Mercedes-Benz-Bilder chronologisch geordnet
© Originalfotos aus Sammlung Michael Schlenger (soweit nicht anders angegeben), Weiterverwendung nur mit Quellenangabe
Mercedes-Benz-Bilder chronologisch geordnet
© Originalfotos aus Sammlung Michael Schlenger (soweit nicht anders angegeben), Weiterverwendung nur mit Quellenangabe
Zu den einst bedeutenden deutschen Marken, von denen ich eher selten Fotos vorstelle, gehören ausgerechnet die beiden vielleicht bekanntesten – Daimler und Benz.
Am Mangel an Material liegt das nicht, wohl aber daran, dass es oft schwerfällt, die Typen anzusprechen, speziell bei den frühen Modellen vor dem Zusammenschluss anno 1926.
Insbesondere die Benz-Wagen, welche kurz vor und kurz nach dem 1. Weltkrieg entstanden, sind praktisch nur an den Proportionen auseinanderzuhalten. Die Gestaltung folgte ansonsten einem sehr ähnlichen Schema.
In einigen Fällen hat man die Chance durch Größenvergleiche den Radstand abzuschätzen, vor allem bei Aufnahmen von der Seite. Bisweilen erlaubt die Relation zwischen Wagengröße und Insassen eine ungefähre Einordnung.
So konnte ich diese große Benz-Limousine einst hier als Typ 16/50 oder sogar Typ 27/70 PS der frühen 1920er Jahre eingrenzen:
Dieser 6-Zylinder-Koloss mit über 7 Litern Hubraum war ein Relikt der Zeit vor dem 1. Weltkrieg – technisch längst veraltet, aber immer noch leistungsfähig genug, um vollkommen souveräne Fortbewegung auf Fernreisen zu ermöglichen.
Mit diesem Gerät, dessen Motorblock noch paarweise gegossene Zylinder besaß und das seine Kraft ausschließlich dem gigantischen Hubraum verdankte, konnte man – von steilen Anstiegen abgesehen – praktisch durchweg im großen Gang fahren.
Die phänomenale Wirkung hubraumstarker Motoren ist heute nur noch der US-Klassikerfraktion bekannt. Um zu verstehen, wie sich das Drehmoment solcher Riesenaggregate bemerkbar machte, kann man versuchshalber mit einem PS-starken modernen Wagen der Klasse unter 2 Litern Hubraum versuchen, im 4. Gang anzufahren.
Mein 150 PS leistender Alltagswagen mit 1,3 Litern Hubraum tut sich da schon im 2. Gang schwer – er entfaltet seine Kraft erst bei Drehzahlen ab 3.000 U/min, lässt sich dann aber im sechsten Gang elastisch zwischen etwa 130 und 180 km/h bewegen.
Der Benz 27/70 PS brachte es gerade auf 95 km/h Spitze, war also von der Übersetzung im großen Gang ganz anders ausgelegt. Vor über 100 Jahren war das zwar nicht mehr der Stand der Technik, aber für die meisten Kunden völlig ausreichend.
So konnte man auch nach dem 1. Weltkrieg noch eine Weile mit einem Benz dieser Spezifikation glücklich werden. Dass ich mich nach reiflicher Überlegung entschlossen habe, heute wieder eines dieser Prachtexemplare vorzustellen, hat zwei Gründe.
Nr. 1 ist der glückliche Umstand, dass mir Leser Matthias Schmidt aus Dresden dieses schöne Foto eines Tourenwagens dieses Typs in digitaler Form zur Verfügung gestellt hat:
Lassen Sie sich nicht von dem gutgelaunten und großgewachsenen Herrn mit den feschen Ledergamaschen über den Halbschuhen täuschen.
Nehmen Sie stattdessen Maß an der langen Motorhaube und setzen diese in Relation zu den eher klein wirkenden Insassen. Das war ein mächtiger Wagen, der ohne weiteres Platz für einen großvolumigen Reihensechszylinder vorn und drei Sitzreihen hinten bot.
Ungewöhnlich für die Zeit nach dem 1. Weltkrieg ist der dem Auge schmeichelnde Aufwärtsschwung der nach innen abgekanteten Seitenlinie – m.E. ein Indiz für eine frühe Entstehung des ab 1918 im Benz-Programm vertretenen 27/70 PS-Models.
Dass irgendwann eine kleine Stoßstange nachgerüstet und ein Kätzchen als Kühlermaskottchen installiert wurde, spricht für eine lange Benutzungsdauer dieses Fahrzeugs. Ausgehend von der Kleidung der abgebildeten Personen würde ich die Aufnahme kaum früher als Mitte der 1920er Jahre verorten.
Überliefert ist auf der Rückseite des Abzugs leider nur, dass das Foto in der „Nähe von Karpacz Krummhübel“ entstand, wenn ich es richtig lese. Vielleicht weiß ein Leser etwas damit anzufangen und kann uns via Kommentar entsprechend erleuchten.
Wo aber bleibt Nr. 2 der beiden Gründe, welche eine Ansprache dieses Benz als Typ 27/70 PS erlauben? Nun, ich habe nicht umsonst im Titel angedeutet, dass dem eine „reifliche Überlegung“ zugrundeliegt.
Wer meine Neigung zu Kalauern dieser Güteklasse kennt, ahnt vermutlich, dass ich damit auf das Reifenformat des Wagens anspiele, welches die entsprechende Gewissheit liefert.
Tatsächlich ist vorn die Größenangabe 935 x 135 zu lesen. Während über die Breite selbst Motorradfahrer unserer Tage nur milde lächeln, ist der Durchmesser (93,5 cm) spektakulär. Er war laut der mir vorliegenden Literatur dem 27/70 PS-Modells von Benz vorbehalten.
Das ist doch ein ganz nettes Ergebnis in Sachen Benz, welches sich aus reiflicher Überlegung speist.
Es mag etwas dauern, bis sich wieder dem Foto eines Wagens dieser Marke solche Feinheiten entlocken lassen – doch bis dahin vertreiben wir uns die Zeit mit der Fülle des Materials, das kaum detektivischen Spürsinn verlangt, aber dennoch durch seine schiere Wirkung begeistert…
Michael Schlenger, 2024. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.