Zu den besonders reizvollen Automobilkreationen der Zwischenkriegszeit, zu denen Hersteller aus dem deutschsprachigen Raum kaum etwas beitrugen, gehört die Gattung der Cyclecars.
In Frankreich und England dagegen gab es dutzende von Herstellern dieser kleinvolumigen offenen Wagen in Leichtbauweise, die mit schmalen Rädern und (meist) mitlenkenden Vorderschutzblechen auch optisch eine Klasse für sich waren.
Die größte Verbreitung auf dem Kontinent dürften die Cyclecars der Marke Amilcar gefunden haben, die erst nach dem 1. Weltkrieg gegründet wurde und bis Ende der 1920er Jahre einige tausend Wagen mit sportlicher Anmutung an den Mann brachte, auch in Deutschland.
Dabei trifft die Bezeichnung Cyclecar nur auf den ersten von Amilcar gebauten Typ CC (ab 1921) zu. Die Nachfolger bauten zwar darauf auf, fielen aber allein schon aufgrund des höheren Gewichts in die Kategorie der Voiturettes und waren damit ernstzunehmende Fahrzeuge, auch im Sporteinsatz.
Die Rennversionen von Amilcar (siehe hier) erzielten einige Sporterfolge, und auch Privatfahrer setzten gern “heißgemachte” Amilcars bei lokalen Veranstaltungen ein. Folgende Aufnahme zeigt einen solchen Wagen des Typs CS (oder den stärkeren CGS) im vollen Einsatz vermutlich irgendwo im deutschen Raum:

Amilcar CS oder CGS im Sporteinsatz; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Die herkömmlichen Straßenversionen kamen von der Papierform her zahmer daher. Doch boten sie neben rassiger Optik für damalige Verhältnisse durchaus ansprechende Fahrleistungen.
Die sportliche Anmutung in Kombination mit einem zuverlässigen, nicht überzüchteten Antrieb scheint einst auch diesen glücklichen Besitzer überzeugt zu haben:

Amilcar Typ CGSS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Der Fahrer, der sich hier hat tief in den Sitz gleiten lassen, scheint dem Erscheinungsbild nach zu urteilen keine sportlichen Ambitionen gehabt zu haben.
Der elegante Hut lässt eher auf ein gemächliches Tempo bei einer Überlandfahrt denken, für die so ein Amilcar auch heute noch gut ist.
Berichten zufolge scheint sich der Motor bei eher moderater Gangart wohlzufühlen und dann erst wieder bei deutlich erhöhten Drehzahlen – dazwischen gibt es eine Phase zu überwinden, in der das Aggregat eher widerwillig auf den Gasfuß reagiert.
Wer die Höchstleistung ausschöpfen wollte, musste den Wagen also schon beherzt rannehmen. Von welchen Größenordnungen sprechen wir hier?
Nun, das hängt von der Ausführung ab:
- Das ab 1922 gebaute Modell CS mit 1-Liter-Vierzylinder leistete lediglich 23-25 PS, was eine Höchstgeschwindigkeit von bis zu 100 km/h ermöglichte (die Angaben dazu variieren stark).
- Ab 1924 wurde jedoch parallel eine deutlich verbesserte Version angeboten, das Modell C “Grand Sport ” – kurz CGS. Hier war der Hubraum auf 1,1 Liter erhöht und der Brennraum überarbeitet worden.
- Dank des Übergangs bei der Ölversorgung des Motors von Schleuderschmierung zu Druckschmierung war das CGS-Aggregat stärker belastbar.
- Die Leistungsangaben für das Modell CGS schwanken zwischen 30 und 35 PS. Damit war ein Spitzentempo von 115 km/h erreichbar.
Ähnlich leistungsfähig, doch optisch noch raffinierter kam ab 1926 das Modell CGSS daher. Es zeichnete sich äußerlich durch eine windschnittige Ausbuchtung vor dem Fahrer sowie ein recht kurzes steil abfallendes Heck aus.
Wenn nicht alles täuscht, haben wir auf dem obigen Foto genau solch ein Modell vor uns:
Daneben wurde später eine Karosserie ohne den charakteristischen “Windabweiser” und dafür mit gepfeilter Frontscheibe angeboten. Ein solches Fahrzeug werden wir gelegentlich anhand einer Originalaufnahme vorstellen.
Lieferant der Standard-Karosserien für die Typen CGS und CGSS war übrigens die Firma Charles Duval, die ursprünglich in derselben Straße in Paris ansässig war wie Amilcar.
Bei Duval konnten Amilcar außerdem Sonderaufbauten ordern, die von Amilcar “freigegeben” waren. Das erklärt das oft unterschiedliche Erscheinungsbild von Amilcars desselben Typs.
Wie das äußerlich weniger markante Modell CGS bot auch das Modell CGSS serienmäßige Vorderradbremsen – mit von auf 22,5 auf 26 cm vergößerten Bremstrommeln.
Damit ermöglichte das Modell CGSS bei grundsätzlich vergleichbarer Leistungscharakteristik eine sportlichere Fahrweise.
Hier sehen wir die zwecks besserer Wärmeableitung verrippten Vorderradbremsen:
Neben dem Kennzeichen für den Großraum Berlin (“I A”) fallen hier die noch gut profilierten, doch unterschiedlichen Vorderreifen auf.
So etwas findet sich nicht selten auf Fotos der Vorkriegszeit – man war offenbar froh, wenn überhaupt passende Reifen vor Ort verfügbar waren. Möglicherweise machten sich die unterschiedlichen Profile angesichts der noch recht primitiven Radaufhängung (Starrachse) auch kaum zusätzlich negativ bemerkbar.
Eine wirklich umfassende Aufarbeitung der Modellhistorie vom Amilcar in Buchform gibt es nach Wissens des Verfassers nur auf Englisch:
- Gilles Fournier/David Burgess-Wise, Amilcar, erweiterte Ausgabe von 2006.
Das akribisch recherchierte und eindrucksvoll bebilderte Werk ist nur noch antiquarisch erhältlich, lohnt aber die Anschaffung trotz des hohen Preises.