Im Mai vor 75 Jahren – im Kriegsjahr 1941 – schickte jemand eine Postkarte auf Frankfurt/Main an eine Bekannte nach Wien und verwendete dabei ein Motiv, das nur noch kurze Zeit so zu bewundern war – das Geburtshaus von Johann Wolfgang Goethe.
Die Postkarte dürfte damals schon einige Jahre alt gewesen sein, doch bis Kriegsausbruch war für einen Flaneur im Großen Hirschgraben diese Situation nicht ungewöhnlich:
© Adler “Standard 6” Cabriolet; Postkarte von 1941 aus Sammlung Michael Schlenger
Offenbar handelt es sich bei dem Wagen rechts vor dem Eingang zum Goethehaus um ein zweisitziges Cabriolet. Dem Typ nach könnte es auf den ersten Blick ein amerikanischer Wagen der späten 1920er Jahre sein. In den USA wurden solche sportlichen Karosserien oft unter der Bezeichnung “Runabout” vermarktet.
In Deutschland fanden die gut motorisierten und preiswerten US-Wagen reißenden Absatz. Buick, Chevrolet und Ford ließen ihre Autos sogar in Deutschland produzieren. Von daher wäre ein “Amerikaner in Frankfurt” nichts Ungewöhnliches gewesen.
Ein Auto der Zwischenkriegszeit in der Heckansicht zu identifizieren, ist allerdings eine schwierige Sache. Im vorliegenden Fall hilft uns ein kleines Detail. Dazu schauen wir uns den flotten Zweisitzer näher an:
Die Scheibenräder sind in großem Radius an sieben Radbolzen montiert. In Verbindung mit den markanten waagerechten Luftschlitzen gab es damals nur beim Modell “Standard 6” der Frankfurter Adlerwerke.
Das 2-Sitzer-Cabriolet des 1927 bis 1934 gebauten Sechszylinder von Adler wurde auf diesem Blog schon einmal in einer besonders hochwertigen Aufnahme besprochen (Bildbericht). Dabei handelte es sich um die von Karmann karossierte Version.
Das Cabriolet auf unserem Foto wurde aber wahrscheinlich von der Kölner Stellmacherfirma Papler gebaut. Darauf weisen der Überhang der Passagierkabine über dem Schweller und die dunkel abgesetzte Partie oberhalb der seitlichen Zierleiste hin. Dieselben Details finden sich auf einem Foto, das im Standardwerk “Adler Automobile” von Werner Oswald auf Seite 45 zu sehen ist.
Ein interessantes Detail ist die verchromte Abdeckung des Reserverads, wohl ein Zubehörteil. Das Nummernschild mit dem Kürzel “IT” verweist auf eine Zulassung in der einstigen Provinz Hessen-Nassau, zu der auch Frankfurt gehörte.
Am 22. März 1944 bombardierten über 800 englische Flugzeuge gezielt die historische Altstadt Frankurts. Dabei brannte der gesamte Bestand an mittelalterlichen Fachwerkhäusern bis auf ein einziges nieder. Der durch den Brand angefachte Feuersturm zerstörte auch die oberen Etagen des Goethehauses.
Über 1.000 Zivilisten verloren in jener Nacht ihr Leben, zehntausende Frankfurter wurden obdachlos. Deutschland hatte diesen Krieg zwar begonnen, aber weder mit Kriegsrecht noch irgendeinem ethischen Prinzip waren und sind solche Angriffe auf Wehrlose und die Zerstörung ihres kulturellen Erbes zu rechtfertigen.
Das Goethehaus wurde nach dem Krieg gegen den Widerstand sich modern gebender Ideologen wieder aufgebaut. Heute ist das Goethehaus in vielerlei Hinsicht ein Ort der Besinnung. Es erinnert an die einstige Größe europäischer Kultur und zugleich an die kaum fassbaren Taten aller am 2. Weltkrieg beteiligten Parteien.
An die 1945 untergegangene Automarke Adler erinnern noch die eindrucksvollen Adlerwerke in Nähe des Hauptbahnhofs. Sie wurden bei dem Luftangriff im März 1944 zwar ebenfalls getroffen, aber nicht so stark zerstört wie die Altstadt.