Version zur Seite gestellt, die ebenfalls nur zwei Sitze besaß und damit eher der Kategorie der Cyclecars zuzuordnen war. Beim Gran Premio Internazionale im April 1923 heimste man damit einen eindrucksvollen Sieg gegen die etablierte Konkurrenz von Anzani ein und belegte die drei ersten Plätze.

Publikumswirksame Sporterfolge beflügelten zunächst auch den Absatz des 1925 neu eingeführten SAM Typ C25 – genau so ein Gerät sehen wir auf dem Foto von Ferdinand Lanner.

Dieses Modell besaß keinen selbstentwickelten Zweizylindermotor mehr, sondern einen von CIME zugekauften 1,1 Vierzylindermotor. Damit trat man ab 1925 allerdings auch gegen einen neuen Gegner an – den Fiat 509 mit seinem zwar kleineren, aber dank obenliegender Nockenwelle höherdrehenden und belastbareren Motor.

Dieser machte in der heißgemachten Version „509S“, die 27 PS bei damals enormen 4000 Umdrehungen leistete, der Sportkarriere des SAM C25 den Garaus.

Hier haben wir wahrscheinlich ein derartiges getuntes Gerät aus Turin (nun aus meinem Fundus, irgendetwas muss ich heute ja auch beisteuern…):

Fiat 509 (S?) Sport-Tourer; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Die Ähnlichkeit der Kühlerpartie und der Frontscheibe fällt gleich ins Auge – doch so kamen auch etliche andere italienische Wagen um die Mitte der 1920er Jahre daher. Man schätzte diesen klassischen Look damals in Italien (aber nicht nur dort), der sich deutlich von den Trends abhob, die zunehmend aus den USA nach Europa herüberschwappten.

Dass der Fiat 509 dank rationeller Großserienproduktion deutlich günstiger als der SAM C25 zu bekommen war, akzeptierten die Käufer, solange die Marke Rennsiege einfuhr. Damit war aber ab 1926 Schluss, als der Fiat 509 S in der Targe Abbruzzo seine Überlegenheit mit beeindruckendem Abstand bewies.

Bis 1928 konnnte SAM noch den zunehmend veralteten Typ C25 absetzen, dann schloss die Firma die Tore. Mindestens fünf überlebende Exemplare soll es immerhin noch geben.

An dieser Stelle – rechtzeitig zu Toresschluss – soll noch Claus Wulff aus Berlin erwähnt werden, in dessen spektakulärer Sammlung von Kühleremblemen sich tatsächlich auch ein Exemplar des C25 von SAM findet – nämlich hier.

So können Sie nun auch besser erkennen, wie der Markenschriftzug auf dem Kühler gestaltet war – die perfekte Ergänzung zu Ferdinand Lanners Foto, finde ich…

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Auf Anhieb überzeugend: Chrysler Roadster von 1925/26

Als überzeugter Marktwirtschaftler erwarte ich von jedem Produkt, dass es ganz von alleine den Test am Kunden bestehen muss – sonst taugt es auf Dauer nichts.

Was von Subventionen, Schutzzöllen oder sonstigen staatlichen Gehhilfen begleitet wird, kann nicht dem Käuferbedarf entsprechen. Die naiven „Nur noch elektrisch!“-Gläubigen erfahren das gerade schmerzhaft – wer noch selber denkt, kann kaum überrascht sein.

Dabei gab und gibt es natürlich auch für Batteriefahrzeuge ganz wunderbare Anwendungen, die sich ganz von allein etabliert haben: Gabelstapler, Golf-Caddies, Carrera-Wagen usw.

Ich besitze sogar selbst etwas in der Richtung: Einen China-Roller, der aussieht wie eine Vespa (ok, ich habe etwas nachgeholfen…) und mit zwei einfach austauschbaren Akkus auf 80 km Reichweite kommt.

Nichts passt perfekter zu einem eleganten Stadtroller als die laut- und stufenlose Beschleunigung auf ca. 55 km/h – das ganze mit 50ccm-Mopedkennzeichen und zum Drittel des Preises, den Piaggio für etwas Vergleichbares aufruft. So funktioniert der Markt und ich liebe das Teil für Fahrten im schönen Bad Nauheim.

Die Geschichte der Vorkriegswagen ist ebenfalls ein Musterbeispiel für das, was der Markt ganz von alleine zustandebekommt, wenn keine Bürokraten mitzureden haben. Die sollen sich auf die Bedingungen für fairen Wettbewerb und Einhaltung einiger allgemeiner Vorschriften beschränken, auf welche die Mehrheit pocht – damit haben sie genug zu tun.

Nun werden Sie bei der US-Marke Chrysler vielleicht nicht gerade an ein Meisterwerk des Marktes denken – doch dann machen Sie den Fehler, vom Ende des Lebenszyklus einer Marke auszugehen. Der Niedergang gehört ebenso dazu wie der Aufstieg und beides sollte sich möglichst ungestört vollziehen dürfen.

Nach dieser Vorrede geht es nun 100 Jahre zurück ins Jahr 1924 zu einem Musterbeispiel dafür, wie geschäftstüchtige Zeitgenossen, die ihr Handwerk verstehen, ganz ohne Schützenhilfe ein Produkt lancieren, das auf Anhieb zu überzeugen weiß.

Urheber war Walter Chrysler, dessen atemberaubende persönliche Geschichte bereits eine eigene Betrachtung wert wäre, wenn dafür Zeit und Raum wäre.

Vom Hilfsarbeiter auf einem Bauernhof arbeitete er sich über etliche Stationen bis zum Geschäftsführer von Buick hoch. Seinen Abschied ließ er sich vergolden, indem er seine Aktienbeteiligung 1919 für damals unglaubliche 10 Mio. Dollar an William Durant abgab.

Mit diesem hübschen Polster ausgestattet startete Chrysler nach einem Sanierungsjob bei Willys 1924 seine eigene Automobilproduktion.

Der neue „Chrysler Six“ war ein Mittelklassewagen mit für US-Verhältnisse kleinem Hubraum und hoher Verdichtung, was knapp 70 PS Leistung ermöglichte. Schmankerl waren Aluminiumkolben, Druckumlaufschmierung und hydraulische (!) Vierradbremsen, als deutsche Premiummarken noch einen Aufpreis für mechanische Vorderradbremsen verlangten.

Über 30.000 Wagen brachte Chrysler im ersten Jahr an den Mann – nicht etwa weil Mangel an Alternativen herrschte, sondern weil das Gesamtpaket zum Preis von unter 1.500 Dollar auf Anhieb überzeugte.

Kurze Zeit später tauchte der Chrysler auch am deutschen Markt auf (es gab auch eine.Vierzylinderversion mit kürzerem Radstand). Mit dem Auto konnte man sich sehen lassen und posierte entsprechend für Mit- und Nachwelt:

Chrysler von 1925/26; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wenn Sie den Wagen jetzt auf Anhieb nicht so überzeugend finden, kann das daran liegen, dass die Frontpartie unscharf wiedergegeben ist und das Auto wie ein ordinärer Tourer aussieht.

Doch warten Sie ab, wir kommen gleich zu einer zweiten Ansicht, bei der alles auf Anhieb überzeugend ist. Bei der Identifikation hilft der Schriftzug „Chrysler“ auf dem Kühler natürlich.

Die durchgehende Frontscheibe verrät, dass es sich nicht mehr um das Startmodell von 1924 handelt – ansonsten halten sich die optischen Anpassungen in Grenzen. Der geflügelte Helm auf dem Kühler findet sich offiziell ab dem Modelljahr 1926, das Ende 1925 eingeführt wurde.

Der eigentliche Charme entfaltet sich , wenn man feststellt, dass man es in Wahrheit mit einem zweisitzigen Cabriolet mit Notsitzen im Heck zu tun hat – nach US-Konvention ein „Rumbleseat-Roadster“.

Nur damit waren solche auf Anhieb überzeugenden Posen möglich:

Chrysler von 1925/26; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Unser Paar aus dem Raum Dresden – dort war der Chrysler zugelassen – war offenbar zufrieden mit der Entscheidung für den „Amerikanerwagen“, auch wenn es sich vielleicht dumme Bemerkungen anhören musste, dass diese Massenfabrikate nichts taugten.

So konnte man sich irren – die große Zeit der US-Automobile am deutschen Markt hatte damals gerade erst begonnen und die einheimischen Hersteller hatten der Konkurrenz aus Übersee nichts entgegenzusetzen. Erst ab 1930 bekamen sie allmählich die Kurve.

Was damals auf Anhieb überzeugte, sollte auch heute das Leitbild sein: Mehr Risikobereitschaft und Unternehmertum, weniger Hemmnisse für Investitionen, mehr Anerkennung für geschäftlichen Erfolg und natürlich: null Unterstützung durch die Allgemeinheit, wenn man sich verkalkuliert hat.

Angesichts der immer größer werdenden wirtschaftlichen Probleme in unserem Land ist man frei nach Willy Brandt geneigt zu sagen: „Mehr Markt wagen!“ Mich würde ein solches schlichtes politisches Programm auf Anhieb überzeugen – viel mehr braucht es erst einmal nicht, um aus der Misere herauszukommen.

Hilfreich waren freilich auch erfolgshungrige und risikobereite Aufsteigertypen wie Walter Chrysler statt nur nach Subventionen und persönlicher Sicherheit schielenden Verwaltertypen in den Teppichetagen der Industrie…

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Zimmer mit Aussicht: Ein Horch 853 Cabriolet

Na, welche Assoziation weckt „Zimmer mit Aussicht“ bei Ihnen?

Fällt Ihnen spontan die in Italien und England spielende Filmschmonzette „Room with a view“ der 1980er ein? Oder summen Sie plötzlich den gleichnamigen Ohrwurm von Tony Carey aus derselben Zeit?

So oder so bleiben wir nicht in der Zeit hängen, die aus meiner Sicht die beste war, die Deutschland vielleicht je erlebt hat – eine Einschätzung, die nicht nur daran liegt, dass ich damals noch ein Teenie war. Ich könnte auf Internet & Co. verzichten, wenn es noch einmal so ultraliberal und zugleich so stilbewusst zuginge wie im Westen des Landes in den 80ern.

Doch stattdessen geht es mit dem „Zimmer mit Aussicht“ zurück in eine Zeit, die wir in vielerlei Hinsicht auf keinen Fall zurückhaben wollen. Nur die Autos von damals, die wollen alle haben, jedenfalls wenn es das Kleingeld erlaubt.

Die Rede ist von einem der sensationellsten Entwürfe der 1930er Jahre überhaupt – dem Horch 853 Sport-Cabriolet, das von 1935-37 in knapp 700 Exemplaren entstand. Leser meines Blogs durften dieses betörende Geschöpf schon einige Male bewundern.

Hier haben wir beispielsweise eine Aufnahme, die Leser Matthias Schmidt aus Dresden aus seinem Fundus beigesteuert hat:

Horch 853 Sport Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Der Kontrast zwischen diesem Traumwagen und der brutalen politischen Realität im Deutschland jener Tage könnte nicht größer sein.

Vielleicht war es gerade das Gefühl, in Zeiten zu leben, in denen die Freiheiten der Bürger in allen Bereichen unter die Räder kamen, welches die Gestalter und Karosseriebauer zu diesen Spitzenleistungen motivierte.

Um diese Betrachtung zu vertiefen, ist heute keine Zeit und hier auch nicht der rechte Ort – zu komplex ist dieses Thema, das einen als geschichtsbewussten und freiheitsliebenden Deutschen lebenslang beschäftigt und mitunter verfolgt.

Also beschränken wir uns heute – anstatt das große Bild zeichnen zu wollen und daran zu verzweifeln – auf die kleinteilige Perspektive, denn auch diese bietet bisweilen großartige Ein- und Ansichten, etwa in dieser Form:

Horch 853 Sport Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wann hat man zuletzt ein deutsches Auto mit solchen extremen Proportionen gesehen? Auf eine endlos wirkende Motorhaube folgt ein bewusst niedrig und kompakt gehaltenes Passagierabteil, direkt danach fällt die Linie steil ab – hier gibt es nichts mehr zu sehen…

Erinnern Sie sich an meine kürzliche Kritik des primitiven Funktionalismus, welcher sich um die Mitte der 1920er Jahre speziell in Deutschland in gestalterischer Hinsicht breit machte?

Dass es in den 30er Jahren für eine kurze Zeit speziell im Autodesign zu einer Renaissance der reinen Unvernunft kommen sollte, das ist für mich ein zivilisatorisches Wunder.

Der sensationelle Mercedes 300 SL-Flügeltürer der Nachkriegszeit war der letzte Nachklang dieses kurzlebigen Aufflammens des Wunsches nach dem ganz großen Kino – danach kam hierzulande bis heute nichts mehr, was das Attribut „opulent“ oder „umwerfend“ verdiente.

Wäre das anders, würde ich mich nicht seit Jahren schon an dem Phänomen Vorkriegsautomobil abarbeiten und Sie würden nicht ebenfalls diese Leidenschaft teilen.

Genug geschwelgt. Wie war das noch einmal mit dem „Zimmer mit Aussicht“? Nun, das ist einfach – hier haben wir es:

Horch 853 Sport Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Offenbar hat jemand das Prachtstück von Horch aus dem Fenster der gegenüberliegenden Wohnung fotografiert. Links sieht man den Mittelpfosten des zweiflügeligen Fensters, rechts den zur Seite geschobenen Vorhang.

Aber wir sehen hier noch mehr – auch wenn der Wagen so nicht optimal zur Geltung kommt. Gegenüber befindet sich ein monumentales Gebäude im Stil der Neorenaissance mit riesigen Fenstern. Doch scheinen diese zerstört zu sein.

