Der erste seiner Art: Dixi S16 13/32 PS von 1912

Manche Dokumente von Vorkriegsautos schlummern jahrelang in meinem Fundus – oder dem von Sammlerkollegen – bevor ich sie hier publiziere.

Die Fülle des verfügbaren Materials zu deutschen Fabrikaten aus den letzten 120 Jahren ist erschlagend, und dabei sind die Archive derer noch nicht berücksichtigt, die gar nichts anderes damit anzufangen wissen, als sie ängstlich zu hüten.

Selbst die größten Exoten aus der deutschen Automobilgeschichte könnten mit dem dokumentiert werden, was Krieg und Aufräumfuror übriggelassen haben, behaupte ich.

Doch manchmal macht es einem Fortuna ganz leicht – oder nüchterner gesagt: ein Leser dieses Blogs. So funkte mich gestern nacht wieder einmal Klaas Dierks aus dem hohen Norden an, um mir einen neuen Fund zu übermitteln.

Heute warf ich während einer Arbeitspause einen Blick darauf und war spontan begeistert: “Den Wagen muss ich umgehend vorstellen, denn das ist der erste seiner Art!”

Das trifft gleich in doppelter Hinsicht zu und gern erkläre ich, wieso – aber hier erst einmal ein Blick auf das Prachtstück:

Dixi Typ S 16 13/32 PS (vermutlich); Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Ziemlich genau so stellt sich der Autoveteranen-Verehrer das perfekte Konterfei eines historischen Fahrzeugs aus einer Zeit vor, in der die Hersteller in Prospekten und Werbeanzeigen praktisch nur Seitenansichten ihrer Modelle abdruckten.

Sicher gibt es Zeitgenossen, die in ihren Archiven Vergleichbares verstecken, doch ausgehend von der dürftigen Literatur zu deutschen Automobilen der Zeit vor dem 1. Weltkrieg ist mir noch keine solche Abbildung untergekommen.

Bereits so gesehen ist dieser leicht als “Dixi” der Fahrzeugwerke Eisenach zu erkennende Wagen mit repräsentativem Landaulet-Aufbau “der erste seiner Art”, der mir in dieser Form und Güte begegnet.

Da stellt sich bei aller Begeisterung die Frage, wie man überhaupt den Typ eingrenzt. Wie ich auf die These Dixi S16 13/32 PS gekommen bin, daran will ich Sie teilhaben lassen.

Zunächst einmal ist festzustellen, dass wir es mit einem Modell aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg zu tun haben. Denn die Scheinwerfer geben sich als gasbetriebene Modelle zu erkennen, die es ab 1920 allenfalls noch bei Kleinstwagen gab.

Das entscheidende Merkmal sind nicht die trommelförmigen Gehäuse der Scheinwerfer als solche – die waren Mitte der 1920er Jahre nochmals Mode – sondern die oben aufgesetzten Kammern mit Löchern, aus denen die Verbrennungsabgase entweichen konnten.

Auch die teilweise an der Erwachsenenmode orientierte Kleidung der umstehenden Kinder spricht klar für die Zeit bis 1914. Nach dem 1. Weltkrieg trug kein Bub mehr solche Hüte.

Vor 1910 kann der Dixi aber auch nicht entstanden sein, denn dann hätte er noch keinen “Windlauf” besessen – also kein von der Motorhaube zur Frontscheibe ansteigendes Blech, das erstmals die Vorderpartie harmonisch mit dem Passagierabteil verband.

Zum Vergleich eine Aufnahme eines Dixi, der etwa 1908/09 gefertigt worden war:

Dixi um 1908/09; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieser prächtige Tourenwagen war am Rhein bei Kaub abgelichtet worden (mehr dazu hier).

Nicht nur fehlt ihm der erwähnte Windlauf, er besitzt auch eine gänzlich andere Kühlerform. Diese findet sich ähnlich noch bei etwas jüngeren Dixi-Modellen, was eine weitere zeitliche Eingrenzung des Wagens auf dem Foto aus der Sammlung Dierks erlaubt.

Ihr entstammt übrigens auch eine Aufnahme, auf der ein Dixi zu sehen ist, welcher bereits über einen Windlauf besitzt, also frühestens 1910 entstanden sein kann:

Dixi Typ R12 10/24 PS (vermutlich); Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Da der Windlauf hier noch recht stark nach oben gewölbt ist und die Frontscheibe noch nicht seiner Linie folgt, wage ich die Behauptung, dass dieser Dixi von 1910/11 stammt.

Ab 1912 verläuft der Übergang von Motorhaube zu Windlauf bei deutschen Automobilen allgemein weniger abrupt. Könnte das der Zeitpunkt sein, ab dem Dixi auch das neue birnenförmige Kühlergehäuse einführte, das auf dem eingangs gezeigten Foto zu sehen ist?

Interessanterweise scheint es diese Kühlergestaltung bei Dixi-Wagen nur vorübergehend gegeben zu haben. Wie bei vielen anderen deutschen Herstellern stellte man in Eisenach zu Beginn des 1. Weltkriegs – oder in seinem Verlauf – auf den modischen Spitzkühler um.

Eine Vorstellung davon vermittelt diese Reklame von 1917:

Dixi-Reklame aus: Allgemeine Automobil-Zeitung Nr. 38, Jahrgang 1917; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Auf Grundlage dieses Befunds würde ich den Kühler unseres heutigen Dixi-Fotomodells auf 1912-14 datieren. Unterstützt wird diese Einschätzung durch eine Prospektabbildung, welche sich im 1978 erschienen Werk “BMW Automobile” von Halwart Schrader findet.

Dieses ist zwar in Sachen BMW zwischenzeitlich überflügelt worden, doch Schrader hat dankenswerterweise auch die Vorgeschichte der ersten BMW-Autos abgedeckt – und diese umfasst die Eisenacher Dixi-Wagen, deren letzter Typ (DA1 3/15 PS) ab 1929 als BMW gebaut wurde.

Auf S. 126 des Schraderschen Opus also ist die Prospektabbildung eines Dixi S16 mit 13/32 PS zu sehen, der ab 1912 gebaut wurde. Er besitzt genau so einen Kühler wie das Landaulet von Klaas Dierks!

Aus meiner Sicht könnte dieser prächtig geschmückte Wagen, der zurecht die Aufmerksamkeit der Kinder auf der Straße auf sich zog, also durchaus ein Dixi des Typs S16 mit 3,4 Liter-Vierzylinder und anfangs 32 PS gewesen sein.

Er blieb bis 1925 im Programm (zuletzt mit 39 PS Leistung und modernerem Aufbau) und wurde in etwas mehr als 700 Exemplaren gefertigt, wenn man den überlieferten Zahlen trauen kann.

Diese späteren Ausführungen besaßen den Dixi-typischen Spitzkühler, weshalb der heute vorgestellte S16 aufgrund seines Flachkühlers der erste seiner Art gewesen sein muss.

Doch nun die Frage an die Dixi-Spezialisten: Erhielten auch die anderen Typen aus Eisenach ab 1912 einen solchen Kühler? Also beispielsweise die etwas schwächeren Modelle R9 (8/21 PS), R12 (10/26 PS), die bis 1914 ebenfalls mit repräsentativen Aufbauten hergestellt wurden?

So oder so bliebe das Foto von Klaas Dierks das erste publizierte seiner Art, das einen solchen Dixi aus der Zeit von 1912-14 aus idealer Perspektive zeigt…

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Back to Business: Ein Simson “Typ R” 12/60 PS

Die Gesetze des Marktes können mitunter grausam sein – aber es hilft nichts, sie auf Dauer zu ignorieren, auch wenn es Idealisten und Ideologen immer wieder versuchen.

Jedes Angebot muss sich letztlich beim Käufer bewähren und solange ausreichender Wettbewerb herrscht, wird sich über kurz oder lang das bessere – oder bei gleicher Qualität günstigere – Angebot durchsetzen.

So war das schon vor 100 Jahren am deutschen Automobilmarkt. Viele heimische Hersteller hielten entweder an heillos veralteten – wenn auch hochwertigen – Konstruktionen fest, andere versuchten sich in von vornherein aussichtslosen Kleinwagenkonzepten, die entweder nicht marktfähig waren oder für deren Realisierung es an Kapital mangelte.

Daneben gab es eine Reihe von Fabrikaten, die auf technische Exzellenz abzielten, ohne eine größere Marktdurchdringung anzustreben. Dies ließ sich freilich nur solange durchhalten wie die Kapitalgeber mitmachten oder eine Quersubventionierung durch ein profitables Kerngeschäft erfolgte.

Ein Beispiel für den letztgenannten Fall waren die Automobile des Waffenherstellers Simson aus dem thüringischen Suhl. Nach dem 1. Weltkrieg machte Simson mit hochmodernen Konstruktionen Furore, welche die Basis für viele Rennerfolge bildeten:

Simson “Supra”-Reklame; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Die vom zuvor bei Steiger tätigen Konstrukteur Paul Henze entwickelten und ab 1924 gebauten Wagen des Typs Simson “Supra” zeichneten sich durch drehfreudige kopfgesteuerte Motoren und hervorragende Fahrwerke aus – Grundlage zahlreicher Rennsiege.

Den kostspieligen Renneinsätzen stand hingegen ein eher überschaubarer Absatz der Straßenversion des Simson “Supra” gegenüber. Zwar besaß der zivile Typ So 8/40 PS dieselben Konstruktionsmerkmale und war trotz kleinen Hubraums (2 Liter) einer der schnellsten deutschen Serienwagen, der ohne weiteres 100 km/h erreichte.

Doch nur rund 750 Wagen dieses Typs wurden über einen Zeitraum von 5 Jahren gebaut.

Davon scheinen die meisten mit einem Tourenwagenaufbau verkauft worden zu sein, wie er auf diesem bis dato unveröffentlichten Foto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden) zu sehen ist:

Simson Typ So 8/40 PS Tourer; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Vielleicht erkennt jemand den genauen Aufnahmeort (überliefert ist Berlin).

Diese Karosserie trug die für einen dermaßen rassigen Wagen bemerkenswert dröge Bezeichnung “Karlsruhe” und begegnet einem auf zeitgenössischen Dokumenten immer wieder.

Hier haben wir die dazugehörige Simson-Werbeanzeige, datiert auf 1927:

Simson “Supra”-Reklame; Original aus Sammlung Michael Schlenger

In natura sah der Wagen speziell mit heller Lackierung und schräg von vorne aufgenommen hervorragend aus.

Das lässt sich auf folgender Aufnahme nachvollziehen, die ich schon einmal präsentiert habe und die ich einem weiteren besonders findigen und großzügigen Sammlerkollegen verdanke – Leser Klaas Dierks:

Simson Typ So 8/40 PS Tourer; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Bei allen Qualitäten kommt man aber letztlich nicht an den harten Realitäten des Markts vorbei und das in mehrfacher Hinsicht.

So war die Manufakturfertigung enorm aufwendig, was speziell für den hochkomplexen Motor galt. Im Simson-Standardwerk von Ewald Dähn (1988) – gibt es da eigentlich nichts Neueres? – heißt es, dass allein die Motorenmontage zwei Tage in Anspruch nahm und in diesem Zeitraum fünf Teams zu je zwei Mann band.

Die Arbeit dieser hervorragenden Fachleute hatte ihren Preis, was Simson-Wagen zu einem extrem teuren Vergnügen machte. Mit Patriotismus allein ließen sich die Käufer ab Mitte der 1920er Jahre jedoch nicht mehr locken.

Hinzu kam: Die eher kleinen Vierzylinder von Simson wurden trotz ihrer konstruktiven Raffinesse zunehmend von den in Massenfertigung hergestellten amerikanischen Aggregaten in den Schatten gestellt.

Diese boten entweder bei sehr einfacher Bauart und geringerem Preis dieselbe Leistung aus größerem Hubraum oder sie kamen gleich mit 6 Zylindern, mehr PS und überlegener Ausstattung daher und waren immer noch wesentlich billiger.

Der Markt hatte gesprochen – die preiswerten, zuverlässigen und moderner wirkenden US-Wagen eroberten die Herzen der Käufer und Simson musste reagieren.

Es hieß vom Idyll der Kleinserienfertigung unprofitabler Premiumwagen Abschied nehmen und sich den geschäfltichen Realitäten zu stellen, auf gut Amerikanisch: “Back to Business”!

Dazu ließ man Paul Henze einen Sechszylindermotor klassischer Bauart (untenliegende Nockenwelle, im Kopf hängende Ventile) entwickeln – eine Aufgabe, der dieser vielleicht nur widerwillig nachkam.

Aus 3,1 Litern Hubraum schöpfte dieser neue Simson Typ R nun achtbare 60 PS, darunter brauchte man angesichts der Konkurrenz aus Übersee in der gehobenen Klasse aber auch erst gar nicht anzutreten.

Auch gestalterisch wollte man keine Fehler machen und orientierte sich stark an US-Vorbildern. Nachfolgend eine Limousine des Typs R 12/60 PS, welche ich bereits hier präsentiert habe:

Simson Typ R 12/60 PS Limousine; Originalfoto: Sammlung Jason Palmer (Australien)

Bei dieser Limousine scheint es so, als habe man sich mit dem nach der US-Konkurrenz schielenden Typ R 12/60 PS ganz von der Automobilwelt der frühen 20er Jahre verabschiedet.

Doch ganz konsequent scheint man der Parole “Back to Business” nicht gefolgt zu sein. Denn auch den neukonstruierten Simson R 12/60 PS bot man nach wie vor mit dem altbekannten Tourenwagenaufbau “Karlsruhe” an.

Das beweist nicht nur eine Aufnahme aus dem erwähnten Simson-Buch von Ewald Dähn (S. 82), sondern eine weitere Abbildung, die ich in meinem Exemplar des “Handbuchs vom Auto” von Joachim Fischer aus dem Jahr 1927 fand:

Simson Typ R 12/60 PS Tourer; Abbildung aus: Handbuch vom Auto, Joachim Fischer, 1927

Die Karosserie erscheint fast identisch mit derjenigen des eingangs gezeigten Simson Typ So 8/40 PS, nur der weit größere Abstand zwischen den Türen fällt hier auf.

Dies war dem um satte 50 cm längeren Radstand des Simson R 12/60 PS geschuldet. Damit gingen leider auch 300 Kilogramm Mehrgewicht beim Tourer einher – die Agilität des kleineren Typs So 8/40 PS dürfte der Nachfolger also kaum besessen haben.

Unter dem Strich hatte Simson zwar ein von der Papierform und dem Erscheinungsbild her konkurrenzfähiges Auto auf die Räder gestellt. Doch beispielsweise ein gleichstarker 6-Zylinder-Buick von anno 1928 war dramatisch billiger.

Letztlich gilt immer wieder “Back to Business“, wenn es um Erklärungen für die weitgehende Chancenlosigkeit der deutschen Hersteller angesichts der Übermacht der US-Farbikate in den 1920er Jahren geht.

Für unzählige Kleinwagenexperimente war verstreut genügend Kapital in Deutschland vorhanden, ebenso für das folgenlose Zusammenkaufen von Marken ohne Plan, wie es einige leider wenig begabte deutsche Börsenteilnehmer damals praktizierten.

