Die Geschichte der Stromlinie im Automobilbau lässt sich bis in die Zeit vor dem 1. Weltkrieg zurückverfolgen.
In den 1920er Jahren begannen gleich mehrere Konstrukteure, die im Luftschiff- und Flugzeugbau gesammelten Aerodynamik-Erfahrungen auf Straßenfahrzeuge anzuwenden. In Deutschland waren dies Paul Jaray und Edmund Rumpler, in Frankreich Émile Claveau und in England Charles Burney.
Doch keiner dieser Versuche kam über den Bau von Prototypen oder Kleinserien hinaus. Den größten Erfolg hatten um 1930 Pseudo-Stromlinienwagen, die einzelne stilistische Elemente des aerodynamischen Ideals verwendeten (Beispiele hier).
© Maybach-Originalreklame von 1932; Sammlung Michael Schlenger
Erst Chrysler sollte es 1934 mit dem “Airflow”-Modell gelingen, einen echten Stromlinienwagen in Großserie zu produzieren.
Dass Chrysler sich überhaupt mit Aerodynamik befasste, war eher der Neugier der Ingenieure als echtem Bedarf geschuldet. Mangels Hubraumbesteuerung waren Automobile in den USA schon vor dem 2. Weltkrieg so großzügig motorisiert, dass sie über genug Leistung zur Überwindung des Luftwiderstands verfügten. Zudem war bei einem Tempolimit von seinerzeit rund 70 km/h bei der Endgeschwindigkeit kein praxisrelevanter Fortschritt von der Stromlinienform zu erwarten.
Allerdings war die Form nur eines von mehreren innovativen Details des Airflow-Modells, mit dem sich Chrysler von der Konkurrenz absetzen wollte.
Weitere Neuerungen waren die monocoqueartige Karosserie und die komfortfördernde Verlagerung der Passagierkabine nach vorne. In der zeitgenössischen Werbung wurde der Fahrkomfort in den Mittelpunkt gestellt: “Fahren wie auf einem Luftkissen” verspricht die hier abgebildete Originalreklame:
© Chrysler Airflow-Originalreklame von 1934; Sammlung Michael Schlenger
Ungeachtet einiger Stärken fiel der Chrysler Airflow beim US-Publikum durch. Dazu trug nicht nur das klobige Erscheinungsbild mit der plumpen Frontpartie bei. Vor allem der zu hohe Preis verdammte den Airflow zum Scheitern.
Ein Beispiel: Das Spitzenmodell Imperial Custom Eight – ein monströses Gefährt mit 2,7 Tonnen Gewicht – kostete so viel wie die 12-Zylinder-Modelle von Cadillac oder Packard. Motorseitig wurde aber nur 6- bzw. 8-Zylinder-Hausmannskost geboten.
Hinzu kamen Verarbeitungsmängel, die auf die übereilte Einführung des Modells Anfang 1934 und die für die Massenproduktion zu hohe Komplexität zurückzuführen waren.
Bis zur Produktionseinstellung im Jahr 1937 erfolgten zwar stilistische Verbesserungen – nicht zuletzt angesichts der Konkurrenz durch den ebenfalls aerodynamisch inspirierten, doch gefälligeren Lincoln Zephyr.
© Originales Pressefoto von 1936; Sammlung Michael Schlenger
Nach rund 30.000 gefertigten Exemplaren war der kommerzielle Misserfolg des Airflow nicht mehr zu leugnen.
Gleichwohl war der Chrysler Airflow ein Meilenstein. Kaum ein Fahrzeug der 1930er Jahre hatte weltweit so starken Einfluss auf das Automobildesign. Speziell die Dachpartie mit den massiven abgerundeten Holmen und die Platzierung der Passagierkabine findet sich bei vielen Erfolgsmodellen jener Zeit wieder.
Zu den weniger bekannten Nachfolgern des Airflow zählen der erste Toyota AA (Bild), der kurzlebige Volvo PV36 und der Autobahn-Adler von 1937 (Bild).
Die wohl gelungenste Variante des Airflow-Designs waren die ab 1935 gebauten 02er Modelle von Peugeot. Beim hier abgebildeten 402 von 1939 erkennt man viele Details des Chrysler-Entwurfs wieder, bis hin zu den hinteren Radabdeckungen mit dem stilisierten Markenemblem.
© Originales Pressefoto von Peugeot; Sammlung Michael Schlenger
Den Unterschied machte jedoch die raffinierte Frontpartie – windschlüpfrig wie beim Chrysler, aber mit französischem Sinn für Eleganz umgesetzt. Einmalig war die Idee, die Scheinwerfer hinter den Kühlergrill zu verlagern.
Ähnlich schnittige Formen – wenn auch schlichter ausgeführt – bot Fiat beim Topolino sowie dem 1100er und dem nachstehend abgebildeten 6-Zylinder Fiat 1500.
© Originalfoto Fiat 1500 von 1936; Sammlung Michael Schlenger
Gelegenheit, ein Exemplar des wirtschaftlich erfolglosen, doch einflussreichen Chrysler Airflow in Europa in Augenschein zu nehmen, besteht im niederländischen Louwman Museum.