Man erkennt links oben Reste von Fensterglas im Rahmen und rechts scheint selbst dieser teilweise zu fehlen. Mein erster Gedanke war der an die Wirkung der Druckwelle nach einer Bombenexplosion in der Nähe im 2. Weltkrieg.

Doch der Horch trägt nicht die damals vorgeschriebenen Tarnüberzüge auf den Scheinwerfern. Könnte das Foto kurz nach dem Krieg entstanden sein? Doch dann wäre ein Wagen dieses Kalibers sicher von den Besatzungsmächten einkassiert worden.

Also was könnte die Erklärung sein?

Vielleicht doch eine Aufnahme aus Kriegszeiten, in denen sich die privilegierten Besitzer solcher Repräsentationswagen Freiheiten nehmen konnten, welche anderen „Volksgenossen“ nicht vergönnt waren, deren Autos nicht für’s Militär beschlagnahmt worden waren?

Ich muss zugeben, dass ich bei aller Meinungsstärke diesmal zögere, mich auf ein wahrscheinliche Interpretation festzulegen. Sie sehen: „Zimmer mit Aussicht“ kann weit anregender sein als ein Kinofilm oder ein Schlager aus den 80er Jahren.

Und jetzt sind Sie gefragt: Was war das für ein Zimmer mit Aussicht, wann und wo?

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Klarer Aufstiegskandidat: Metallurgique Landaulet

Wer bei Aufstiegskandidaten reflexhaft an Fußball denkt, kommt heute leider nicht auf seine Kosten – den Kickerclub „Metallurgique Landaulet“ hat es nie gegeben.

Zudem liegt mir der Ballsport fern – ich habe darin nie sonderliche technische Fertigkeiten entwickelt.

Wenn es in der Schule oder danach auf den Bolzplatz ging, bestand mein Können darin, mehr Ausdauer als andere zu haben und Angreifern nicht von der Seite zu weichen, bis sie genervt den Ball abgaben.

Besonders lag mir der „Freistil“ – also vom Verteidiger zufällig selbst zum Angreifer zu werden und aus unmöglichen Situationen zu versuchen, einen Treffer zu erzielen. Denn den Ball gegen andere zu verteidigen, dazu fehlte mir die Technik.

Am besten gefiel mir das regellose Spiel im Bad Nauheimer Freibad mit US-GIs aus der Panzerkaserne im benachbarten Friedberg. Die Jungs aus den Staaten spielten so robust, wie sie das vom American Football kannten – bloß in Badehose und barfuß.

Das war genau mein Ding – nie habe ich mehr Spaß gehabt beim Fußball, als wenn man robust aufeinanderkracht und förmlich miteinander um den Ball ringt. Dabei ging es stets fair zu und an Verletzungen kann ich mich nicht erinnern.

So, das muss genügen, was die Fußball-Assoziationen angeht, die der Titel meines heutigen Blog-Eintrags wecken mag.

Wenn dort von Aufstieg die Rede ist, dann ist tatsächlich etwas ganz anderes gemeint – und der Kandidat dafür war alles andere als für den Sport gekleidet:

Metallurgique Landaulet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Natürlich erkennen langjährige Leser diese Kühlerpartie auf Anhieb – einen solchen Spitzkühler mit pyramidenhaft gestaltetem Wasserkasten besaßen die Wagen der einst berühmten belgischen Marke Metallurgique.

Und wer meine amateurhaften und höchst subjektiv gefärbten Ausflüge in die unerschöpfliche Wunderwelt der Vorkriegsautos erst seit kurzem verfolgt, wird von nun an für immer wissen, woran man einen Metallurgique erkennt:

Haben Sie sich das eingeprägt? – Oder schielen sie mit einem Auge heimlich auf das Smartophon, während ich Ihnen hier etwas beizubringen versuche? Also etwas mehr Konzentration, wenn ich bitten darf.

Ich komme sicher darauf zurück und dann will ich nicht wieder alles von vorne erklären müssen – Metallurgique-Fotos liegen jedenfalls noch etliche auf der Festplatte herum.

Interessant wird ausgerechnet diese belgische Marke unter den Dutzenden, welche das kleine, aber einst industriell hochbedeutende Land hervorgebracht hat – interessant also wird Metallurgique dadurch, dass die Wagen ab 1909 auch unter Lizenz in Berlin gebaut wurden.

Lizenznehmer war die Bergmann-Elektrizitätswerke AG – welche erkannte , dass die Zukunft nicht dem damals noch stark verbreiteten batterieelektrischen Auto gehört , sondern dem in allen Belangen überlegenen Verbrenner – ein zeitloses Thema, wie es scheint.

Man darf jedenfalls getrost davon ausgehen, dass Metallurgique-Fotos aus deutschen Landen meist einen solchen Bergmann-Metallurgique aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg zeigen.

Die ungewöhnlich anmutende Beziehung zu Deutschland hatte den Grund, dass die ersten Wagen der Marke von deutschen Konstrukteuren gebaut worden waren. Auch der markante Kühler war die Idee einer deutschen Firma gewesen.

Nun wird es aber höchste Zeit für den angekündigten Aufstieg und den Kandidaten dafür.

Letzterer war gewiss nicht der mit vornehmer Büroblässe ausgestattete Passagier im Heck dieses prächtigen Landaulets, sondern der gesünder wirkende Fahrer mit dem scharf geschnittenen Gesicht, der hier wie der wahre Herr der Situation dreinschaut:

Nun sehen wir auch, wie das mit dem Aufstieg gemeint war. Der bezog sich nämlich offenbar auf die Stufe hinter der Fahrertür, über welche der Chauffeur an das auf dem Dach angebrachte Gepäck gelangte.

Die Dachreling war im Stil der Zeit verspielt und dem Auge schmeichelnd gestaltet. Wer mit solchem Dekor ein Problem hat, ist schlicht zu bedauern – schöne Details wie diese sind Ausdruck davon, dass man die Sklavenstufe der blanken Notwendigkeit überwunden hat.

Überhaupt ist die Gestaltung des Aufbaus so atemberaubend opulent, wie das nach dem 1. Weltkrieg nie wieder der Fall sein sollte. Nicht umsonst markiert dieser die eigentliche Zäsur im 20. Jahrhundert und wurde von den Zeitgenossen entsprechend wahrgenommen.

Datieren würde ich das Fahrzeug anhand der Frontpartie mit der noch wie aufgesetzt wirkenden Windkappe zwischen Motorhaube und Frontscheibe auf 1910/11.

Wer nun meint, dass der Fahrer des Wagens ein armer Mensch gewesen sein muss, der sich auch noch als Gepäckträger seines Brötchengebers verdingen musste, liegt völlig daneben.

Ein Chauffeur war damals ein hochgeschätzter Könner seines Fachs, der nicht nur die enorme Komplexität der Automobile beherrschen, sondern auch über ausgezeichnete Manieren verfügen musste – damals wie heute nicht jedermann gegeben.

Ihm vertraute man Leib und Leben der ganzen Familie und den enormen Wert des Fahrzeugs ein, das im Fall eines Metallurgique mit einem derartig aufwendigen Aufbau den Gegenwert eines einfachen Hauses auf dem Land repräsentierte.

Über die Jahre meiner Beschäftigung mit tausenden solcher Fotos ist mir aufgefallen, dass die Fahrer solcher Chauffeurwagen fast immer sehr selbstbewusst wirken, ja oft sogar als die interessanteren und sympathischeren Charaktere erscheinen als die Besitzer.

Tatsächlich konnten sie in vielen Fällen einen bemerkenswerten Aufstieg absolvieren – nicht nur vom Fahrersitz auf das Dach des Wagens, auf dem Madames Hutschachtel lag, sondern in beruflich noch höherstehende Gefilde – als Besitzer einer Werkstatt, eines Autohauses oder eines florierenden Taxibetriebs beispielsweise.

In Zeiten, in denen allzuoft über den Verlust von vermeintlichen Privilegien und böse Wettbewerber gejammert wird, erinnern solche Beispiele einstiger Aufstiegskandidaten daran, dass man bei Bedarf mutig loslegen und dabei auch unkonventionelle Wege beschreiten muss, um Erfolg zu haben – die Altvorderen konnten das auch…

Wer sich einredet (oder einreden lässt), dass ihm die Voraussetzungen fehlen oder er die Regeln der Kunst nicht beherrscht und noch üben muss, dem wird nie der Aufstieg gelingen…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Spagat zwischen Stil und Funktion: Adler 10/45-50 PS

Heute unternehmen wir einen Ausflug ins Deutschland der Mitte der 1920er Jahre. Damals gewann eine der für mich fatalsten Ideologien in Sachen Gestaltung die Oberhand – der radikale Funktionalismus.

Ohne Rücksicht auf jahrtausendealte Erfahrungen und menschliche Bedürfnisse erhoben einflussreiche Vertreter ihrer Zunft die frei erfundene These zum Naturgesetz, wonach sich die Gestaltung eines Gegenstands aus seiner Funktion zu ergeben habe.

Schönheit, Eleganz und Wohlproportioniertheit als eigene Werte wurden unnötig abgetan, Dekor wurde von einigen deutschen Design-Extremisten sogar kriminalisiert.

Diesem unseligen Geist haben wir unter anderem die bis heute hierzulande unausrottbare und immergleiche freudlose Schukarton-Architektur zu verdanken. Zum Glück gibt es im Ausland auch andere Strömungen, die dem primitiven Bauhaus-Kult abgeschworen haben und durchaus expressiven bis überwältigenden Formen wieder Raum geben.

Im Bereich der Automobilgestaltung markiert die Mitte der 1920er Jahre die Abkehr von den Relikten der damaligen Vorkriegszeit – vor allem dem bis dato im deutschen Sprachraum dominierenden Spitzkühler, der Dynamik und Windschnittigkeit zum Ausdruck brachte:

unbekannter deutscher Tourenwagen der frühen 1920er Jahre; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Rein funktionell brauchte man diese aufregenden Formen nicht, ein flacher Kühler erreichte bei ausreichender Dimensionierung denselben Luftdurchsatz.

Auch die breite und hier zusätzlich farblich betonte „Schulter“ an der Flanke der Karosserie war nicht „notwendig“ – dasselbe gilt für den nach hinten waagerecht auslaufenden Kotflügel, welcher die Dynamik des Wagens rein optisch betonen sollte.

Auch bei der Traditionsfirma „Adler“ aus Frankfurt am Main hinterließ die neue Nüchternheit ab 1925 unübersehbar Spuren – selbst bei gehobenen und enorm teuren Wagen wie dem Typ 10/45 PS von 1925 bzw. seinem 6-Zylinder-Pendant 10/50 PS.

Beide Varianten lassen sich äußerlich m.E. nicht auseinanderhalten, der minimale Unterschied im Radstand hilft nicht, wenn man alte Fotos vor sich hat wie dieses:

Adler 10/45 PS bzw. 10/50 PS von 1925-26; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wie man bei einem fast eigenschaftslosen Tourenwagen darauf kommt, dass man es wahrscheinlich mit so einem mittelschweren Adler von 1925/26 zu tun hat (es gab darüber noch einen raren 18/80 PS Typ), das habe ich vor einigen Jahren hier vorgeführt.

In der Zwischenzeit tauchte noch ein dazu passendes Foto auf, das ich wieder einmal Leser Klaas Dierks verdanke, der ein ganz besonderes Gespür für Qualität hat.

Die Aufnahme lässt erkennen, dass Adler der Spagat zwischen Stil und Funktion tatsächlich gelungen war. Hier zeigt sich der Tourer 10/45 bzw. 10/50 PS durchaus gefällig:

Adler 10/45 PS oder 10/50 PS, Bauzeit: 1925/26; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Dass ein ansprechender Stil hier nicht zu kurz kommt, ist freilich vor allem dem gekonnt posierenden und figurbetont gekleideten Mann neben dem Auto zu verdanken.

Ein Übriges tun hier die geneigte Frontscheibe und der verwegen wie eine Bombe gestaltete Reservekanister auf dem Trittbrett. Wäre es nach der beschränkten Logik der Funktionalisten gegangen, hätte man dort zwingend einen rechteckigen Kasten installiert.

Heute habe ich dank eines weiteren Lesers und mit guter Nase ausgestatteten Sammlers – Matthias Schmidt aus Dresden – das Vergnügen, erneut den Spagat zwischen Stil und Funktion zu thematisieren, den ein Foto mit einem Adler Tourer von Mitte der 20er Jahre erkennen lässt:

Adler 10/45 PS oder 10/50 PS, Bauzeit: 1925/26; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Dass wir es hier mit demselben Typ zu tun haben, das muss wohl nicht umständlich begründet werden. Gern wüsste man wieder, ob und wie sich das 4-Zylindermodell 10/45 PS vom nur ein Jahr später erschienen 6-Zylindertyp 10/50 PS äußerlich unterschieden.

Auch wäre es reizvoll zu erfahren, weshalb die Adler-Leute den 6-Zylinder nach nur einem Jahr – also anno 1926 – mit geändertem Verhältnis aus Zylinderbohrung und Hub anboten. Jedenfalls wurde das nun kurzhubigere Aggregat drehfreudiger und die Spitzenleistung fiel bei 3000 Umdrehungen pro Minute statt zuvor 2800 an. War das der einzige Grund?

Vier Gänge und Vierradbremsen waren allen diesen Varianten gemeinsam, ebenso die solide 12 Volt-Elektrik und der achtbare Radstand von rund 3,30 Metern. Quellen zu den Hintergründen dieser Varianten sind mir nicht bekannt.