Beschäftigt man sich dagegen mit den “Spekulationen” der amerikanischen Investoren jener Zeit, so lag diesen meist eine klare geschäftliche Logik zugrunde, die auf nüchternem Studium der Marktgegebenheiten fußte und kühl kalkulierte Operationen nach sich zog, die oft genug von Erfolg gekrönt waren.

Kapitalismus ist nicht per se gut oder böse – das können nur Menschen sein – er kann aber gut oder schlecht praktiziert sein – als wohlstandsschaffend willkommen geheißen oder als krisenfördernd gefürchtet sein.

Ein allgemeines “Back to Business” im Sinne von mehr unternehmerischem Mut, einer positiven Sicht auf Marktmechanismen, Wettbewerb und Gewinnstreben sowie nicht zuletzt Minimierung von Interventionen einer überhandnehmenden marktfernen Bürokratie – das scheint mir hierzulande in unseren Tagen eine wieder sehr aktuelle Parole zu sein…

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Für Frühlingsverächter: Brennabor ASL Pullman

Der Frühling ist die Zeit, die mich zuverlässig vor der einsetzenden Depression bewahrt, dieses Jahr hat er arg lang auf sich warten lassen. Doch endlich lacht die Sonne, die Natur erfreut das Herz mit lang vermisster Üppigkeit und Farbigkeit.

Die Werbeleute der Firma Brennabor aus Brandenburg müssen im Mai 1929 ebenso empfunden haben – oder sie setzten auf die Empfänglichkeit ihrer Zielgruppe. Jedenfalls schufen Sie damals die wohl schönste Reklame der damals schon in Schwierigkeiten befindlichen Traditionsfirma:

Brennabor-Reklame von Mai 1929; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Vor lauter Begeisterung hatten die Werber vergessen, welchen Wagentyp sie da anpriesen. Den angegebenen Preisen nach zu urteilen, muss es sich um eines der Vierzylindermodelle mit 25 bzw. 30 PS gehandelt haben.

Doch daneben hatte man weit Attraktiveres in petto: den Sechszylindertyp AS, den es mit kurzem (Typ ASK) und mit langem Radstand (ASL) gab.

Dieser Wagen mit seinem 3,1 Liter-Motor und 55 PS Leistung sollte den Ende der 1920er Jahre am deutschen Markt enorm erfolgreichen US-Importautomobilen Paroli leisten, theoretisch jedenfalls.

Dazu bot man eine Reihe durchaus gelungener Aufbauten an – vor allem gemessen an dem optisch verunglückten Typen R 6/25 PS. Relativ häufig stößt man auf die Variante als “Faux-Cabriolet” – also eine Limousine mit nur scheinbar zu öffnendem Verdeck (siehe auch hier):

Brennabor Typ ASK 12/55 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wirklich frühlingstauglich waren freilich eher die Ausführungen mit tatsächlich zu öffnendem Verdeck.

Davon gab es neben einem Cabriolet eine seltene Tourenwagenausführung. Ein Exemplar davon ist mir vor längerer Zeit ins Netz gegangen – mein Foto fand sogar 2019 Eingang in die Neuauflage des Klassikers “Deutsche Autos 1920-1945” von W. Oswald.

Nachfolgend das Prachtstück, welches ich auf den Tag genau vor drei Jahren hier besprochen habe:

Brennabor Typ ASL 12/55 PS Tourer; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Nun soll es Zeitgenossen geben, die gegenüber der Sinnlichkeit des Frühlings völlig unempfindlich sind und ihr Dasein gern weiter im Dunkel von Büros und Fabriken fristen.

Die besonders Privilegierten darunter lassen sich noch heute in dunkel abgetönten Limousinen in der Gegend herumfahren – besonders gern, wenn diese mit dem Geld des Pöbels bezahlt werden, dessen unverschämten Blicken man sich entziehen möchte.

Auch an diese Herrschaften hatte man bei Brennabor gedacht und auf dem langen Chassis des Typs 12/55 PS (ASL), welches auch dem Tourer als Unterbau diente, eine ziemlich repräsentative Pullman-Limousine fabriziert.

Bislang ist mir überhaupt nur ein Exemplar davon begegnet, welches ich heute zeigen will:

Brennabor Typ ASL 12/55 PS Pullman-Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Diese stattliche Sechsfenster-Limousine ist leicht anhand des (hier waagerecht liegenden) “B” auf der Radnabe und der “Nase” an der Kühleroberseite als Brennabor der späten 1920er Jahre identifiziert.

Die Gestaltung der Luftschlitze in der Motorhaube und die von der A-Säule nach vorn geschwungene Linie sind klare Hinweise auf das Modell AS 12/55 PS, welches ab 1928 dem kleineren Sechszylindertyp A 10/45 PS zur Seite gestellt wurde.

Beim Vergleich mit dem weiter oben gezeigten Faux-Cabriolet, das ebenfalls viertürig war, ist klar zu erkennen, dass die Hintertür hier etwa auf Höhe des Trittbrettendes angeschlagen war – was ein deutlich längeres Chassis voraussetzte.

Somit haben wir es mit der um knapp 30 cm längeren Version ASL zu tun. Viel mehr bleibt an dieser Stelle nicht zu sagen, außer vielleicht, dass der Besitzer des Brennabor, der hier beim Einsteigen posiert, nicht sonderlich sympathisch wirkt.

Bestimmt war dieser finster dreinschauende Geselle ein Frühlingsverächter, am Ende gar ein Frühlingsleugner, pfui!

Wir sind ihm dennoch verpflichtet, hat er uns doch durch seine Entscheidung für die Pullman-Limousine zumindest ein Beweisfoto dieses raren Typs beschert…

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Fund des Monats: Ein Perl 3/14 PS Cyclecar

Meine Leser aus dem schönen Österreich werden heute vielleicht ein wenig enttäuscht sein – denn ein Cyclecar der 1920er Jahre der Automobilfabrik G.R. Perl aus Wien ist für sie vermutlich zwar ebenfalls selten, aber doch kein ganz großer Exot.

Warum ich dennoch meine, dass einer dieser kleinen Sportwagen mit weniger als 1 Liter Hubraum die Präsentation als Fund des Monats verdient, das wird sicher deutlich, wenn ich das entsprechende Foto aus dem Hut zaubere.

Kurioserweise hat es ein Enthusiast aus Australien aufgetan – Jason Palmer. Er interessiert sich von jeher besonders für europäische Vorkriegswagen und hat uns schon manches hervorragende Dokument beschert.

Zwar konnte ich hier selbst schon einmal ein Exemplar des ab 1924 gebauten 3/14 PS Perl vorstellen, doch ich muss neidlos eingestehen, dass Jason diesbezüglich der mit Abstand großartigere Fund gelungen ist:

Perl 3/14 PS Cyclecar; Originalfoto: Sammlung Jason Palmer (Australien)

Vertraut mutet die Frontpartie mit Spitzkühler, “Perl”-Kühleremblem und drei im hinteren Teil der Motorhaube angebrachten Luftauslässen an – das war’s aber auch.

Die helle Lackierung lässt das kleine Auto erwachsener aussehen als die durchweg dunkel gehaltenen Exemplare, die mir bislang begegnet sind.

Zur besonderen Wirkung trägt sicher die ausgezeichnete technische Qualität des Fotos sowie die Tatsache bei, dass uns die junge Dame am Steuer so souverän und unternehmungslustig anschaut.

Fast meint man, bei ihr eine gewisse Ungeduld zu spüren, so als wolle sie jeden Moment losfahren – ganz wunderbar eingefangen!

Was sie wohl vorgehabt haben mag? Der 10-Liter-Reservekanister in zeittypischer Dreiecksform deutet darauf hin, dass dieser Perl gern auch abseits der Städte bewegt wurde, wo Tankstellen noch eher selten waren.

Kurios muten die scheibenförmigen Abdeckungen der Räder an. Darunter dürften sich Drahtspeichenfelgen befunden haben, wie sie bei leichten Kleinwagen dieser Art meist montiert waren.

Etwas irritierend sind die sechs Radschrauben, die man eher bei einem Oberklassewagen erwarten würde. Vier davon hätten gereicht und waren Standard in dieser Größenklasse.

Was ist davon zu halten? Besaß dieser Wagen vielleicht einen leistungsgesteigerten Motor, weshalb man lieber auf eine stärkere Verbindung von Rad und Nabe setzte? Oder sollte es bloß so aussehen, als habe man es mit einem “frisierten” Sportgerät zu tun?

Merkwürdig kommt mir auch die Räumlichkeit vor, in der dieser schicke kleine Perl mit seiner charmanten Insassin abgelichtet wurde:

Perl 3/14 PS Cyclecar; Originalfoto: Sammlung Jason Palmer (Australien)

Ohne das Auto würde man hier auf einen weitgehend leerstehenden Wohnraum tippen. Das schlichte geometrische Muster am oberen Ende der Wand erinnert an strenge Varianten des Jugendstils, der im Inferno des 1. Weltkriegs sein Ende fand – wie so vieles, was Europa bis dahin so großartig gemacht hatte und unwiederbringlich dahin ist.

Kenner klassischer Möbel werden sich noch mehr für das Buchregal im Hintergrund interessieren. Es handelt sich um eine Ausführung nach dem “Wernicke”-Patent, mit nach oben aufklappbaren und nach innen schiebbaren Glastüren. Diese modular verwendbaren Möbel waren seit dem 19. Jh. in Büros verbreitet und werden bis heute gefertigt.

Ich muss das wissen, denn meine Oldtimer-Literatur ist in Regalen nach genau diesem Patent untergebracht. Bleibt die Frage, wo diese Aufnahme eines nicht gerade alltäglichen “Perl”-Cyclecar einst gemacht wurde. Sollte das eine Art “Showroom” gewesen sein?

Oder hatte sich jemand seine Garage so eingerichtet? Auch das wäre nicht völlig abwegig – die Liebe zum Automobil treibt sympathisch-merkwürdige Blüten…

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Auf der Pirsch nach dem Frühling: Tatra 75

Ich weiß ja nicht, wo meine Leser alle wohnen – immerhin rund 4.000 verirren sich im Schnitt pro Monat in meinen Blog, da sollte sich schon eine tüchtige Streuung ergeben. Es sind auch etliche aus Übersee dabei, ansonsten die meisten aus dem deutschsprachigen Raum.

Da würde mich interessieren: Haben Sie dieses Jahr schon mehr als einen kühlen Gruß des Frühlings bekommen? An immerhin zwei sonnige und milde Tage kann ich mich erinnern. Heute nacht gibt es wohl wieder leichten Frost, wie es scheint.

Also alles im Rahmen üblicher Schwankungen im Monat April. Vermutlich denken die armen Schlucker, die sich gegen Bares für Klebstoff-Tests im Berufsverkehr missbrauchen lassen, dass sie im Alleingang den Klimawandel zum Stillstand gebracht haben.

Das passt mir nun gar nicht, und so mache ich mich mit Gleichgesinnten im verfemten Verbrennerauto und mit der Kamera bewaffnet auf die Pirsch nach dem Frühling.

Dabei hoffen wir, durch rücksichtsloses Herumfahren mit Bleifuß und großzügige CO2-Emissionen dem Klima auf die Sprünge zu helfen – allein: es will nicht gelingen:

Tatra 75 im April 1938; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Winter will sich einfach noch nicht geschlagen geben, speziell in höheren Lagen. Das muss dokumentiert werden, mit der Leica natürlich und auch das Datum wird präzis vermerkt: 18. April 1938.

Während wir zunehmend genervt versuchen, den Frühling zur erhaschen, ist unser adretter Wagen vollkommen entspannt und erfreut uns motorenseitig mit thermischer Stabilität.

Denn während manchem wassergekühlten Aggregat seinerzeit solche Verhältnisse ebenso zu schaffen machen konnten wie sommerliche Hitze, ist der luftgekühlte 4-Zylinder-Boxer schnell auf Betriebstemperatur und kennt mangels Wassermantel keine Frostprobleme.

Damit wären wir schon bei der Frage, welchen Wagen wir für unsere erfolglose Fotopirsch dem Frühling entgegen gewählt haben. Nun, so einen schicken luftgekühlten Wagen bauten damals nur die Tschechen, nämlich ab 1933 in Form des Tatra 75.

Der war mit 30 PS für damalige Verhältnisse in Mitteleuropa akzeptabel motorisiert und bot dank Kühlerattrappe das Erscheinungsbild eines eleganten wassergekühlten Automobils:

Tatra 75; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ein so kompaktes Fahrzeug mit einer an große Premium-Wagen erinnernden Cabriolet-Karosserie hinzubekommen, das war schon ein kleines Meisterstück.

Ohnehin verdient die Gestaltung tschechischer Automobile der 30er Jahre Bewunderung und es ist schade, dass sie in Deutschland heute nur vereinzelt anzutreffen sind.

Obiges Exemplar war übrigens in Wien zugelassen, wo solche Tatras ebenso wie in Deutschland auch gefertigt wurden (Austro-Tatra bzw. Detra).

Zwar gibt es in der Frontansicht gewisse Ähnlichkeiten mit zeitgenössischen DKWs, doch der Tatra 75 war aus meiner Sicht im Detail noch ein klein wenig raffinierter ausgeführt:

Eine dermaßen filigrane Stoßstange fand sich an keinem deutschen Fabrikat. Rein funktionell betrachtet mag das nicht ideal gewesen sein, aber die optisch prominenteren “Stoßecken” der DKWs waren letztlich auch nur ein notdürftiger Schutz.

Es ist ja gerade die offen vorgetragene Geringschätzung für eine rein sachliche Gestaltung, welche die meisten Kreationen der unmittelbaren Vorkriegszeit heute so faszinierend macht.

Als dieses Foto entstand, Mitte April 1938, hatten sich längst düstere Wolken über Europas politischem Himmel zusammengezogen und speziell in Deutschland rückte der Bedarf der der auf Hochtouren laufenden Rüstungsindustrie immer mehr in den Vordergrund.

Gleichzeitig stößt man immer wieder auf solche Zeugnisse reiner Idyllen, in denen selbst technische Schöpfungen noch ganz den Gesetzen der Ästhetik unterworfen waren.

Für uns Nachgeborene erscheinen solche Dokumente beklemmend, auch wenn unsere Altvorderen damals wirklich nur ganz harmlos auf Fotopirsch nach dem Frühling waren…

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Impressionen am Wegesrand: Praga “Alfa”

Die Freunde und Kenner der tschechischen Automarke Praga müssen es mir nachsehen, wenn ich heute die von ihnen geschätzten Wagen nicht zum Gegenstand einer akribischen Betrachtung mache, wie das sonst meist zu tun pflege.

Das liegt zum einen daran, dass ich mangels Literatur bislang nur eine oberflächliche Kenntnis der unterschiedlichen Praga-Typen und ihrer vielen aufeinanderfolgenden Generationen erlangt habe.

Zum anderen nutze ich geeignete Fotos bisweilen gern dazu, eher auf die Wirkung der alten Aufnahmen einzugehen und mir Gedanken grundsätzlicher Natur zu machen. So geht es auch diesmal eher um Impressionen, die ich quasi am Wegesrand meiner Beschäftigung mit den Automobilen und der Welt der Vorkriegszeit mitnehme.

