Konservieren oder Restaurieren – das ist bei erhaltenen Vorkriegsautos eine Frage, die immer wieder die Gemüter erhitzt. Ich meine, dass beide Ansätze ihre Berechtigung haben – je nach Ausgangszustand.
Ein unvollständiges oder vielleicht durch Unfall oder Feuer stark mitgenommenes Fahrzeug sollte im Regelfall wieder in den Ursprungszustand gebracht werden, so gut das möglich ist.
Dabei kann man durchaus versuchen, sich in einigen Bereichen der einstigen Optik anzunähern, in denen heutige Verfahren meist zu anderen Ergebnissen führen, die das Bild verfälschen. Mit Glück und Geduld lassen sich speziell für den Innenraum Stoffe und Leder auftreiben, deren Muster bzw. Oberflächenstruktur dem historischen Original nahekommen.
Auch ein neuer Kabelbaum lässt sich mit korrekter Optik (also stoffummantelt) wiederherstellen, und moderne Reifen sind mit historischem Profil verfügbar.
Im Motorraum muss nicht alles partout in Fabrikzustand gebracht werden, dort kann man durchaus einige Partien zur Dokumentation im dort oft noch erhaltenen Originalzustand belassen, etwa die Lackierung der Schottwand.
Dann gibt es aber Autos, die auf einzigartige Weise die Spuren ihres langen Lebens tragen, anhand derer sich ihre Geschichte erfahren und erzählen lässt. Mein Peugeot 202 “Pickup” ist so ein Fall:

Sein Leben begonnen hat das Fahrzeug als Armeefahrzeug, die mattgrüne Lackierung ist an einigen Stellen noch komplett erhalten (insbesondere im Innen- und Motorraum).
Später kaufte ein Bauer in der Champagne den Wagen, ließ ihm bei einem lokalen Schreiner einen Holzaufbau verpassen, von dem sich die Seitenwände erhalten haben. Den Boden musste ich erneuern lassen, da das Auto mit 400 kg Transportlast eingetragen ist.
Die vom neuen Besitzer aufgetragene Lackierung entsprach vom Grundton der Armeefarbe, glänzte aber etwas mehr. An vielen Stellen ist sie ausgeblichen, abgeblättert bzw. mit einem dritten Grünton “ausgebessert” worden. Einige Jahre Aufenthalt unter einem nicht ganz dichten Dach haben zudem auf der Haube für Rostansatz gesorgt.
In diesem Zustand, mit vermutlich originalen 30 tkm Laufleistung erwarb ich das Fahrzeug vor rund 10 Jahren von einem sympathischen Vorbesitzer, welcher den Peugeot auf der Veterama gekauft hatte. Nach “Besichtigung” in einer spärlich beleuchteten Tiefgarage kaufte ich das Auto, ohne auch nur den Motor laufen gehört zu haben.
Viel zu tun gab es auch nicht: Die Kompression war gut, der Tank sauber, alles funktionsfähig, wie sich herausstellte. Nur die hydraulischen Bremsen mussten überholt und neue Reifen aufgezogen werden – von Michelin in Originaloptik.
Irgendein passender Auspufftopf fand sich und kleine Löcher an der Schwellerpartie waren zu schweißen (nicht tragendes Blech, aber der TÜV bestand darauf…) – das war’s.
Mir ist noch keiner begegnet, der gesagt hätte, dass diese Zeitmaschine “ordentlich restauriert” gehört. Es ist bei aller Patina ein veritables Schmuckstück, dessen Erhalt zwar Arbeit, aber auch glücklich macht – mich und andere:

Das war eine lange Vorrede, aber sie war notwendig – hätte ich sie sonst geschrieben? Wie immer geht es in meinem Blog bekanntlich vollkommen rational zu…
Und was läge näher, sich nach dieser Einführung nun dem Vorgänger meines Peugeot zu widmen – dem Typ 201 der frühen 1930er Jahre?
Auch wenn dieser formal völlig anders daherkam als der 1938 eingeführte 202, geht es nämlich wieder um die Frage: Konservieren oder Restaurieren?
Diesmal plädiere ich für eine solide Restaurierung, denn die Schönheit mancher Dinge ist mitunter durch den Zahn der Zeit, Missachtung und Verfall bis zur Unkenntlichkeit entstellt.
Manchmal genügt schon das ernüchternde Umfeld der sogenannten Moderne (faktisch ein 100 Jahre alter Hut), um einem die Freude an den attraktivsten Erscheinungen zu nehmen:

