Die Identifikation von Autos auf historischen Fotografien hat ihre Tücken. Das gilt speziell für Wagen vor und nach dem 1. Weltkrieg. Abgesehen vom Kühler ähnelten sich die Fahrzeuge damals sehr, da die Karosserieaufbauten noch aus dem Kutschbau stammenden Typen entsprachen.
So sah ein “Landaulet” oder ein “Doppel-Phaeton” unabhängig vom Hersteller oder Herkunftsland des Wagens von der Seite fast identisch aus. Nach dem 1. Weltkrieg galt dies lange Zeit noch vor allem für den Typ des Tourenwagens.
Ist der Kühler nur von der Seite zu sehen oder ist die Aufnahme unscharf, lässt sich die Marke mitunter erst auf Umwegen bestimmen. Dies war auch bei dem hier zu sehenden Tourenwagen der frühen 1920er Jahre der Fall:
© Gräf & Stift VK 7/20 PS, Mitte der 1920er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Wer in diesem Blog die Artikel zu Tourenwagen der Zwischenkriegszeit gelesen hat, könnte versucht sein zu sagen: “Hurra, ein Dixi!”. Tatsächlich weist der Wagen auf unserem Foto Ähnlichkeit mit dem hier besprochenen Dixi 6/24 PS Tourenwagen auf.
Die Kühlerform wirkt vertraut und die Kühlerfigur ähnelt derjenigen bei Dixi – einem Kentauren. Schaut man aber genauer hin, werden Unterschiede deutlich:
So unterscheiden sich die Radmuttern von den Rudge-Zentralverschlüssen bei besagtem Dixi. Auch die für den Dixi typischen diagonal verlaufenden, relativ breiten Luftschlitze in der Motorhaube fehlen.
Die Kühlerfigur scheint eher einen aufgerichteten Löwen zeigen als einen Kentauren. Zwar wurden solche Maskottchen seinerzeit auch nachträglich montiert oder individuell angefertigt, dennoch führte die Kühlerfigur am Ende auf die richtige Spur.
Zwischenzeitlich schien es, als handele es sich um einen Wagen von Austro-Daimler, genauer gesagt: das Modell ADV. Dafür sprachen neben der Form des Spitzkühlers die markanten Zugknöpfe an den seitlich ausziehbaren Fächern im Schwellerbereich, in denen Werkzeug und ähnliches Zubehör untegebracht war. Dieses seltene Detail findet sich auch bei Wagen von Austro-Daimler aus der Zwischenkriegszeit.
Doch dank eines Leserhinweises verfolgte der Verfasser eine alternative These, die sich nach einigen Recherchen bestätigen sollte. So scheint die Kühlerfigur die der ebenfalls österreichischen Marke Gräf & Stift zu sein. Sie zeigt einen Löwen, der die Vordertatzen auf eine Kugel stützt.
Viele in der Literatur und im Netz verfügbaren Abbildungen von Gräf & Stift-Wagen zeigen zwar nur Flachkühlermodelle. Im Standardwerk über die Marke – “Die Brüder Gräf. Die Geschichte der Gräf & Stift-Automobile” von Hans Seper, 1991 – finden sich jedoch auch Fahrzeuge mit Spitzkühler.
Bevor wir den Typ genau bestimmen, das Wichtigste zur Geschichte von Gräf & Stift:
Wie so oft stand am Anfang eine Fahrradproduktion. Nach Bau eines Dreirads mit Motor von DeDion Bouton entwickelte die in Wien ansässige Firma im Jahr 1899 ihr erstes Automobil – nebenbei der erste frontgetriebene Wagen der Welt!
In den Jahren vor dem 1. Weltkrieg stieg Gräf & Stift zum renommiertesten Autobauer Österreichs auf. Man fertigte Fahrzeuge für höchste Ansprüche, nicht zuletzt für die kaiserliche Familie. Das fatale Attentat auf den österreichischen Thronfolger am 28. Juni 1914 fand statt, als dieser in einem Gräf & Stift durch Sarajevo unterwegs war.
Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Verlust des größten Teils des Reiches musste auch Gräf & Stift kleinere Brötchen backen. Zwar stellte man schon 1919 mit dem Typ SR 1 wieder einen mondänen Sechszylinderwagen mit 7,8 Liter Hubraum und 75 PS vor – ein Auto dieses Typs ging an einen indischen Maharadscha.
Doch die Absatz-und Ertragslage ließ es ratsam erscheinen, daneben ein preiswerteres Modell anzubieten, den Typ VK1 7/20 PS. Er war zwar ebenso sorgfältig konstruiert und verarbeitet wie die Luxuswagen der Marke. Doch er besaß einen nur 1,9 Liter großen Vierzylinder, der 20 PS leistete.
Sehr wahrscheinlich zeigt unser Foto einen Tourenwagen dieses rund 800mal gebauten Typs. Ein interessante Vergleichsaufnahme fand sich außer in besagtem Buch (S. 222) auf einer Internetseite, auf der alte Glasnegative vorgestellt werden:
© Gräf & Stift VK1, Mitte der 1920er Jahre; Bildquelle: http://cameracollector.proboards.com/thread/6408/early-cars
Hier sieht man gut die Gräf & Stift-Plakette auf der Oberseite des Spitzkühlers. Die Kühlerfigur ist nach hinten geklappt, da gerade Kühlwasser nachgefüllt wurde. Man kann aber die rechteckige Grundplatte erkennen, auf der der typische Löwe steht.
Der Gräf & Stift VK1 wurde bis 1925 gebaut. In dieser Zeit dürfte auch unser Foto entstanden sein. Die kappenartigen Hüte der Damen im Heck – wohl Geschwister – verschwanden Ende der 1920er Jahre.
Übrigens sollte sich der PKW-Bau bei Gräf & Stift nie mehr so recht lohnen. Das Standbein der Marke war seit dem Ersten Weltkrieg der Nutzfahrzeugbau. Mit dem Protyp eines 12-Zylinderwagens endete 1938 die Geschichte der Gräf & Stift-PKW.
1971 schloss sich Gräf & Stift mit Austro-Fiat zusammen und wurde Teil von MAN. Seither werden am Stammsitz von Gräf & Stift keine eigenständigen Fahrzeuge mehr gefertigt.
Die Hüte sind sogenannte Glockenhüte, und was die industriellen Standbeine betrifft, so hatte auch F.N. mehrere, sodaß es eine Browning des belgischen Herstellers (der uns durch vorzügliche Motorräder und Autos geläufig ist) aus Herstal war, mittels derer 9mm Projektile am 28.6.1914 das in einem Gräf & Stift chauffierte Thronfolgerpaar ermordet wurde :
https://www.diepresse.com/3817898/der-phaeton-des-grafen-harrach-ein-oldtimer-der-weltgeschichte