Eine geschätzte Leserin, die sich im Scherz der Vorstellung hingibt, dass ich diesen Blog allein für sie verfasse, hat mir einmal die Frage gestellt, wo ich eigentlich mein Wissen und mein Urteilsvermögen zu diesem doch ziemlich speziellen Thema erlangt habe.

Nun, die Antwort ist ganz einfach – ganz lässig und vergnügt am Wegesrand:

Praga “Alfa”, aufgenommen im September 1930; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wenn man mit gesunder Neugierde ausgestattet ist, die Gegenwart nicht zwangsläufig in allen Belangen für die beste aller Welten hält und gelernt hat, die Dinge mit dem seziererischen Blick eines Gerichtsmediziners zu betrachten, dann stellt sich die Sachkunde nach ein paar Jahren der Betrachtung alter Autofotos ganz von alleine ein.

Allerdings hilft mir das glückliche Zusammentreffen einiger erworbener Fähigkeiten:

Da wäre der klare Blick für die Struktur in allen Dingen. So etwas erwirbt man beispielsweise, wenn man wie ich die Grammatik der lateinischen Sprache gründlich erlernt hat – aber ebenso wenn man mit dem Zerlegen und Zusammensetzen technischer Geräte großgeworden oder gar beruflich befasst ist, was bei mir leider nicht der Fall ist.

Das genaue Beobachten von Details und das Festhalten derselben habe ich über viele Jahre der ehrenamtlichen Arbeit auf archäologischen Ausgrabungen trainiert. Noch heute kann ich im Gewirr der Mauern in historischen Stätten mehrere aufeinanderfolgende Epochen erkennen und ansprechen.

Gerade letzteres ist wichtig: für die Dinge, die man wahrnimmt, auch Begriffe zu haben, um sie beschreiben oder andere auf sie hinweisen zu können.

Genug davon, wir wollen heute ja noch einiges an Strecke zurücklegen und schauen, was wir am Wegesrand an Eindrücken mitnehmen können. Das eingangs gezeigte Bild steht sinnnbildlich dafür ebenso wie das folgende.

Auch dieses ist nur ein eilig gemachter Schnappschuss, denn der Mensch ist ja immer unterwegs und hat es stets eilig, dabei hat er am Ende gar kein Ziel, oder doch? Nun, das bleibt jedem selbst überlassen, aber dass wir bloß auf einer kurzen Wanderschaft auf dem Weg durch die Unendlichkeit sind, darüber dürfte wohl Einigkeit herrschen.

Immerhin gibt es hin und wieder am Wegesrand Anlass zu Ausgelassenheit, dann vergessen wir für einen schönen Moment, dass wir eigentlich unablässig unterwegs sind:

Praga “Alfa”; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Haben Sie beim ersten Foto Ihren Blick für’s Detail geschult? Was ist ihnen dort als markant aufgefallen, was auf der zweiten Aufnahme ebenfalls zu sehen ist?

Die Doppelstoßstange? Nein, die war nicht markentypisch, die gab es – von US-Modellen inspiriert – bei vielen europäischen Wagen der zweiten Hälfte der 1920er Jahre, und sei es nur als Zubehör.

Dann vielleicht die eingeprägten Sicken in den Vorderkotflügel? Ebenfalls Fehlanzeige. Diese Form der Gestaltung findet sich bei den meisten Automobilen, bis sie gegen Ende der 20er von völlig abgerundeten Schutzblechen ohne eingeprägte Sicken abgelöst wurden.

Dann bleibt nicht mehr viel, genau genommen nur noch eines: Das dachartig gestaltete Blech unterhalb des Kühlergehäuses. Das hätte funktionell nicht so ausfallen müssen, also war es bewusst so ausgeführt worden, um der Kühlerpartie den Eindruck der Beliebigkeit zu nehmen.

Diese Blechpartie, die mit dem oberen Abschluss des Kühlers korrespondiert, findet sich beim Modell “Alfa” von Praga, welches über etliche Jahre mit laufenden Verbesserungen und Änderungen im Formalen gebaut wurde.

Das hilft uns nicht zuletzt deshalb, weil der Markenschriftzug auf den beiden bislang gezeigten Fotos wohl nur dann zu entziffern ist, wenn man bereits ahnt, dass es sich um Wagen von Praga handelt.

Mit diesen am Wegesrand aufgelesenen Details sind wir nun imstande, unsere kleine Reise auf den Spuren des Praga “Alfa” fortzusetzen.

Dabei machen wir ein letztes Mal Halt an einem Ort, der an einer Straße ins Unbekannte liegt. Doch diesmal werden uns dabei Impressionen zuteil, die weit über das bislang Erlebte hinausgehen und die das Auto in den Schatten stellen:

Praga “Alfa”, aufgenommen 1931; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Merkwürdig fremd wirkend ragt diese Villa im späten, geometrisch geprägten Jugendstil im Umfeld eines Straßendorfs auf (das Originalfoto ist weit größer und zeigt die Situation).

1911 wurde sie errichtet, wirkt aber zum Zeitpunkt der Aufnahme 20 Jahre später schon etwas mitgenommen – oder besser: vernachlässigt. Man hat den Eindruck, dass die Besitzer nach Fertigstellung und erst recht nach dem 1. Weltkrieg nicht mehr die Mittel hatten, das Grundstück fertigzugestalten und einen Ziergarten anzulegen.

Der primitive Zaun aus Holzlatten zwischen grob verputzten Pfählen ist sicher erst in den 1920er Jahren entstanden. Möglicherweise hatte die Villa den Besitzer gewechselt und wurde nun anders genutzt, eventuell als Pension.

Doch die Besitzer – offenbar an harte Arbeit gewöhnte Leute – hatten es mit Geschick und Fleiß zu einigem Wohlstand gebracht und präsentieren sich hier mit ihrem Automobil.

Freilich ist auch denkbar, dass bloß ein vermögender Verwandter zu Besuch war und seinen Wagen für diese Aufnahme zur Verfügung gestellt hatte.

Solche Situationen sind des öfteren festgehalten worden, als in Europa der Besitz eines Autos nur wenigen, sehr gut situierten Menschen möglich war. Dann ließ sich die bucklige Verwandtschaft gern auf diese Weise ablichten, so als habe sie selbst “es geschafft”.

Dabei nahm man mit instinktiver Geste Besitz von dem automobilen Wunderwerk und schaute selbstzufrieden in die Kamera:

Freilich zeigte man bei dergleichen Gelegenheiten auch, dass man in Sachen Mobilität auf dem Land nicht auf den Kopf gefallen war. So präsentiert sich hier das Töchterlein selbstbewusst mit seinem Reittier – einem Schaf auf Rädern!

Solche menschlichen Impressionen am Wegesrande sind es, die einem das Herz aufgehen lassen und mit einem Mal sind die motorisierten Gefährte nur noch vergängliches Beiwerk…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Wunsch oder Wirklichkeit? Ein NAG B2 um 1910

Überwiegend fällt die Wirklichkeit nicht so aus, wie man sich das wünscht – eine Grundkonstante des Daseins und Basis des Geschäftsmodells von Trittbrettfahrern aller Art – Glaubensstifter, Heiratsschwindler und Visagisten.

Doch bisweilen übertrifft auch die Wirklichkeit die Welt der Wünsche, nämlich dann, wenn sich etwas ereignet, was man nicht für möglich gehalten hat. Das von Ludwig Erhard initiierte deutsche “Wirtschaftswunder” der 1950/60er Jahre war so etwas.

Da wir in unseren Tagen von Vergleichbarem mangels qualifiziertem Regierungspersonal nur träumen können, müssen wir uns damit begnügen, dass uns im Privaten ab und zu etwas begegnet, das über unsere Vorstellungen und Erwartungen hinausgeht.

Ich weiß nicht, ob das bei dem Automobil der Fall ist, das ich Ihnen heute präsentieren möchte. Jedenfalls regt es dazu an, über Wunsch und Wirklichkeit zu sinnieren.

Man kann dieses rund 110 Jahre alte Dokument aber auch einfach so auf sich wirken lassen und sich seine ganz eigenen Gedanken darüber machen:

NAG um 1910; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Fremd wie ein Geschöpf aus einer fantastischen Urzeit schaut uns dieser Wagen an, und doch würde jeder dieses Fahrzeug sofort als Automobil ansprechen. So furchtbar viel hat sich nämlich an dieser genialen Erfindung nicht geändert.

Ja, aber inzwischen gibt es doch auch Elektroautos und die sehen schon anders aus, mag jetzt einer denken. Gewiss, das taten die Elektroautos aber damals auch.

Der Hersteller dieses Tourenwagens – NAG aus Berlin – hatte sogar selbst welche im Programm. Sie verkauften sich eine Weile recht gut, und das obwohl deren wohlhabende Käufer nicht einen Teil des Preises von ihren Mitbürgern zwangserstattet bekamen.

Einen solches NAG-Elektroauto stelle ich gelegentlich hier vor und ich darf schon jetzt sagen, dass ich mich darin verliebt habe – was mir beim Batteriewagenangebot unserer Tage bislang unmöglich erscheint (nicht nur wegen der aberwitzigen Kosten).

Wie gesagt, die altehrwürdige Berliner NAG war der Schöpfer des oben gezeigten recht großzügig dimensionierten Fahrzeugs. Zwar sind die Autos der seit 1903 mit Eigenkonstruktionen sehr erfolgreichen Marke an dem Rundkühler leicht zu erkennen.

Doch der genaue Typ ist meist nur anhand von Größenvergleichen einzugrenzen. Im vorliegenden Fall würde ich schon einmal das Einstiegsmodell N2 6/12 PS “Puck” ausschließen – es war im Vergleich wesentlich kompakter:

NAG Typ N2 6/12 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Zudem scheint der NAG auf meinem eingangs gezeigten Foto über eine etwas modernere Karosserie zu verfügen.

So besitzt sie bereits über einen “Windlauf”, also eine zur Frontscheibe bzw. zum Fahrerabteil hin ansteigende Blechkappe am hinteren Ende der Motorhaube.

Ab 1910 taucht dieses Element bei deutschen Serienautos auf, vorher fand es sich nur bei speziell für Sporteinsätze vorgesehene Wagen.

Genau dieses Detail wird uns noch einmal beschäftigen. Wir werfen erst einmal einen näheren Blick auf die Vorderpartie des aus idealer Perspektive fotografierten NAG:

An sich ist hier alles so, wie man es bei einem NAG aus der Zeit ab etwa 1905 erwarten würde. Ins Auge sticht jedoch die Plakette vorne am Kühlwassereinfüllstutzen.

Sie ist mir schon einmal begegnet, doch ist mir entfallen, auf welche Vereinigung sie hinweist – hier sind wieder sachkundige Leser gefragt.

Eventuell handelt es sich um einen Club von Sportsleuten, die bei Beginn des 1. Weltkriegs ihre Automobile dem Heer zur Verfügung stellten. Darauf deutet das auf dem Windlauf aufgemalte Kürzel und das Fehlen eines zivilen Kennzeichens hin.

Jetzt sind wir dem Punkt angelangt, an dem wir uns zwischen Wunsch und Wirklichkeit entscheiden müssen.

Schauen Sie sich doch einmal die Kühlerpartie direkt unterhalb des Einfüllstutzens an. Bilde ich es mir ein oder ist da tatsächlich “B2” zu lesen gefolgt von einer nicht zu entziffernden Kombination aus Ziffern, die durch einen Schrägstrich getrennt sind?

Mag sein, dass mir mein Gehirn einen Streich spielt und der Wunsch in meinem Kopf etwas Wirklichkeit werden lässt, was es gar nicht gibt. Dabei mag eine Rolle spielen, dass es andere Fotos von im 1. Weltkrieg auf deutscher Seite eingesetzter PKW gibt, bei denen auf dem Kühler die offizielle Typbezeichnung aufgemalt war – warum auch immer.

Nun gab es von NAG ab 1907 einen Typ “B2” mit (je nach Baujahr) variierenden Leistungsbezeichnungen: 40-45 PS, 31/50 PS, 29/55 PS, 26/45 PS. In jedem Fall handelte es sich dabei um einen großvolumigen Vierzylinder mit anfänglich 8, später 6,7 Litern.

Auch bei den Angaben zur Bauzeit geht es durcheinander (frühe NAG-Wagen sind wie bei vielen deutschen Autos üblich schlecht dokumentiert). Teilweise wird ein Bauzeitende von 1908 angegeben, teilweise aber auch 1909/10.

Denkbar ist nun Folgendes: Wir haben es entweder mit einem älteren NAG “B2” zu tun, der 1910 einen modernen Aufbau mit “Windlauf” erhielt – was öfters vorkam. Oder es handelt sich um ein Exemplar des ganz späten Typs B2a von 1910.

Vielleicht irre ich mich aber auch völlig und wir sehen hier doch einen der kleineren NAG, also einen N2 6/12PS “Puck” oder einen frühen Vertreter seines Nachfolgers K2 6/18 PS.

Letztlich ist es aber auch gar nicht so wichtig, denn Aufnahmen solcher NAG-PKW im Kriegseinsatz sind keineswegs ungewöhnlich. NAG lieferte daneben vor allem Lastkraftwagen an das deutsche Militär, aber das ist eine andere Geschichte.

Mich interessiert am Ende Ihr Urteil, was die von mir wahrgenommene Beschriftung des Kühlers angeht – Wunsch oder Wirklichkeit bzw. Typvermerk oder Straßenschmutz?

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Endlich in voller Pracht: O.M. 469 Tourer

Beinahe sechseinhalb Jahre ist es her, dass ich das Foto eines Tourenwagens der 1920er Jahre vorgestellt habe, welchen ich aufgrund von Indizien als O.M. 469 angesprochen hatte.

Zwar war ich mir meiner Sache damals schon ziemlich sicher, denn dieser kompakte 4-Zylinder-Typ der im oberitalienischen Brescia beheimateten “Officine Meccaniche” wurde von 1921 bis Anfang der 1930er gebaut und das am häufigsten verkaufte Modell der Marke.

Während der langen Bauzeit stieg der Hubraum von 1,5 auf 1,7 Liter und die Leistung von 30 auf 40 PS – nebenbei ein weiteres Beispiel für die allgemein höhere Leistungsausbeute italienischer Fabrikate im Vergleich zu deutschen.

Äußerlich tat sich auch einiges, wenngleich nicht von Jahr zu Jahr, das brachten interessanterweise nur die amerikanischen Großserienhersteller zustande. So ließ sich das Fahrzeug auf folgendem Foto nur vage auf “etwa Mitte der 1920er Jahre” datieren:

OM 469 Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Vorgestellt hatte ich den Wagen seinerzeit hier. So reizvoll diese Aufnahme auch ist, die vermutlich irgendwo im deutschen Sprachraum entstanden war, so musste doch der Wunsch offenbleiben, den Tourer in voller Pracht sehen zu dürfen.

Doch bei der Beschäftigung mit diesen alten Fahrzeugen muss man bisweilen Geduld haben, und selbige wurde kürzlich belohnt.

