Heute lasse ich Sie an einem Moment teilhaben, bei dem eigentlich die Kenner unter sich bleiben wollen. Als bei den meisten Vorkriegsmarken nur Halbgebildeter kenne ich aber keinen Respekt vor Autoritäten und mische mich gern frech ein.
Mir passt es nämlich gar nicht, wenn die Experten ihr Wissen am liebsten für sich behalten wollen, damit sie nicht vom gemeinen Pöbel belästigt werden. Dergleichen Attitüden legen keineswegs nur Sprösslinge alter Adelsgeschlechter, Kirchenfürsten oder sonstige Vertreter der jeweils herrschenden Priesterkaste an den Tag.
Schlimmer sind die eifrigen Aufsteiger, die sich einbilden, es noch besser zu wissen als die bis dato Mächtigen und sich umgehend die Aura der Unantatstbarkeit zulegen, sobald sie höhere Sphären erreicht zu haben glauben als der erdverbundene Fußgänger.
In der Frühzeit des Automobils waren dieser Versuchung insbesondere diejenigen ausgesetzt, welche einen der neuartigen und enorm komplexen Kraftwagen beherrschten.
Diese Experten – wichtigtuerisch Chauffeure genannt – wussten, was sie ihren vermögenden Brötchengebern wert waren und blieben nach Dienstschluss gern unter sich. Mit dem übrigen Personal wollte man wohl nichts zu tun haben.
Hier haben wir zwei Exemplare dieser benzingetriebenen Elite ins Fachgespräch vertieft:
Adler Tourenwagen um 1907; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Ist das nicht ein hübscher Schnappschuss, der hier einem frühen Vertreter der Paparazzi gelungen ist? Wir dürfen sicher sein, dass die eigentlichen Besitzer dieses mächtigen und kolossal teuren Tourenwagens irgendeine Form von Prominenz genossen.
Wie komme ich als bloßer Betrachter – keinesfalls Eingeweihter – dieser Szene zu einer derart kühnen Vermutung? Sagen wir, dass ein gesundes Halbwissen meist schon reicht, um in diesen Kreisen einigermaßen bestehen zu können.
Das erforderliche Mindestmaß an Bildung kann man sich mit etwas Disziplin im Selbststudium aneignen. Dazu schule man sich am besten an hochkarätigem Material – beispielsweise diesem:
Adler-Reklame von 1907; Original: Sammlung Michael Schlenger
Wen diese Reklame eher verwirrt als orientiert, dem sei zweierlei empfohlen:
Erstens das Studium der Kühler- und Haubenpartie, zweitens die genaue Betrachtung der Armlehne der vorderen Sitzbank mit dem auffallenden Haltegriff. Den übrigen Aufbau vergisst man am besten – der war weder typ- noch markenspezifisch.
Die Frontpartie entspricht derjenigen stark motorisierter Wagen der Adlerwerke aus Frankfurt am Main, wie sie zwischen 1906 und 1908 gebaut wurden. Diese Autos verfügten über kolossale Hubräume von über sieben Liter, welche eine Spitzenleistung von 40 bis 50 PS bereits bei Drehzahlen von etwas über 1.000 Umdrehungen pro Minute abwarfen.
Hier ein Adler-Landaulet dieses Kalibers, welches 1908 in Wandlitz abgelichtet wurde:
Adler Landaulet um 1907; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Sicher erkennen Sie die weitgehende Übereinstimmung von Kühler- und Haubenpartie – typisch für Adler-Wagen aus der Zeit kurz vor 1910.
Der vor dem Landaulet abgelichtete Fahrer war ebenfalls ein Experte seines Fachs, doch immerhin zeigt er sich uns zugewandt – von ihm hätten wir vermutlich alles über “seinen” Adler erfahren, was wir wissen wollen.
Doch leider kann er nicht mehr zu uns sprechen – ganz wie die beiden Kollegen auf dem eingangs gezeigten Foto. Dabei hätten wir gern einiges von ihnen erfahren, und sei es nur, welcher der am Armaturenbrett aufgereihten Öler für welchen Schmierpunkt zuständig war:
Dergleichen Details werden die beiden Magier des Motorwagens vermutlich als Berufsgeheimmis für sich behalten haben wollen.
Dabei hätten wir doch bloß gewusst, ob wir mit der Vermutung richtig liegen, dass es sich bei dem großzügig dimensionierten Automobil tatsächlich um einen Adler mit 40 PS aufwärts handelte, wie er ab 1906 im Programm auftaucht.
Dazu ist freilich das Votum eines Kenners der frühen Adler-Modelle vonnöten. Wäre doch schade, wenn die heutigen Experten dieser einst so bedeutenden deutschen Marke unter sich blieben und ihr zweifellos vorhandenes Wissen für sich behielten – die mir bekannte Literatur dazu ist nämlich über 40 Jahre alt (Werner Oswald, Adler Automobile, 1981)…
Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Lottospielen ist eine tolle Sache – vor allem für den Ausrichter.
Kaum zufällig hat sich von jeher der Staat das Vorrecht dazu reserviert, um anstrengungslos gut berechenbare üppige Einnahmen zu erzielen. Gäbe es dagegen viele private Konkurrenten, würde das bedeuten, dass die Spieler bessere Gewinnchancen hätten.