Nein, das ist keine Fotomontage: Irgendein unbegabter oder bösartiger Mensch meinte in den 1930er Jahren, diesen Peugeot 201 mitsamt elegant gekleideter Dame partout an dieser Stelle und in diesem Moment ablichten zu müssen.
Die Einbeziehung eines Baumstamms im Vordergrund ist ja bereits eine reife Leistung. Aber die damals keineswegs mehr neue Bauhaus-Stapelarchitektur und der misanthropisch dreinblickende Herrn (könnte glatt der Architekt gewesen sein…) stellen einen Kontrast dar, der nicht ernsthaft beabsichtigt gewesen sein kann – oder doch?
Wie auch immer, heute kann ich genau so einen Peugeot in einer erbaulicheren Situation präsentieren, wenngleich sich das auf den ersten Blick nicht erschließen mag:

Wenn ich hier entgegen meinen sonstigen Gepflogenheiten den vergilbten Originalabzug zeige, dann nur damit deutlich wird, dass in solchen Fällen eine Restaurierung der reinen Konservierung des Zustands vorzuziehen ist.
Das gilt nicht nur für die Aufnahmesituation als solche, sondern auch für die arg schäbig wirkende historische Fassade im Hintergrund. Auf vielen Fotos der Zwischenkriegszeit sieht man die verbreitete Vernachlässigung von Bauten, die an sich gut für Jahrhunderte waren.
Die modernistische Ideologie hatte schon damals viel Schaden in den Köpfen angerichtet. Die Zeit der großen Wertschätzung und Restaurierung historischer Bausubstanz (wenn auch oft sehr freizügig) hatte mit der Zäsur des 1. Weltkriegs vorerst geendet.
So ist zu erklären, dass ich zwar dem Foto als solchem und dem Peugeot nebst seinen Insassen durch eine behutsame Restaurierung zumindest einen Teil der ursprünglichen Würde zurückgeben konnte, nicht aber dem Bau im Hintergrund:

Immerhin macht der kleine Peugeot mit seinem 1,3 Liter-Vierzlinder (28 PS) im Erscheinungsbild von 1934/35 hier schon wieder ganz gute Figur. Nicht ausschließen möchte ich, dass es auch ein Typ 301 war, der praktisch genauso aussah.
Gut gefallen mir die beiden Paare vor dem Wagen – sie scheinen bestens aufgelegt zu sein. Vielleicht ist ihre Heiterkeit auch dem vorherigen Genuss eines tüchtigen Elsässer Riesling zu verdanken, den es gleich um die Ecke gab.
Woher ich das weiß? Nun, auf der Rückseite des Abzugs steht der Schlüssel: “Andlau”.
Wer sich ein wenig im Elsaß auskennt – etwa weil er jährlich zum famosen Teilemarkt in Lipsheim südlich von Straßburg pilgert – wird die liebliche Weinbaugegend am Ostrand der Vogesen kennen, wo der im frühen Mittelalter gegründete Ort liegt.
Wie allgemein im Elsaß ist die historische Architektur von Andlau längst auf’s Schönste herausgeputzt. Im Speckgürtel von Frankfurt/Main ist so etwas die absolute Ausnahme, wie ich als Bewohner der an sich ebenso lieblichen Wetterau nur zu gut weiß.
Es bedurfte keiner langwierigen Recherchen, um die Stelle ausfindig zu machen, an der sich vor bald 90 Jahren unsere gut gelaunte Gesellschaft mit ihrem Peugeot ablichten ließ.
Auf dem Marktplatz war das, den das klassisch-schöne Rathaus beherrscht (so was können die Schukasterlbauer unserer Tage leider nicht mehr bzw. sie wollen es nicht). In der Mitte der hübsche Sandsteinbrunnen, der an die Gründungslegende des Städtchens erinnert:

Den grausigen gelben Wagen ganz rechts kann ich Ihnen leider nicht ersparen – wer kauft so etwas eigentlich? – denn dahinter ist die Fassade des Wohnhauses zu sehen, vor dem einst der Peugeot zum Fotohalt abgestellt worden war.
Hier hat sich die Restaurierung gelohnt, meine ich.
Nebenbei sind diese historischen Bauten so “nachhaltig” wie es überhaupt nur geht. Sie stiften dauerhaften Nutzen und anhaltende Freude über Generationen und Jahrhunderte hinweg. Ihr Erhalt – sei es durch Konservierung oder Restaurierung – schafft Identität, nicht die überall gleichen Funktionskisten der Moderne…
Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.