So steuerte Sammlerkollege Matthias Schmidt aus Dresden ein Foto aus seinem Fundus dar, welches das zeigte, was uns auf meiner obigen Aufnahme vorenthalten worden war:

OM 469 Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Beim Vergleich sind mir nur zwei Unterschiede aufgefallen: Das Vorhandensein von außenliegenden Türgriffen und der etwas andere Abschluss der Vorderkotflügel bei dem OM-Foto von Matthias Schmidt.

Beides ist nicht überzubewerten, zumal wichtige Details wie die Gestaltung der Haubenpartie und des Windschutzscheibenrahmens vollkommen übereinstimmen.

Darüber hinaus liefert uns die zweite Aufnahme weitere Informationen, welche eine etwas genauere Datierung erlauben: Zu sehen sind hier nämlich Bremstrommeln an den Vorderrädern, außerdem einfache Stoßdämpfer (die dosenförmigen Bauteile am vorderen Rahmenende). Beides spricht gegen eine Datierung auf die frühen 1920er Jahre.

Wir haben es sehr wahrscheinlich mit einem ab ca. 1925 gebauten OM 469 zu tun, viel genauer vermag ich es derzeit nicht zu sagen.

Zwar gibt es ein prachtvolles Buch zur Geschichte von OM (“Una storia nella storia“, Edizioni Negri, 1991) doch die PKW der 1920er Jahre werden dort nur anhand relativ weniger, wenn auch hervorragender Bilder, dokumentiert.

Dort findet sich immerhin auf Seite 94 das Foto eines weitgehend übereinstimmenden Toures des Typs 469, der auf “um 1927” datiert ist. Dieser Wagen wirkt in einigen Details etwas moderner, weshalb ich den OM auf dem Foto von Matthias Schmidt um 1925/26 verorten würde.

Das Nummernschild weist m.W. auf eine Zulassung in Österreich hin – vielleicht kann es jemand genauer sagen.

Jedenfalls ist es wieder einmal bemerkenswert zu sehen, was einst für eine Markenvielfalt auf unseren Straßen herrschte und dass selbst italienische Nischenfabrikate wie OM auch nördlich der Alpen Liebhaber fanden.

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Auf dem Weg ins Kloster: Ein Dürkopp von 1913

Der Gang ins Kloster war und ist für viele eine Entscheidung für’s Leben, eine ernstgemeinte Flucht aus der banalen Alltagswirklichkeit ohne Wiederkehr.

Man braucht kein gläubiger Christ zu sein, um dies zu respektieren. Denn der in einem geistlichen Orden zu findende Seelenfrieden wird durch Verzicht auf das meiste erkauft, was uns das Leben versüßt.

Mein Paderborner Großonkel Ferdinand war ein dem Leben zugewandter, heiterer und großzügiger Mensch. Was ich als Jugendlicher nicht verstand, war seine Leidenschaft für das fromme Leben der Franziskaner und Klarissen. Öfters in den 1960er und 70er Jahren war er ins umbrische Assisi gepilgert, wo beide Orden ihren Ursprung hatten, das wusste ich.

Heute reise ich selbst mehrere Male pro Jahr nach Umbrien, das grüne Herz Italiens, das mir ans Herz gewachsen und zur zweiten Heimat geworden ist. Ein Besuch in Assisi gehört jedesmal dazu und selbst wenn man sie x-mal gesehen hat, sind die Stätten des Wirkens des Heiligen Franz ergreifend, auch wenn man der Amtskirche längst den Rücken gekehrt hat.

Basilica di San Franceso, Assisi (Umbrien), November 2022

Vermutlich ist ein altes Kloster für die meisten mehr als ein bloßer Ausflugsort, auch wenn sie vielleicht “nur” wegen eines Konzerts oder zur erbaulichen Gestaltung des Wochenendes dorthin fahren.

Man spürt dort etwas vom Sehnen des Menschen nach etwas, das über ihn selbst und seinen Alltag hinausgeht – so unbestimmt es auch sein mag.

Auch unser heutiger Fotoausflug zu einem alten Kloster erschöpft sich nicht in der Bewunderung der meisterhaften und dauerhaften Architektur, der Schönheit der Formen, der oft rätselhaften Bildwelt, der friedvollen Atmosphäre.

Vielmehr offenbart sich uns vor erhabener Kulisse etwas, das zwar nur eitles Menschenwerk ist, aber dennoch auf himmlische Weise geeignet ist, manchen in Verzückung zu versetzen:

Dürkopp von 1913; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Auch der abgeklärteste Kenner von Altautofotos wird hier innerlich niederknien – denn viel perfekter lässt sich so eine Idylle nicht inszenieren.

An einer Kehre vor der Kulisse einer mächtigen Klosteranlage steht mittig platziert und aus idealem Winkel aufgenommen ein Tourenwagen aus der Zeit kurz vor dem 1. Weltkrieg.

Dem Fotografen ist nicht nur der Bildaufbau vollkommen gelungen. Eine glückliche Fügung – oder war es himmlischer Segen? – hat ihm auch noch eine Gruppe Kinder beschert, die am linken Bildrand in vorbildlich frommer Pose ausharren.

Ein Maler hätte sich das nicht besser ausdenken können, bloß dass er statt eines Automobils die Kutsche feiner Herrschaften auf die Leinwand gebannt hätte.

Genug des Schwärmens – im Orden der Vorkriegsauto-Anbeter wird auch strikte Einhaltung der Regel verlangt, wonach ein solches Fahrzeug möglichst genau zu identifizieren ist.

Zum Glück müssen wir dazu nicht lange in alten Folianten wälzen, denn uns ist diese Erscheinung auf vier Rädern wohlvertraut. Vor knapp einem Jahr haben wir uns auf deren Spuren hier schon einmal auf automobile Wallfahrt begeben.

So können wir routiniert herunterbeten, dass dieser Wagen ein Dürkopp sein muss – die Gestaltung des Kühler lässt keinen Zweifel, auch wenn die Herstellerplakette nicht erkennbar ist oder fehlt:

Allerdings bemerken wir kleine Unterschiede zu dem Fahrzeug, das wir einst als Dürkopp um 1912 identifiziert haben. Dazu zählen vor allem die seitlich angebrachten elektrischen Standlichter und die nun stärker abgerundeten Vorderkotflügel.

Rahmen und Vorderachse scheinen dagegen – soweit erkennbar – identisch zu sein. Vermutlich haben wir es daher mit einer äußerlich nur leicht modernisierten Version des Dürkopp zu tun, den wir seinerzeit als Typ NG 10/30 PS angesprochen hatten.

Man ist geneigt, diese Ausführung auf 1913 zu datieren, da ab 1914 eine neue Kühlerform bei Dürkopp Einzug hielt.

Wie im Fall höherer Wesen, die uns beobachten und lenken oder uns vielleicht auch einfach ignorieren, lässt sich nichts davon beweisen. Letztlich bleibt die Ansprache solcher Erscheinungen aus längst vergangenen Zeiten stets auch ein wenig Glaubenssache.

Merkwürdigerweise hat es etwas Kontemplatives, wenn man sich in das Studium dieser historischen Gefährte versenkt. Vermutlich ist es die Mischung aus Geheimnisvollem und dem Alltag Entrückten, welche diese Form der Ikonenanbetung so erbaulich macht.

Bleibt am Ende die weltliche Frage, vor welchem Kloster dieser Dürkopp denn einst auf so erfreuliche Weise für die Nachwelt festgehalten wurde. Der Wagen scheint im Raum Düsseldorf zugelassen gewesen zu sein.

Doch im Rheinland konnte ich kein Kloster ausfindig machen, dessen Kirche genau so aussieht. Kloster Marienstatt kommt dem zwar sehr nahe, aber mehr auch nicht.

Also: Wer hat eine Eingebung oder – noch besser – gefestigtes Wissen, was den Ort dieser Aufnahme angeht? Vielleicht können wir dem einen oder anderen Pilger dann den brennend heißen Wunsch nach Erkenntnis zumindest in dieser Hinsicht erfüllen…

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Tradition weicht Moderne: Hansa & Fiat anno 1925

Die Mitte der 1920er Jahre markiert eine Zeitenwende speziell am deutschen Automobilmarkt.

Bis dahin herrschten noch formale Konzepte vor, die sich bis 1913/14 zurückverfolgen lassen – vor allem repräsentiert durch mehr oder weniger spitz zulaufende Kühler, zwar bereits in Kombination mit elektrischer Beleuchtung, aber noch ohne Vorderradbremse.

Von wenigen Ausnahmen abgesehen war damit ziemlich genau im Jahr 1925 Schluss. Die Kühler wurden ab dann flach ausgeführt, Vorderradbremsen wurden Standard und wer bis dahin noch nicht auf Linkslenkung umgestellt hatte, tat es spätestens dann.

Was vielleicht nach Unterschieden in technischen Details klingen mag, ging mit einem unübersehbarem Wandel im Erscheinungsbild einher. Von einem Jahr auf’s andere sahen vor 1925 gebaute deutsche Autos “richtig alt” aus.

Diese Zeitenwende wird auch für den von derlei Feinheiten unbelasteten Betrachter auf folgendem Foto unmittelbar deutlich:

Hansa und Fiat im Januar 1925; Origimalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Diese von alter Hand auf Januar 1925 datierte Aufnahme mag technisch nur mittelprächtig sein, für uns Vorkriegsauto-Archäologen stellt sie einen Glücksfall dar.

Sicher wird mancher den links zu sehenden Hansa zunächst als Typ C 8/24 PS von 1913-14 oder als Typ D 10/30 PS ansprechen wollen, wie er im 1. Weltkrieg öfters anzutreffen war.

Doch ein Detail spricht dagegen – das auf die linke Seite gewanderte Lenkrad, welches sich erst beim Hansa 8/26 PS findet, der von 1921-24 gebaut wurde:

Zusammen mit Audi gehört Hansa zu den wenigen deutschen Autobauern, die schon Anfang der 1920er auf Linkslenkung umstellten.

Doch davon abgesehen, ist der Hansa 8/26 PS äußerlich kaum von seinem ab 1913/14 gebauten Vorläufer zu unterscheiden. Zwar wurden damals meist noch Gasscheinwerfer verbaut, doch optional gab es bereits elektrische Beleuchtung ähnlich der, die an diesem Nachkriegsexemplar zu sehen ist.

Typisch für noch in der Zeit vor dem 1. Weltkrieg verwurzelte traditionelle Konstruktionen war die mittig geschwungene Vorderachse, welche später einer gerade ausgeführten wich. Die Gründe dafür wird sicher ein fahrwerkstechnisch versierter Leser nennen können.

Das Fehlen von Stoßdämpfern ist ein weiteres Merkmal der damaligen Vorkriegstradition.

Völlig anders stellt sich nun der ebenfalls mit Tourenwagenaufbau versehene, doch deutlich größere Wagen auf der rechten Seite dar. Meines Erachtens handelt es sich um einen Fiat:

Die wesentlich modernere Anmutung dieses Wagens ergibt sich aus dem Zusammenspiel mehrerer Elemente.

Am markantesten ist sicher der flache Kühler, doch auch die Doppelstoßstange ist ein typisches Detail, das sich erst um die Mitte der 1920er Jahre durchsetzt.

Die mächtigen Scheinwerfer sind nun hochglänzend vernickelt, nicht bloß lackiert. Zudem machen sie durch ihre bessere Ausleuchtung der Fahrbahn die kleinen Zusatzscheinwerfer überflüssig, die sich um 1920 noch bei vielen Wagen finden.

Wer genau hinschaut, erkennt unterhalb der Stoßstange am vorderen Rahmenende die trommelförmigen Stoßdämpfer, deren Funktion auf der Reibung von Scheiben beruhte, die variabel gegeneinander gepresst werden konnten.

An den Vorderrädern, die nun Speichen aus Stahl statt solche aus Holz besitzen, fallen die sehr großen Trommelbremsen ins Auge. Sie sind der Hinweis dafür, dass wir es mit einem leistungsstarken Modell zu tun haben.

Vorausgesetzt, dass meine Fiat-These stimmt, kommt damit die 1925 eingeführte Flachkühlerausführung des nur vierzylindrigen Fiat 505 nicht mehr in Betracht. Es dürfte sich eher um einen der parallel angebotenen Sechszylindertypen handeln.

In Frage kommt zum einen der 1925 ebenfalls mit Flachkühler angebotene “kleine” Sechszylinder-Fiat 510 mit 46 PS aus 3,5 Litern. Zum anderen könnte es sich um das Spitzenmodell 519 handeln, das einen 77 PS starken 4,8 Liter-Motor besaß.

Ich tendiere zu dem ganz großen Typen, überlasse das Feld hier aber gern den Kennern unter meinen Lesern (bitte Kommentarfunktion nutzen).

Festzuhalten bleibt, dass dieses Foto uns nach bald 100 Jahren zum Zeitzeugen einer Zäsur macht, die sich im Straßenbild binnen kurzem unübersehbar bemekrbar machte. Dass meine Sympathie auch den damals rasch aussortierten traditionellen – und oft charakterstärkeren – Modellen gehört, bleibt davon unberührt.

Der Fortschritt braucht keine Nachhilfe – was überlegen ist, setzt sich von alleine durch. Doch die Bewahrung des Vertrauten und Verlässlichen, das dem Einzelnen oft genügt oder ihm schlicht ans Herz gewachsen ist, das erfordert Engagement – damals wie heute…

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Was zum Teufel…? Ein Cottin & Desgouttes

Heute darf ich einen verteufelt schwierigen Fall präsentieren, obwohl sich der Wagen eigentlich genau so präsentiert, wie man sich das wünscht:

Schön schräg von vorne aufgenommen, sodass man die Kühlerpartie ebenso studieren kann wie die Gestaltung der Vorderkotflügel und der Räder. Und dann prangt auch noch der Markenname unübersehbar auf dem Kühlergrill!

Was will man mehr? Nun, ein Datierungshinweis der fraglichen Aufnahme wäre wohl hilfreich, dann ließe sich auch der Typ eventuell zuverlässiger ermitteln.

Denn der seit 1904 aktive Hersteller aus Lyon – zunächst nur nach Gründer Pierre Desgouttes benannt, ab 1906 dann auch nach dem Kapitalgeber Cyrille Cottin – baute in den 1920er Jahren, in denen wir uns im fraglichen Fall bewegen, eine Reihe von Typen, die sich auf den wenigen erhaltenen Dokumenten oft stark ähneln.

Cottin & Desgouttes hatte nach Ende des 1. Weltkriegs zunächst die Produktion seiner Luxusmodelle mit bis über 7 Liter Hubraum wieder aufgenommen.

1922 brachte man dann den moderater, aber moderner motorisierten Vierzylindertyp M heraus – mit kopfgesteuerten Ventilen, Aluminiumkolben und fünf Kurbelwellenlagern, außerdem – wie andere französische Premiumfabrikate – bereits mit Vierradbremse.

So etwas scheint auf der folgenden Aufnahme links festgehalten zu sein:

Cottin & Desgouttes, aufgenommen in den 1920er Jahren am Roche du Diable in Lothringen; originale Ansichtskarte aus Sammlung Michael Schlenger

Keine Sorge, wir werfen gleich noch einen näheren Blick auf den hier unscheinbar wirkenden Tourer am linken Bildrand. Vorher sei noch darauf hingewiesen, wo diese Situation einst festgehalten wurde:

Am Roche du Diable im östlichen Lothringen war das. Von dort aus kann man einen grandiosen Blick auf den westlich gelegenen Lac de Longemer genießen. Östlich grenzt das Elsass an, man befindet sich etwa auf der Höhe von Colmar, aber in einer völlig anderen wildromantischen Landschaft.