In meinem Blog sind Sie regelmäßig Gewinner – sofern Ihnen der Sinne nach Vorkriegsautos steht – und das ganz ohne finanziellen Einsatz, sie müssen bloß ertragen, was ich dazu spontan zusammenspinne.
Heute habe ich mir das Thema “6er im Lotto” gewählt und muss nun zusehen, wie ich es in einen Zusammenhang mit zwei Fotos bekommee, die Wagen der Traditionsmarke “Adler” aus Frankfurt am Main zeigen.
Bei “6er” und Adler denken die Kenner jetzt vielleicht an den “Standard 6” der späten 1920er Jahre – doch mit Verlaub – so etwas ist mir heute schlicht zu alltäglich:
Adler “Standard 6” Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
“Jetzt ist er verrückt geworden – das ist doch ein großartiges Dokument”, denken jetzt vielleicht die Adler-Freunde.
Aber tatsächlich ist diese Aufnahme eine von unzähligen des Sechszylindermodells, mit dem Adler Ende der 1920er Jahre den “Amerikanerwagen” Paroli bieten wollte. Davon gibt es noch haufenweise unpublizierte Fotos – gelegentlich zeige ich einige.
Weit interessanter, weil viel seltener ist aus meiner Sicht der Vorgänger des “Standard 6”. Denn schon ab 1925 bauten die Adlerwerke ein Sechszylindermodell, das weitgehend vergessen ist – den Typ 10/45 PS (später 10/50 PS).
Wir sind diesem seltenen Typ, der noch keine Kopie amerikanischer Wagen sein sollte, bereits begegnet – unter anderem anhand dieses Fotos aus meiner Sammlung:
Adler 10/45 PS oder 10/50 PS Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Seinerzeit hatte ich diese eindrucksvolle und makellos gezeichnete Limousine als Adler des Typs 10/45 bzw. 10/50 PS angesprochen, ohne dass mir Vergleichsfotos mit eindeutig identifizierten Wagen dieses Modells vorlagen.
Die Dokumentation der Adler-Wagen vor 1930 in Buchform und im Netz wird – man muss es leider immer noch immer sagen – der Bedeutung dieser Marke nicht annähernd gerecht. Ich weiß nicht genau, was mit den deutschen Oldtimer-Enthusiasten los ist, aber Adler ist nur eine von vielen Marken, die immer noch einer umfassenden Würdigung harren.
Ich lasse mich ja gern belehren, aber leider bin ich auf Zusendungen von Sammlerkollegen angewiesen, was Vergleichsmaterial im Fall des Adler 10/45 PS bzw. 10/50 PS angeht.
Einer davon ist Matthias Schmidt aus Dresden – ihm verdanke ich den ersten “6er” im heutigen Adler-Lotto:
Normalerweise wäre eine solche Aufnahme von der Seite nicht mein Favorit, doch hier ist sie mir hochwillkommen. Denn sie bestätigt meine Identifikation des zuvor gezeigten Adler als 6-Zylindertyp 10/45 PS oder 10/50 PS ab 1925.
Der Hauptunterschied sind die unterschiedlichen Räder, wobei die Drahtspeichenräder auf den Typ 10/50 PS zu verweisen scheinen, während der etwas schwächere 10/45 PS über Stahlspeichenräder verfügte – das ist aber nur eine Vermutung.
Die Aufnahme von Matthias Schmidt hat den Vorzug, dass man auf den Nabenkappen den Schriftzug “Adler” erkennen kann. Ohne diesen und ohne das Fabrikschild auf dem Schweller wäre es gar nicht so einfach, diese Limousine überhaupt als Adler zu identifizieren – es hätte auch ein 6-Zylinder-Fiat jener Zeit sein können.
Tatsächlich ist hier die Rückseite des Fotos noch interessanter, denn hier findet der wahre Adler-Liebhaber alles, was sein Herz begehrt:
Wer einen solchen Adler 10/50 PS als erstes Auto überhaupt besaß, muss außerordentlich gut situiert gewesen sein und einen Sinn für’s Besondere besessen haben.
Denn davon wurden nur rund 150 Wagen produziert und man darf für die hier abgebildete Pullman-Limousine einen Preis von rund 15.000 Reichsmark ansetzen – das entsprach Mitte der 1920er Jahre zehn Brutto-Jahresverdiensten eines Angestellten!
Im vorliegenden Fall ist sogar die Fahrgestellnummer überliefert, allerdings bezweifle ich, dass auch nur ein einziger dieser Wagen den 2. Weltkrieg und den “Alles Alte muss weg”-Furor im Nachkriegsdeutschland überlebt hat.
Dafür hat etwas anderes die Zeiten überdauert, was beinahe einem weiteren “6er” im Adler-Lotto entspricht, nämlich die Aufnahme einer offenen Version des gleichen Typs:
Adler 10/45 oder 10/50 PS Tourer; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks
Hier haben wir nicht nur das Glück, dass der Wagen aus idealer Perspektive zu sehen ist und man genügend Details erkennt, um ihn als 6-Zylindermodell ab 1925 ansprechen zu können (dazu zählen auch die Trittschutzbleche auf dem Schweller unterhalb der Türen).
Vielmehr ist hier eine wohl markenunabhängige Konstruktion vor dem Kühler zu sehen, die mir so noch nie begegnet ist. Ich vermute, dass das an der Scheinwerferstange angebrachte Gehäuse ein elektrisch beleuchteter Fahrtrichtungsanzeiger war.
