Wer wie der Verfasser auf der Jagd nach Originalfotos von Vorkriegsautomobilen ist, stellt immer wieder fest: Viele Zeitgenossen sind heutzutage trotz moderner Technik nicht in der Lage, ein scharfes, unverwackeltes und sehenswertes Foto zu machen.
Trotz aller Verheißungen des “digitalen Zeitalters” ist der Mensch nach wie vor der Unsicherheitsfaktor Nr. 1. Nicht die Technik macht eine gute Aufnahme, sondern eine Person, bei der solides Handwerk, ein gutes Auge und Glück zusammentreffen.
Damit ausgestattet konnte man schon vor über 100 Jahren in jeder Hinsicht brilliante Bilder machen, das folgende Originalfoto von 1913 zeigt dies eindrucksvoll:
© Adler 10/25 PS, 1913; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Nicht vergessen: Wir haben es hier mit einem über 100 Jahre alten Abzug zu tun, der digital eingelesen wurde und nur einen Bruchteil der vorhandenen Information wiedergibt. Doch selbst dieses datenreduzierte Bild erlaubt faszinierende Detailstudien.
Zuvor einige Worte zu dem abgebildeten Wagen. Dass es ein Auto der Frankfurter Marke Adler ist, muss man nicht herleiten. Kühlerform und -figur lassen keinen anderen Schluss zu.
Der einstige Besitzer des Abzugs hat dankenswerterweise darauf vermerkt, dass es sich um ein 10PS-Modell mit 2,6 Liter Hubraum handelt. Der abgebildete Tourenwagen war nämlich auch als 12/30 PS-Modell mit 3,1 Liter-Motor verfügbar. Genau so ein Typ ist in Werner Oswalds Standardwerk “Adler Automobile 1900-45” auf Seite 26 abgebildet.
Man könnte jetzt darüber klagen, dass es seit 35 Jahren keine Neuauflage des Buchs mit neueren Informationen und weiteren Bildern von Adler-Automobilen gegeben hat. Doch unter anderem deshalb gibt es diesen Blog: um die Faszination von Vorkriegswagen in Deutschland am Leben zu halten und historische Aufnahmen davon zu verbreiten.
Werfen wir einen Blick auf die Frontpartie des Adler 10/25 Modells:
Großartig sind die Frontscheinwerfer, die an aufgerissene Drachenmäuler erinnern, wie sie auch bei Hupen jener Zeit zu finden sind. Gut zu erkennen ist auch der “ADLER”-Schriftzug auf der Nabenkappe. Das bekommt man so lupenrein selten zu sehen.
Für die Adler-Gourmets aufschlussreich ist auch folgende Ausschnittsvergrößerung. Einziger Mangel sind einige Risse im Abzug auf Höhe des elektrischen Positionslichts:
Auch die Heckpartie kommt noch zu ihrem Recht. Hier sieht man sehr schön die Anordnung der Verdeckstangen und den Lederriemen, der sie zusammenhielt. Vielleicht kann ein Leser sagen, was auf dem Ärmelband des zweifellos wichtigen Herrn auf der Rückbank zu lesen ist.
Wie es Brauch ist in diesem Blog, soll nun noch ein Blick auf einige der Personen geworfen werden, die auf dem Bild zu sehen sind. Über zwanzig stehen zur Auswahl, was von der Anziehungskraft eines Adler-Tourenwagen vor über 100 Jahren kündet.
Besonders gefallen haben dem Verfasser die folgenden Porträtierten:
Die junge Dame trägt die Mode der späten Kaiserzeit unmittelbar vor Kriegsausbruch: Der hohe Kragen der Bluse ist geschlossen, das sieht schon wenige Jahre ganz anders aus. Auch der breitkrempige Hut wird bald sportlichen Modellen weichen. Ein schönes Beispiel für die dramatischen Veränderungen der Frauenmode noch während des 1. Weltkriegs ist in diesem Blog im Bildbericht zu einem Albatros-Jagdflugzeug zu sehen.
Nachdenklich stimmen einen die Personen in folgendem Bildausschnitt:
Die jungen Männer sind mit Sicherheit in den kommenden Jahren zum Kriegsdienst eingezogen worden. Von den arbeitsgewohnten Frauen mit den weißen Schürzen dürften einige in Fabriken gelandet sein, wo sie Munition und andere Rüstungsgüter herstellen mussten. Auch sie wurden nicht nach ihrer Meinung gefragt.
Die Begegnung mit dem Adler-Tourenwagen war einer der letzten friedvollen Momente in ihrem gewohnten Leben, denn mit Kriegsausbruch 1914 sollte alles anders werden. Die Autobilder jener Zeit erinnern auch daran, dass Regierungen gleich welcher Couleur bis heute selten das Interesse der Bevölkerung vertreten.