Auch die Website des seit über 50 Jahren bestehenden Adler Motor Veteranen-Clubs schweigt sich über diese Modelle ebenso aus wie über die meisten frühen Adler, obwohl Material und Wissen dort sicher reichlich vorhanden sind.

So bleibt mir heute nur, dieses Foto von Matthias Schmidt meiner quasi im Vorübergehen aufgebauten Adler-Galerie einzuverleiben – der größten allgemein zugänglichen ihrer Art.

Eine letzte Bemerkung zum Spagat zwischen Stil und Funktion kann ich mir nicht verkneifen. Wieso posieren die beiden Herren in dem repräsentativen Adler ausgerechnet in Unterwäsche – also dem ultrafunktionellen Feinripp-Unterhemd?

Ich könnte mir nur vorstellen, dass sie in einer Fabrik mit schmutzigen Arbeiten tätig waren, gerade aus der Dusche kamen und die Gelegenheit nutzten, den Adler des Direktors zu okkupieren. Das hätte schon wieder einen gewissen kühnen Stil…

Doch nein, das ist eher unwahrscheinlich, der Kontext dieses Fotos mit dem Kleinkind muss ein anderer gewesen sein. Ideen dazu – auch humorvolle – sind wie immer willkommen!

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Eine kurzlebige Ekstase: Wanderer W21 von 1933

Die sächsische Marke Wanderer ist sicher nicht das Erste, was einem einfällt, wenn es automobilhistorisch um den „Spirit of Ecstasy“ geht – der war bekanntlich Rolls-Royce vorbehalten.

Dieser Tage habe ich meine Wanderer-Galerie weiter aufgefüllt – es gibt dort jetzt nur noch wenige Lücken. Dabei ist mir aufgefallen, dass dennoch zumindest ein Modell geradezu exaltiert daherkam.

Für die bis dato nüchternen Wanderer-Wagen jedenfalls war der 1933 neu eingeführte Sechszylindertyp W21 (1,7 Liter) bzw. das 2 Liter-Pendant W22 von unerhörter Kühnheit. Das kam schon in der hochexpressiven Reklame zum Ausdruck:

Wanderer-Reklame von 1933; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Die Werbeleute hatten erkennbar nachgeholfen, um den Wagen moderner und dynamischer wirken zu lassen – heute würde man das einfach mit einem „KI“-Programm machen, wenn man keine German Angst vor aufregenden Neuerungen hat.

Doch sah der technisch grundsolide Wanderer auch in Wirklichkeit unverschämt gut aus – jedenfalls wenn die Kühlerpartie zur Geltung kam. Eine dermaßen aufmerksamkeitsstarke Geometrie an der Front wagte damals unter den deutschen Herstellern nur Stoewer mit dem schicken Frontantriebsmodell R-140/150.

Wer diese repräsentative Front mit den breiten Kühlerlamellen nicht reizvoll findet, dem ist nicht zu helfen, meine ich:

Wanderer W21 oder W22, Modelljahr 1933; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Übrigens lässt sich aus dieser Perspektive nicht sagen, ob wir es mit einer vierfenstrigen oder sechsfenstrigen Limousine zu tun haben. Diese beiden Aufbauten waren jeweils für den W21 bzw. den nur 5 PS stärkeren W22 reserviert.

Leider war die gestalterische Ekstase, zu der sich die Wanderer-Leute damals aufschwangen, von kurzer Dauer. Denn schon 1934 verfeinerte man die Kühlerpartie, was ihr aus meiner Sicht die Wucht der Wirkung nahm.

Das soll uns nicht davon abhalten, dem 1933er Modell die ausführliche Aufmerksamkeit zu schenken, die es verdient. Am Ende wartet eine weitere kurzlebige Ekstase auf Sie – lassen Sie sich überraschen, speziell wenn Sie verheiratet sind.

Hier haben wir erst einmal ein schönes Beispiel für den W21 von 1933 mit dem typischen Aufbau als 4-Fenster-Limousine:

Wanderer W21, Modelljahr 1933; Originalfoto: Sammlung Marcus Bengsch

Dieses Exemplar entspricht prinzipiell dem Wagen auf der eingangs gezeigten Reklame, doch wirkt er hier nicht ganz so sensationell – die Größenverhältnisse zwischen Haube und Fahrgastzelle waren in Wirklichkeit weniger extrem.

Der konkurrierende 6-Zylinder Mercedes-Benz 170 sah damit verglichen ziemlich von gestern aus, doch das mochte die Stuttgarter Klientel ja noch bis Anfang der 1960er Jahre.

Wenn Sie als alter Blog-Leser sagen, dass Sie das obige Foto schon kennen, dann freut mich das.

Ich habe aber auch „neue“ alte Aufnahmen dieses Typs in petto, etwa hier:

Wanderer W21, Modelljahr 1933; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieses Exemplar mit Zulassung im Raum Kiel hat den Vorzug, dass man nun auch die doppelte Reihe leicht geneigter Luftschlitze in der Motorhaube erkennt.

Diese sind zuverlässige Erkennungszeichen der Typen W21 und W21 bis Anfang 1935 (sowie des kurzlebigen W235 als Nachfolger des W21 anno 1936).

Wieder haben wir es mit dem Aufbau als 4-Fenster-Limousine zu tun, also einem W21.

Dasselbe gilt für dieses Exemplar, welches auffallenderweise wieder mit eher dunkler Lackierung daherkommt:

Wanderer W21, Modelljahr 1933; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Auch dieses Dokument ist ein „alter Hut“ in meinem Blog – aber herrje, man kann sich solche Fotos doch immer wieder anschauen, wenn es darauf so unübersehbar menschelt.

Eine seltene Ausführung des W21 mit heller Farbgebung und sogar Zweitonlackierung kann ich Ihnen auf dem letzten Foto des heutigen Ausflugs in die Welt der kurzlebigen Wanderer-Ekstase von anno 1933 präsentieren:

Wanderer W21, Modelljahr 1933; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wenn dieser Wagen mit Zulassung im brandenburgischen Arnswalde Sie jetzt nicht vom Hocker haut, kann ich das erst einmal verstehen.

Wo bleibt denn die eingangs versprochene Überraschung zum Thema „Kurzlebige Ekstase“, welche ich speziell alterfahrenen Eheleuten in Aussicht gestellt hatte?

Nun, die folgt auf dem Fuße und ist das Dokument der bislang kürzesten jemals gemessenen Ehe, behaupte ich. Im vorliegenden Fall haben wir es nämlich mit einem Foto zu tun, welches direkt im Anschluss an eine standesamtliche Trauung geschossen wurde.

Die frisch verheiratete Braut vermerkte lakonisch auf der Rückseite: „Die ersten fünf Minuten als Frau K…“. So weit oder sagen wir besser: so kurz ist diese Ehe also dokumentiert, welche zwischen zwei offenbar nicht mehr ganz jungen Menschen geschlossen wurde:

Wanderer W21, Modelljahr 1933; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Nach meiner Wahrnehmung ist jede zweite Ehe zum Scheitern verurteilt, man weiß bloß nicht immer vorab ,welche es im Einzelfall ist.

Hier standen die Chancen auf eine über den Rausch der ersten fünf Minuten hinausreichende solide und auch später noch aufregende Partnerschaft gut, meine ich.

Rein statistisch sollte die Hälfte der Paare die erste Ehe überspringen und gleich die zweite schließen – das erhöht die Chance auf Erfolg beträchtlich. Aber das ist nur meine Ansicht als Theoretiker und diistanzierter Beobachter in dieser Hinsicht.

Wenn auch Sie dem Rausch der Ekstase in Sachen Wanderer W21 von anno 1933 erlegen sind und außerdem Sympathie für die tollen ersten 5 Minuten einer Ehe empfinden, dann können Sie mir vielleicht noch einen Gefallen tun.

Ich kann nämlich nicht alles entziffern, was die frischgebackene Braut im Mai 1935 auf der Rückseite des Fotos vermerkt hat. Speziell ihr neuer Familienname und der Ort, an den es nach der Trauung zurückging, bereitet mir Schwierigkeiten:

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Späte Blüte: Chandler Six und Eight 1926-29

Manche Dinge brauchen ihre Zeit, um zur Blüte zu gelangen, andere blühen noch einmal auf, bevor es mit ihnen zuendegeht.

Im Fall des Apfelbaums auf dem Nachbargrundstück, dessen Zweige auf das unsere hinüberreichen, bin ich nicht sicher, was hier eher zutrifft. Schon der Name der heute raren Sorte – Kaiser Wilhelm – verrät, dass es sich um ein älteres Semester handelt.

Nachdem der Baum die letzten Jahre eher mäßig blühte und die Äpfel oft angegriffen waren, erfreut er uns diesen Frühling durch eine Masse und Pracht an Blüten, die man ihm nicht mehr zugetraut hatte.

Ob es sich um eine späte Blüte kurz vor dem Niedergang handelt, bliebt abzuwarten. Ich bilde mir ein, dass das Phänomen damit zu tun hat, dass ich den Baum letztes Jahr kurzerhand eigenmächtig von teils armdicken Efeuranken befreit hatte.

Die Nachbarn, überfordert von dem gigantischen Grundstück, das über Jahrzehnte von pseudoökologischen Besitzern vernachlässigt worden war, nahmen es wohlwollend zur Kenntnis. Man besucht sich ebenso zwanglos, wie das unsere Katzen auch tun.

Lassen wir uns also überraschen – ich werde vielleicht zur Erntezeit berichten. In einem anderen Fall ist hingegen klar, dass der späten Blüte ein baldiges Ende folgte – die Rede ist von der US-Marke Chandler.

Sie war erst 1914 in Cleveland (Ohio) gegründet worden und hatte sich auf Anhieb einen Ruf als Hersteller grundsolider Mittelklassewagen mit 6-Zylindermotor erworben.

Besonderen Charakter erlangten die Wagen erst 1926 mit der Einführung eines auffallend gestalteten Kühlergrills. Ein Beispiel dafür habe ich vor einigen Jahren hier vorgestellt:

Chandler „Comrade Roadster“ von 1926/27; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieses im August 1928 auf Usedom aufgenommene Prachtstück war ein Chandler von 1926/27 in der besonders attraktiven Ausführung als „Comrade Roadster“.

Dass selbst eine solche Nischenmarke (wie etliche andere) auf dem deutschen Markt präsent war, ist ein weiterer Beleg für das Angebotsdefizit der produktionstechnisch rückständigen deutschen Hersteller, die der steigenden Nachfrage nicht gerecht werden konnten – speziell im Segment leistungsfähiger und gut ausgestatteter 6-Zylinderautos.

Die senkrechten Haubenschlitze scheinen nach dem Modelljahr 1926 (evtl. noch 1927) keine Anwendung mehr gefunden zu haben. Stattdessen verbaute man Hauben mit horizontalen Schlitzen die auf anfänglich zwei Gruppen verteilt waren.

Man erkennt dieses Detail auf der nachfolgenden Aufnahme eines in Hamburg zugelassenen Chandler, der sich uns hier mit dem erwähnten typischen Kühlergrill darbietet:

Chandler ab 1927; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Dieser Tourer war in den frühen 1930er Jahren im Alpenraum unterwegs. Der Hakenkreuzwimpel muss nicht auf nationalsozialistische Gesinnung der Insassen hindeuten. Bekanntlich hatten die letzten freien Wahlen in Deutschland keine Mehrheit für diese Ideologie unter den Wählern ergeben.

Es kann sich auch schlicht um das damalige deutsche Hoheitszeichen handeln, das auf Auslandsreisen gezeigt wurde. Sie sehen: Die zwanghafte „Nazi“-Riecherei missfällt mir – leider genügt oft schon eine gut organisierte Minderheit (und ihre willige Gefolgschaft), um totalitäre Herrschaft auszuüben.

Die erwähnten horizontalen Luftschlitze begegnen uns wieder, diesmal im April 1933 in Bad Oeynhausen – nun in Verbindung mit einer ziemlich exaltierten Karosserie:

Chandler „Special Six Sportster“ von 1928; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Als ich diese Aufnahme für einen symbolischen Betrag an Land zog, erkannte ich nicht nur, dass es sich wiederum um einen „Chandler“ handeln musste – die Mittelstreben im Kühler gab es damals so nirgends sonst.

Ich meinte auch, dass es sich um eine Spezialkarosserie handeln müsse, wahrscheinlich sogar eine, die in Deutschland geschneidert worden war.

So etwas war seinerzeit keineswegs ungewöhnlich, weil in Deutschland die Käufer solcher US-Mittelklassewagen einkommensmäßig zur Oberschicht gehörten und sich oft auch einen teuren Sonderaufbau leisten konnten.

Umso größer war meine Überraschung, dass genau diese Ausführung mit dem eigenwilligen Zierstreifen an der Hintertür und der separaten Windschutzscheibe für die rückwärtigen Passagiere zum Werksangebot an Karosserien bei Chandler gehörte.

Genau diese Ausführung wurde 1928 als „Special Six Sportster“ angeboten und ist sogar als eine der rund zwei Dutzend Ausführungen des Chandler im legendären „Standard Catalog of American Cars“ abgebildet – auf S. 277 meiner Ausgabe des über 1.500 Seiten starken Opus aus den Händen von Beverly R. Kimes und Henry A. Clark.

Das ist ein hübsches Beispiel für eine späte Blüte der Marke, meine ich. Es geht aber noch besser und wie so oft verdanke ich das Beweisfoto einem meiner Leser:

Chandler „Eight“ von 1928/29; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Auch diese Aufnahme zeigt einen in Deutschland zugelassenen Chandler – festgehalten auf der Fahrt von Hamburg nach Wilsede, wie es in diesem Fall überliefert ist.