Jedenfalls habe ich keine andere Erklärung dafür. Da viele meiner Leser weit mehr Erfahrung mit solchen Dingen habe – ich verstehe mich eher als Archivar und nehme keine besondere Sachkenntnis für mich in Anspruch – weiß bestimmt jemand Näheres dazu.
Als unverbesserlicher Ästhet will ich nicht zuletzt auf den neben dem Adler stehenden Besitzer aufmerksam machen, dessen Outfit mit präzise auf den Leib geschneidertem Mantel ebenso beeindruckt wie seine bewusst eingenommene Haltung.
Solche Dinge waren einmal wichtig, für viele sogar selbstverständlich, und nicht zuletzt die Bedeutung von “fare bella figura”, wie es die Italiener nennen, verrät uns, wie anders diese Welt von gestern war.
Ihr ein wenig näher gekommen zu sein und dabei ausgerechnet dem raren Adler 10/45 bzw. 10/50 PS begegnet zu sein, das dürfte uns dem “6er” im Lotto zumindest näher gebracht haben als das Ausfüllen eines einschlägigen Spielscheins…
Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Mitte der 1920er Jahre schien die große Zeit der Automobile aus den Adlerwerken in Frankfurt/Main vorbei zu sein.
Die enorme Typenvielfalt der Zeit vor dem 1. Weltkrieg, die von Kleinwagen mit nur 1,3 Liter Hubraum bis zu 80 PS starken Giganten reichte, war ab 1920 einem deutlich geschrumpften Angebot gewichen.
Die großen Spitzkühlertypen wurden nur noch vereinzelt gebaut, der Schwerpunkt lag nun auf Wagen mit 6 bzw. 9 Steuer-PS, was etwa 1,5 bzw 2,3 Litern Hubraum entsprach. Doch auch diese blieben vergleichsweise selten.
1925 wurde die Produktion dann weitgehend auf das 6/25 PS-Modell konzentriert, welches zwar motorenseitig auf dem 6/18 PS bzw. 6/22 PS-Typ ab 1921 basierte, aber mit 4-Gang-Getriebe, Vorderradbremsen und innenliegender Schaltung deutlich moderner ausfiel.
Auch die Gestaltung entsprach nun ganz der neuen sachlichen Linie, mit der die meisten Hersteller von den charakterstarken Spitzkühler-Optik Abschied nahm. Allenfalls die aufpreispflichtige Adler-Kühlerfigur verlieh dem Wagen eine kühne Note:
Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
So wie auf dieser schönen Abbildung aus meinem Fundus, die es immerhin in die Neuausgabe des Klassikers “Deutsche Automobile 1920-1945” von Werner Oswald geschafft hat, sehen die meisten Adler des Typs 6/25 PS aus.
Immerhin rund 6.500 Exemplare sollen davon bis 1928 enstanden sein – womit das Modell der bis dahin erfolgreichste Adler überhaupt sein sollte. Bei einer für deutsche Verhältnisse recht hohen Stückzahl sollte doch Raum für die eine oder andere Überraschung sein, oder?
Gewiss, und heute will ich einige Exemplare zeigen, deren Erscheinungsbild mehr oder weniger von der Norm abweicht. Dabei halte ich mich strikt an das Tourenwagenmodell – daneben gab es noch offene Zweisitzer und natürlich Limousinen.
Überraschend anderes wirkt der Adler 6/25 PS Tourer beispielsweise in dieser wohl noch ziemlich ladenneuen Ausführung:
Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Dank des glänzenden Lacks und Nickels sowie der zahlreichen Accessoires wirkt der Adler hier beinahe wie ein anderes Auto. Besonders gut gefällt mir der auf Hochglanz polierte und auf Windschnittigkeit getrimmte Reservekanister auf dem Trittbrett.
Doch die Kühlergestaltung in Verbindung mit den Scheibenrädern verrät, dass auch dies ein Typ 6/25 PS sein muss.
Mit dergleichen Fotos von Tourenwagen des Adler 6/25 PS könnte ich noch eine Weile fortfahren: Hier beispielsweise hätten wir ein schon stark gebrauchtes Exemplar, das wohl mit der Aufnahme vor der überraschenden Kulisse eines Schlosses “geadelt” werden sollte:
Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Weiß vielleicht jemand, um welche Schlossanlage es sich handelt? Als Hinweis mag die Tatsache dienlich sein, dass der Originalabzug von einem Fotogeschäft in Kassel stammt.
Nachtrag: Leser Peter Oestereich konnte die Lösung liefern: Der Adler parkte vor dem Eingang von Schloss Wilhelmsthal (Calden).
Wo aber bleiben die versprochenen Überraschungen, Herr Blog-Wart? Nun, die liefere ich nach und nach, keine Sorge. Zunächst machen wir erst einmal einen Ausflug unter die Motorhaube, denn wie es dort aussah beim Adler 6/25 PS weiß ja kaum einer mehr.
Zum Glück fand ich in meiner Ausgabe des “Handbuch vom Automobil” von Joachim Fischer (1927) diese Abbildung:
Adler 6/25 PS Motor; Abbildung aus: “Handbuch vom Automobil”, Joachim Fischer, 1927
Hier sieht auch der Laie einige interessante Details. So befinden sich die Pedale auf der rechten Seite (wie natürlich auch das hier nicht zu sehende Lenkrad). Das Gas befand sich zwischen Kupplung und Bremse.
