Eben hatten wir noch einen strahlenden Sommer, der kein Ende nehmen wollte, nun haben wir Anfang September und das Wetter mutet mit einem Mal fast herbstlich an – zumindest in der hessischen Wetterau, der Heimat des Verfassers.
Vielleicht bekommt der Sommer noch ein paar Tage lang eine Chance – doch eines ist klar: Die Urlaubszeit ist nun für die meisten von uns vorbei. Die Pflicht ruft – die einen an den Schreibtisch, die anderen in die Fabrikhalle, wiederum andere ins Freie.
Das war in der Vorkriegszeit vom Grundsatz her nicht anders, aber:
- Schreibtischarbeit war ein Privileg weniger – heute beklagen ausgerechnet aus dieser Gruppe die meisten eine angeblich mangelnde “Work-Life-Balance”.
- In den Fabriken gab es handfeste Arbeit – gefährlich, laut und anstrengend – heute grassiert die Angst vor dem Kollegen Roboter, der diese Arbeiten übernimmt.
- Im Freien arbeiteten die meisten Leute, bei Wind und Wetter – heute wird die moderne Nahrungsmittelproduktion vor allem von Zeitgenossen angeprangert, die die Härten traditioneller Herstellung selbst keine Woche aushalten würden.
Die Beschäftigung mit Vorkriegsautos auf alten Fotos konfrontiert uns mit der Lebenswirklichkeit jener Zeit und rückt nebenbei einiges ins rechte Licht, was heute oft als Zumutung gilt – was nicht heißen soll, dass es heute keine Zumutungen gibt…
So sehr die Automobile und das Stilempfinden der 1920er und 30er Jahren faszinieren, so deutlich wird, wie exklusiv es war, wenn man sich eine Urlaubsaufnahme wie diese leisten konnte:

Citroen B14 Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
So inszeniert diese herrliche Aufnahme auch wirkt, handelt es sich “bloß” um ein sehr gekonntes Privatfoto.
Möglicherweise waren diese Automobilisten gerade auf dem Rückweg aus dem Urlaub in der Schweiz oder Österreich – erkennt jemand die Landschaft wieder?
Ein befreundetes Paar – ebenfalls unterwegs im Automobil – wird diese schöne Situation verewigt haben und nach der Heimkehr Abzüge für alle Beteiligten versandt haben.
Ein Exemplar davon hat irgendwo die letzten rund 90 Jahre in einem Fotoalbum geschlummert und ist in unseren Tagen wieder zum Vorschein gekommen.
Während sich die Seeansicht heute wohl noch genauso darbietet, wird man dort einen so schönen Wagen wohl vergebens suchen:
Wie es scheint, handelt es sich um ein zweisitziges Cabriolet – möglich, dass es im Heck noch einen Notsitz gab.
Klar ist, dass dies ein Wagen der späten 1920er Jahre sein muss. Er vereint traditionelle Elemente wie den ausgeprägten Windlauf und die massive, nach vorn geschwungene A-Säule mit einigen eleganten Elementen.
Ins Auge fällt zum einen die verchromte Nabenkappe auf dem Scheibenrad mit filigraner Linierung. Zum anderen ist die Zweifarblackierung mit der breiten Zierleiste entlang der Seitenpartie ausgesprochen geschmackvoll.
Man vergleiche dieses Erscheinungsbild mit dieser schlicht anmutenden Limousine:

Citroen B14; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Auf den ersten Blick scheinen die beiden Wagen wenig gemeinsam zu haben, abgesehen davon, dass auch diese Citroen-Limousine des Typs B14 in einer Urlaubssituation aufgenommen wurde – nämlich 1928 am Klausenpass.
Doch vergleicht man die Schwellerpartie, fällt auf, dass beide Wagen an derselben Stelle eine Klappe oder ein Schubfach mit zwei Knöpfen besitzen – das kann kein Zufall sein.
Tatsächlich handelt es sich auch bei dem Cabriolet auf der ersten Aufnahme um einen Citroen B14, von dem zwischen 1926 und 1929 fast 140.000 Exemplare entstanden.
Nicht nur die Amerikaner, sondern auch die Franzosen hatten frühzeitig verstanden, dass das Geheimnis bezahlbarer Automobile in einer auf Massenproduktion getrimmten Konstruktion lag.
In Deutschland hatten nur Brennabor und Opel das halbwegs begriffen, wenngleich ihnen die Konsequenz fehlte. So kam es, dass auch Citroen in Deutschland durchaus Chancen sah, seine robusten und leistungsfähigen Wagen an den Mann zu bringen.
Der Typ B14 mit seinem 25 PS leistenden 1,5 Liter-Vierzylinder wurde sogar in Deutschland montiert, und zwar in Köln. Wir dürfen daher davon ausgehen, dass die Citroen-Wagen dieses Typs auf den beiden Fotos aus hiesiger Produktion stammten.
Während an der Ansprache des Citroen auf der ersten Aufnahme als Typ B14 Cabriolet kein Zweifel besteht, sind aus Sicht des Verfassers zwei Dinge unklar:
- Man findet im Netz Fotos des Typs B14 mit durchlaufender Reihe von Luftschlitzen in der Haube ebenso wie mit auf die hintere Hälfte beschränkten Luftschlitzen. Was bedeutet dieser Unterschied?
- Offene Versionen des Citroen B14 sind auf vielen Fotos dokumentiert, doch keines davon zeigt einen Aufbau wie diesen mit breiter Zierleiste an der Seitenpartie:
Sicher können Citroen-Spezialisten diese Detailfragen beantworten. Der Blog-Eintrag zu dem Foto wird dann entsprechend angepasst, damit der Erkenntnisgewinn auch für künftige Leser festgehalten wird.
Willkommen sind auch Ideen, was die Personen angeht, die mit dem Cabriolet abgelichtet wurden. Die Menschen, aus deren Nachlass diese Fotos stammen, werden in diesem Blog ebenfalls gewürdigt, sie tragen oft zum Reiz der Aufnahmen bei.
Besonders ins Auge fällt das Paar, das vor der Kühlerpartie des Citroen posiert.
Die Kombination aus kurzer Lederhose, langärmligem Oberhemd mit Krawatte und militärischem Haarschnitt wirkt auf den heutigen Betrachter verwirrend. Der besitzergreifende Gestus scheint seine Partnerin nicht im geringsten zu stören.
Was sind das für Landsleute – Österreicher vielleicht? Leider ist das Nummernschild verdeckt.
Möglich auch, dass wir hier Reisende aus Süddeutschland vor uns haben, die mit ihrem Citroen auf dem Heimweg waren und sich noch einmal in Urlaubsstimmung ablichten ließen, bevor sie wieder in ein prosaischeres Alltagsdasein zurückkehrten…
© Michael Schlenger, 2018. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Wunderbar, wenn man solche Leser hat – herzlichen Dank!
Die Vermutung dass das Bild aus Österreich ist unterstützt die Plakette des Österreichischen Touring Clubs auf der Seite. Auch die Landschaft mutet österreichisch an.
Mit Grüßen
Thomas Billicsich