Ich bin (k)ein Berliner: Auburn 6 der 1920er

Betreibt man einen Oldtimerblog, der sich auf Vorkriegsautos beschränkt, hat man hierzulande ein Nischenpublikum.

Englischsprachige Kollegen haben es einfacher: Sie haben eine globale Reichweite und erreichen gezielt die Länder, in denen die Vorkriegsszene weiterhin gedeiht.

Daher ist man im deutschen Sprachraum gut beraten, sich nicht auf eine Marke oder Hersteller aus einer bestimmten Region zu beschränken, sondern sich mit der ganzen Bandbreite an Vorkriegsmobilität zu befassen.

Tut man das ohne persönliche Vorlieben anhand historischer Originalfotos, die meist für kleines Geld zu bekommen sind, entdeckt man fast täglich Überraschendes:

auburn_6_1923-4_galerie

© Auburn Six; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das ist eine schöne, detailreiche Aufnahme, die an einem grauen Tag im Spätherbst entstand. Der Wagen wirkt auf den ersten Blick unspektakulär – so sahen in den frühen 1920er Jahren die Tourenwagen vieler Marken aus. 

Schauen wir, ob sich mehr über das Auto herausfinden lässt. Meistens liefert ein Blick auf die Kühlerpartie die verlässlichsten Informationen, denn der rückwärtige Aufbau war selten markenspezifisch:

auburn_6_1923-4_kuhlerpartie

Auch wenn man den Markennamen auf dem Kühleremblem nicht lesen kann, gibt uns diese Ansicht einen Hinweis, in welcher Richtung man weiterforschen muss.

Die Doppelstoßstange verriet in den frühen 1920er Jahren, dass man es mit einem amerikanischen Auto zu tun hatte. Speziell in Deutschland sollte es eine ganze Weile dauern, bis die Hersteller überhaupt serienmäßig Stoßstangen anboten.

Geht man nun die Liste der US-Automarken durch, landet man nicht bei einem der großen Namen, sondern bei Auburn aus dem gleichnamigen Ort im Bundesstaat Indiana. Das ist wirklich eine Überraschung, denn das Foto entstand einst in Berlin!

Dass führende US-Autoproduzenten wie Buick, Chevrolet und Ford in den 1920er Jahren ihre Fahrzeuge in großer Zahl nach Deutschland exportierten und dort auch fertigten, ist kein Geheimnis. Ein Wagen der weniger erfolgreichen Marke Auburn in Deutschland wirft dagegen Fragen auf:

Hat diese Firma ebenfalls systematisch den deutschen Markt beliefert, der in den 1920er Jahren unter der Rückständigkeit der einheimischen Hersteller litt? Hat Auburn vielleicht sogar eine Produktion in Berlin unterhalten, wie das etwa bei Overland der Fall war?

Das ließ sich bisher nicht klären. Herausfinden konnte der Verfasser aber, um was für ein Modell es sich bei dem Auburn handelt. Dabei half der Blick in den offenen Motorraum:

auburn_6_1923-4_motorraum

Wer meint, hier fehle der Zylinderkopf, irrt. Zu sehen ist ein konventioneller Seitenventiler, der deutlich flacher ausfällt als ein Aggregat mit im Kopf montierten Ventilen. Die Länge des Motors lässt einen 6-Zylinder vermuten.

Tatsächlich verbaute Auburn 1923/24 im Model “Six” einen solchen Motor, der von Continental zugekauft wurde. 50 PS Leistung waren damals ein Wort; deutsche Tourenwagen boten meist nur 25 bis 30 PS – obendrein bloß aus vier Zylindern.

Doch nicht nur die höhere Leistung machte die preisgünstigen US-Wagen seinerzeit hierzulande so beliebt. Auch Ausstattungsdetails wie serienmäßige Heizung wie im Fall des Auburn Six überzeugten.

Wer das hier gezeigte Foto näher betrachtet, gewinnt jedoch den Eindruck, dass es den beiden stolz vor dem Auburn posierenden Herren nicht um die Heizung ging.

Hier scheinen sich zwei Freunde schlicht einen günstigen Amischlitten zugelegt zu haben und genießen nun ihr Besitzerglück:

Auburn_6_1923-4_Besitzer.jpg

Vor dem Fahrvergnügen ist zwar noch etwas Schrauberei angesagt, aber das scheint die beiden nicht zu stören….

Das vorn am Boden liegende Abschleppseil ist in Kombination mit der demontierten Motorhaube vielsagend. Wahrscheinlich haben die zwei den Wagen defekt für kleines Geld gekauft und mit einem anderen Auto nach Hause geschleift.

Dass der Auburn zum Zeitpunkt, an dem er von unseren beiden Altautofreunden an Land “gezogen” wurde, nicht mehr ganz taufrisch war, verrät der deformierte und übel zurechtgespachtelte Vorderkotflügel.

Sollten unsere zwei Berliner Auburn-Käufer am Ende frühe Opfer des Oldtimer-Bazillus gewesen sein?

Man wünscht sich jedenfalls, dass sie den Wagen wieder in Gang gebracht und damit eine Weile Freude und Glück bei den Frauen hatten – denn diese wollen gar “kein Auto funkelnd und schick”, wie einst diese Dame verriet…

© Videoquelle: Youtube; hochgeladen von: atqui; Copyright: unklar

Nebenbei: der heiße Steptanz (ab 2:10 min) in diesem Film wurde 1939 aufgeführt. Man ahnt, was hierzulande auch ohne amerikanische Nachhilfe möglich war, doch leider kam etwas dazwischen…

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