Gut zu erkennen ist der mittig angebrachte Schalthebel (bei früheren Adler-Wagen noch außenliegend) und die ebenso hoch aufragende Handbremse. Rechts am Motorblock ist der über ein Stirnrad angetriebene Zündmagnet und der dahinterliegende Zündverteiler mit vier Zündkabeln zu sehen.
Ganz vorne haben wir den Antrieb von Lüfterflügel und Wasserpumpe. Die spiralförmige Welle am Vorderende des Motors unten ist die Aufnahme für die Starterkurbel, sollte einmal die Batterie leer sein.
Von der anderen Seite bietet sich der Motor des Adler 6/25 PS so dar:
Adler 6/25 PS Motor; Abbildung aus: “Handbuch vom Automobil”, Joachim Fischer, 1927
Allzuviel zu sehen gibt es hier nicht. Ganz oben erkennt man den Kühlwasserstutzen, über den das vom Motor erhitzte Wasser zum Kühler transportiert wurde. Vorne sieht man den Stutzen für den von unten kommenen Schlauch, über den das abgekühlte Wasser in den Motor zurücktransportiert wird.
Mittig vor dem Zylinderblock (die untere Motorenhälfte beherbergt die Kurbelwelle) sieht man den kompakten runden Luftfilter vor dem Vergaser. Darüber läuft der Abgaskrümmer, der vorne zur Auspuffanlage hin nach unten abknickt.
Man sieht, sonderlich komplex ist so ein klassischer Vierzylindermotor mit Vergaser gar nicht. Für Verwirrung könnte allenfalls der hier nicht zu sehende seitliche Ventiltrieb sorgen.
Genug davon, ich wollte nur die Gelegenheit zu nutzen, dieses seltene Dokument zu zeigen. Eine weitere Überraschung ist dann die nächste Aufnahme, denn einen Adler 6/25 PS Tourer mit aufgespanntem Verdeck und montierten Steckscheiben findet man kaum:
Adler 6/25 PS Tourer; Orignalfoto: Sammlung Jürgen Klein
Diese ungewöhnliche Aufnahme verdanke ich Leser und Sammlerkollege Jürgen Klein, der auch sonst noch manches Vorkriegs-Schmuckstück aus seinem beeindruckenden Fundus beisteuern kann.
Die zweite Plakette rechts neben dem üblichen Adler-Typenschild dürfte vom Autohaus stammen, das einst diesen Wagen verkaufte. Leider wissen wir nichts Näheres zu Ort und Zeitpunkt der Aufnahme.
So überraschend anders der Wagen hier wirkt, so vertraut mutet die kunstlederne seitliche “Schürze” am Vorderkotflügel an. Sie findet sich an den meisten Adler-Wagen dieses Typs, was die Frage aufwirft, ob sie ein Werkszubehör war. Vielleicht weiß es jemand genau.
Eine Ausnahme – und damit eine Überraschung – stellt dieses Exemplar dar:
Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Dieser 1929 in Dortmund aufgenommene Adler 6/25 PS Tourer wirkt ohne besagte Kotflügelschürzen und mit Adler-Kühlerfigur deutlich edler, oder?
Ansonsten ist alles konventionell an diesem Exemplar. Bei der Gelegenheit prägen Sie sich bitte den Abstand zwischen den beiden Türen ein. Dieser scheint beim Tourenwagenaufbau stets sehr knapp bemessen gewesen zu sein.
Der Radstand von 2,80 Metern bot auch nicht mehr Raum, soviel ist klar.
Doch was ist dann von dem Adler-Tourer auf folgender Aufnahme zu halten? Kühler und Scheibenräder sprechen doch eindeutig für das Modell 6/25 PS, nicht wahr?
Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Zwei Dinge sind hier überraschend anders: Zum einem ist die Frontscheibe deutlich geneigt und vertikal unterteilt. Zum anderen ist der Abstand zwischen den Türen weit größer. Sollte es noch ein weiteres und größeres Adler-Modell mit Scheibenrädern gegeben haben?
Nun, Christian Rioth vom Adler Motor Veteranen Club lieferte mir die Erklärung: Hier sehen wir die die ganz frühe Ausführung des Typs 6/25 PS, bei der die Türen kürzer waren und die Frontscheibe sich noch am Vorgängermodell 6/24 PS (mit Spitzkühler) orientierte.
Beruhigt können wir fortfahren, doch eine weitere Überraschung hätte ich noch in petto. Die folgende Aufnahme aus der Sammlung von Matthias Schmidt zeigt nämlich eine deutliche Abweichung von allen bisher gezeigten Fahrzeugen des Typs Adler 6/25 PS:
Sehe ich es richtig, oder täusche ich mich, wenn das Lenkrad hier auf der linken Seite zu sein scheint?
Die (dürftige und veraltete) Literatur zur Marke Adler kennt nur Rechtslenkung, doch bei einer Bauzeit bis 1928 wird der Hersteller die damals fällige Umstellung früher oder später vorgenommen haben, aber wann?
Beweisfotos finden Sie – leider nur anhand von Limousinen – in meiner Adler-Galerie.
War das denn nun schon alles, werden die verwöhnten Leser meines Blogs denken? Nun, zwei Überraschungen zum Thema Adler 6/25 PS hätte ich noch.