Der trinkfreudige Herr auf dem Rücksitz hatte wohl einen Halt angeordnet, um sich mit Harburger Pilsener zu versorgen, das in dem reetgedeckten Haus im Hintergrund ausgeschenkt wurde.

In diesem Fall scheinen wir es wirklich mit einem in Deutschland karossierten Chandler zu tun haben – diese stets etwas schwerfällig wirkenden Vierfenster-Cabriolets mit erhöhter Seitenlinie sind mir bei US-Werksausführungen noch nicht begegnet.

Interessanter ist aber etwas anderes: Die nunmehr drei Gruppen an horizontalen Haubenschlitzen sind nämlich ein Hinweis auf den für das Modelljahr 1928 neu eingeführten Achtzylinder-Chandler.

Dieser war in zwei Versionen mit 80 bzw. 95 PS verfügbar – für US-Mittelklassefabrikate völlig normal, im damaligen Deutschland dagegen nur im Luxussegment verfügbar.

Mit dieser späten Blüte endete anno 1929 die Chandler-Historie.

Das seit 1927 defizitäre Unternehmen war in der Zwischenzeit von der Hupp Motor Car Corporation übernommen worden, die an den Fabrikkapazitäten von Chandler zum Ausbau seiner „Hupmobile“-Produktion interessiert war.

Angesichts der erstaunlichen Präsenz der kurzlebigen Marke von Chandler am deutschen Markt, wie sie die zahlreichen Fotos jener Zeit belegen, wäre es reizvoll zu wissen, ob sich noch irgendwo in deutschen Landen ein solcher Wagen als Zeuge einer letzten späten Blüte befindet, auf die dann nichts mehr folgen sollte…

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Der schiere Luxus: Ein Opel auf Reisen um 1909

Opel und Luxus – wie soll das zusammengehen? Nun, genau das werden wir heute sehen. Und wir bekommen auch wieder einmal vor Augen geführt, was für eine Errungenschaft das Auto für jedermann darstellt – auch wenn es „nur“ ein Opel ist.

Ob an die Nordsee, um die belebende Wirkung einer frischen Meeresbrise zu spüren und gedankenverloren in die Brandung zu schauen – ob in die Alpen, um sich über den Alltag zu erheben und angesichts der Erhabenheit der Natur Demut ob der eigenen Kleinheit zu empfinden – ob an die Biscaya, um den wahren Ozean zu sehen und sich hinaus über den Atlantik zu träumen – ob tief ins Baltikum hinein, um alte Kulturlandschaft zu erkunden und vielleicht Spuren der Vorfahren nachzugehen…

Das ist das Versprechen des Automobils und wir verfügen heute in der Hinsicht über Mittel, die einst nur einer winzigen Schicht zu Gebote standen. Das ist zugleich die Geschichte, welche die beiden Fotos erzählen, die ich Bart Buts aus Belgien verdanke.

Er ist leidenschaftlicher Opel-Enthusiast – wobei sein Interesse den frühen Modellen aus Rüsselsheim gilt, also bis etwa Mitte der 1920er Jahre. Er besitzt mehrere Opels jener Zeit, die intensiv genutzt werden und auch auf Deutschlands schönstem Oldtimer-Festival zu sehen waren – der Classic Gala in Schwetzingen.

Bart Buts hat zudem ein Archiv aus historischen Opel-Dokumenten und -Fotos, das seinesgleichen sucht – vermutlich den größten Fundus, was frühe Modelle angeht.

Hin und wieder tauschen wir uns über „neue“ alte Fotos aus und immer wieder wechseln dabei auch Originale den Besitzer – unengeltlich. Das ist wahre Oldtimer-Freundschaft.

Ich darf Material aus Barts Archiv präsentieren und heute mache ich gern Gebrauch davon, um das eingangs angerissene Thema zu illustrieren. Beginnen möchte ich hiermit:

Opel Tourenwagen um 1909; Originalfoto: Sammlung Bart Buts (Belgien)

Ist das nicht ein fantastisches Dokument? Wo sonst findet man so etwas? Zumindest nicht in der leider sehr überschaubaren Literatur zur Frühzeit der Rüsselsheimer Marke.

Ein früher Opel auf einer Fähre irgendwo im Mittelrheintal – jedenfalls ist das meine Interpretation angesichts der Weinberge und der Bahnstrecke im Hintergrund in Verbindung mit dem Kennzeichen, das eine Zulassung im Rheinland belegt.

Neben dem Fährmann auf der linken Seite sehen wir ganz rechts ein altertümlich wirkendes Paar im fortgeschrittenen Alter, das noch aus dem 19 Jh. stammt. Um 1850 hätten die beiden kaum anders ausgesehen und nun stehen sie neben dem Besitzer eines Automobils!

Opel Tourenwagen um 1909; Originalfoto: Sammlung Bart Buts (Belgien)

Dass der großgewachsene Herr mit Schirmmütze tatsächlich zu dem Opel gehört und wohl dessen Eigner war, das werde ich noch beweisen. Dabei werden wir auch den übrigen Insassen wieder begegnen.

Dieser Opel wurde nämlich ein weiteres Mal abgelichtet, aber an einem ganz anderen Ort.

Der Wagen, der anhand der Gestaltung von Kühler und Stirnwand auf „kurz vor 1910“ zu datieren ist, war zum Reisen bestimmt – so, wie wir das im 21. Jh von unseren Autos gewohnt sind, ohne dass wir uns noch des Luxus bewusst sind, den das einst darstellte.

Auf der zweiten Aufnahme sehen wir dasselbe Auto nun an einer Strandpromenade – das lässt jedenfalls der etwas größere Originalabzug erkennen:

Opel Tourenwagen um 1909; Originalfoto: Sammlung Bart Buts (Belgien)

Es handelt sich trotz kleiner Unterschiede wie anderen Scheinwerfer, dem fehlenden Emblem auf der Stirnwand hinter dem Motor und der demontierten Windschutzscheibe um denselben Wagen – das verrät das Kennzeichen.

Dieses Nummenschild mit laufender Nummer 12 allein sagt einiges über den schieren Luxus, welchen der Besitz eines solchen Opels darstellte. Die Kombination aus römisch „I“ und „Z“ stand für das gesamte Rheinland (einst „Rheinprovinz“).

Der Nummernkreis 1-150 war Aachen zugeordnet, sodass wir davon ausgehen dürfen, dass wir hier einen Opel mit ganz früher Zulassung in der von den Römern gegründeten und enorm geschichtsträchtigen Stadt an der Grenze zu Belgien und den Niederlanden sehen.

Eventuell wurde die Kennung „IZ-12“ bereits einige Jahre vor der Entstehung des Opels erstmals in Aachen vergeben – vielleicht bereits an dessen späteren Besitzer. Diesen sehen wir nun am Steuer, während der Chauffeur auf die Beifahrerseite gewechselt hat.

Leider sind die übrigen Insassen nur schemenhaft wiedergegeben – dafür bekommen wir hier eine Vorstellung des nun volbesetzten Wagens mit drei Sitzreihen. Eine genaue Typansprache will ich nicht versuchen, würde aber ein kleines Modell ausschließen.

Dann kommen Motorisierungen zwischen 25 und 50 PS in Frage, wie sie um 1909 verfügbar waren. Das war eine Größenordnung, in der man ohne großen Schaltaufwand auch Steigungen vollbesetzt bewältigen konnte.

Man vergleiche das mit den Leistungsdaten von Opels der 1930er oder auch 50er Jahre. Rein zahlenmäßig hatte sich nicht viel getan, doch auf einmal gelangten solche fernreisetauglichen Automobile in die Reichweite immer größerer Kreise.

Der schiere Luxus von einst wurde allmählich zum quasi-demokratischen Recht der Masse.

Achten wir darauf, dass wir uns das nicht wieder von Kräften nehmen lassen, die unter Vorwänden dem Automobil für jedermann einen Riegel vorschieben und die allgemeine Bewegungsfreiheit wieder zu einem Privileg weniger Betuchter machen wollen…

Auch das kann die aktuelle Botschaft solcher alten Fotos sein, welche die oft bestürzenden Kontraste von einst zeigen, welche wir dank der Technik überwunden haben.

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Von Geistern und Gestern: De Dion-Bouton Tourenwagen

Gibt es Geister? – Nun, wohl nicht in dem Sinne, wie wir andere Phänomene wahrnehmen können. Man kann sie nicht anfassen, fotografieren oder sonstwie objektiv dingfest machen.

Doch hätten wir den Begriff nicht, wenn ihm nicht etwas in unserer Welt entspräche.

Geister – im schlimmeren Fall auch Dämonen – entstehen in uns selbst und können uns erscheinen, ohne dass wir es wollen, wir können sie aber auch selbst herbeirufen. Unser Verhältnis zu ihnen ist vielschichtig, sie können uns begeistern, einnehmen oder blankes Entsetzen auslösen.

Heute ist für mich ein Anlass, mich meinen Geistern der Vergangenheit ausliefern. Sie nehmen mich ganz ein, aber bei aller Macht tun sie mir letztlich nichts Böses und verlassen mich friedlich wieder bis zum nächsten Mal.

Weil dies ein Blog ist – also ein online geführtes Diarium mit zufälligem Schwerpunkt auf Vorkriegsautos auf alten Fotos – lasse ich meine Leser zunächst an meiner persönlichen Geisterstunde teilhaben, bevor es ans eigentliche Thema geht.

Auf den Tag heute vor zwei Jahren verbrachte ich die letzten Stunden mit meiner Katze „Millie“. Sie stammte aus der Nachbarschaft, hatte ein Zuhause, aber aus Zuneigung blieb sie irgendwann ganz bei mir.

Fünf Jahre lang begleitete und gestaltete sie jeden meiner Tage, entwickelte sich zu einer wahren Freundin – Katzen können das, wenn man sich auf sie einlässt.

Hunderte von nächtlichen Blogeinträgen hat sie begleitet – neben dem Rechner unter der Schreibtischlampe liegend, bis es irgendwann ins Bett ging. Ein fataler Unfall mit einer nicht heilbaren Verletzung erzwang schließlich, dass ich sie einschläfern lassen musste.

Der letzte Tag mit ihr war der längste meines Lebens und hat sich tief in meiner Erinnerung eingeprägt. Aus diesen Tiefen stieg heute ihr Geist auf und das damalige Erleben begleitete mich in Gedanken den ganzen Tag über.

Der Zufall will es, dass ebenfalls dieser Tage vor fünf Jahren meine Mutter ihre letzten Lebenswoche verbrachte. Den Frühling verdämmerte sie in Bad Nauheim, für sie ein besonderer Ort, an den sie zurückwollte, was zu ermöglichen mir gelungen ist.

Ihre im schlesische Liegnitz lebenen Eltern hatten auf ihre Hochzeitsreise vor über 100 Jahren in dem damals über Deutschlands Grenzen hinaus berühmten Badeort am Rand des Taunus gewohnt. So erzählte sie mir es vor langer Zeit – leider weiß ich nicht mehr darüber.

Getrieben von den Geistern der Vergangenheit geht es nun in diese Zeit zurück, in die Welt von gestern, wenn auch nicht ins immer noch zauberhafte Bad Nauheim.

Gestern war ich auf einer ganz anderen Geisterjagd unterwegs, sie hat mich bis weit hinter Mitternacht beschäftigt gehalten. So konnte ich auf einem verblichenen, stark fleckigen alten Foto aus meiner Sammlung etwas erahnen, was eine intensive „Seance“ rechtfertigte.

Die Geister, die sich dort verbargen, ließen sich nach intensivem Bemühen hervorlocken – hier zeigen sie sich erstmals seit gut 100 Jahren – etwas geheimnsvoll, aber immerhin:

De Dion-Bouton Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Auf dem schwer versehrten Abzug hatte sich zufällig neben den Insassen auch die Kühlerpartie des Wagens einigermaßen erhalten.

Mit viel Geduld und begleitet von Kantaten von Dietrich Buxtehude (CD-Empfehlung: Purcell Quartet mit Emma Kirkby, Chandos 2003) ließ sich das Wesentliche wieder herausarbeiten – und ich meine, dass sich der Aufwand gelohnt hat.

Da wären zunächst die Geister der Personen zu nennen, welche sich nach so langer Zeit erstaunlich lebendig eingefunden haben und uns ganz einnehmen:

Die charmante junge Dame mit Pelzkragen und Tuch über dem Hut weiß auch nach 100 Jahren noch zu bezaubern.

Eher unheimlich geisterhaft wirkt die Frau auf dem Beifahrersitz, und ihr Pendant ganz links macht einen geradezu schaurigen Eindruck. Doch der Herr am Steuer mit den Ziernähten auf dem hellen Handschuh wirkt einigermaßen vertrauenerweckend.

Letztlich haben wir von diesen Geistern der Vergangenheit nichts zu befürchten, sie lassen uns bereitwillig an der Situation teilhaben und vielleicht gefällt ihnen, dass sie hier nochmals eine unverhoffte Bühne nach so langer Zeit erhalten.

Sie werden uns auch nicht böse sein, dass wir unsere Aufmerksamkeit nun dem Fabrikat des Tourenwagens zuwenden, mit welchem sie sich einst haben ablichten lassen:

Diesen Spitzkühler mit leichter Einbuchtung an den abfallenden Teilen der Oberseite, welche sich kaum merklich in der Motorhaube fortsetzt, gab es so Anfang der 1920er Jahre bei einem ganz bestimmten Hersteller: De Dion-Bouton aus Frankreich.

