Leser dieses Blogs haben vielleicht bemerkt, dass dem Verfasser die 1934 untergegangene Berliner Automobilmarke NAG am Herzen liegt. Bisher sind hier Bildbeiträge zum Hubraumriesen K8 33/75 PS, den sportlichen 4-Zylinder-Typen C4 Monza und D4 Tourer sowie dem mächtigen 6-Zylindermodell von 1928 erschienen.
Wie der deutsche Altautoguru Halwart Schrader einmal schrieb, sah es “eine Zeit lang so aus, als würde sich NAG zu einer der ganz großen Marken wie Mercedes entwickeln”. Leider standen dem eine verfehlte Modellpolitik und unwirtschaftliche Produktion entgegen. Umso eindrucksvoller fiel der Abgesang der 1901 gegründeten Traditionsmarke Anfang der 1930er Jahre aus.
Eine maßgebliche Rolle dabei spielte Paul Henze, der nach Stationen bei den elitären Herstellern Steiger und Simson ab 1929 die PKW-Entwicklung bei NAG leitete. Er sorgte dafür, dass die 6-Zylinder-Limousinen der Marke ein 80 PS starkes 4-Liter-Aggregat sowie hydraulische Bremsen und Stoßdämpfer erhielten.
Bei der Gelegenheit wurden verfeinerte Karosserien angeboten, die die Konkurrenz mit den großen amerikanischen Anbietern nicht scheuen mussten. Ein Wagen dieses neuen, 1930 vorgestellten Typs ist auf dem folgenden Originalfoto zu sehen:
Das Foto hat viele Jahre an einer Pinnwand in der Küche des Verfassers verbracht, doch nach kleinen Retuschen ist noch immer seine hervorragende technische Qualität erkennbar.
Woran ist nun der Wagentyp zu identifizieren? Wie in so vielen anderen Fällen orientiert man sich bei Fahrzeugen der 1920/30er Jahre zunächst an der Kühlerpartie, die am ehesten typische Elemente aufweist. Beim vorliegenden Foto ist dort das Logo von NAG-Protos recht gut zu erkennen:
Im Markenemblem sind die Buchstaben NAG typischerweise in drei Sechsecken angeordnet. Nach der Übernahme des ebenfalls in Berlin ansässigen Herstellers Protos wurde dessen Name unter dem NAG-Logo in einem Bogen angeordnet ergänzt.
Dass wir es hier nicht mehr mit einem der Modelle der späten 1920er Jahre zu tun haben (Bildbericht), ist ebenfalls am Kühlergrill abzulesen. Neu ist der geschwungene Kühlerausschnitt, der dem unteren Abschluss des Logos folgt. Des Weiteren sind die trommelförmigen Scheinwerfer des Vorgängers zeitgemäßen Ausführungen mit konischem Gehäuse gewichen.
Ebenfalls typisch für die neue Linie ab 1930 sind die Scheibenräder mit Radkappen, die ein eingeprägtes NAG-Emblem zeigen (vorne ansatzweise zu erkennen).
Hier sieht man auch, weshalb bei vielen Automobilen jener Zeit seitliche Kotflügelschürzen eingeführt wurden: man sieht dann nämlich den Dreck nicht mehr, den die Räder nach hinten schleudern.
Kommen wir zum interessantesten Teil des Wagens, dem Aufbau. Prinzipiell könnte ein NAG-Protos dieses Typs sowohl den bereits erwähnten 4-Liter-Sechszylinder aufweisen als auch einen 4,5 Liter messenden, 100 PS starken V8-Motor, den ersten in einem deutschen Serienwagen.
Der V8 wurde auf demselben Fahrgestell mit knapp 3,50m Radstand und einer Gesamtlänge von über 5 Metern verbaut wie der 6-Zylinder-Motor. Allerdings scheint es ihn nur in Kombination mit Cabriolet-Karosserien und Aufbauten als Pullman-Limousine gegeben zu haben.
Unser Bild zeigt dagegen etwas grundlegend anderes, nämlich einen zweitürigen, limousinenartigen Aufbau, der hinten zur Präsentation von Produkten der Backzubehörfirma Dr. Oetker diente (siehe seitliche Aufschrift).
Wahrscheinlich handelt es sich hierbei um eine Spezialanfertigung, die möglicherweise als Kombi ausgeführt war (ähnlich französischen Wagen mit ausklappbarer Heckpartie). Man kann sich diesen NAG-Protos als Begleitfahrzeug des ebenfalls von NAG gebauten Dr. Oetker-Werbelastkraftwagens vorstellen.
Die Motorisierung des NAG-Protos auf unserem Foto dürfte wohl eher der 4,5 Liter große Sechszylinder als der mächtige V8 gewesen sein. Das teure Achtzylindermodell wurde meist in Verbindung mit den eleganten Cabriolets gekauft, die von feinen Karosseriefirmen wie Drauz und Spohn gefertigt wurden. Diese Wagen mit ihrer niedrigen Linie gehören zum Großartigsten, was jemals den Namen NAG trug und konnten es gestalterisch mit den schönsten Mercedes jener Zeit aufnehmen.
Sicher war den beiden Passagieren des Dr.-Oetker-NAG bewusst, in was für einem exklusiven Vehikel sie da unterwegs waren. Vermutlich handelt es sich bloß um Vertreter der Firma, doch ihre Kleidung kündet von einigem Selbstbewusstsein.
Wer damals als Verkäufer etwas auf sich hielt, investierte erst einmal in ordentliche Anzüge und hochwertiges Schuhwerk, bevor er sich andere Dinge gönnte. Seither haben sich die Prioritäten gewandelt. Auf das äußere Erscheinungsbild wird weniger Wert gelegt und – seien wir ehrlich – auch die Vertreterautos hatten damals mehr Stil…