Die erste verdanke ich Leser Klaas Dierks, der doch tatsächlich einen dieser braven Adler 6/25 PS-Wagen mit serienmäßigen Aufbau im Sporteinsatz zeigt:
Für die zweite Überraschung am Ende sorgt eine Amerikanerin mit dem glamourösen Namen Karen Starr Venturini.
Ob das ihr echter Name ist, das dürfte in Zeiten, in denen man sich sogar sein Geschlecht nach Tagesform aussuchen darf, einigermaßen egal sein. Jedenfalls schickte sie mir vor einiger Zeit diese Aufnahme eines Adler 6/25 PS zu – die vollkommen für sich spricht:
Adler 6/25 PS Tourenwagen; Originalfoto via Karen Starr Venturini (USA)
Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Zur Geisterstunde pflege ich ein langjähriges Vertrauensverhältnis. Zwar glaube ich nicht an Gespenster – jedenfalls keine, die nicht von unserer Phantasie erzeugt werden – dennoch fühle ich mich im Dunkel der Zeit um Mitternacht von guten Geistern umgeben.
Anders fehlte mir wohl die Inspiration, mich zu später Stunde an Vorkriegsautos auf historischen Fotos abzuarbeiten.
Nur ein Teil davon ist einigermaßen ernst gemeintem Dokumentationsinteresse geschuldet – das ist ja eher die Domäne der Automobilhistoriker, wenngleich ich deren Produktivität hierzulande für entschieden steigerungsfähig halte.
Größeren Raum ein nimmt mitunter die Beschäftigung mit grundlegenden Fragen von Stil und Gestaltung sowie dem menschlichen Bedürfnis, seinem Dasein einen bestimmten Ausdruck zu verleihen und spezielle Momente davon für sich und andere festzuhalten.
Die Art und Weise, wie Mensch und Maschine auf diesen Dokumenten inszeniert wurden, ist für mich ein Quell nicht versiegender Faszination. Oft sind es Kleinigkeiten, die mit dem eigentlichen Fahrzeug wenig zu zu tun haben, welche fesseln.
Heute haben wir wieder so einen Fall und ich darf in Aussicht stellen, dass es dabei zur rechten (Uhr)Zeit durchaus ein wenig gruselig zugeht.
Beginnen wir ganz harmlos mit dieser technisch mäßigen, dennoch reizvollen Aufnahme:
Adler 6/24 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Dieser eher kompakte Tourenwagen birgt keine besonderen Geheimnisse. In das Kühlernetz ragt das dreieckige Markenemblem der Adlerwerke aus Frankfurt/Main hinein.
Da das Kühleremblem nur unscharf wiedergegeben ist, hat man uns den Gefallen getan, zusätzlich eine unübersehbare Kühlerfigur in Adlerform zu montieren, die so kaum serienmäßig war.
Ebenfalls ein Zubehör waren die kunstledernen “Schürzen” an den Vorderkotflügeln, die einer stärkeren Verschmutzung des Wagens vorbeugen sollten. Bewusst aufgefallen sind mir diese merkwürdigerweise bisher nur bei Adler-Wagen der Typen 6/24 und 6/25 PS.
Von den meiner Adler-Galerie versammelten Fahrzeugen dieses Typs war etwa jeder zweite Wagen damit ausgestattet. Offenbar erfüllte der werksseitige Kotflügel seinen Zweck nur unzureichend, denn eine Verschönerung stellen diese Teil nicht gerade dar.
Die Drahtspeichenräder sind übrigens das Hauptunterscheidungsmerkmal zwischen dem 1923/24 gebauten Adler 6/24 PS und seinem 1925 eingeführten “Nachfolger” 6/25 PS, welcher leicht anhand seiner Scheibenräder zu erkennen ist.
Technisch waren diese kleinen Vierzylindertypen vollkommen konventionell, hervorzuheben gibt es da nichts. Der Käufer wusste vor allem, dass er sich auf die Adler-Qualität unbedingt verlassen konnte.
Wer schnelle und geräumige Reisewagen suchte, musste sich andernorts umschauen. Für die Spritztour am Wochenende mit der Familie oder Freunden war der Adler 6/24 PS aber allemal vorzüglich geeignet, man findet ihn oft bei solchen Ausflugssituationen abgelichtet.
Mitunter ergaben sich dabei sogar charmante Dokumente wie dieses hier:
Adler 6/24 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Manchem Leser wird die Aufnahme bekannt vorkommen – ich habe sie vor längerem als Teil einer netten kleinen Serie präsentiert.
Nehmen Sie sich etwas Zeit, sich die Insassen dieses Wagens einzuprägen, allesamt prächtige Individuen, die uns hier über einen Abstand von bald 100 Jahren anblicken.
Wenn es doch so etwas wie Geister gibt, erfreuen sich diese nun vielleicht daran, dass die Nachgeborenen nach so langer Zeit immer noch Genuss an dem Moment empfinden, der hier einst festgehalten wurde.
Vielleicht treiben sie aber auch etwas Schabernack mit uns. Denn auf mysteriöse Weise hat lange nach dem Erwerb der kleinen Serie, aus der dieses Foto stammt, eine weitere Aufnahme den Weg zu mir gefunden – wie eine Flaschenpost aus der Vergangenheit, die einen etwas längeren Weg zurückzulegen hatte als die anderen.