Für die dort entlangführende Straße hat man den Felsdurchbruch später etwas erweitert, doch ansonsten sieht es dort noch ziemlich so aus wie vor bald 100 Jahren. Nur einem Cottin & Desgouttes wird man dort kaum noch begegnen.

Wagen dieser hochkarätigen Marke, die schon früh auch Nutzfahrzeuge baute (Gründer Desgouttes war zuvor bei Pierre Berliet als Konstrukteur beschäftigt) blieben stets rar. Bloß einige hundert Fahrzeuge pro Jahr wurden gebaut und nur wenige haben überlebt.

Zwar gibt es eine sehr informative Website und im April 2017 publizierte mein bevorzugtes Altauto-Magazin “The Automobile” ein Porträt der Firma, dennoch tue ich mich schwer mit der genauen Typansprache bei diesem speziellen Cottin & Desgouttes:

Dummerweise änderte sich die Kühlerform in der ersten Hälfte der 1920er Jahre kaum und auch die Scheibenräder (bzw. abgedeckten Drahtspeichenräder) findet man bei mehreren Typen, zu denen auch das sportliche Sechszylindermodell M6 Léger zählte.

Auch frühe Exemplare des 1925 entwickelten neuen Typs 11 CV “Sans Secousse” sahen noch genauso aus (siehe die Reklame hier). Dieses innovative Fahrzeug zeichnete sich unter anderem durch Einzelradaufhängung an allen vier Rädern aus.

Ich möchte nach derzeitigem Kenntnisstand nicht ausschließen, dass ein solcher Cottin & Desgouttes “Sans Secousse” einst am Roche du Diable haltmachte. Vielleicht liefert ja das Kennzeichen einen Datierungshinweis (bei französischen Nummernschildern möglich).

“Was zum Teufel ist das?” bleibt also vorerst die Frage und die vorläufige Antwort lautet “Ein Cottin & Desgouttes” der frühen bis mittleren 20er Jahre…

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Deutschlands britischster Roadster: Tornax Rex

Das Konzept des Roadsters scheint dem deutschen Wesen nicht ohne weiteres entgegenzukommen, so mein Eindruck.

Jedenfalls fand dieses radikal unvernünftige Konzept – leichter offener Zweisitzer mit Notverdeck und tiefem Türausschnitt – hierzulande nie die Anhängerschaft wie in England, wo diese maximal unbequeme Form der Fortbewegung mit viel Spaß verbunden wurde.

Während ein flott bewegter Roadster im englischsprachigen Raum noch lange nach dem Krieg große Popularität genoß, wurde das Feld von deutschen Herstellern kaum beackert.

Was in Deutschland als Roadster angeboten wurde, war zwar meist sehr elegant, hatte mit dem eigentlichen Gedanken aber nur wenig zu tun. Als Beispiel mag dieser hinreißende Horch 930 V Roadster mit Karosserie von Gläser dienen:

Horch 930 V “Gläser”-Roadster; Nachkriegsabzug nach Originalnegativ aus Archiv Friedrich Meiche

Diese Blechskulptur ist nebenbei ein Beispiel dafür, wie schön sich das Heck eines Automobils gestalten lässt, wenn ausreichend Länge dafür zur Verfügung steht.

Ein echter Roadster war dies freilich nicht, dagegen sprechen schon die Kurbelfenster in den nur ansatzweise ausgeschnittenen Türen.

Formal gesehen puristisch umgesetzt wurde das Roadster-Ideal dagegen von Audi mit dem Typ 225 “Front Raodster”, wenngleich der Vorderradantrieb eigentlich nicht dazu passte:

Audi 225 Front Roadster; originale Ansichtskarte aus Sammlung Michael Schlenger

Bezeichnenderweise war dieser perfekt gestaltete Roadster nur kurz in Produktion, die Stückzahlen waren minimal.

Nur Exotenstatus sollten auch die von Kennern bis heute geschätzten BMW-Roadster des Typs DA3 haben, die 1930/31 unter der Bezeichnung “Wartburg” im von Dixi übernommenen Werk in Eisenach gefertigt wurden.

Hier sehen wir das Düsseldorfer Dixi-Urgestein Helmut Kasimirowicz am Steuer seines (inzwischen verkauften) BMW “Wartburg” am Rhein gegenüber Schloss Drachenburg:

BMW 3/15 Typ DA3 “Wartburg Roadster”, Baujahr: 1930/31; Bildrechte: Helmut Kasimirowicz (Düsseldorf)

Die minimalistische Ausführung dieses Wagens entspricht dem britischen Konzept des Roadsters vollkommen. Tatsächlich konnte mit dem BMW Wartburg auch mancher sportlicher Lorbeer errungen wurden – es war also kein reines “Poser”-Auto.

Den Inbegriff des BMW Roadsters stellte dann der 328 von 1937-39 dar, ein formal wie technisch brillianter Wurf.

Allerdings war dieser wie schon die BMW Roadster auf Basis der Typen 313, 315 und 319 nach Ansicht der gusseisernen Fraktion beinahe schon zu perfekt und zu gefällig.

Rustikaler und aus meiner Sicht optisch raffinierter war indessen ein anderer Roadster deutscher Provenienz. Leider ist er viel schwerer greifbar als die BMW Roadster, jedenfalls was historische Fotos davon angeht.

Das erste Mal begegnet ist mir das Fahrzeug auf einem Sammelbild der 1930er Jahre:

Tornax “Rex”; originales Sammelbild von Mitte der 1930er Jahre

Wüsste man nicht, dass dieses wie ein Raubtier auf dem Boden kauernde Geschöpf vom deutschen Motorradbauer Tornax (Wuppertal) geschaffen wurde, so würde man vermutlich Stein und Bein schwören, dass es sich um einen Briten-Roadster handeln müsse.

Tornax verwendete dabei als Antrieb einen frisierten Zweizylinder-Zweitaktmotor von DKW und übenahm auch den kompletten Vorderradantrieb. Dazu konstruierte man einen Zentralrohrrahmen, auf den man diese großartig gestaltete Karosserie schraubte.

Gern wüsste man, wer für diesen Entwurf verantwortlich war, der in der Roadsterkategorie alles in den Schatten stellte, was die großen deutschen Autohersteller damals anboten.

Wie im Fall des Audi 225 Front Roadster blieb die Produktion überschaubar, in der Literatur findet sich die Zahl von 150. Das ist sicher nur eine Schätzung – vielleicht zu hoch gegriffen gemessen an der Seltenheit zeitgenössischer Aufnahmen.

Die erste, die ich vor ein paar Jahren selbst entdeckt habe, ist diese:

Tornax “Rex”; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Auch wenn man hier nur die Kühlerpartie mit dem Schriftzug “Tornax” sieht, ist das eine bemerkenswerte Aufnahme. Entstanden ist sie auf einer Fähre irgendwo im Mittelrhein – im Hintergrund nähern sich bedrohlich wirkende Frachter, großartig!

Großartig ist auch die extrem niedrige Windschutzscheibe – solche Details sind ebenso Ausweis einer minimalistischen Interpretation des Roadster-Themas wie die “Cycle-Wings”, die nach Motorradart gestalteten mitdrehenden Vorderschutzbleche.

So flach wie kein anderer Roadster aus deutscher Produktion kam der Tornax “Rex” daher – das ahnt man auf dieser Aufnahme eines überlebenden Exemplars aus dem Jahr 1952:

Tornax “Rex”; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Leser meines Blogs, die mir auch nach einigen Jahren subjektiver Auseinandersetzung mit Vorkriegsautos und allerlei Abschweifungen treu geblieben sind, werden jetzt völlig zurecht anmerken:

“Heute macht es sich unser Blog-Wart etwas einfach, diese Aufnahmen kennen wir längst”.

Richtig, aber mir ist schon selbst klar, dass ich beim Titel “Deutschlands britischster Roadster” nicht mit einem müden Aufguss bekannten Materials davonkomme.

Zum Glück hat mir Leser und DKW-Experte Volker Wissemann vor längerer Zeit ein entsprechendes Dokument in digitaler Kopie zur Verfügung gestellt, das seinesgleichen sucht.

Denn egal wie viele (oder wenige) Fotos des Tornax “Rex” Sie schon gesehen haben, dieses hier dürfte einzigartig sein:

Tornax “Rex”; Originalfoto: Sammlung Volker Wissemann

Noch britischer kann ein deutscher Roadster kaum wirken, meine ich.

Denkt man sich das Nummernschild (Pfalz) und das deutsche Nationalitätskennzeichen weg, wären der im ärmellosen Unterhemd agierende Mann und die Architektur der einzige Hinweis darauf, dass dieses sprungbereit dastehende Sportgerät nicht auf “der Insel” zuhause war.

Deutlich sieht man hier, dass die Karosserie reine Manufakturarbeit war, also von Hand über Holzmodellen zurechtgehämmert wurde. Ein hübsches Detail ist die offenbar verchromte Einfassung des Reserverrads; sie unterstreicht die Exklusivität des Wagens.

Gern wüsste man, wo genau einst dieser Tornax “Rex” zuhause war, der es scheinbar kaum erwarten konnte, dass das Hoftor aufgeht und er an einem strahlenden Sommertag die Straßen der Region unsicher machen kann:

Es hätte alles so schön sein können mit Deutschlands britischstem Roadster, nicht wahr?

Ideologische Wahnvorstellungen der deutschen “Eliten”, unterstützt von einer hinreichend großen Masse eines staatsgläubigen Bürgertums sollten dem im Wege stehen…

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Fund des Monats: Ein “Velie” von 1925 in Wiesbaden

US-Automobilhersteller waren bereits kurz nach 1900 am deutschen Markt präsent. Die ersten Unternehmen aus Übersee, deren Fahrzeuge sich hierzulande verkauften bzw. die in Lizenz nachgebaut wurden, waren vermutlich Oldsmobile und Locomobile.

Hier haben wir eine auf etwa 1902 datierbare Anzeige, mit der ein von Locomobile entwickelter Dampfwagen beworben wurde. Damals redeten noch keine fachfremden Bürokraten in die technologische Entwicklung hinein, weshalb in der Frühzeit Autos mit Elektro-, Benzin- oder Dampfantrieb frei konkurrieren konnten:

Locomobile-Reklame um 1902; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Ab etwa Mitte der 1920er Jahre war praktisch jeder US-Hersteller von mehr als nur regionalem Rang am deutschen Markt aktiv.

Teils importierte man komplette Fahrzeuge, teils montierte man sie in Deutschland, oft in Verbindung mit einer im Inland gefertigten Karosserie.

Ende der 1920er Jahre waren US-Fabrikate auf deutschen Straßen allgegenwärtig; die entwicklungs- und produktionstechnisch damals noch rückständige deutsche Autoindustrie vermochte die rasch zunehmende Nachfrage nicht annähernd zu stillen.

Doch es gab noch einen weiteren Weg, auf dem amerikanische Autos nach Deutschland gelangen konnten, nämlich im “Bordgepäck” gut situierter Reisender aus den Staaten.

Dass es keineswegs ungewöhnlich war, den eigenen Wagen auf Deutschlandtour mitzunehmen, belegt eine Broschüre, die seinerzeit über die deutsche Touristeninformation in New York vertrieben wurde und sich gezielt an US-Reisende wandte, welche die Sehenswürdigkeiten auf eigener Achse erfahren wollten:

Broschüre der Reichsbahnzentrale für den deutschen Reiseverkehr von 1934; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Das mir vorliegende Exemplar stammt zwar aus dem Jahr 1934 – es erwähnt unter anderem das Autobahnprojekt des nationalsozialistischen Regimes und die Planungen für die Olympischen Spiele 1936.

Doch basiert es erkennbar auf einer früheren Ausgabe der 1920er Jahre. Darauf weisen neben dem weitgehenden Fehlen von Staatspropaganda auch einige Abbildungen hin.

So findet sich auf der folgenden Darstellung der Reise über den Atlantik links unten ein Chevrolet des Modelljahrs 1928, der wenige Jahre später in den USA heillos veraltet war:

Broschüre der Reichsbahnzentrale für den deutschen Reiseverkehr von 1934; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Zu den Höhepunkten einer Deutschlandreise, die in dieser Broschüre angepriesen werden, gehören neben den historischen Städten, den modernistischen Bauten der 1920er Jahre, der großen Musiktradition und -stätten auch die zahlreichen mondänen Kurorte.

Neben Baden-Baden werden hier – kaum überraschend – Bad Nauheim (meine Heimatstadt) und Wiesbaden angeführt, die damals noch Bäder von internationalem Rang waren.

Nicht nur aus Lokalpatriotismus will ich auch die entsprechende Seite aus der erwähnten Broschüre zeigen:

Broschüre der Reichsbahnzentrale für den deutschen Reiseverkehr von 1934; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Tatsächlich lässt sich von hier – konkret von Wiesbaden aus – eine treffliche Brücke zu dem Fahrzeug schlagen, das ich heute als Fund des Monats März 2023 präsentiere.

Auf den ersten Blick handelt es sich um ein völlig unscheinbares Fahrzeug, doch bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass es perfekt das illustriert, worum es in der obigen Broschüre geht – nämlich als US-Tourist mit dem eigenen Wagen in Deutschland unterwegs zu sein.

Wer Wiesbaden kennt, wird sogleich erkennen, dass diese Aufnahme auf dem hoch über der alten Römerstadt gelegenenen Neroberg entstanden sein muss, wo noch heute der klassizistische Rundtempel steht, der hier im Hintergrund zu sehen ist:

Velie von 1925; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Das im Original stark verblasste Foto dürfte der Komposition und technischen Qualität nach zu urteilen von einem vor Ort tätigen Berufsfotografen angefertigt worden sein.

Der großgewachsene Herr mit dem breitkrempigen Hut ist aus meiner Sicht der “reiche Onkel” aus Amerika, der seine Deutschlandreise vermutlich zum Verwandtenbesuch nutzte. Dier vier übrigen Personen sind wohl Einheimische.

Zunächst war mir die Sache mit dem hierzulande in dieser Ausführung untypischen Hut gar nicht aufgefallen. Das bemerkte ich erst, als ich den Wagen als US-Fabrikat identifiziert hatte.

Möglich war mir das übrigens nur, weil man auf der Nabenkappe des Vorderrads ein auf dem Kopf stehendes “V” erkennen kann und ich mangels Kandidaten aus dem deutschsprachigen Raum vermutete, dass es sich um einen amerikanischen Wagen handeln könnte:

Zum Glück umfasst der Abschnitt im “Standard Catalog of American Cars” von Kimes/Clark, der sich US-Marken mit Anfangsbuchstaben “V” widmet, nur rund ein Dutzend Seiten.

So landete ich rasch bei der 1908 von Willard L. Velie in Moline (Illinois) gegründeten Marke, von der ich zuvor noch nie gehört hatte.