Die altehrwürdige Marke – deren Bedeutung man für die Entwicklung des Automobils nicht unterschätzen kann – ist hierzulande wohl eher für die ganz frühen Typen und die Einbaumotoren bekannt, welche viele deutsche Hersteller ab 1900 zukauften und damit überhaupt erst „in die Gänge kamen“.

Dass De Dion-Bouton auch in den 1920er Jahren noch eine beachtliche Bedeutung hatte, mag diejenigen überraschen, die nur die französischen Großserienhersteller Citroen, Peugeot und Renault kennen.

Noch bemerkenswerter mag man finden, dass dieses Exemplar, dessen genauer Typ sich wohl nicht mehr ermitteln lässt, kurz nach dem, 1. Weltkrieg in Deutschland zugelassen war – im Raum Köln, um genau zu sein.

Dass dieser De Dion Bouton damals kein Einzelfall war, zeigt ein weiteres Foto, das zwar später entstand, aber ebenfalls einen solchen Tourer der frühen 1920er Jahre zeigt.

Ich verdanke diese Aufnahme Leser Matthias Schmidt aus Dresden:

De Dion-Bouton Tourenwagen in Königswinter; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Auf diesem Foto sehen wir nicht nur längst verschwundene Geister der Vergangenheit, sondern auch einen Zeugen der Welt von gestern, der sich auf wunderbare Weise kaum verändert hat.

Die Rede ist vom Hotel Loreley in Königswinter am Rhein. Es muss um die Mitte der 1920er Jahre gewesen sein, als der eindrucksvoll dimensionierte De Dion Bouton-Tourer dort haltmachte.

Wenn ich mich nicht täusche, verfügte der Wagen über Vorderradbremsen, die ab 1923 bei der Marke verfügbar waren – die Franzosen waren in der Hinsicht deutschen Herstellern voraus (ein extremes Beispiel dafür folgt gelegentlich).

Aber machen Sie sich selbst ein Bild von diesem großzügigen Automobil:

De Dion-Bouton Tourenwagen in Königswinter; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Haben Sie es gesehen? Auch dieser De Dion-Bouton besaß eine deutsche Zulassung und wieder handelt es sich um ein Kennzeichen aus dem Rheinland („IZ“).

Ich vermute, dass die Marke zumindest in der Grenzregion über Verkaufsstrukturen verfügte – vielleicht weiß ein Leser mehr dazu, dann bitte die Kommentarfunktion nutzen.

Eine andere Sache konnte ich ebenfalls noch nicht klären. Auf Fotos, die Wagen von De Dion-Bouton der frühen 1920er Jahre bis zum Übergang auf den Flachkühler zeigen, findet man durchweg Räder mit vier Radbolzen, unabhängig vom Typ.

Dieses Exemplar mit seinen aus dem Rahmen fallenden Dimensionen besaß jedoch deren sechs, nach meinem Eindruck ein Hinweis auf eine wesentlich höhere Motorleistung und damit auch Belastung des Fahrwerks:

De Dion-Bouton Tourenwagen in Königswinter; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Hier kann man außerdem die makrentypische Kühlergestaltung – und zumindest schemenhaft – auch den Schriftzug „De Dion Bouton“ auf dem Grill erkennen.

Das ist das Ergebnis meines heutigen Ausflugs in die Welt von gestern, die beileibe nicht besser war als die heutige – aber eines war sie im Unterschied zu unseren Tagen: Faszinierend vielfältig und mit Abstand stilvoller, finde ich.

Die Geisterstunde naht – noch eine Weile werden mich die Gespenster der Vergangenheit beschäftigt halten, doch sie sind mir liebe Gefährten meines Daseins und oft genug liefern sie Inspiration zu nächtlichen Ausflügen ins Gestern, von denen auch Sie etwas haben…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Spurensuche: Beckmann-Automobile (1914-1921)

Die letzten Tage herrschte Funkstille in meinem Blog. Mehr Arbeit am Bildschirm, als den Augen auf Dauer guttut und über lange Zeit aufgestaute Müdigkeit veranlassten mich dazu, nicht auch noch des nachts vor dem Rechner zu sitzen.

Ich habe die Abende jedoch dazu genutzt, über die Weiterentwicklung meines Blogs nachzudenken. Dies ist klar: Die Dokumentation von Vorkriegswagen anhand alter Fotos wird fortgesetzt und die Markengalerien werden weiter vervollständigt.

Künftig will ich wechselnde Akzente setzen. Dazu zählt die Präsentation von Bildern, deren schiere Schönheit es wert macht, sie dem Publikum zugänglich zu machen.

Verstärkt will ich Unterschiede in der Ausführung bekannter Modelle besprechen und Schlüsse daraus ziehen. Nicht zuletzt plane ich Gegenüberstellungen von Fahrzeugen, um Tendenzen aus verschiedenen Ländern oder von konkurrierenden Herstellern zu veranschaulichen.

Genuss und Gewinn an Erkenntnis sollen gezielter in den Fokus rücken. Von beidem kann der Mensch nie genug haben und auch an Gegenständen der Historie lässt sich lernen – mitunter besser als durch den Konsum flüchtiger Gegenwartsphänomene.

Was könnte dazu besser passen als eine neue Folge der Spurensuche in punkto Beckmann-Automobile, die ich mit Christian Börner – Urenkel von Paul Beckmann – unternehmen darf?

Wer das Gefühl hat, dass wir uns in einer Zeit befinden, in der die Geschichte an Fahrt aufnimmt, nachdem sie im Kalten Krieg jahrzehntelang fast stillstand, der mag auch die Phase interessant finden, die wir heute in Sachen Beckmann angehen.

Denn nun schlittern wir mit der Breslauer Firma ins Jahr 1914 und damit in den 1. Weltkrieg hinein. Christian Börner spricht von einem Schicksalsjahr und das in doppelter Hinsicht.

Zum einen begann durch politische Dummheit auf deutscher Seite und auf Konfrontation angelegte Bündnisse europäischer Staaten die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts.

Ich möchte der heute differenziert diskutierten Kriegsschuldfrage hier keinen Raum geben – schockierend bleibt die Bereitschaft auf allen Seiten, nach den ersten Schlachten ihre männliche Jugend weiter gnadenlos zu opfern.

Christian Börner stellt dazu fest, dass nach anfänglichem Hurra die Ernüchterung auf seiten derer nicht lange auf sich warten ließ, die in den Schützengräben jeden Tag einem russischen Roulette entgegensahen, welches Verhandlungen nahegelegt hätte.

Man ist in solchen Zeiten geneigt, auch andere Schläge als schicksalhaft zu empfinden – so den Tod von Paul Beckmann am 14. September 1914:

Anzeige zum Gedenken an den Tod von Paul Beckmann, 1914; via Christian Börner

Dazu weiß Christian Börner folgendes zu berichten:

„Am 14. September 1914 starb Paul Beckmann im Alter von 48 Jahren an einem Herzschlag. Von einer Stunde auf die andere war die Firma führungslos, denn seine drei Kinder (19, 17, 16) waren noch nicht volljährig. Sie waren fortan zwar „Fabrikbesitzer“ zu gleichen Teilen, doch das Sagen im Unternehmen hatte ein Treuhänder. Dieser wurde zugleich der Vormund der Kinder; die Ehe von Paul und dessen Frau Marie war bereits 1903 geschieden worden.

Paul Beckmann war nicht nur der Fabrikbesitzer und Produzent gewesen, sondern auch der Spiritus Rector der Firma, also der Chefstratege und Entwickler.“

Hier haben wir ihn auf einem zeitgenössischen Porträt, auf dem ich einen selbstbewussten, der Zukunft zugewandten und zugleich nachdenklich-feinsinnigen Charakter sehen möchte:

Paul Beckmann; Foto via Christian Börner

„Zeitgleich zu dem Verlust der Führungsfigur Paul Beckmann wurde der Firma die unternehmerische Freiheit fast ganz entzogen. Weite Teile der Produktion mussten auf kriegstaugliche Kraftwagen und Ersatzteile umgestellt werden, Privatverkäufe von Automobilen wurden nahezu unmöglich.

Eine Abwicklung des Betriebs wurde abgewendet, da der Betrieb als kriegswichtig eingestuft wurde. Für die männliche Belegschaft hatte das den Vorteil, dass sie vor der Einladung zum russischen Roulette – also: Kriegsdienst – mehrheitlich verschont wurde.

Dass sich besagter Treuhänder zulasten der wehrlosen Familie Beckmann in jener Zeit selbst bereicherte, spielte damals keine Rolle und blieb für ihn folgenlos. Das hehre Kriegsziel stand wie in solchen Fällen üblich über den Interessen des Einzelnen.“

Ein Jahr später – anno 1915 – sehen wir Beckmann ganz in das Kriegsgeschehen hineingezogen – hier am Beispiel eines Tourers des Typs 10/30 PS im polnischen Kielce, damals zum russischen Reich gehörend:

Beckmann 10/30 PS; aufgenommen 1915 in Kielce (Ostfront)

Diese Aufnahme ist nicht zuletzt deshalb von Bedeutung, als sie illustriert, dass keineswegs jeder auf auf deutscher Seite im 1. Weltkrieg genutzter PKW mit ovalem Kühleremblem automatisch ein Opel gewesen sein muss.

Ich will nicht wissen, wieviele solcher Beckmann-Wagen auf alten Fotos irrtümlich als Rüsselsheimer Fabrikat fehlidentifiziert worden sind, was zu dem falschen Eindruck beigetragen haben mag, sie seien sehr selten und nur von lokaler Bedeutung gewesen.

Wir waren im Jahr 1915 stehengebleiben, doch während sich an den Kriegsfronten wenig bewegte außer den weiter ins Gigantische steigenden Gefallenen-, Verwundeten-, Verstümmelten- und Vermisstenzahlen, tat sich etwas in Breslau.

Denn Ende des Jahres wurde Paul Beckmanns ältester Sohn Otto – der Großonkel von Christian Börner – 21 Jahre alt und damit nach damaligem Recht volljährig.

Kurzerhand übernahm Otto Beckmann die Firmenleitung, auch wenn er nach den Worten von Christian Börner nicht das technische und geschäftliche Talent seines Vaters besaß.

Freilich ist festzustellen, dass auch andere deutsche Autofirmen unter den Bedingungen des 1. Weltkriegs kaum Fortschritte im Hinblick auf die zivile Fahrzeugentwicklung machten.

Dazu wieder Christian Börner: „Als nach Kriegsende wieder Autos für private Käufer produziert werden konnten, gab es in deutschen Landen für große, luxuriöse Automobile nur einen begrenzten Markt. Für größere Abnehmerkreise geeignete und kostengünstige Kleinwagen bot kaum ein heimischer Hersteller an, auch Beckmann nicht.

Zudem hatten die deutschen Automobilfirmen produktionstechnisch den Anschluss verloren, insbesondere an amerikanische Hersteller. Als in Europa der 1. Weltkrieg gerade erst begonnen hatte, lief bei Ford bereits die Fließbandproduktion des legendären T-Modells.“

Während nach 1918 in Europa Fiat und Citroen die Zeichen der Zeit erkannt hatten und auf Großserienproduktion umstellten, ließ sich in Deutschland zunächst nur Brennabor vom US-Vorbild inspirieren – Opel folgte später.

Allerdings bot der hiesige Markt nach dem 1. Weltkrieg auch kein großes Absatzpotential. Das ist unter anderem daran ersichtlich, dass damals tausende ehemalige Kraftfahrzeuge des deutschen Heeres ins Ausland verkauft wurden.

Hier ein Foto aus meiner Sammlung, das um 1920 entstanden sein dürfte und Tourenwagen zeigt, die noch das einstige deutsche Hoheitszeichen auf der Flanke tragen (Nachtrag: Leser Klaas Dierks weist darauf hin, dass es sich um privat genutzte Fahrzeuge handelte, die ausweislich der Nummernschilder weiterhin Eigentum des deutschen Militärs waren):

Tourenwagen aus Heeresbestand um 1920; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wie gesagt: Der Markt für Automobile war im damaligen Nachkriegsdeutschland begrenzt, sodass Exporte nicht mehr benötigter Militär-PKW zur Erzielung dringender Deviseneinnahmen erfolgten.

Dazu weiß Christian Börner sehr Interessantes zu berichten: „Im Rahmen diese Aktivitäten sind nach dem 1. Weltkrieg etliche Beckmann-Autos nach Schweden gelangt. Das ergab die Recherche des schwedischen Automobil-Historikers Pär Sörliden, der durch unsere Beckmann-Spurensuche motiviert Kontakt mit mir aufgenommen hat.“

Dazu werden wir hier gelegentlich noch Näheres berichten – Herr Börner macht es spannend, was mir gefällt, denn in Sachen Vorkriegsautos haben wir alle Zeit der Welt.

Nur dies sei an dieser Stelle noch festgehalten: Wann genau man in Breslau nach dem 1. Weltkrieg die Fabrikation von Automobilen für zivile Käufer aufgenommen hat, ist nicht genau bekannt.

Ich vermute, dass sich einige deutsche Fabrikate wie nach 1945 eine Weile mit allem Möglichen über Wasser gehalten haben, bevor ab 1920 wieder einigermaßen verlässliche Dokumente auf eine neu aufgenommene Autoproduktion hindeuten.

