Auf einer Skala technischer Exzellenz wird man Mercedes heute weit oben ansiedeln, während Fiat wohl auf einem der hinteren Ränge landet. Das war aber keineswegs immer so.
Sicher gab es schon vor dem 2. Weltkrieg Mercedes-Modelle, die sich durch fortschrittliche Elemente auszeichneten. Doch meist wurde technische Hausmannskost geboten, wenn auch gepaart mit ausgezeichneter Verarbeitung und hoher Zuverlässigkeit.
Umgekehrt beschränkte sich das Angebot bei Fiat keineswegs auf Kleinwagen. Zwar gehörten der 500er (“Topolino”) und der 1100er (“Millecento”) schon vor dem Krieg zu den Erfolgsmodellen der Turiner Marke – auch in Deutschland. Doch daneben baute man ab 1935 einen modernen Wagen der gehobenen Mittelklasse, den 1500er.
Folgendes Originalfoto zeigt einen solchen Fiat 1500 in den späten 1930er Jahren auf einer Passtraße in Österreich:
© Fiat 1500, Ende der 1930er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Der Fiat 1500 ähnelte formal zwar dem 1100, war aber deutlich großzügiger dimensioniert. Auch die integrierten Scheinwerfer und die zweiteilige Frontstoßstange sind Merkmale des “großen Fiat”.
Was der 4,40 m lange Wagen technisch bot, war beachtlich: Der laufruhige 6-Zylinder-Motor mit hängenden Ventilen leistete solide 45 PS bei einem Wagengewicht von knapp 1.100 kg, die Vorderradaufhängung nach Dubonnet-Prinzip sorgte für hohen Federkomfort und die 12-Volt-Elektrik ermöglichte eine angemessene Lichtausbeute bei Nachtfahrten. 4-Gang-Getriebe und hydraulische Bremsen waren in dieser Klasse selbstverständlich.
Werfen wir zum Vergleich einen Blick auf den am deutschen Markt verbreiteten Mercedes 170V: Er verfügte nur über einen altertümlichen Vierzylinder-Motor mit Seitenventilen, der aus 1,7 Liter Hubraum gerade einmal 38 PS schöpfte. Die geringe Leistung stieß auf ein Wagengewicht von fast 1,2 Tonnen. Lediglich das Fahrwerk konnte als modern gelten. Nicht konkurrenzfähig war die 6-Volt-Elektrik, an der einige deutsche Hersteller ohne Not bis in die 1960er Jahre festhielten.
Zwar war der Mercedes 170V deutlich billiger als der Fiat 1500. Doch das spiegelte in erster Linie die höheren Produktionskosten des im alten NSU-Werk in Heilbronn für den deutschen Markt gefertigten Fiat-Modells wider. Mercedes konnte aufgrund weit höherer Stückzahlen natürlich einen attraktiveren Preis realisieren.
Das technisch und vom Platzangebot überlegene Auto war aber sicher der Fiat 1500. Selbst der großgewachsene Herr auf unserem Foto passte offenbar in den nur 1,54 m hohen, aber innen recht geräumigen Fiat:
Mercedes bot erst beim größeren und weit teureren 230er Modell einen 6-Zylinder mit moderater Leistung: 55 PS aus 2,3 Liter Hubraum. Damit waren dann dem Fiat 1500 vergleichbare Fahrleistungen möglich, doch weiterhin nur mit 6-Volt-Elektrik.
Der Fiat war also in einer Nische angesiedelt, in der selbst Mercedes nichts Entsprechendes zu bieten hatte. Ohne die deutsche Lizenzfertigung entstanden bis zum Beginn des 2. Weltkriegs über 35.000 Exemplare des Fiat 1500. In Deutschland wurde der Wagen als NSU-Fiat sogar bis 1941 weitergebaut. Das wäre unter den Bedingungen der Kriegswirtschaft nicht geschehen, hätte es nicht einen Bedarf an Wagen dieser Klasse gegeben, der mit der Produktion einheimischer Hersteller nicht zu stillen war.
Zum Abschluss noch ein Bild desselben Fiat 1500 in der Seitenansicht:
© Fiat 1500, Ende der 1930er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Gut zu erkennen sind die aerodynamische Frontpartie und die großzügig bemessene Kabine. Ein interessantes Detail: Der Viertürer verfügte über keine B-Säule, sodass auch hinten ein müheloser Ein- und Ausstieg möglich war. Die versenkten Türgriffe nehmen typisch italienische Lösungen der Nachkriegszeit vorweg.
Insgesamt war der Fiat 1500 ein hochinteressantes Auto, von dem leider kaum Exemplare überlebt haben. Im Krieg und in den Jahren danach wurden diese hochwertigen Wagen bis zum bitteren Ende aufgebraucht.
Der 1500er wurde nach dem Krieg mit veränderter Frontpartie noch eine Weile weitergebaut. Sein Nachfolger wurde der hochmoderne Fiat 1400 bzw. 1900. Weitere zeitgenössische Bilder des Fiat 1500 finden sich hier.
Das 2.Foto könnte am Katschberg einem gefürchtete Alpenpass entstanden sein.