Irgendetwas hat mich lange davon abgehalten, auch dieses Zeugnis vorzustellen. Doch wie das oft so ist bei meinen nächtlichen Rendezvous mit den automobilen Hinterlassenschaften unserer Altvorderen, wusste ich heute plötzlich, dass nun die Zeit gekommen ist.
Noch gut fünf Minuten bis Mitternacht. Auch wenn es vielleicht nicht dem Ideal einer Gruselgeschichte entspricht, unternehmen wir gleich noch einen Spaziergang zur Tankstelle, wo man uns bereits erwartet.
Die Herrschaften, die wir mit ihrem Adler 6/24 PS gerade (wieder) getroffen haben, werden uns dort auf eine Weise wiederbegegnen, die nur auf den ersten Blick vertraut wirkt. Erst auf den zweiten Blick enthüllt sich das, was vielleicht für einen kalten Schauer sorgen wird.
Im Unterschied zu Ihnen weiß ich bereits, was uns erwartet, auch wenn ich erst heute abend den Gruselfaktor dieser Aufnahme entdeckt habe.
Sind Sie bereit? Gerade schlägt es Mitternacht von der kleinen gotischen Kirche her, die nur wenige hundert Meter entfernt steht. Und mit einem Mal ist es wieder heller Tag – zumindest auf einem Teil des Bildes, während der Rest in rätselhaftem Dunkel verharrt:
Adler 6/24 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Schon etwas merkwürdig, diese Situation an der Tankstelle, nicht wahr?
Rationale Geister werden uns nun sofort eine Erklärung für das Phänomen liefern können, das diesen Adler 6/24 PS wie im Zwischenreich von Dämmerung und strahlend hellem Tag erscheinen lässt.
Gut, das war jetzt noch nicht wirklich gruselig, oder? Gut, denn dann haben Sie das ebenfalls auch erst einmal übersehen, was sich in diesem Foto an Mysteriösem verbirgt.
Tatsächlich lässt sich erst einmal in gewohnt kühler Manier die Frontpartie des Wagens studieren – mit ein paar Handgriffen lässt er sich dem Reich der Schatten entreißen:
Fällt Ihnen hier etwas Außergewöhnliches auf? Nein? Nun, ganz rechts deutet sogar eine Hand genau darauf!
Hinter dem Adler zeichnet sich nämlich die Frontpartie eines unheimlich wirkenden mächtigen Tourenwagens ab, der offensichtlich einer anderen Hubraumklasse angehört.
Was könnte das sein? Ich tippe auf einen Dinos der frühen 1920er Jahre, aber es könnte auch ein anderes deutsches Fabrikat der Zeit kurz nach dem 1. Weltkrieg sein (Vorschläge bitte per Kommentarfunktion).
War’s das jetzt etwa schon? Nein, natürlich nicht, aber ich wollte ihren Blick erst einmal in eine andere Richtung lenken, damit der folgende Effekt umso mehr Wirkung zeigt.
Denn jetzt schauen wir mit einem Mal in ein gleißendes, beinahe übernatürliches Licht:
Das ist auf den ersten Blick eine reizvolle Situation, nicht wahr?
Man hat sogar freundlich die Tür des Adler offengelassen, als ob man uns einladen wollte, doch einfach mitzukommen? Wer wollte da widerstehen?
Doch ich warne Sie, lassen Sie sich nicht täuschen! Hier stimmt nämlich etwas nicht – die Tür ist in Wahrheit gar nicht offen!
Schauen Sie noch einmal hin: Das Rund des Kotflügels geht durch die offene Tür, wie kann das sein? Die Tür kann in der Realität nicht gleichzeitig auf und zu sein.
Nur in einer von Geistern bewohnten Welt scheint ein solches Nebeinander möglich zu sein. Sind denn diese Geister dann vielleicht sogar selbst hier abgelichtet? Ja, das sind sie.
Schauen Sie sich noch einmal den letzten Bildausschnitt an:
Plötzlich sehen sie dort die Gesichtshälfte einer jungen Frau mit Brille, die sie anschaut. Und neben dem Herrn auf der Rückbank schweben geisterhaft die Schemen eines Ohres und einer Fahrerbrille im leeren Raum…
Ein wenig gruselig fand ich das schon, als ich das entdeckte. Aber wie gesagt: Es gibt für alles eine vollkommen rationale Erklärung…
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Die Winter der letzten Jahre sind zumindest in meiner Heimatregion – der hessischen Wetterau – meist mild ausgefallen.
Wer darin gleich einen Trend sieht, sollte sich vergegenwärtigen, dass in den USA regelmäßig ganze Bundesstaaten in Schneemassen versinken und mit klirrender Kälte konfrontiert sind, welche auch die “Schneeflöckchen” hierzulande rasch vom Wert eines Pickups mit großer Bodenfreiheit, Stollenreifen und bärenstarkem V8-Motor überzeugen würden.
Auch bei uns kann das Wetter wieder in eine andere Entwicklung nehmen, niemand weiß es genau. Die Faktoren hinter den Klimaschwankungen der letzten Jahrhunderte und Jahrtausende in unseren Breiten werden bis heute nicht verstanden.
Sie sehen: die modische These, dass das Spurengas CO2 quasi alleinverantwortlich für das Wetter sein soll, liegt mir fern – wie generell alle monokausalen und mit päpstlicher Autorität vorgetragenen Welterklärungen.
