Wer heute noch etwas mit der Typbezeichnung Mercedes 170 anfangen kann, denkt meist an den 1936 vorgestellten Vierzylindertyp 170 V.
Er wurde auch nach dem 2. Weltkrieg trotz veralteter Form und Technik noch erstaunlich lange gebaut. Dabei gab es mit dem Peugeot 203, dem Fiat 1400 und dem Borgward Hansa 1500 bereits 1949/50 in jeder Hinsicht modernere Autos.
Interessanter als der hausbackene 170 V ist der Mercedes 170 Sechszylinder, der von 1931-36 gebaut wurde. Er war im Unterschied zum 170 V für seine Zeit ein hochmodernes Auto und rundete das Programm der Marke auf ähnlich geniale Weise nach unten ab, wie das in den 1980er Jahren mit dem 190er Mercedes gelang.
Der 6-Zylinder-Mercedes 170 zeichnete sich nicht nur durch seinen weich laufenden und vollgasfesten Motor aus. Er bot vor allem ein Fahrwerk, das dank Einzelradaufhängung und Hydraulikbremsen die volle Ausschöpfung der Leistung ermöglichte.
32 PS mögen heute dürftig klingen, doch viele stärkere Fahrzeuge ließen sich nicht so sicher und agil bewegen wie der kompakte und recht günstige Meredes.
Im Vergleich zum eher pummeligen 170 V verfügte der Mercedes 170 mit Sechszylinder über eine knackig gezeichnete Karosserie. Das attraktivste Modell war sicher der Sport-Roadster, den wir gelegentlich noch vorstellen.
Doch auch die Cabrios überzeugten durch sportlich wirkende Formen, die an englische Wagen der Zeit erinnern. Das Cabriolet C ist auf folgendem Originalfoto zu sehen:
© Mercedes 170 mit Johannes Heesters und Hilde Körber; UFA-Originalfoto der 1930er Jahre aus Sammlung Michael Schlenger
Man mag einwenden, dass von dem Auto fast gar nichts zu sehen ist. Doch ist alles auf dem Foto abgebildet, was zur Identifikation des Typs genügt.
Dass es ein Mercedes ist, verrät die Spiegelung des Sterns auf der Motorhaube am linken Bildrand. Dass das Foto nach 1933 und vor Kriegsausbruch entstanden sein muss, lässt die Hakenkreuzfahne am Gebäude links und der recht dichte Verkehr mit Autos ohne Tarnüberzüge auf den Scheinwerfern erkennen.
Zweitürige Cabriolets von Mercedes gab es in jeder Zeit zwar etliche. Doch nur eines hatte Seitenscheiben mit rechtwinkligem Chromrahmen – das 170er Cabriolet. Auch beim äußerlich fast identischen 200er war der Chromrahmen hinten abgerundet. Die breite seitliche Zierleiste, der kurze Vorderbau und das Verdeckgestänge passen ebenfalls zum Mercedes 170 Werkscabriolet C.
Nun aber zu den Insassen des Wagens und der Aufnahmesituation. Dieses Foto ist ein Originalabzug der UFA-Filmgesellschaft und so finden wir auf der Rückseite zwei Schauspielernamen: Johannes Heesters und Hilde Körber.
Hier hat man also die seltene Gelegenheit, den ewigen Grandseigneur Heesters, der erst 2011 im Alter von 108 Jahren starb, einmal als jungen Mann zu sehen. Der gebürtige Niederländer genoss bereits in den 1930er/40er Jahren hierzulande als Sänger und Schauspieler einige Populärität. Die schon 1969 verstorbene Hilde Körber dürfte weniger bekannt sein, war aber bis in die 1950er Jahre eine Größe der deutschen Filmszene.
Die Frage, wo die beiden in dem Mercedes aufgenommen wurden, ist rhetorisch: Wer sich in Berlins historischem Zentrum ein wenig auskennt, wird die baumumstandene “Neue Wache” von Friedrich Schinkel links im Mittelgrund erkennen. Der klassisch-schlichte Bau ziert seit 200 Jahren die Prachtstraße “Unter den Linden”.
Links davon ist eine Ecke der Humboldt-Universität zu sehen, in der Ferne lugt die Kuppel des Doms über dem Zeughaus hervor. Trotz der Zerstörungen durch den Bombenkrieg und den Häuserkämpfen im April/Mai 1945 kann man diese großartige Szenerie heute fast genauso genießen wie einst.
Wie es dort am Ende des 2. Weltkriegs aussah, zeigen eindrucksvolle Fotos, die ein britischer Armeeoffizier im Sommer 1945 aufnahm. Es ist interessant zu sehen, dass die solide gebauten Repräsentationsgebäude den Bombardements der Alliierten im Vergleich zu den Berliner Wohngebieten recht gut standgehalten hatten.
Das Beispiel des Berliner Schlosses lässt erkennen, dass etliche Bauten nach dem Kriegsende ohne Not aus ideologischen Gründen abgerissen wurden.
War es im sozialistischen Ostdeutschland der Hass der Machthaber auf die Überbleibsel des bürgerlichen und adligen Erbes, war es im Westen die Doktrin des Quadratisch-Praktisch-Verkehrsgünstigen, die bis in die 1970er Jahre in den historischen Zentren der Republik ihre zerstörerische Wirkung entfaltete.
Dass wenigstens im Zentrum von Berlin einige dieser Wunden wieder geheilt wurden, ist erfreulich. Einmal im Jahr “Unter den Linden” nur Vorkriegsautos verkehren zu sehen, das wäre nach des Verfassers Geschmack…