Velie hatte als Hersteller landwirtschaftlicher Wagen angefangen und dank des Geldes seiner Mutter – Erbin des Landmaschinenriesen John Deere – gelang der Einstieg in die Serienproduktion von Automobilen.

Auf Einbaumotoren folgten später selbstkonstruierte Vierzylinderaggregate mit um die 40 bis 50 PS. Ab 1914 bot man außerdem kleine 6-Zylinder an, ab 1920 auch große. Die Produktion war zwar rentabel, aber stückzahlenmäßig nach US-Maßstäben unbedeutend.

Nach einem Hoch von 7.000 Fahrzeugen im Jahr 1920 pendelte sich die Produktion bei gut 4.000 Wagen jährlich ein. Daher halte ich es für weniger wahrscheinlich, dass Velie einst einen Vertrieb in Deutschland unterhielt.

Beweisen kann ich natürlich nicht, dass der einst auf dem Wiesbadener Neroberg für die Nachwelt festgehaltene Velie tatsächlich mit dem Herr mit breitkrempigen Hut über den Großen Teich gekommen war, doch plausibel erscheint es.

Datieren lässt sich das Fahrzeug, dessen eigenwillig gestalteter hinterer Rahmenausleger die Identifikation erleichterte, auf etwa 1925. Als Motor dürfte ein knapp 50 PS leistender 6-Zylinder verbaut gewesen sein.

Bereits 1929 endete die PKW-Produktion von Velie, nachdem Firmengründer Willard L. Velie und sein gleichnamiger Sohn kurz hintereinander verstorben waren.

Auch vor diesem Hintergrund dürfte dieses schöne Foto mit einem Velie aus deutschen Landen ziemlich exklusiven Charakter haben. Wer mehr über etwaige Europa-Aktivitäten dieser Marke weiß, möge dies über die Kommentarfunktion kundtun.

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Geht doch! Ein Loreley 6/14 PS von 1908

Um etwaigen Missverständnissen vorzubeugen: “Geht doch!” ist nicht mit der Anweisung an den ordinären Untertan zu verwechseln, sich wieder per pedes zur Arbeit aufzumachen, wenn man sich kein Elektroauto leisten kann. Denn man kann ja auch mit dem Rad fahren wie vor dem Krieg, nicht wahr? – Kleiner Scherz am Rande…

Wer meinen Blog schon länger verfolgt, der weiß, dass ich die Auffassung vertrete, dass das Automobil für jedermann die demokratische Erfindung schlechthin ist – eine Errungenschaft, die es gegen Kreise hierzulande zu verteidigen gilt, die Auto- und Flugverkehr ganz gern wieder für den neuen Adel unserer Tage reservieren möchten.

Nein, “Geht doch!” ist heute bloß ein Ausruf, der meiner Zufriedenheit mit der Tatsache Ausdruck verleiht, dass immer noch prächtige Zeugnisse sonst nur mäßig dokumentierter Fahrzeuge aus der automobilen Kinderstube auftauchen.

Heute darf ich das am Beispiel eines Wagens der Marke Loreley illustrieren, die 1906 von der Maschinenfabrik Rudolf Ley im thüringischen Arnstadt ins Leben gerufen wurde.

Den Anfang machte ein 6/10 PS-Vierzylindertyp, der auf zeitgenössischen Reklamen auch mit “9-10 PS” beworben wurde, was sich damals noch auf die Dauer- bzw. Spitzenleistung bezog und nicht als “9/10 PS”-Angabe (Steuer-PS/Nennleistung) zu interpretieren ist.

Verfügbar war dieses Modell als Zweisitzer mit kurzen Radstand, aber auch als vollwertiger Tourer (damals oft noch “Doppel-Phaeton” genannt). Bis 1908 wurde die Spitzenleistung bei annähernd unverändertem Hubraum (1,5 Liter) auf 14 PS erhöht.

Eine sehr mäßige Prospektabbildung dieses 6/14 PS-Loreley mit viersitzigem Aufbau findet sich etwa im Standardwerk “Autos in Deutschland 1885-1920” von Hans-Heinrich v. Fersen, das auch nach bald 60 Jahren mitunter noch gute Dienste tut.

Schon deutlich besser ist die Abbildung eines Loreley-Tourers 6/14 PS, die sich auf der Ley-Website von Manfred Kaiser in der Rubrik “Automobilbau” findet. Aus ähnlicher Perspektive, nämlich von der Seite, ist ein weiterer Wagen dieser Ausführung in “Autoland Thüringen” von Horst Ihling abgebildet (S. 36).

Bloß die ideale Ansicht schräg von vorne, die blieb uns bis dato vorenthalten, wenn ich das richtig sehe. Doch dank des Sammlerglücks von Matthias Schmidt aus Dresden kann ich heute rufen: “Geht doch!”

Loreley 6/14 PS um 1908; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Jetzt wissen wir auch, wie der Kühler eines solchen frühen “Ley-Wagens” aussah, in dem sich hier einige junge Herren haben ablichten lassen.

Die Ausführung des “Loreley”Schriftzugs scheint es übrigens so nur bis 1909 gegeben zu haben, was ausgezeichnet zu dem Erscheinungsbild des Autos passt, das man auf jeden Fall auf “vor 1910” datiert hätte.

Da das Auto etwas mitgenommen aussieht, könnte ich mir eine Entstehung des Fotos kurz vor dem 1. Weltkrieg, vielleicht sogar noch kurz danach vorstellen. So oder so gehörte ein solcher Loreley wie auch der dahinterstehende “Adler” bereits zum alten Eisen.

In der Frühzeit entsprachen fünf Jahre einer ganzen Automobilgeneration – heute undenkbar. Undenkbar wäre damals gewesen, dass sich 100 Jahre später praktisch jedermann (noch…) ein eigenes Fahrzeug leisten kann.

Wollen wir wirklich wieder zurück in die Klassengesellschaft, in der individuelle Mobilität das Privileg weniger Gutsituierter (bzw. vom Steuerzahler Ausgehaltener) ist?

“Geht gar nicht!” – ist meine Antwort.

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Gruß vom Adler aus Italien: Aquila

Am Wochenende bin ich von einer meiner kleinen Fluchten nach Italien zurückgekehrt – zumindest physisch.

Wieder war ich in Umbrien – der einzigen italienischen Region, die nicht ans Meer grenzt und die eine Balance aus Natur und Menschenwerk bietet, die ihresgleichen sucht.

Am Morgen der Abfahrt von meinem Aufenthaltsort Collepino bot sich mir folgender Anblick:

Blick auf Spello (Umbrien) von Osten, März 2023: Bildrechte: Michael Schlenger

Dies ist das an den Ausläufern des Monte Subiaso gelegene Städtchen Spello – wie alle umbrischen Hügelstädte über 2.000 Jahre alt, dennoch voller Leben und mit Hingabe gepflegt.

Keine Bausünde der Nachkriegszeit trübt das Bild, hier wurde und wird nur der örtlich anstehende leicht rosafarbene Kalkstein verbaut und auch bei Sanierungen nur der typische Tondachziegel verwendet, dessen Form sich seit der Römerzeit nicht verändert hat.

Niemand kommt auf solche Geschmacklosigkeiten und Primitivlösungen, wie sie im “reichen” Deutschland seit Jahrzehnten beim Bauen im historischen Bestand gang und gebe sind. Dabei lag diese Region 1945 ebenso am Boden und die Menschen waren bitterarm.

Die Front zwischen Wehrmacht und Alliierten war gnadenlos auch durch diese idyllische Welt gewandert. Weder US-Bombenterror noch verstörende Verbrechen des deutschen Militärapparats an Zivilisten blieben den Umbrern erspart.

Erst ab den 1960er Jahren begann sich die Region – wie das übrige Italien – zu erholen. Ungebrochen ist der Stolz auf eine uralte Geschichte und eine Kulturlandschaft, deren Anmutung sich seit der Antike nicht geändert hat, sieht man vom Gewerbe in der Ebene ab.

Die fruchtbaren Böden werden nicht für den Anbau sogenannter Biokraftstoffe missbraucht, die Hügel und Berge sind nicht den Profitinteressen der Windindustrie geopfert worden. Umbrien ist im wirklichen Sinn grün geblieben, nicht grünlackierten Lobbys ausgeliefert.

Diese Eindrücke sind aber nicht alles, was ich aus dem Land südlich der Berge mitgebracht habe. Vielmehr darf ich automobile Grüße vom italienischen Adler überbringen.

Vielleicht denkt jetzt einer an die gleichnamige Marke aus Frankfurt/Main, die tatsächlich sehr früh auch in Italien eine Niederlassung unterhielt:

Adler-Reklame von 1906/07; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Dies ist das erste und einzige Zeugnis früher Adler-Wagen aus Frankfurt/Main aus Italien, das mir bislang begegnet ist.

Dass Automobile von Adler dort größere Verbreitung fanden, wage ich zu bezweifeln, denn Wagen vergleichbarer Qualität brachte die italienische Industrie selbst zustande. Und sogar mit dem Namen “Adler” hatten die Frankfurter kein Alleinstellungsmerkmal.

So waren es bereits vor über 2.000 Jahren die römischen Legionen, die mit ihren Feldzeichen den Adler als erste in andere Länder gebracht hatten – zunächst gewaltsam, dann mit den Segnungen einer haushoch überlegenen Zivilisation.

Da wundert es nicht, dass der Adler schon lange vor der faschistischen Episode unter Mussolini als symbolträchtige Figur herhalten musste.

Hier schmückt er die Monatsschrift des italienischen Touring Clubs von Oktober 1916, die mir mein Wetterauer Oldtimer-Kamerad Rolf Ackermann zur Verfügung gestellt hat:

Mitgliederzeitschrift des Touring Club Italiano von 1916; Original aus Sammlung Rolf Ackermann

Wer schon immer wissen wollte, was das Vorbild des Adlers der deutschen Luftwaffe ab den 1930er Jahren war, weiß es jetzt vermutlich.

Nebenbei: Weite Teile der als ikonisch geltenden Symbolik im NS-Regime sind der Ästhetik im späteren italienischem Faschismus entlehnt, um es wertfrei auszudrücken.

“Aquila” heißt der Adler im Lateinischen und wie etliche andere antike Wörter hat er es unverändert ins Italienische geschafft.

Etwa zu dem Zeitpunkt, als Adler aus Frankfurt/Main die oben gezeigte Reklame in Italien platzierte, also 1906, wurde in Turin die “Fabbrica Italiana d’Automobili Aquila” gegründet.

Man war vielleicht etwas später dran als der Namensvetter aus Deutschland, doch dafür machte man gleich Nägel mit Köpfen.

Während viele Hersteller noch mit separat gegossenen Zylindern arbeiteten, besaßen die von Giulio Cesare Cappa konstruierten Aquila-Wagen von Anfang an einen einzigen Motorblock und das Getriebe war direkt angeflanscht.

Die Kurbelwelle lief in Kugellagern, die Einlassventile befanden sich strömungsgünstig im Zylinderkopf und als erster Serienhersteller überhaupt verbaute Aquila Leichtmetall-Kolben. Wie gesagt: 1906/07!

Neben Vierzylindern bot Aquila früh auch Sechszylindermotoren an, die bei deutschen Fabrikaten damals eine seltene Ausnahme blieben. Mit diesem Programm blieb man bis in den 1. Weltkrieg präsent.

Besonders stolz war man darauf, dass sich Aquila-Wagen auch im Ausland einiger Beliebtheit erfreuten, darunter auch den USA und sogar Australien. Das ergibt sich aus einem Bericht in der Mitgliederzeitschrift des Touring Club Italiano von Juni 1914.

Auch dieses Originaldokument verdanke ich Rolf Ackermann, hier das Titelblatt:

Mitgliederzeitschrift des Touring Club Italiano von Juni 1914; Original aus Sammlung Rolf Ackermann

Die Auflage von 160.000 Stück ist für das Jahr 1914 bemerkenswert hoch, auch wenn sicher nicht alle Exemplare an die italienischen Clubmitglieder (“soci”) gingen.

Zum Vergleich: Im Deutschen Reich gab es Mitte 1914 insgesamt gerade einmal 95.000 PKW, Motorräder und LKW (Quelle: Otto Meibes, Die deutsche Automobilindustrie, 2. Auflage, 1928).

Insofern scheint das Automobil kurz vor dem 1. Weltkrieg in Italien mindestens eine derartige Aufmerksamkeit genossen zu haben wie in Deutschland.

Zurück zum italienischen Adler – dem Aquila aus Turin. In der erwähnten Zeitschrift von Juni 1914 findet sich eine lobende Besprechung (oder eher als solche verkappte Reklame) des kleinen Vierzylindertyps K mit 15 PS Leistung:

Mitgliederzeitschrift des Touring Club Italiano von Juni 1914; Original aus Sammlung Rolf Ackermann

Hervorgehoben wird die Belastbarkeit und absolute Zuverlässigkeit der Konstruktion, die viele tausend Kilometer klaglos bei moderatem Benzinverbrauch absolviert, wie Langstrecken-Prüfungen in Frankreich erwiesen haben.

Am Ende wird neben dem 15 PS-Typ ein weiteres Vierzylindermodell mit 30 PS Spitzenleistung sowie ein großer Sechszylinder erwähnt, der 50 PS leistet, außerdem ist die Rede von Einbaumotoren mit bis zu 200 PS.

Hier haben wir noch einmal den kompakten Aquila K-Typ von 1914 in der Ausführung als offener Zweisitzer mit sportlich anmutenden Drahtspeichenrädern:

Mitgliederzeitschrift des Touring Club Italiano von Juni 1914; Original aus Sammlung Rolf Ackermann

Nur ein Jahr später, im August 1915, werden in der Mitgliederzeitschrift des Touring Club Italiano erneut die Meriten des Aquila Tipo K hervorgehoben.

Dabei wird auf die laufende Verbesserung im Detail hingewiesen, die sich nicht notgedrungen auch in äußerlichen Merkmalen niederschlagen muss.

Immerhin wird nun neben dem bereits bekannten Sport-Zweisitzer auch eine fünfsitzige Tourenwagenausführung gezeigt, außerdem eine LKW-Version:

Mitgliederzeitschrift des Touring Club Italiano von August 1915; Original aus Sammlung Rolf Ackermann

Inzwischen ist der 1. Weltkrieg in vollem Gang und seit Mai 1915 befindet sich Italien im Krieg gegen Österreich-Ungarn, ohne bis Kriegsende 1918 wirklich relevante Gebietsgewinne erzielen zu können. Die gab es dafür anschließend anstrengungslos in Form von Südtirol.

Unterdessen hatte die Fabbrica Italiana d’Automobili Aquila bereits 1917 die Segel gestrichen. Der einstige Chefkonstrukteur Giulio Cesare Cappa sollte später bei Fiat und anderen italienischen Herstellern wie Ansaldo und OM noch zu großer Form auflaufen.

Das aber ist eine andere Geschichte, die nichts mehr mit dem Adler aus Turin zu tun hat…

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Braucht keinen Titel: Praga “Lady” von 1935

Ein Mensch, der sich seiner Kompetenz bewusst ist, und ein Charakter, der mit sich selbst im Reinen ist, braucht keinen Titel.

