Mit 6-Zylinder-Laufkultur verbinden die meisten Klassikerfreunde wohl Marken wie BMW und Jaguar – an Opel würde man in diesem Zusammenhang eher nicht denken. Und doch genossen die Rüsselheimer in den 1920er Jahren einiges Renommee für ihre großzügigen Tourenwagen mit 6 Sitzen und ebenso vielen Zylindern.
Mit dem Opel 8/25-PS Tourenwagen jener Zeit – einem 4-Sitzer mit Vierzylindermotor – haben wir uns hier schon einmal beschäftigt (Bildberichte 1 und 2). Nun ist der große Bruder an der Reihe, der auf den ersten Blick ganz ähnlich aussieht:
© Opel 20/55 PS, Baujahr: 1919/20; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Jedenfalls spricht viel dafür, dass der Wagen auf diesem Originalfoto ein 20/55 PS Opel ist. Zwar ist die Aufnahme etwas unscharf, doch sind genügend Details zu erkennen, die eine Identifikation erlauben.
Hilfreich ist zunächst der Spitzkühler. Dieser war zwar bei vielen Marken aus dem deutschsprachigen Raum vor und nach dem 1. Weltkrieg zu finden. Neben Audi, Horch und Mercedes trugen auch Wagen von AGA, Dürkopp, NAG und Stoewer häufig diese Kühlerform. Meist handelte sich aber um markentypische Varianten, die sich auch in der Seitenansicht recht gut auseinanderhalten lassen.
Im vorliegenden Fall haben wir es mit einem Opel-Spitzkühler zu tun, worauf die dem Kühlerausschnitt folgende Sicke hinweist. Die übrigen auf dem Ausschnitt zu sehenden Details sind zwar weniger markant, passen aber allesamt zum Erscheinungsbild eines Opel der frühen 1920er Jahre.
Für das große 6-Zylindermodell mit 5,6 Liter Hubraum sprechen zwei Beobachtungen: Zum einen wirkt der Radstand deutlich größer als beim optisch ähnlichen 8/25-Modell (3,67 m gegenüber 3,16 m). Dementsprechend ist auch zwischen dem Werkzeugkasten auf dem Trittbrett und dem hinteren Kotflügel mehr Platz als beim kürzeren Vierzylinder:
Zum anderen scheint die Person hinter Fahrer und Beifahrer nicht auf der Rückbank zu sitzen, sondern auf einer Sitzreihe davor. Es handelt sich also um eine Sechssitzer-Ausführung, die es beim Opel 8/25 nicht gab.
Die Unterschiede der beiden Modelle lassen sich übrigens gut in folgender Publikation nachvollziehen:
“Opel-Fahrzeugchronik Band 1, 1899-1951”, von Barthels/Manthey, Verlag: Podszun Motorbücher, ISBN: 978-3-86133-612-9
Dass im kleineren Vierzylindermodell innen deutlich weniger Platz war, ist sehr schön auf folgendem Foto zu sehen, das einen Opel 8/25 PS aus ungewohnter Perspektive zeigt:
© Opel 8/25 PS, 1913; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Auf dieser reizvollen Aufnahme lassen sich die Details des Wagens sehr genau studieren. Ungewöhnlich gut zu erkennen ist beispielsweise die Art der Polsterung. Interessant sind auch die beiden rechtwinkligen Anbauteile neben dem Windschutzscheibenrahmen, deren Zweck dem Verfasser nicht klar ist.
Die V-förmige Frontscheibe gab es übrigens beim 6-Zylindermodell ab 1921 ebenfalls. Der Wagen wurde dann unter der Bezeichnung als 21/50 PS-Modell verkauft.
Da unser eigentliches “Fotomodell” noch eine flache Windschutzscheibe trägt, haben wir es nach der Lage der Dinge mit einem 6-Zylinder-Opel des Typs 21/55 PS aus dem Baujahr 1919/20 zu tun. Es ist nicht ganz auszuschließen, dass es sich noch um ein anderes Opel-Modell handelt – vielleicht können sachkundige Leser etwas dazu sagen.
Auf jeden Fall ist das Bild ein schöner Beleg dafür, in welchen Sphären sich Opel einst bewegt hat, bevor man den Weg zur “Brot-und-Butter-Marke” einschlug, der zumindest eine ganze Zeit lang nicht der schlechteste war.
Für Winker erscheinen mir die Teile zu klein, Michael. Halter für Zusatzscheinwerfer klingt dagegen wahrscheinlicher.