Exot aus dem “Fernen Osten”: Ein Komnick Typ 6/18 PS

Deutschlands am weitesten östlich gelegene Automobilfabrik befand sich einst in Elbing in Ostpreußen. Wer keinen familiären Bezug dorthin hat, dem sagt der Name dieser Stadt vermutlich wenig – ich selbst kannte ihn bis vor einiger Zeit ebenfalls nicht.

Die verlorenen deutschen Ostgebiete existierten nach meiner Erinnerung im Schulunterricht an einem hessischen Gymnasium praktisch nicht. Generell war die Welt hinter dem “Eisernen Vorhang” merkwürdig entrückt – über dortige Landschaften, Städte und Völkerschaften erfuhr man so viel oder wenig wie über den Fernen Osten.

Erst über die Beschäftigung mit der einstigen Marke Komnick gewann ich ein Bild der ostseenah in Masuren gelegenen Industriemetropole. Vor allem die dort ansässigen Schichau-Werke gewannen mit dem Bau von Maschinen, Lokomotiven und Schiffen internationale Bedeutung.

Doch auch die von Franz Komnick 1898 in Elbing gegründete gleichnamige Maschinenfabrik sollte mit ihren Produkten einiges Ansehen vor allem in Osteuropa erlangen. Neben Maschinen für den landwirtschaftlichen Bedarf fabrizierte Komnick auch Dampfkessel und Pumpanlagen.

Binnen zehn Jahren verfügte die Maschinenfabrik F. Komnick über die Expertise, ein selbstkonstruiertes Automobil herstellen zu können. Nach Bau eines Prototyps im Jahr 1906 und ausgiebiger Erprobung begann 1908 mit drei Typen (10, 20 und 30 PS) die Serienproduktion.

Komnick-Wagen bewährten sich bei anspruchsvollen Prüfungen wie der Prinz-Heinrich-Fahrt 1908 und 1909, der Riga-Fahrt des Ostdeutschen Automobilklubs 1910 sowie der Kaiserpreisfahrt von St. Petersburg nach Sewastopol 1911.

In dieser Zeit – um 1910 – dürfte auch die folgende Aufnahme entstanden sein:

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Komnick , vermutlich 6/18 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier kann man sehr gut die formalen Eigenheiten der Komnick-Wagen aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg studieren.

Wie bei einigen französischen Marken hatte man sich für die Anbringung des Kühlergehäuses hinter dem Motor entschieden, was den Zugang zum Aggregat erleichtert, eine andere Gestaltung der Frontpartie erlaubt und zudem den empfindlichen Kühler besser vor Beschädigung und Verschmutzung schützt.

Der Vergleich dieses Tourers mit eindeutig bestimmten Komnick-Wagen in zeitgenössischen Werbeanzeigen (unter anderem aus Russland, siehe hier) spricht dafür, dass es sich um ein Exemplar des 1909 neu vorgestellten Typs 6/18 PS handelte.

Im Unterschied zu den stärkeren Modellen mit 30 und später 50 bis 60 PS fällt hier die Motorhaube stärker ab und scheint ein kleineres Volumen aufzuweisen, was zum Hubraum des Typs 6/18 PS von lediglich 1,5 Litern passen würde.

Aus meiner Sicht spricht die Gestaltung des Windlaufs hinter dem Kühler für eine Entstehung nicht später als 1910, obwohl der Typ 6/18 PS als solcher bis 1913 weitergebaut wurde. Übrigens ist hier Benzintank noch hinter dem Kühler angebracht, später wanderte er ins Heck – ein weiteres Indiz für eine recht frühe Entstehung.

Wo diese Aufnahme einst entstand, ist leider nicht bekannt und wohl auch nicht mehr zu ermitteln. Komnick-Wagen waren aber in der Zeit vor dem 1. Weltkrieg vor allem in Deutschlands “Fernem Osten” und osteuropäischen Nachbarländern verbreitet.

Von den in den 1920er Jahren gefertigten – nunmehr sehr ansprechend gestalteten – Komnick-Wagen dagegen verschlug es auch einige in den Westen des Deutschen Reichs. Das ist aber eine andere Geschichte, die hier und hier nachzulesen ist…

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