Heute stellen wir ein außerordentliches Originalfoto eines Wagens der 1920er Jahre vor, das wir einem Leser aus Österreich zu verdanken haben. Es ist eines der ganz seltenen Beispiele, bei denen Aufnahmeort und -datum sowie die Insassen bekannt sind.
Die Identifikation des Autotyps war nicht einfach und bedurfte einiger Recherchen, doch das schöne Bild verdient solchen Aufwand. Werfen wir nun einen Blick auf die eingesandte Originalfotografie:
© Fiat Tourenwagen, aufgenommen 1927 in Graz; Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Thomas Frewein
Der fast 90 Jahre alte Abzug ist von technisch sehr guter Qualität, auch wenn bei der Aufnahme etwas Licht seitlich in das Kameragehäuse eingedrungen zu sein scheint. Die daraus resultierenden überbelichteten Partien ließen sich aber teilweise retuschieren.
Wie so oft auf privaten alten Autofotos mit Personen ist der Wagen von der Seite aufgenommen. So stehen die Insassen im Mittelpunkt, das Auto war eher Staffage. Uns Spätergeborenen wäre natürlich ein näherer Blick auf die Kühlerpartie lieb, die bei den Wagen der Zwischenkriegszeit am ehesten Aufschluss über den Hersteller gab.
Wir sehen die Sache sportlich und versuchen es trotzdem. Der erste Gedanke des Verfasser war, dass dieser klassisch gezeichnete offene Tourenwagen ein Steyr sein könnte. Das hätte gut zum Aufnahmeort Graz gepasst, den wir kennen.
Zwar gab es Mitte der 1920er Jahre ähnliche Wagen der österreichischen Marke Steyr, doch einige Details wollen nicht so recht passen. Beispielweise verfügten Steyr-Autos oft über filigrane Drahtspeichenräder mit Zentralverschluss nach englischem Vorbild.
In den 1920er Jahren baute sonst nur ein größerer Hersteller Autos mit so klarer Formgebung: FIAT. Die Turiner Marke genoss in der Zeit bis zum 2. Weltkrieg einen hervorragenden Ruf für solide konstruierte, stilsicher gestaltete und gut verarbeitete Wagen.
Wir haben auf diesem Blog erst kürzlich ein Beispiel für die Klasse vorgestellt, in der sich Fiat damals bewegte, den Typ 519 von 1921. Dieser moderne Luxuswagen war das formale Vorbild für alle Fiats, die bis 1927 gebaut wurden:
Er trug erstmals einen Kühler nach Art antiker griechischer Tempel, deren Front durch einen Dreiecksgiebel gekennzeichnet war. Dieses klassische Element prägte die Frontpartie aller Fiats jener Zeit von der Motorhaube bis zur Windschutzscheibe hin.
Schauen wir uns einen Großserien-Fiat der 1920er Jahre an, der von der Formgebung dieses damals stilbildenden “Super”-Fiat beeinflusst war. Er ist aus einer anderen Perspektive fotografiert als unser eingangs gezeigtes Originalfoto, doch es ist derselbe Typ:
© Fiat Tourenwagen als Taxi, aufgenommen in Italien; Sammlung: Michael Schlenger
Markant außer der Kühlerform ist der damit korrespondierende Knick der Unterseite der Windschutzscheibe. Typisch auch die seitliche Zierleiste oberhalb der Luftschlitze in der Motorhaube.
Identisch ebenso die Montage der handbetriebenen Hupe im Scheibenrahmen und die nach vorne ausstellbare Frontscheibe. Die Rechtslenkung war noch in vielen Ländern üblich; sie stammte aus der Zeit, in der der Kutscher mit der Rechten die Pferde antrieb.
Hier zum Vergleich eine Ausschnittsvergrößerung der Frontpartie des Fiat aus Graz:
Da die Aufnahme auf 1927 datiert ist und der Wagen relativ kurz ist, dürfte das abgebildete Auto eines der beiden damals verbreiteten Vierzylindermodelle Fiat 503 oder 509 sein.
Sie verfügten über kopfgesteuerte Motoren mit 1 bzw. 1,5 Liter Hubraum, die standfeste 22 bzw. 27 PS leisteten. Das klingt nach wenig, war aber gemessen an der Literleistung deutscher Wagen bis in die frühen 1930er Jahre konkurrenzfähig.
Zudem verfügten diese Modelle über vier Gänge und Bremsen an allen Rädern – damals nicht selbstverständlich in der Mittelklasse. Kein Wunder, dass speziell der sparsame Fiat 509 der europaweit meistverkaufte italienische Wagen war, bevor der Fiat 500 herauskam.
Übrigens gab es mit identischer, nur längerer Karosserie von Fiat seinerzeit auch Sechszylinder, die in den späten 1920er Jahren bis zu 50 PS leisteten (Typen 520 und 521). Mercedes bot selbst in den 1930er Jahren in dieser Klasse nicht mehr Leistung.
Zu guter Letzt wollen wir noch einen Blick auf die Mädchen in dem eleganten Fiat werfen, die gewiss der eigentliche Anlass der 1927 entstandenen Aufnahme waren:
Soweit wir wissen, sind die beiden fein gekleideten Kinder Schwestern und eine von ihnen hat uns über besagten Leser aus Österreich dieses Foto zur Verfügung gestellt.
Solch ein Dokument ist ganz außergewöhnlich und wir danken der Dame aus Österreich herzlich für das Privileg, dieses Bild aus ihrer Kinderzeit zusammen mit dem einst prestigeträchtigen Automobil zeigen zu dürfen.
Wer genau hinsieht, erkennt übrigens im Hintergrund einen weiteren Wagen vermutlich desselben Typs. Heute sind die erfolgreichen Fiats der 1920er Jahre eine große Rarität und wer solch ein edles Auto besitzt, kann sich so glücklich schätzen wie damals.