Im Fall von Beckmann kann Christian Börner mit einer Reklame aufwarten, welche einen Tourenwagen zeigt, der äußerlich ganz auf der nun modernen Linie liegt:

Beckmann Tourenwagen um 1920; Prospektabbildung via Christian Börner

Auch dieses Dokument hat für mich etwas Elektrisierendes. Denn nun sehe ich einige Fotos aus meiner Sammlung in einem anderem Licht.

Das gilt beispielsweise für diese Aufnahme, die 1921 auf dem Gelände von Schloss Klessen (?) entstand – das Foto und die Beschriftung auf der Rückseite geben ausreichend Anlass zu vertieften Betrachtungen und Diskussionen:

Deutscher Tourenwagen um 1920; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Könnte das vielleicht ein Beckmann des Nachkriegstyps 10/30 PS gewesen sein? Oder haben wir es mit einem der ab 1921 gebauten Modelle zu tun, die einen 8/32 PS-Motor besaßen, welcher von Basse & Selve zugekauft wurde?

Damals begann sich das Potenzial der Beckmann’schen Vorkriegsmodelle zu erschöpfen, wenngleich die Motorisierungen 8/24 PS und 10/30 PS bis 1924 verfügbar waren.

Wie schon öfters an dieser Stelle möchte ich den Aufruf wiederholen: Wer originale Dokumente zu Beckmann-Automobilen besitzt, möge diese Christian Börner und der Allgemeinheit zugänglich machen.

Die Marke Beckmann scheint weit größere Bedeutung gehabt zu haben, als es die nicht nur in dieser Hinsicht völlig veraltete Standard-Literatur zu deutschen Vorkriegsautos behauptet.

Wir leben in wahrlich bewegten Zeiten – nutzen wir die technischen Möglichkeiten der Gegenwart, um Bewegung in vermeintlich längst geklärte Gegebenheiten zu bringen…

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Heimlich nochmal zu Besuch in Köln: Minerva

Eine merkwürdige Überschrift – wieso sollte die altrömische Göttin Minerva ausgerechnet in Köln ein Geheimnis aus ihrer Rückkehr nach 2000 Jahren machen?

Immerhin hatte man zu ihren Ehren im 1. Jh. n. Chr. dort einen Tempel errichtet, wie sich das für eine römische Stadt gehört – denn Minerva repräsentierte die antike Dreifaltigkeit gemeinsam mit Jupiter und Juno und residierte standesgemäß im Kapitol.

Auf den Fundamenten steht noch heute in Köln die romanische Kirche St. Maria im Kapitol – eines von unzähligen Beispielen für die Kontinuität antiker Sakralorte.

Dergleichen Lokalitäten sind von großem Reiz, jedenfalls für mich.

Ein Beispiel habe ich vor einiger Zeit hier gezeigt, als es um den Fiat 1100 ging: Im umbrischen Assisi – einem der selbst für mich alten Heiden magischsten Orte der Christenheit – hat sich der Minerva-Tempel sogar mit seiner wunderbaren Fassade erhalten:

Fiat 1100 in Assisi; originale Postkarte der 1930er Jahre aus Sammlung Michael Schlenger

Wenn Minerva in der wunderbar erhaltenen Pilgerstadt in Umbrien solche Pracht entfaltet, weshalb sollte sie dann aus ihrer Präsenz am Niederrhein ein Geheimnis machen?

Natürlich steht uns Sterblichen nicht zu, über das Schalten und Walten der Gottheiten zu sinnieren. Manche antiken Philosophen vertraten sogar die Auffassung, dass es sie zwar geben mag, sie sich aber für das Treiben der Menschen gar nicht interessieren.

Damit ließe sich eine Menge erklären, was sich in der Geschichte zugetragen hat, was einen an der Existenz einer uns zugetanen und allmächtigen Gottheit zweifeln lässt.

Doch was Minerva betrifft, lassen sich sogar fotografische Beweise für die Existenz bis in die jüngere Vergangenheit anführen:

Minerva in Brügge; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Der aufgeklärte bzw. automobilgläubige Leser weiß natürlich, dass hier die Rede von der belgischen Luxusmarke Minerva ist. Hier sehen wir ein Exemplar auf heimatlichem Grund in Brügge vor der atemberaubenden Kulisse des rund 700 Jahre alten „Belfried“.

Meisterhafte Bauten wie dieser mittelalterliche Ausweis von Bürgerstolz – bewusst als Kontrapunkt zur bis dato übermächtigen Kirche gesetzt – lassen selbst die großartigen technologischen Schöpfungen der Neuzeit bisweilen lächerlich klein erscheinen.

Diesen Eindruck müssen wir korrigieren, speziell wenn es sich um einen Minerva handelt – einst die großartigste der vielen belgischen Marken, von denen man in den sehr von sich eingenommenen Gefilden rechts des Rheins heute kaum etwas weiß.

Darum geben wir diesem Minerva-Exemplar – eventuell ein kurz nach dem 1. Weltkrieg beleuchtungstechnisch modernisiertes Modell – hier eine angemessenere Bühne:

Bitte prägen Sie sich bitte anhand dieses Dokuments das markentypische Profil des oberen Kühlerabschlusses ein, sofern dieses nicht ohnehin bereits verinnerlicht ist – den einen oder anderen Anlass habe ich in meinem Blog schon geboten.

Nun verlassen wir das prächtige Brügge und machen uns ins ernüchternde moderne Köln auf, das vom Bombenkrieg und dem sogenannten Wiederaufbau schwer verheert wurde.

Der mächtige Dom hat mit seiner schieren Masse und Stabilität vergleichsweise geringe Zerstörungen erfahren und gehört für mich neben dem Römisch-Germanischen Museum zu den genau zwei Gründen, diese Stadt noch aufzusuchen.

Auch die einst dort beheimatete Minerva fühlt sich dort nicht mehr so zuhause wie das einst der Fall war. Doch stieß ich zufällig auf ein Foto der zweiten Hälfte der 1920er Jahre, das von einem heimlichen Besuch in der einstigen Römerstadt kündet.

Vordergründig geht es dabei um einen Opel des Typs 4/16 PS (oder 4/20 PS) aus Hamburg:

Opel 4/16 oder 4/20 PS in Köln; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Auf der Rückseite dieses alten Abzugs war als Aufnahmeort Köln vermerkt und tatsächlich lassen sich rechts oben die Strebepfeiler des südwestlichen Abschlusses des Langhauses des Doms identifizieren.

Viel interessanter als diesen Besucher aus dem Norden fand ich indessen einen anderen, welcher auf diese Aufnahme zufälligerweise mit abgelichtet wurde.

Zwar nicht aus dem sonnigen Süden, dafür aber aus dem fernen Schlesien angereist war ein anderer Gast, wie das Kennzeichen „IK“ verrät:

„Minerva“ werden jetzt die aufmerksamen unter meinen Lesern angesichts der Kühlerform ausrufen und vielleicht werden sie von diesem Zeugnis eines sonst unbemerkt gebliebenen Besuch in der alten Römerstadt ebenso gerührt sein wie ich.

Aus Breslau war dieser Minerva einst angereist – über 800 km in fast perfekter öst-westlicher Richtung – über die Heimatstadt meiner Mutter, Liegnitz, das damals noch unzerstörte Dresden, dann Chemnitz, wo die Presto-Wagen entstanden, Eisenach, wo man Dixis baute, dann Oberhessen, wo automobiltechnisch leider nichts geschah.

Hatte die römische Göttin diesen Umweg gewählt, um unerkannt noch einmal heimlich in den Ort zu gelangen, an dem sie einst verehrt wurde? Oder bestand eine persönliche Verbindung der Besitzer zum nahen Belgien, wo der Wagen einst gebaut wurde?

Leider wissen wir nichts darüber, aber immerhin findet sich so durch Zufall – oder göttliche Fügung – eine Überleitung zum nächsten Blog-Eintrag. Der wird sich nämlich wieder mit der Breslauer Automarke Beckmann befassen.

Dass wir das hier in aller Ausführlichkeit tun können, lässt einen doch fast an die Vorsehung glauben. Minerva – die Athena der alten Griechen und treue Beschützerin des irrenden Odysseus – wäre mir jedenfalls sympathisch…

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Mit Hochdruck zur Lösung: Ein „Unic“-Tourenwagen

Einige Ungeduldige unter Ihnen, verehrte Leser (m/w/d), mögen sich fragen, weshalb sie hier so lange auf neues altes Material zur Erbauung warten mussten.

Wir arbeiten mit Hochdruck an einer Lösung“, das ist die schräge Musik, welche das sich häufende Nichtfertigwerden deutscher Großprojekte begleitet. Deutschland hat seine besten Zeiten hinter sich und man ist als Altinsasse gut beraten, sich mit dem zu trösten, was früher noch funktioniert hat und oft auch ästhetisch befriedigte.

Mit so einem Fall haben wir es heute zu tun. Die fragwürdige Inspiration dazu habe ich in den letzten Tagen erhalten. Denn ich musste meine karge Freizeit darauf verwenden, „mit Hochdruck an einer Lösung zu arbeiten„.

Dies war notwendig, nachdem sich eine Verstopfung im Abflusskanal im heimischen Hof ergeben hatte. Ich will nicht zu sehr in die Details gehen, doch bin ich in der Tat mit hartnäckigem Hochdruck der Lösung des Problems schon sehr nahegekommen.

Der Sonntag ist bei mir den Künsten gewidmet und auch die Nachbarn wollen geschont werden, also ruht der Kärcher für einen Tag: Das verschafft mir die Gelegenheit, unter zeitlichem Hochdruck ein für Sie erfreuliches Ergebnis zu präsentieren.

Dieses stellt sich wie folgt dar und illustriert nicht nur die beeindruckende Leistung eines motorisierten Schneeräumgeräts vor 100 Jahren. Es stimmt auch zuversichtlich, was die vor uns liegende wärmere Jahrezeit betrifft, das Ganze garniert mit einem prächtigen Automobil:

Unic-Tourenwagen auf dem Grimselpass; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Hand aufs Herz: Wer würde hier nicht den Kärcher oder andere Arbeitsutensilien stehenlassen, den Wagen volltanken und sich mit offenem Verdeck auf die Passhöhe begeben wollen, wo dem Winter mit Hochdruck erfolgreich entgegengearbeitet wurde?

Dies großartige Aufnahme besitze ich schon etliche Jahre, doch erst heute scheint mir der rechte Zeitpunkt gekommen zu sein, um sie der Welt zu zeigen.

Mich begeistert hier die Lichtstimmung und die Zuversicht, mit der die beiden Automobilisten aus Frankreich sich auf den Weg in den lockenden Süden machten, in diesem Fall über den Grimselpass ins Wallis. Auf der Passhöhe befindet sich die Wasserscheide zwischen Norsee und Mittelmeer – mehr muss man dazu nicht sagen.

Mit Hochdruck – kurz vor Mitternacht – brachte ich noch die Lösung zustande, was das Fabrikat des Tourenwagens betrifft. Es handelte sich um einen „Unic“ aus Frankreich und ich hoffe sehr, dass das Problem, an welchem ich dieser Tage mit Hochdruck zu arbeiten gezwungen war – „unique“ bleiben wird…

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Der Sieg(er) gehört den Frauen: Dodge „Victory“

„Ha, jetzt knickt er auch schon ein, unserer Verteidiger der vielleicht letzten Männerdomäne – des Vorkriegswagens, dessen Bau, Beherrschung und Bewahrung ganze Kerls erfordert“.

Wie kann er nur den Frauen widerstandslos den Sieg zusprechen, wo sie doch längst alles erobert haben, außer letzten Refugien der Männlichkeit: Schraubergaragen, Autobahnbaustellen, Bergwerken und (Karriere-Geheimtipp!) der Müllabfuhr?

Doch keine Sorge, auch heute bleibt die Welt intakt, in der Frauen aussehen wie Frauen und sich dabei auch noch wohlfühlen, und den Buben gern die gefährlichen, dreckigen und lauten Tätigkeiten überlassen und sich anderen wichtigen Arbeiten widmen.

Vor rund 100 Jahren gab es außerhalb von Büro, Labor, Geschäft und Schule wenig, worin emanzipierte Frauen den Männern gern den Rang streitig machen wollten. Natürlich gab es absurde Hindernisse, was die weibliche Berufsausübung anging, wobei Deutschland auch in der Hinsicht besonders rückständig war und bis in die Nachkriegszeit blieb.

Aber größere Beschwerden wurden meines Wissens nicht artikuliert, was das Erobern von typischen Männerdomänen angeht – Erscheinungen wie die Fliegerinnen Amelia Earhart oder Elly Beinhorn blieben beeindruckende Ausnahmen.

Der Sieg war klugen Frauen zumindest im aufgeklärten Teil der Welt ohnehin sicher, denn sie wussten und wissen dort zu herrschen, wo es darauf ankommt.

Bertha Benz war ein gutes Beispiel. Ihr bräsiger Gatte kam in weltentrückter Tüftlermanier einfach nicht auf den Markt mit seiner Erfindung, während sie ihre im Unternehmen versenkte Mitgift bei weiterem Zaudern in akuter Gefahr sah.

Kurzerhand unternahm sie 1888, ohne den Alten auch nur zu fragen, mit ihren beiden Söhnen die erste Fernfahrt im Automobil – der Rest ist Geschichte. Für mich ist sie die wahre Erfinderin des unschätzbaren Freiheitsbringers auf vier Rädern.

Um Frauen dieses beeindruckenden Formats, die kein verhuschtes Heimchen am Herd waren und dennoch vollkommen weiblich blieben – äußerlich wie charakterlich – ist der heutige Blog-Eintrag gewidmet. Dabei werden wir sehen: Der Sieg(er) war ihrer!