Davon war ich früh überzeugt, wissend wie sehr mancher in der Familie nach einem “Doktor” gierte oder sich gar adlige Abkunft herbeiphantasierte.

Nichts gegen einen durch solide Forschung oder das Glück einer uralten Familientradition erworbenen Titel. Doch nichts ist erbärmlicher als ein erschwindelter oder gekaufter.

Geistesadel braucht ohnehin kein “von und zu” und professionelle Exzellenz kommt ohne die angloamerikanischen Funktionstitel “Manager”, “Director” usw. aus, die man heute durch eine gewisse Spezialisierung mehr oder minder automatisch erwirbt.

Mit dem Foto und dem darauf abgebildeten Automobil, um das es heute geht, verhält es sich ähnlich. Beide brauchen keinen Titel, sie sagen über sich selbst schon alles:

Praga “Lady” von 1935; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Na, wissen Sie, was wir hier von uns haben? Auf die “Lady” wäre wohl jeder selbst gekommen, aber dass damit das Auto gemeint sein könnte, wer hätte es gewusst?

Ich jedenfalls hatte keine Ahnung davon, als ich begann, mich mit dem frisch erworbenen Abzug der 5 Euro-Billigklasse zu beschäftigen. Wenn man ständig nach solchen Sachen sucht, wird man etwas knauserig – doch oft genug zahlt sich das aus.

Mein Bauchgefühl sagte mir, dass es sich um ein tschechisches Fabrikat handeln muss. Es ist schwer zu beschreiben, aber die Tschechen pflegten speziell in den 1930er Jahren einen eigenen Stil in der Autogestaltung, den ich schätze.

Zunächst dachte ich an einen Skoda Popular “Rapid” ähnlich dem hier abgebildeten Cabrio:

Skoda Popular Rapid; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Letztlich beschränkte sich die Übereinstimmung jedoch nur auf die Gestaltung des Luftauslasses in der Motorhaube.

Das für Skoda typische Emblem bzw. die entsprechende Kühlerfigur – ein Pfeil mit stilisierter Schwinge – fand sich nämlich nicht auf der Frontpartie des Wagens auf meinem Foto.

Leider stand die “Lady” mit dem bis in die 1950er Jahre typischen Kleid nicht mehr für eine Auskunft zur Verfügung. Dass sie heute noch gute Figur neben dem Automobil macht, hätte ihr sicher gefallen.

Sorgfältig frisiert, mit Lippenstift, großen Ohrsteckern und auffälliger Halskette wusste sie das Beste aus sich zu machen und wirkte selbstbewusst genug, um der Neugier eines größeren Publikums standzuhalten.

Ich könnte mir sie gut als Opernsängerin vorstellen beispielsweise. Ganz gleich, was Ihnen zu dieser Lady einfällt, wir konzentrieren uns jetzt auf das Markenemblem des Autos, ja?

Praga “Lady” von 1935; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

“Das ist das Kühleremblem von Praga”, weiß man, wenn man entweder ein Kenner tschechischer Vorkriegsmarken ist oder öfters auf der fabelhaften Website von Claus Wulff herumstöbert, wo man einige prächtige Exemplare davon findet.

Von hier ist der Weg nicht weit zur endgültigen Identifikation des Wagens als Praga mit dem Namen “Lady”, den man sich hier kaum passender vorstellen könnte.

Dieses ab 1935 gebaute Auto war trotz bescheidener Dimensionen und moderater Leistung – es besaß einen 1,7 Liter-Vierzylinder mit 35 PS (gerade 3 mehr als der Mercedes 170 W15) – ein absolutes Schmuckstück.

Das mag bei der Betrachtung des heute vorgestellten Fotos übertrieben anmuten, auf dem man die “Lady” neben dem Auto für attraktiver halten würde als den gleichnamigen Praga.

Schuld an diesem Eindruck ist aber nur, dass die wahren Qualitäten der “Lady” mit vier Rädern im Schwarz-Weiß-Modus und auf diesem Dokument entschieden unterbelichtet bleiben.

Dass der kompakte Praga auch “ohne Titel” exzellente Klasse aufwies, das wird deutlich, wenn man ihn in Farbe und in der zweitürigen Ausführung betrachtet:

Praga “Lady”; Fotoquelle: www.garaz.cz; Bildrechte: Tomáš Kopečný

Wenn diese “Lady” Appetit auf mehr macht, dann nehmen Sie sich etwas Zeit für sie. Denn 50 wunderbare Bilder von ihr gibt es hier zu sehen!

Klicken Sie dort auf das große Foto und blättern Sie dann unten weiter. Dieses Auto mit seinen feinen Details begeistert. Das ist tschechische Automobilbaukunst, bei welcher der Name schon Programm ist: Diese Lady … hat keinen Titel nötig!

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Der Frühling kann kommen: Ansaldo 6B von 1927/28

Eigentlich wollte ich heute das Ende der Skisaison ausrufen – denn ich habe das passende Foto dazu! Doch dann werfe ich einen kurzen Blick nach draußen: Da tanzen doch tatsächlich ein paar Schneeflocken durch die Luft!

Verflixt, jetzt muss ich schnell das Motto wechseln. Denn die Erfahrung zeigt, dass in meiner Heimatregion – der hessischen Wetterau – die Winter zwar meist milde sind, doch kann es bis in den April hinein immer noch Rückschläge mit Frost und Schneefall geben.

Da mir eine Prognose vor dem Hintergrund riskant erscheint, ich aber den Frühling kaum erwarten kann, will ich ihm zumindest auf diesem Wege mitteilen, dass er von mir aus lieber früher als später kommen kann.

Und als passende Geste dazu packen wir nun die Skier wieder ein und machen den Wagen klar für die Heimfahrt in der Hoffnung, dass uns der Frühling mutig auf dem Fuße folgt.

Natürlich sind wir in einem Tourenwagen der Vorkriegszeit unterwegs, es gibt ja kaum eine stilvollere Form der Fortbewegung, und gleich steigen alle in das Auto. Aber wo tut man eigentlich die Skier hin, wenn dieses vollbesetzt und das Dach offen ist?

Nun, da wusste man sich zu helfen, denn statt eines Dachgepäckträgers hatte man einst wohlgeformte Kotflügel, welche geradezu ideal für die Aufgabe geeignet waren:

Ansaldo 6B Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Man sieht: für diese Herrschaften war der Winter definitiv vorbei – kalt war es wohl noch, aber Schnee ist nirgends mehr zu sehen.

Also kann es heimgehen, was in diesem Fall die Fahrt nach Bozen in Südtirol bedeutet, wenn ich das Nummernschild richtig interpretiere.

“Ein eleganter Amerikanerwagen ist das ja!”, mag man jetzt denken. Zugegeben: Auf den ersten Blick ähnelt das Auto einem US-Fabrikat von Mitte/Ende der 1920er Jahre. Vor allem die Gestaltung der Stoßstange würde dazu passen.

Doch dann bemerkt man, wie ungewöhnlich flach dieser Tourenwagen baut. Denkt man sich die aufgesteckten Seitenscheiben – eine leichte Konstruktion aus Zelluloid und Kunstleder auf Holzrahmen – ist die Seitenlinie nur etwa hüfthoch.

Dennoch handelt es sich nicht gerade um einen kleinen Wagen – wie ist das möglich? Tja, dazu bedarf es einer Sache, die man jenseits des Atlantiks, aber auch nördlich der Alpen oft schmerzlich vermisst – italienisches Stilempfinden.

Nicht nur Lancia bekam beim legendären Lambda das Kunststück hin, einen großzügig bemessenen und gut motorisierten Wagen unerhört niedrig zu bauen. Auch der Hersteller unseres heutigen Skitransporters beherrschte diese Kunst.

Dabei handelt es sich um eine Firma, die Automobile eher nebenher baute – den traditionsreichen Waffenhersteller Ansaldo aus Turin. Wagen der Marke werden Sie vereinzelt auch in meinem Blog finden, doch bislang kaum einen dieser Klasse:

Ansaldo 6B Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wenn ich richtig liege, haben wir hier ein Exemplar des Sechszylindertyps 6B in der Ausführung von 1927/28 vor uns, dessen 2,2 Liter Motor mit obenliegender Nockenwelle über 50 PS leistete, was locker für über 100 km/h Spitze reichte.

Die Italiener hatten im Norden die dafür geeigneten Schnellstraßen dafür, lange bevor in Deutschland großspurig Autobahnen für die Volksgenossen gebaut wurden, die sich in der weit überwiegenden Mehrheit überhaupt kein Auto leisten konnten…

Nun haben wir noch zwei, drei Tage, bevor der Urlaub zuende ist – was läge da näher, noch rasch einen Abstecher an den Comer See zu machen und bei der Gelegenheit besagte “Autostrada dei Laghi” auszuprobieren, die seit 1925 von dort nach Mailand führt?

Die schnurgeraden Abschnitte nach Mailand nehmen wir mit Dauervollgas – darauf war der Ansaldo ausgelegt. Die Marke genoss auch deshalb einen hervorragenden Ruf.

Wir haben aber noch einen Grund zur Eile, denn abends haben wir Opernkarten für die Mailänder Scala! Vorher wirft man sich im Hotel in Schale, dann geht es im Ansaldo direkt vor’s Opernhaus:

Gerade will unsere Gesellschaft ein Erinnerungsfoto mit dem Wagen vor der prächtigen Fassade machen, da geschieht, was geschehen muss. Ein deutscher Tourist – nach Teutonenart nachlässig gekleidet – stellt sich frech ins Bild und lässt sich dort ablichten.

Dabei steht er so hölzern da, als habe er einen Karabiner geschultert, dabei hält er sich bloß an seinem Kameragurt fest, der Arme.

Man sieht, wie die Umstehenden – nach Mailänder Art stadtfein zurechtgemacht und durchweg “bella figura” machend – erstaunt bis fassungslos der Szene beiwohnen. Der Herr neben der dunklen Limousine greift sich sogar an den Kopf:

Ansaldo 6B Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

So ist leider Blick auf den Ansaldo ruiniert, dabei haben wir uns sogar die Mühe gemacht, die Skier abzumontieren, um ja nicht unangenehm aufzufallen.

Die ganz Schlauen unter Ihnen werden natürlich bemerkt haben, dass es sich nicht um exakt dasselbe Auto handelt und ich mir die kleine Story bloß ausgedacht habe. “Se non e vero e almeno ben trovato”, pflegt man in Italien dann zu sagen – wenn die Geschichte schon nicht wahr ist, ist sie doch wenigstens gut erfunden (hoffe ich).

Jetzt kann es sein, dass einer in Sachen Vorkriegsautos keinen Spaß versteht und darauf drängt, für diesen Verstoß gegen die historische Genauigkeit entschädigt zu werden.

Auch solche strengen Gemüter sind bestechlich, meine ich. Auch sie werden schwach, wenn man ihnen nur das richtige Material direkt vor die Nase hält. Und alle übrigen werden es ohnehin genießen, was ich zum Abschluss aus dem Hut zaubere.

Der elegante Stil des Ansaldo 6B der späten 1920er Jahre ließ sich nämlich in unwiderstehliche Weise noch auf die Spitze treiben.

Das unternahm die Karosseriebaufirma Bertone, wie folgendes Foto belegt, das ich auf der Facebook-Präsenz der italienischen Oldtimer-Zeitschrift “Ruote Classiche” fand:

Ansaldo 6B Tourenwagen (Karosserie Bertone); Quelle: Ruote Classiche

Noch enger auf den Leib schneidern ließ sich das Blechkleid sicher nicht bei diesem Ansaldo 6B von 1928.

Dem stolz daneben posierenden Herrn – wohl der Besitzer – reicht das Auto gerade bis zur Hüfte wie bei dem eingangs präsentierten Exemplar. Doch hat es Bertone geschafft, hier auch den Vorderwagen genauso niedrig zu halten – ein Meisterstück!

Mit so einem Ansaldo jubelnd dem Frühling entgegenzufahren, der sich in den nächsten Wochen von Italien aus nach Norden vorarbeitet – davon wenigstens zu träumen, ist alles, was uns Nachgeborenen vergönnt ist.

Draußen wirbeln immer noch ein paar Flocken – vielleicht sollte ich demnächst auch wieder einen meiner therapeutischen Aufenthalte im gesegneten Land südlich der Berge antreten…

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Das Rätsel der Bosch-Villa: Protos Typ G2 Tourer

Heute sind Sie wieder einmal besonders gefragt, liebe Leser.

So willkommen mir auch sonst alle fundierten Kommentare sind (die unterhaltsam geschriebenen mag ich auch), meist habe ich den Anspruch, selbst die Rätsel auf den alten Autofotos zu knacken, die ich hier präsentiere (falls es überhaupt welche sind).

Diesmal brauche ich aber wirklich Verstärkung, denn meine detektivischen Fähigkeiten haben sich bereits mit der Identifikation des folgenden Fahrzeugs erschöpft (für heute):

Protos Typ G2 um 1912; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die alten Hasen und Häsinnen (so viel Spaß muss sein) unter meinen Lesern mögen diesen Tourenwagen für einen klaren Fall halten. Ich befasse mich aber überhaupt erst seit 2015 mit Vorkriegsautos und war daher lange ziemlich ratlos.

Natürlich bin ich selbst schuld daran, denn ich kaufe systematisch Fotos der 5 Euro-Klasse, die nicht auf Anhieb erkennen lassen, was darauf zu sehen ist. Wenn man sonst keine Probleme hat, macht man sich halt welche.

Zum Glück habe ich während meiner kurzen Karriere bereits etliche Gleichgesinnte kennen- und schätzengelernt, die schon etwas länger solche Sachen sammeln und studieren. Einer davon konnte mir wieder einmal helfen, ohne es zu wissen.

Aber der Reihe nach: Schauen wir doch erst einmal, was sich im vorliegenden Fall mit “Bordmitteln” erreichen lässt. Dazu werfen wir einen genaueren Blick auf die bei Vorkriegsautos in der Regel alles entscheidende Vorderpartie:

Frontscheinwerfer und Positionslampen (vor der Windschutzscheibe) sind noch gasbetrieben – ein klarer Hinweis auf eine Entstehung vor dem 1. Weltkrieg, und zwar noch vor 1913/14.

An die fast waagerecht verlaufende Motorhaube schließt sich übergangslos ein stärker nach oben ansteigendes Blech an, der sogenannte Windlauf. Dieser hielt bei Serienautos im deutschen Sprachraum 1910 Einzug auf breiter Front.

Frühe Ausführungen wirken noch wie nachträglich aufgesetzt – das waren sie oft auch – während spätere (1913/14) meist mit der Motorhaube eine harmonische Linie bilden. Die Situation auf meinem Foto entspricht etwa dem Zwischenstand von 1912.

Was lässt sich sonst noch festhalten?

Je drei in zwei Gruppen zusammengefasste Luftschlitze in der Motorhaube, klar erkennbare Nietenreihen entlang der Haubenkanten und der Verstärkung dienende Sicken am vorderen und hinteren Ende der Haube.

Hilft das irgendwie weiter? Nur dann, wenn man ein zweites Foto mit denselben Details findet, bei dem der Hersteller identifizierbar ist. Genau damit konnte mein Dresdener Sammlerkollege Matthias Schmidt aufwarten, der schon etwas länger “im Geschäft” ist.