Bleiben wir demütig, tun das unsere, um die Umwelt zu schonen (deren Bestandteil wir freilich auch selbst sind) und passen uns an das Unabänderliche an – und das erstreckt sich auch auf die Wahl eines ganzjahrestauglichen Automobils.
Manche Dinge haben sich eben nicht geändert – dazu gehören die fahrphysikalischen Herausforderungen bei Eis und Schnee. Dass man damit jedoch bereits vor über 100 Jahren gut (gelaunt) zurechtkommen konnte, will ich heute zeigen.
Dabei werden wir nebenbei Zeuge, wie bei der Marke Adler aus Frankfurt/Main der Spitzkühler Einzug hielt – ein Leitmotiv bei deutschen Autos kurz vor dem 1. Weltkrieg.
Den Anfang macht diese schöne Aufnahme eines Adler, wahrscheinlich des Kleinwagentyps 5/13 PS, welcher 1912 auf den Markt kam:
Adler 5/13 PS Tourenwagen von 1912/13; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Auch ohne die prachtvolle Adler-Kühlerfigur und den Markenschriftzug auf dem Kühlernetz wäre der Hersteller leicht zu erraten gewesen.
Solche schmucklosen, oben abgerundeten Flachkühler mit annähernd quadratischer Kühlerfläche sind typisch für die Adler-Motorwagen aller Größenklassen ab etwa 1910.
Bei diesem Exemplar haben wir es den Dimensionen nach zu urteilen mit dem Kleinwagentyp KL 5/13 PS zu tun, der standardmäßig solche Drahtspeichenräder besaß.
Es gab ihn auch in zweisitzigen Ausführungen wie auf dieser Reklame dokumentiert, die 1913 in der Kunst- und Gesellschaftszeitschrift “Die Jugend” erschien:
Adler 5/13 PS Zweisitzer; Originalreklame von 1913 aus “Die Jugend” (Sammlung Michael Schlenger)
Hier möchte ich Ihr Augenmerk auf das rechts abgebildete Fahrzeug lenken.
Es weist eine sportlich wirkende Karosserie mit zwei nebeneinanderliegenden Sitzen und rundem Heckabschluss auf.
Dieser Aufbau wird uns heute begleiten, nur mit einem kleinen, aber für die stilistische Entwicklung der Adler-Wagen jener Zeit wichtigen Unterschied: einem Spitzkühler:
Adler 5/14 PS Zweisitzer ab 1914; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
So anders die Frontpartie auf dieser Aufnahme im ersten Moment wirkt, handelt es sich bloß um die modellgepflegte Variante des Adler 5/13 PS – den ab 1914 gebauten Typ 5/14 PS.
Er verdankte seine leicht höhere Leistung der Feinarbeit im Ansaugtrakt, welche in der laufenden Produktion ständig Effizienzgewinne ermöglichte. Die Grundspezifikation des 1,3 Liter messenden Vierzylinders blieb dabei unverändert.
Hier haben wir eine entsprechende Abbildung aus dem Adler-Prospekt von 1914:
Adler-Prospekt von 1914; Faksimile aus dem Archiv-Verlag (Sammlung Michael Schlenger)
In dieser Form scheint der Adler 5/14 PS bis 1920 weitergebaut worden zu sein. Das Exemplar auf dem zuvor gezeigten Foto wurde 1919 aufgenommen; es kann also sowohl ein Vorkriegsmodell als auch ein Neuwagen gewesen sein.
Ein für die weitere Betrachtung wichtiges technisches Detail am Adler 5/14 PS bleibt auf der abgebildeten Prospektseite unerwähnt: Der Wagen besaß zwar zeittypisch eine rechts vom Fahrer außerhalb der Karosserie liegende Handbremse, der Schalthebel lag aber innen.
Diese ungewöhnliche Anordnung unterstützt die Identifikation des folgenden Wagens als ebensolchen Adler 5/14 PS ab 1914:
Dieser Wagen wurde im 1. Weltkrieg auf deutscher Seite eingesetzt – und zwar beim Generalkommando XII als Automobil Nr. 1101, wenn ich die Beschriftung richtig interpretiere.
Wir sehen hier wieder den typischen Zweisitzeraufbau mit außenliegender Handbremse, außerdem Drahtspeichenräder und Spitzkühler. Was sich in dem zylinderförmigen Behälter auf dem Vorderkotflügel befand, bleibt fraglich – weiß es ein sachkundiger Leser?
Und könnte es sich bei dem dunklen Gegenstand auf der Werkzeugkiste auf dem Trittbrett um ein Teil der Kamera gehandelt haben, mit der dieses Foto entstand?
Leider ist auf dem Abzug nichts über Ort und Datum der Aufnahme überliefert – gewiss hätte sich der ernst posierende Soldat am Steuer nicht vorstellen können, dass noch im 21. Jahrhundert sich Menschen für diese Situation interessieren könnten.
Das tun wir in der Tat und nicht nur wegen der alten Autos, sondern immer auch wegen des Interesses am Leben der Menschen, die einst damit unterwegs waren. Mitunter fällt es schwer, sich in deren Lage hineinzuversetzen, gerade bei Kriegsfotos.