Vielleicht erinnern sich einige Leser an dieses schöne Beispiel:

Dodge Victory Six „Brougham“ von 1928; aufgenommen 1931; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Diese Dame aus der „besseren“ Gesellschaft in New Jersey gehörte zweifellos zu den Gewinnerinnen – gemessen jedenfalls am Alltagsschicksal des weit überwiegenden Teils ihrer Geschlechtsgenossinnen in Deutschland beispielsweise.

Nicht nur der Pelzmantel und die Schoßhunde erzählen von einem Leben ohne materielle Sorgen, auch der Wagen steht im wahrsten Sinne des Worts dafür, „es“ geschafft zu haben.

Denn hier haben wir ein besonders elegantes Exemplar des Modells „Victory“ von Dodge aus dem Jahr 1928. Mit 60 PS-Sechszylindermotor und hydraulischen Bremsen war das zwar nach amerikanischen Maßstäben ein ordinärer Mittelklassewagen, aber vielleicht handelte es sich um einen Zweitwagen, also „ihr“ persönliches Auto.

Zur selben Zeit in Deutschland war so ein Dodge Victory Six wie jedes vollwertige und fernreisetaugliches Automobil der pure Luxus. Daher dürfen wir vermuten, dass auch diese Hamburger Damen – groß und klein – auf der gesellschaftlichen Gewinnerseite standen:

Dodge Victory Six „Sedan“ von 1928; aufgenommen 1934; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieses Exemplar – nun mit Limousinenaufbau – habe ich gemeinsam mit der „Brougham“-Ausführung hier vorgestellt.

Daher will ich es an dieser Stelle dabei belassen, an die typische Gestaltung der Luftschlitze in der Motorhaube hinzuweisen – nur leicht geneigt und in Gruppen zu je vier zusammengefasst mit Ausnahme der letzten.

Dieser Hinweis genügt, um auch den Wagen auf dem nächsten Foto als Dodge „Victory“ ansprechen zu können, auch wenn vor lauter Frauensvolk kaum etwas davon zu sehen ist.

Diesen Damen gehörte der Sieg ganz, zumindest auf den Dodge „Victory“ gemünzt. Sie geben sich entsprechend selbstbewusst und wissen zudem ganz genau, wo es langgeht:

Dodge Victory Six „Sedan“ von 1928; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ich würde diese Damen, die so gar nicht nach unterdrückten und benachteiligten Wesen aussehen, irgendwo in Südosteuropa verorten – vielleicht in Rumänien.

Die auf schlechte oder auch gar keine Straßen ausgelegten, robust verarbeiteten und leicht zu reparierenden US-Fabrikate wurden dort gern gefahren – in Skandinavien ebenso. Deutsche Autos waren die Ausnahme, sie waren zu teuer und auch nicht in hinreichender Zahl verfügbar. Der riesige Markt in Europas Osten blieb selbst von Opel weitgehend unbeackert.

„Schau‘ doch, da hinten kommt her“ – so könnte die junge Frau ganz rechts ausgerufen haben. Endlich hatte ihr Gatte in ein neues Gefährt investiert, nunmehr einen Achtzylinder. Denn als das Foto entstand, war der Dodge „Victory Six“ der späten 20er Jahre längst von gestern und musste einem anderen Sieger der Autoentwicklung weichen.

So vollzieht sich auch das Schicksal von uns Menschen. Nichts bleibt, wie es ist, die Welt dreht sich weiter und vitalere Kräfte machen das Rennen, ob man diese mag oder nicht.

Nicht auf die Verliererseite zu geraten, darauf kommt es an, und Siegertypen zugeneigt zu sein, dazu zählt eines der vielen dem Überleben dienenden Talente der Frauen…

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Deutschlands schärfster 2-Takter: Tornax Rex Roadster

Dieses April-Wochenende war hierzulande das erste, welches wieder Lust auf’s Offenfahren machte. Immerhin ein Fiat 124 Spider der 1970er Jahre ist mir heute begegnet.

Erwähnenswert an diesem zeitlosen Klassiker nicht zuletzt der hervorragende Motor mit zwei obenliegenden Nockenwellen – eine Konstruktion von Aurelio Lampredi, die wie der legendäre Alfa-Doppelnockenweller in Deutschland ihresgleichen suchte.

Solche drehfreudigen und gut klingenden Motoren mit geringem Hubraum haben in Deutschland keine Tradition, jedenfalls keine kommerziell vergleichbar erfolgreiche. Das verschlief man im Auto-Mutterland ebenso wie andere millionenfach nachgefragte Konzepte, z.B. Limousinen mit Heckklappe oder robuste Pickup-Transporter.

Im Fall radikal reduzierter Roadster mag auch eine gewisse bräsige, eher solidem Mittelmaß zugetane Mentalität bei deutschen Käufern eine Rolle gespielt haben.

Das Thema haben wir hier vor ziemlich genau einem Jahr angerissen. Zwar gab es schon in den 1930er Jahren durchaus schnittige Roadster mit kleinvolumigen Großserienmotoren von Adler und DKW – doch trotz unstrittiger Qualitäten bissen die Käufer nicht an.

Dass es nicht an der Optik gelegen haben kann, das haben wir bereits seinerzeit festgestellt, als es um den „Rex“ Roadster ging. Dieser Kleinseriensportwagen entstand zwischen 1934 und 1936 beim renommierten Motorradhersteller Tornax.

Für den Antrieb hatte man sich für einem vom DKW F2 entliehenen Zweitaktmotor entschieden. 23 PS aus 700ccm Hubraum waren zwar keine Offenbarung, aber flott ließ sich der leichte Wagen dennoch bewegen.

Seine eigentliche Stärke war ohnehin die Karosserie, die von Hebmüller gefertigt wurde.

Ich habe zwar schon die eine oder andere Aufnahme dieses in nur 168 Exemplaren gebauten Fahrzeugs gesehen, aber wie umwerfend gut das Auto aussah, das ist mir erst anhand eines „neuen“ Fotos klargeworden, das Leser Klaas Dierks beigesteuert hat:

Tornax „Rex“ Roadster“; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Jetzt lassen wir mal den kleinen Motor und den nach landläufigen Maßstäben völlig unpraktischen Aufbau außer acht. Bekanntlich beginnt Kultur nach Überwindung blanker Notwendigkeiten.

Diese schon im Stand „schnelle“ Linienführung ist die perfekte Verkörperung von Sportlichkeit und ich bin sicher, dass sich ein derartiger Wagen mit mehr Leistung während der Roadster-Renaissance in der frühen Nachkriegszeit speziell am US-Markt hervorragend verkauft hätte.

Vermutlich würde kaum jemand überhaupt auf die Idee kommen, dass dies kein beinharter Britien-Roadster war – dass es so etwas „Scharfes“ einmal aus deutscher Produktion gab, finde ich bemerkenswert.

Der spätere Triumph Spitfire, den ich schon als Schüler bewundert habe und den ich in der raren 6-Zylinderversion beinahe gekauft hätte, wenn mir dann nicht doch ein MGB GT „vernünftiger“ erschienen wäre, war als Roadster ebenfalls kein Leistungswunder – doch das war egal – er sah einfach gut aus, war billig und ein Riesenerfolg.

Im Fall des Tornax „Rex“ Roadster würde ich sogar den Zweitaktmotor in Kauf nehmen, den ich eher bei Zweirädern wie meiner DKW NZ 350 schätze. Denn das Gerät war zumindest optisch das Stärkste auf diesem in Deutschland eher schmal zugeschnittenen Sektor.

Übrigens hat ein Leser – Oldtimer-Veteran Helmut Kasimirowicz aus Düsseldorf – im Unterschied zu mir bereits das Privileg genossen, in einem der wenigen Überlebenden dieses Typs gesessen zu haben.

Der Radikalität des Tornax „Rex“ Roadster entspricht die Perspektive dieser Aufnahme, auf der alle Freunde von Helmut Kasimirowicz ihn auch nach fast 50 Jahren mühelos wiedererkennen – denn seine Liebe zum Vorkriegsautomobil hat ihn gut konserviert…

Tornax „Rex“ Roadster; Originalfoto: Sammlung Helmut Kasimirowicz

Leser Wolfgang Spitzbarth konnte hier zu noch Folgendes beisteuern:

„Auch ich konnte den Tornax REX live erleben (reinpassen tue ich leider nicht).
Die Karosse ist absolute Spitze, und wenn man den „Sound“ eines hochdrehenden ungedämpften DKW-Sportmotors kennt, bewaffnet man sich besser mit Ohropax. Die Dinger sind verdammt fix unterwegs. Man sitzt so tief, daß die Beifahrerin während der Fahrt, ohne auszusteigen, locker einen Blumenstrauß pflücken kann…“

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Winter adé! Ein Cadillac „Eight“ von 1922

Auch wenn ich den Frühlingsmonat März als unangenehm kalt und endlos regnerisch in Erinnerung habe – zu Ostern war ich noch Zeuge starker Schneefälle im nördlichen Tessin -hörte ich dieser Tage, dass es mal wieder der „heißeste“ Monat seiner Art weltweit war.

Lassen wir die Frage ungestellt, wer eigentlich vor – sagen wir 100 Jahren – entsprechende Vergleichswerte außerhalb einiger Stationen in Europa und den USA gemessen haben soll (und womit). Jedenfalls bin ich nur zu gern geneigt, dem Winter „adé“ zu sagen.

Dazu habe ich ein Foto aus meinem Fundus hervorgeholt, in dem zwar noch etwas Winter zu sehen ist, aber die Stimmung schon dem Frühling zugeneigt zu sein scheint.

In jedem Fall können wir Vorkriegsauto-Enthusiasten uns an einem prächtigen Exemplar erwärmen so wie der wackere Vierbeiner seine Pfoten auf der Motoraube:

Cadillac Modeljahr 1922/23; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dass wir es mit einem US-Fahrzeug zu tun haben, ist anhand des Kennzeichens aus dem Bundesstaat Ohio leicht zu erraten.

Dabei lassen wir uns von der Jahresangabe 1928 nicht irritieren. Denn offensichtlich muss dieses Fahrzeug wesentlich früher entstanden sein, als verchromte bzw. zuvor vernickelte Glanzteile noch kein Standard waren.

Ich bin kein besonderer Kenner der damaligen US-Fabrikate – es gab damals noch hunderte Hersteller und die Modellvielfalt war erschlagend. Doch erkannte ich rasch, dass es sich um einen Cadillac aus der Zeit kurz nach dem 1. Weltkrieg handeln müsse.

Da im Modelljahr 1924 die glockenförmigen Scheinwerfergehäuse schüsselförmigen wichen, musste der Wagen früher entstanden sein. Einen Hinweis für die früheste Datierung gab die Sonnenblende oberhalb der Windschutzscheibe – sie wurde 1922 eingeführt.

Im selben Jahr wanderte auch das außenliegende Horn in den Motorraum. Weisheiten wie diese beziehe ich routinemäßig aus der US-Vorkriegsautobibel „Standard Catalog of American Cars„, welche wir der rastlosen Tätigkeit einer Dame namens Beverley R. Kimes und eines Herrn namens Henry A. Clark verdanken.

Das über 1.600 Seiten starke Opus ist zwar immer noch keine vollständige Darstellung der unglaublichen Markenvielfalt in den Vereinigten Staaten, lässt aber ahnen, wie dürftig die entsprechenden Anstrengungen hinsichtlich des überschaubaren deutschen Markts sind.

Mit weniger preußischem Pseudoperfektionismus, der oft genug gar kein Ergebnis zeitigt, und stattdessen mehr Yankee-Pragmatismus nach dem Motto „Don’t get it right, just get it done„, wären wir, von einigen lobenswerten Ausnahmen abgesehen, schon weiter.

Das war auch einer der Gedanken beim Start meines Blogs und bei der Schaffung der laufend erweiterten Markengalerien. Diese sind weder vollständig noch fehlerfrei, aber in etlichen Fällen die umfangreichsten strukturierten und frei zugänglichen ihrer Art weltweit.

Dass man das noch viel besser machen könnte, das beweist nebenbei Ferdinand Lanner mit seiner hervorragenden Dokumentation von Fiat-Automobilen (und weiteren) auf seiner Website. So etwas würde man sich für viele der großen deutschen Marken wünschen.

Zurück zum Cadillac: Der weist eine Besonderheit auf, die ich auch schon bei anderen US-Fabrikaten der 1920er Jahre gesehen habe, nämlich verstellbare Lamellen vor dem Kühler für den Winterbetrieb (so vermute ich):

Bei dieser Vorrichtung scheint es sich um ein Nachrüstteil gehandelt zu haben, über dessen genaue Funktionsweise mir aber nichts bekannt ist.

Da ich sie fast identisch unter anderem an einem banalen „Oakland Six“ von 1926 gesehen habe, möchte ich ein Cadillac-spezifisches Zubehör ausschließen. Wer mehr darüber weiß, ist aufgerufen, sein Wissen über die Kommentarfunktion zu teilen.

Wenn ich einen Sechszylinder von Oakland eben als banal abgestempelt habe, dann geschieht das natürlich aus der Perspektive eines Cadillac-Besitzers. Der fand im Motorraum seines Wagens von 1922/23 nämlich einen V8-Motor vor, der über 60 PS leistete – das war vor gut 100 Jahren Standard in der Oberklasse, übrigens auch in Europa.

Im Unterschied zu europäischen Herstellern bekamen die Amis das Kunststück hin, in den zwei Jahren der Produktion des Cadillac über 40.000 Exemplare an den Mann zu bringen.