Denn vor einiger Zeit “versorgte” er mich mit der folgenden Aufnahme aus seinem Fundus, die den Hersteller klar erkennen lässt: Protos aus Berlin!

Protos Typ G2 um 1912; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmid (Dresden)

Dieses hervorragende Foto ist eines von unzähligen, die von der Selbstverständlichkeit zeugen, mit der unsere Altvorderen auch im Winter mit ihren damals fahrwerksseitig noch unvollkommenen Wagen unterwegs waren.

Schmale Räder mit großem Durchmesser und mit Schneketten versehen sind bei solchem Untergrund allerdings durchaus geeignet, um für Traktion zu sorgen. Schnell gefahren wurde ohnehin unter diesen Bedingungen nicht und Gegenverkehr gab es kaum.

Für die Schneeflöckchen unserer Tage, die bereits als Knirpse auf dem Laufrad Helm tragen müssen (gerade kürzlich wieder gesehen), wäre freilich bereits die Aussicht auf eine winterliche Ausfahrt ohne Verdeck und ohne Gesichtsmaske das Grauen pur.

Lassen Sie sich nicht vom elektrischen Standlicht dieses Wagens im Windlauf irritieren, so etwas gab es als Option bereits vor elektrischen Frontscheinwerfern, als ab etwa 1912.

Dieses Auto besitzt sogar letztere, das wird aber damit zu tun haben, dass die Aufnahme auf 1928 datiert ist und der Wagen nach dem 1. Weltkrieg eine komplette elektrische Anlage von Bosch erhalten haben muss:

Ansonsten entspricht die Gestaltung des Tourers vollkommen derjenigen des eingangs gezeigten Exemplars. Bloß sehen wir hier die Kühlergestaltung eines “Protos”, die unverwechselbar ist.

Aus meiner Sicht haben wir es hier mit einem Wagen des Vierzylindertyps G2 8/22 PS zu tun, der recht gut dokumentiert ist (siehe auch meine Protos-Galerie).

Den Vergleich der weiter oben aufgezählten Details der Haubenpartie überlasse ich Ihnen. Aus meiner Sicht ergeben sich hinreichende Übereinstimmungen – beide Fotos zeigen offenbar einen Protos dieses G-Typs aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg.

Rätselhaft bleibt aus meiner Sicht bloß dies:

Nachdem uns bei dem Protos auf dem zweiten Foto eine komplette Bosch-Lichtanlage begegnet ist, was hat es mit der “Bosch”-Villa im Hintergrund auf dem ersten Foto auf sich?

Die bekannte Villa der Familie Bosch sieht ganz anders aus und auch die Bosch-Villa in Radolfzell scheint nicht zu passen.

Nachdem ich mit der Identifikation des Protos-Tourers meine Schuldigkeit getan habe, sind nun Sie an der Reihe, dieses Rätsel zu lösen…

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Fund des Monats: Ein Dürkopp von 1913/14…

Ende Februar, noch eine knappe Stunde bis Mitternacht – höchste Zeit für den Fund des Monats.

Beim Anvisieren und Treffen des Ziels hilft mir diesmal Wilhelm Tell – oder besser: eine Arie aus der gleichnamigen Oper von Rossini – “Selva opaca, deserta brughiera” – vorgetragen anno 1956 in Turin von der hierzulande kaum bekannten Marcella Pobbe mit ihrem wunderbar warmen und ausgewogenen Sopran.

Das Auto, um das es geht, ist zwar nicht von solch’ edler Abkunft aus Italien, nach dem gestrigen Lancia Lambda wäre es auch kaum möglich, hier noch einen draufzusetzen.

Höchste Exklusivität ist dennoch gesichert. Dafür sorgt schon die Tatsache, dass die Wagen des Bielefelders Dürkopp-Konzerns zu den am schlechtesten dokumentierten frühen deutschen Automobilen von Rang gehören.

Altmeister Heinrich von Fersen lieferte zwar in seinem immer noch nützlichen Standardwerk “Autos in Deutschland 1885-1920” (1. Aufl. 1965) einen 9(!)-seitigen Artikel zu der Marke ab, konnte aber kein einziges Foto eines Dürkopp-Wagens beisteuern.

Gut 35 Jahre später kam in Halwart Schraders Aufguss “Deutsche Autos 1885-1920” auch nicht viel mehr aus dem Auspuff in Sachen Dürkopp. Dabei gab es einst eine Vielzahl von Typen aller Klassen und es sind auch etliche Originalfahrzeuge erhalten:

Dürkopp um 1912; aufgenommen 1963 bei einer Veteranenausfahrt in Dresden; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

So muss man sich einen Dürkopp um das Jahr 1912 vorstellen, wobei die Bandbreite der Motorisierungen enorm war. Wohl am verbreitetsten waren die kleinen und mittleren Modelle mit bis zu 30 PS Leistung.

Sie sind auf historischen Aufnahmen schwer auseinanderzuhalten, da sie allenfalls in den äußeren Abmessungen differierten. Speziell die an Opel erinnernde Kühlerform wie auf obiger Aufnahme begegnet einem bei diesen Typen auf Schritt und Tritt.

Da darf man wohl mit einiger Berechtigung elektrisiert sein, wenn man mal wieder elektronische Post aus dem fernen Australien erhält, wo bemerkenswert viele Vorkriegsenthusisasten sehr gut Bescheid über frühe deutsche Fabrikate wissen.

Einer davon ist Jason Palmer und so ist es nicht das erste Mal, dass er den Fund des Monats beisteuern kann. Was er kürzlich an Land gezogen hat, ist in jeder Hinsicht eine Klasse für sich und macht einen erst einmal sprachlos:

Dürkopp von 1913/14; Originalfoto aus Sammlung Jason Palmer (Australien)

Man mag gar nicht glauben, dass dieses Foto vor weit über 100 Jahren entstanden ist – man meint, den mächtigen Tourenwagen wirklich vor sich zu haben – zum Greifen nah. Sicher tut der Fahrer seinen Teil dazu, dass diese Aufnahme so frisch und lebendig wirkt.

Der professionelle Fotograf war ein Meister seines Fachs – Platzierung, Perspektive und Belichtung lassen sich kaum besser vorstellen. Und dabei sehen wir hier noch nicht einmal die volle Qualität des originalen Plattenabzugs.

Unsere Bewunderung verdient aber natürlich vor allem der vor dem Hintergrund von Bauten des späten Jugendstils abgebildete Wagen.

Dass es sich um einen Dürkopp handelt, daran lässt das geschwungene “D” auf dem Kühlergehäuse keine Zweifel. Aber ansonsten habe ich so ein Exemplar noch nirgends gesehen.

Das fängt mit der Birnenform des Kühlers an, die wohl wie bei anderen deutschen Marken ab 1913/14 eingeführt wurde. Dazu passen zeitlich gut die elektrischen Parkleuchten im Windlauf vor der Frontscheibe, während die Hauptscheinwerfer noch gasbetrieben sind.

Vergleichen Sie einmal deren Größe mit dem Haupt des Fahrers – man beginnt zu ahnen, dass man es hier mit etwas Spektakulärem zu tun hat. Bestätigt wird das bei einem Blick auf die Räder: sechs Radbolzen mit einem derartig großen Lochkreis sind außergewöhnlich:

Geradezu modern wirkt die Gestaltung der Räder mit den scheibenartigen Abdeckungen der Holzspeichen.

Was soll man mangels Vergleichsexemplaren davon halten? Nun, eine Sache fand sich doch in meinem Fundus, die einen Hinweis geben könnte.

Dabei handelt es sich um eine Dürkopp-Reklame von Januar 1914, auf der ein ganz ähnlich wirkendes Fahrzeug zu sehen ist.

Was würde man vermuten, wenn ein Hersteller auf einer solchen Werbeanzeige keine Angaben zu einem speziellen Typ macht? Nun, er würde gewiss sein bestes Pferd im Stall zeigen, nicht wahr?

Dürkopp-Reklame von Januar 1914; Original: Sammlung Michael Schlenger

Und was meinen Sie, was für eine Spezifikation das Dürkopp-Spitzenmodell damals hatte?

War es der Typ DG 25/60 PS mit seinem 6,3 Liter großen Vierzylindermotor? Das 10,2 Liter-Modell 41/85 PS kann es ja nicht gewesen sein, das wurde 1912 eingestellt.

Es bleibt nur ein letzter Versuch kurz vor Mitternacht und so kurz vor dem Ziel muss der Schuss sitzen. Ich gehe volles Risiko, werfe einen letzten Blick auf die Reifendimension, meine dort 935 x 135 zu lesen und setze alles auf den DG 40/100 PS!

Dieser Gigant mit 13 Litern Hubraum war damals tatsächlich Dürkopps Spitzenmodell und spielte in derselben Liga wie die größten Daimler-Typen. Beweisen kann ich es zwar nicht, aber etwas in der Richtung muss es gewesen sein auf dem Foto.

Und so ein Spitzenprodukt eines bedeutenden Herstellers – immerhin seit 1898 am Markt – hat keinerlei weitere Spuren in der deutschen Automobilliteratur hinterlassen?

Da fehlen einem doch die Worte. Ich überlasse mich jetzt wieder Marcella Pobbe mit “Crudele? Ah no, giammai mio ben! Troppo mi spiace…” aus Mozarts Don Giovanni.

Vielleicht fällt ja jemand anderem noch etwas ein zu diesem Fund des Monats…

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Muss(te) sich nicht verstecken: Stoewer V5 von 1932

Den Frontantrieb in Deutschland etabliert haben einst DKW (ab 1931) und Adler (ab 1932) – das dürfte unstrittig sein. Der ebenfalls in deutschen Landen gebaute Citroen “Traction Avant”, der später bei der Wehrmacht hochbegehrt sein sollte, kam erst 1934 auf den Markt.

Ein Hersteller darf in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben: Stoewer aus Stettin.

Die Nischenmarke, die sich immer wieder neu erfand und als einzige ihrer Größe bis in die 1930er Jahre überlebte, brachte nämlich ein Kunststück zustande, das in Oldtimerkreisen gern “vergessen” wird.

Stoewer tat sich nämlich überhaupt als erster deutscher Automobilbauer mit einem serienreifen Frontantriebswagen hervor und präsentierte diesen gegen Ende 1930, als bei DKW noch unter höchstem Zeitdruck an einem Konkurrenzentwurf gearbeitet wurde.

So beeindruckend und elegant wie die mächtigen 8-Zylinderwagen, die man von Stoewer gewöhnt war, kam der Vorderantriebstyp V5 natürlich nicht daher: Bescheiden und etwas kastig wirkte der Wagen:

Stoewer V5 von 1931; Originalfoto: Sammlung Helmut Kasimirowicz

Doch verstecken musste sich der kleine Stoewer nicht. Sein 1,2 Liter-Viertaktmotor leistete immerhin 25 PS und Spitze 80 km/h waren ohne weiteres möglich. Eine solide Blechkarosserie gab es obendrein.

Davon waren die frontgetriebenen DKW mit ihren anfänglich nur 15 PS leistenden Zweitaktern und dem kunstlederbespannten Aufbau weit entfernt – wenngleich sie ihre Stärken hatten. Sie waren vor allem um rund ein Drittel billiger als der Stoewer!

Der Preis war im Einstiegssegment des damals noch völlig unterentwickelten deutschen Automarkt der entscheidende Faktor. Und deshalb machte DKW letztlich das Rennen.

Stoewer verbesserte zwar den V4-Motor seines Modells V5 anno 1932 und lieferte den Wagen nun auch mit einer gefälligeren Karosserie aus, doch stand die dünne Kapitaldecke des chronisch klammen Herstellers einer Ausweitung der Produktion entgegen.

So wurde die Produktion des Stoewer V5 bereits nach zwei Jahren und rund 2.000 Exemplaren eingestellt. Darunter fanden sich auch einige hervorragend aussehende Wagen mit Spezialkarosserie wie dieses rasant wirkende Sport-Cabriolet:

Stoewer V5 Sport-Cabriolet von 1932; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Ausführlich besprochen habe ich diesen schicken Stoewer bereits hier.

Damit musste sich der altehrwürdige Hersteller auch in der unteren Mittelklasse wahrlich nicht verstecken und man trat trotz kleiner Stückzahlen bewusst immer wieder mit solchen Spezialversionen auf, um das Markenimage aufzupolieren.

Natürlich konnte die konventionelle Ausführung damit nicht mithalten, doch auch für deren Besitzer gab es keinen Grund sich mit ihrem Auto zu verstecken – entsprechend selbstbewusst trat man beim unvermeidlichen Fotohalt auf:

Stoewer V5 von 1932; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Man sieht sofort: Das waren keine “kleinen Leute”, auch wenn sie nur einen kompakten Stoewer ihr eigen nannten. Tatsächlich besaß in den 1930er Jahren nur ein sehr geringer Prozentanteil der Deutschen überhaupt ein Auto.

Das Auto selbst wirkt hier etwas schüchtern, dabei hat es keinen Grund, sich im Hintergrund zu verstecken. So ein Stoewer war nämlich abseits der großen Städte eine ebensolche Rarität wie jedes andere Auto auch.

Das sollte auch im nach dem 2. Weltkrieg drastisch geschrumpften Deutschland noch einige Jahre so bleiben. Pommern, wo obiger Stoewer einst zugelassen war, war ebenso verloren wie Ostpreußen und Schlesien. Das war das Ergebnis deutschen Größenwahns im Osten.

Nach 1945 wurden in jeder Hinsicht kleinere Brötchen gebacken, und für einige Jahrzehnte war die Arroganz gezähmt – die Kriegsgeneration hatte ihre Lektion gelernt. Nach deren Wegsterben werden in letzter Zeit leider wieder alte Reflexe wach, scheint mir.

Noch im Jahr 1950 sah Deutschland abseits zerbombter Städte praktisch noch genauso aus wie zwanzig Jahre zuvor. Immer noch war ein Auto eine seltene Erscheinung auf dem Lande und für einen Moment schien dort ein Stück heile Welt konserviert:

Stoewer V5 von 1932; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wäre da nicht das Kennzeichen aus dem britisch besetzten Niedersachsen, beinahe nichts deutete dann darauf hin, dass dieser Stoewer V5 im Jahr 1950 aufgenommen wurde.

Allenfalls die wohl von einem DKW stammenden Stoßstangenhälften könnten einen darauf bringen, dass dieser Wagen in der frühen Nachkriegszeit unterwegs war (in Moosheim).

In diesem Umfeld braucht sich so ein Stoewer nicht zu verstecken, er ist sogar ein veritables Schmuckstück.

Nebenbei bin ich der Auffassung, dass nur Vorkriegsautos die Eigenheit haben, in einem über Jahrhunderte gewachsenen historischen Stadtbild nicht zu stören, sondern geradezu dazu zu passen. Warum das so ist, wäre eine eigene Betrachtung wert.

Für heute will ich es bei der Feststellung bewenden lassen, dass sich der frontgetriebene Stoewer V5 nicht verstecken musste und auch heute nicht müsste.

Es gibt aber wohl bloß nur eine handvoll Überlebende, das einst in Pommern aufgenommene Exemplar gehört wohl nicht dazu – oder doch, wer weiß?

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.