Die damit verbundenen Skaleneffekte erlaubten zugleich erstmals Preissenkungen, zumal die Konkurrenz nicht schlief. Die Peitsche des Wetttbewerbs ist der entscheidende Faktor in dieser Hinsicht, weshalb die zunehmende Markenarmut unserer Tage so problematisch ist.

Viel mehr fällt mir zu dem heute vorgestellten Dokument gar nicht ein, vielleicht habe ich ja etwas übersehen, was eine nähere Betrachtung verdient. Das können dann Sie, liebe Leser, nachholen – und wenn es eine kenntnisreiche Kommentierung des Hunds auf der Haube ist.

Ich schließe für heute mit „Winter adé“ und gelobe, bis auf weiteres keine Fotos mit Schnee mehr zu zeigen – von nun an soll es aufwärts gehen mit den Temperaturen wie der Stimmung!

Es gibt nämlich noch so viele herrliche Sachen zu zeigen in Sachen Vorkriegsautomobile, dass ich nicht hinterherkomme…

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Spätlese vor 100 Jahren: Dux Typ R 17/60 PS

Weinkenner wissen es: Eine Spätlese gelingt nicht immer, aber man muss sie stets teuer bezahlen, so will es das Gesetz der (bisweilen künstlichen) Verknappung.

Das Phänomen der Spätlese scheint ein vornehmlich deutsches zu sein – bei den von mir bevorzugten Gewächsen aus dem Land südlich der Alpen kennt man das jedenfalls nicht.

Dort herrscht das Gesetz des Überflusses, weshalb ausgezeichnete Rotweine dort stets günstig zu bekommen sind – je weiter südlich, desto opulenter.

Dieses Bild passt formidabel zu dem Gewächs aus deutschen Landen, welches ich ich heute vorführen darf. Es kommt in vielerlei Hinsicht einer Spätlese gleich – nicht zuletzt will ich damit meinen Lesern im Nachgang zum eher konventionellen „Fund des Monats“ noch etwas Erlesenes nachreichen für den Fall, dass es Tränen der Enttäuschung gab.

Doch eigentlich verantwortlich für diese Spätlese – welche meisterhaft ausgefallen ist, das darf ich schon jetzt sagen – ist jemand anderes. So hat wieder einmal Leser und Kenner Matthias Schmidt aus Dresden einen spektakulären Jahrgang aufgetan.

Diesem sind wir zwar schon einmal begegnet, aber es handelt sich wirklich um einen raren Vertreter seiner Art.

Fünfeinhalb Jahre ist es her, dass ich hier dank der Großzügigkeit eines anderen Lesers – Raoul Rainer – dieses Prachtexemplar aus dem Leipziger Hause „Dux“ zeigen konnte:

Dux Typ R 17/60 PS; Originalfoto: Sammlung Raoul Rainer (Stuttgart)

Ich hatte den großzügigen Tourenwagen seinerzeit als Sechszylindertyp R 17/60 PS identifiziert. Sein Konterfei hat es in die 2019er Neuausgabe des Klassikers „Deutsche Autos 1920-45“ von Werner Oswald geschafft – nebenbei ein hübscher Erfolg meines Blog-Projekts.

Wenn erst mehrere Jahre später wieder ein Foto genau dieses zwischen 1923 und 1927 gebauten Modells auftaucht, dann ist das ein Indiz für die Rarität dieser „Spätlese“ – denn nach meiner Erfahrung finden sich Dokumente anderer zeitgenössischer Autos dieser Kategorie aus deutschen Landen viel öfter.

Tatsächlich muss dieser letzte Dux-Typ in sehr geringen Stückzahlen auf den Markt gekommen sein. Mit seinem starken 4,4 Liter-Sechszylindermotor war er zwar ein prächtiges Automobil, aber auch zielsicher am deutschen Markt vorbeientwickelt.

Wer in Deutschland Mitte der 1920er Jahre überhaupt einen Wagen in diesen abgehobenen Sphären erwerben konnte, der bevorzugte einen Daimler „Mercedes“. Das war nicht nur eine Frage des Prestige, sondern wohl auch eine der Präsenz der Marke in der Fläche.

Daimler war damals an vielen wichtigen Standorten in Mitteleuropa vertreten und man konnte im seltenen Fall eines plötzlich auftretenden Ersatzteilbedarfs auf Reisen davon ausgehen, dass sich das Problem lokal binnen einiger Tage lösen ließ.

Wer dagegen mit einem „Dux“ an der französischen Riviera oder im italienischen Piemont liegenblieb, der dürfte es weit schwerer gehabt haben, sachkundige Hilfe zu erhalten.

Wenn man noch dazu sagenhafte 22.000 Reichsmark auf den Tisch blättern musste, um den Wagen einer im Spätherbst ihres Daseins befindlichen Marke zu erwerben, dann kann man sich vorstellen, dass nur Enthusiasten mit Liebe zum lokalen „Terroir“ zugriffen.

Auch wenn man selbst kein Fan solcher teuren Spätlesen ist, kommt man nicht umhin, sich über das Auftauchen einer entsprechend raren Flaschenpost in Sachen „Dux“ zu freuen:

Dux Typ R 17/60 PS; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Seien wir ehrlich: An so einem Prachtstück gibt es nur dieses auszusetzen: Dass wir das Kennzeichen nicht vollständig sehen und auch sonst nichts über den Besitzer wissen, dessen Chauffeur hier für das Privatalbum posiert.

Von den Scheinwerfern abgesehen gleicht dieser Dux des Typs R 17/60 PS fast vollständig dem eingangs gezeigten Exemplar. Allerdings ist hier die spezielle Gestaltung des Kühlergehäuses weit besser zu studieren.

Das Modell lässt sich übrigens deshalb so genau benennen, weil der Hersteller nach 1924 kein anderes mehr fertigte.

1927 endete die eigenständige Existenz der Dux-Werke und Presto übernahm die Fabrik, kurz danach NAG aus Berlin. Der Sechszylinder war somit definitiv die Spätlese der Firma, sehr selten, sehr teuer – aber im Fall dieses Fotos auch von exquisiter Qualität…

Da freut sich das Herz des Kenners besonderer Gewächse und wenn noch jemand weitere erlesene Jahrgänge dieser oft übersehenen Leipziger Lage beizusteuern hat, will ich sie hier gern einer wohlwollenden, aber auch angemessen kritischen „Verkostung“ unterziehen…

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Fund des Monats: Der Osterhase im Fiat 500

Ein Fiat 500 als Fund des Monats – wie kommt man auf so etwas? Nun, das geht so: Am Ostersamstag fuhr ich aus Italien zurück, knapp 1200 Kilometer in die hessische Wetterau.

Da hat man viel Zeit, um sich Gedanken zu machen – ziemlich genau 12 Stunden, Pausen eingerechnet. Den besten Schnitt fahre ich übrigens in Italien, trotz offiziellen Tempolimits von nur 130 km/h auf der Autobahn.

Das kann man durchaus als Mittel erreichen, wenn man öfters 140 fährt – außer um’s tiefrote Bologna herum – und es wie der Einheimische macht: In Bau- oder Engstellen das Tempo halten, egal was dort steht, solange niemand am arbeiten ist. Geblitzt wurde ich in Italien in 25 Jahren noch nie – solange man es nicht übertreibt, lässt einen die Polente in Ruhe.

In Deutschland dann gibt’s zwar auf der A5 bald kein Tempolimit mehr, aber die Strecke ist über lange Zeit nur zweispurig ausgebaut – völlig unzureichend. Ständig wird man von Zeitgenossen aufgehalten, die mit 100 Sachen LKW überholen, oder von LKW, die noch langsamere Zeitgenossen überholen.

Fast noch Mitleid habe ich dabei mit den armen Vertretern der Elektrofraktion, die ihre teuren Gefährte batterieschonend auf der rechten Spur bewegen müssen. Sympathie stellte sich allerdings diesmal bei einem speziellen Hindernis ganz anderer Art ein.

Denn vor Karlsruhe bemerkte ich, dass Reisebusse ausscherten, um einen Langsamfahrer hinter sich zu lassen. Ich war innerlich schon auf 180.

Doch als ich den „Schleicher“ sah, war alles vergessen. Es war ein Fiat 500 – doch keiner der adretten Wiedergänger unserer Tage, mit welchem die Marke einen Riesenerfolg gelandet hat.

Nein, es war ein Heckmotor-500er der 1960/70 Jahre, damals „500 Nuova“ geheißen, um ihn vom Vorgänger 500er – dem Frontmotor-„Topolino“ – abzugrenzen, dessen Wurzeln bis in die 1930er Jahre zurückreichten.

Es handelte sich aber nicht etwa um den Fiat eines örtlichen Enthusiasten, weit gefehlt. Das winzige Auto, das innen mit Gepäck vollgestopft war, besaß ein altes schwarzes Kennzeichen, das auf eine Zulassung in Padua hinwies.

Wie aus dem Ei gepellt sauste der Kleine die Autobahn entlang, am Steuer eindeutig eine gutgelaunte Italienerin, neben ihr eventuell noch ein Beifahrer, sicher bin ich nicht.

Kurz nachdem ich den Fiat überholt hatte, machte ich halt zum Tanken und wie erhofft sah ich von der Zapfsäule den Wagen mit Vollgas vorbeifahren. Ich fühlte mich an meine Italienfahrt als Student mit 1200er Käfer erinnert, der 150-160.000 km auf der Uhr hatte, mit dem ersten Motor.

Natürlich hieß das ebenso Dauervollgas, aber gute Wartung vorausgesetzt, steckten diese Autos das weg, sonst hätte man solche Touren nicht gewagt. Aber ein Fiat 500 ist kein 1200er Käfer, der mit etwas Nachhilfe immerhin 120 km/h Spitze schaffte.

Daher Hut ab vor der Italienerin, die sich mit ihrem Cinquecento auf die deutsche Autobahn gewagt hatte. Übrigens ist die Präsenz des Fiat 500 im italienischen Alltag bemerkenswert hoch, was man vom „Käfer“ hierzulande nicht behaupten kann.

Das liegt wohl weniger am Auto als an der mittlerweile grassierenden „German Angst“ (Stichwort: Fahrradhelm bei Dreijährigen auf dem Laufrad – gerade heute wieder gesehen).

Jetzt wird’s aber allmählich Zeit für den Osterhasen im Fiat, mögen Sie jetzt denken. Grundsätzlich schon, aber bis Sie den zu Gesicht bekommen, müssen Sie noch etwas Geduld haben, auch wenn ich ab jetzt auf kurzweilige Fotos umstelle.

Dazu begeben wir uns in die Nachkriegszeit und wieder nach Südwestdeutschland. Dort hatte damals ein Paar das Glück, über einen Fiat 500 des ab 1936 gebauten Vorkriegstyps zu verfügen und auch über das Geld für Benzin und Übernachtungen, um Urlaub mit dem Wagen zu machen.

Dabei ging es Richtung Süden, Richtung Gebirge – einen Drang, den man als Deutscher von den germanischen Vorvätern (m/w/d) ererbt hat und welcher seine konstruktivste Ausprägung in der friedlichen Urlaubsreise gefunden hat:

Fiat 500; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ich habe keine Idee, wo genau dieses stimmungsvolle Foto entstanden ist, habe gerade auch keine Zeit zum Recherchieren. Aber wenn jemand es herausfindet oder sogar spontan sagen kann, wäre ich für einen Hinweis im Kommentarteil sehr dankbar.

Auf der nächsten Aufnahme sind wir schon höher hinaus, auch hier könnte die markante Topografie Aufschluss über die Örtlichkeit geben:

Fiat 500; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Nun haben wie zweimal „sie“ mit dem Fiat gesehen, da möchte man doch auch wissen, wie „er“ ausgesehen hat.

Für die nötige Geschlechtergerechtigkeit sorgen die beiden folgende Fotos. Hier haben wir „ihn“ zunächst anlässlich eines Halts irgendwo an der Autobahn:

Fiat 500; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Für mich sieht der Herr mit Baskenmütze und Nickelbrille wie ein „Intellektueller“ im positiven Sinne aus – also kein verkrachter Künstler, der nur wirr reden und herumschmieren kann, sondern jemand, der vielleicht aus einer musischen Begabung eine profitable Existenz gemacht hat – als Professor oder als Kunsthändler.

Hier haben wir ihn nochmals. diesmal mit dem einzigen Ortshinweis“Luitpoldbad“:

Fiat 500; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Sie sehen, über den wackeren Fiat verliere ich bei alledem kein Wort – dieser wohl genialste und zugleich schönster aller Kleinstwagen bedarf keiner Worte und auch warum er den Spitznamen „Topolino“ (Mäuschen) erhielt, erklärt sich ganz von selbst.

Wo aber bleibt denn jetzt der Osterhase? Den müssen Sie schon selbst finden. Doch das ist ganz einfach. Ich wollte bloß erst diese Bilderreihe bringen, zu deren Präsentation ich einige Jahre auf die richtige Gelegenheit gewartet habe.

Über die Besitzer des Fiats ist nichts bekannt und vermutlich ist außer diesen Aufnahmen nichts von ihnen geblieben, sonst wären die Aufnahmen nicht kommentarlos auf dem Markt gelandet, wo ich sie entdeckt habe.

Die Geschichte, die sie erzählen, ist ohnehin zeitlos – so wie die Geschichte vom Osterhasen ein uraltes Stück ist, welches sich die frühe christliche Kirche mit ihren in der Hinsicht begabten „Marketing“-Leuten genial angeeignet hat wie so vieles andere.

Und nun kommt endlich der Osterhase ins Spiel…

Fiat 500; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.