Ganz anders sieht das aus, wenn man auf eine Aufnahme wie die folgende stößt:
Adler 5/14 PS Zweisitzer ab 1914; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Muss ich noch viel zu diesem Wagen sagen, der anno 1920 mitten im Winter aufgenommen wurde?
Wenn man einmal so einen Adler 5/14 PS in der ab 1914 gebauten Spitzkühlerversion und mit zweisitzigen sportlichen Aufbau gesehen hat, wird man ihn nicht mehr vergessen. In der Kleinwagenklasse war das sicher eines der attraktiveren deutschen Autos seinerzeit.
Ich jedenfalls würde mich ihm auch bei Schnee sofort anvertrauen. Die Schneeketten sorgen für Traktion an der Hinterachse und das geringe Gewicht von gut 600 kg unterstützt die Beherrschbarkeit auf glattem Untergrund.
Bei Spitze 60 km/h lässt sich nicht viel Schaden anrichten, wenn doch mal etwas schiefgeht und der starre Leiterrahmen steckt einiges weg. Fazit: Überraschend wintertauglich!
Mit so etwas müsste man bei Schnee einigen Spaß haben, und das gehört doch zum Autofahren von jeher dazu, meinen Sie nicht auch? Schauen wir einmal, was der diesjährige Winter in der Hinsicht mit sich bringt. Die gute Laune lassen wir uns jedenfalls nicht nehmen…
Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
“Stillgestanden” – den Befehl kennt jeder, der einst beim “Bund” gedient hat – schon in der Spätphase des Kalten Kriegs ein als Armee getarnter Beamtenladen, der zum Glück nie gebraucht wurde.
Unvergessen, wenn sich der Feldwebel – nebenbei der Kommandeur des “Marder”-Schützenpanzers, als dessen Richtschütze ich 1988/89 fungierte – vor mir mit rotem Kopf aufbaute und solange kalt musterte, bis ich mir das Grinsen nicht verkneifen konnte.
“Schlenger, eine Runde im Laufschritt um die Ringstraße!” konnte es dann schon einmal heißen. War mir egal, ich war fit wie bei den Panzergrenadieren üblich und lief vergnügt meine Ehrenrunde. Im Übrigen verstanden wir uns bestens, wenn es darauf ankam.
“Stillgestanden”, das galt auch außerhalb der Kasernenhöfe schon vor dem 1. Weltkrieg, nämlich wenn man sich für Mit- und Nachwelt ablichten lassen wollte. Das Fotomaterial war noch wenig empfindlich und verlangte Belichtungszeiten von einigen Sekunden.
So statisch diese Zeugnisse naturgemäß wirken, so sehr erfreuen wir uns nach weit über 100 Jahren noch daran. Ob das mit den meist rein digitalen Aufnahmen unserer Tage künftig ebenfalls so sein wird, daran darf man zweifeln.
Aber vielleicht wird es irgendwann ja wieder Visionäre wie einst Senator Cassiodor geben, der nach dem Ende des Weströmischen Reichs systematische Kopien bedeutender antiker Schriften in Auftrag gab. Seiner Initiative verdanken wir das weitgehende Überleben des damals schon arg geschrumpften Literaturbestands über das Mittelalter hinweg.
Jedenfalls steht auf den Fotos aus der Frühzeit des Automobils nicht nur das Personal stramm, sondern auch die Zeit still – und das beschert uns großartige Zeugnisse wie das hier:
Adler “Coupé de Ville” von 1908; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks
Diese Aufnahme verdanken wir Leser Klaas Dierks, der zusammen mit weiteren Gleichgesinnten solche Dokumente aus der automobilen “Antike” birgt und sie so vor dem Vergessen und Vergehen zu bewahren versucht – ein wenig wie einst Senator Cassiodor.
“Stillgestanden”, diese Anweisung nahm auch der Fahrer dieses ungewöhnlichen Wagens sehr ernst – angestrengt schaut er in die Ferne, während die Fotoplatte belichtet wird.
Die doppelreihige, ein wenig an eine Uniform erinnernde Jacke, die Stulpenhandschuhe und die Schirmmütze weisen ihn als professionellen Fahrer aus. Zwar war er nur Angestellter vermögender Herrschaften, aber als Inhaber exklusiver Expertise sehr geschätzt.
Leider wissen wir gar nichts über den Mann und die Besitzer “seines” Wagens, zu dem er eine enge Beziehung pflegte. Vielsagend ist die Geste seiner linken Hand, mit welcher er das Auto berührt: “Mein Kamerad auf allen Wegen, durch dick und dünn“.
Dieses Band versteht nur, welcher selbst einmal erlebt hat, wie ein Automobil sorgfältige Behandlung und hingebungsvolle Pflege durch langjährige Treue entlohnt.
Genug der Sentimentalität – was ist das denn nun für ein Wagen? Nun zunächst handelt es sich um ein Fahrzeug, dessen Aufbau man seinerzeit als “Coupé de Ville” bezeichnete. Dabei saßen die Passagiere in einem zweisitzigen Aufbau, während der Fahrer vor ihnen im Freien seiner Arbeit nachging. So war das schon bei Kutschen über Jahrhunderte der Fall.
“Ja gut, das weiß ich auch”, mag jetzt eine ungeduldige Natur denken, aber was ist das für ein Fabrikat und Typ? Nun, das kann ich nur unter Vorbehalt sagen.
Klar ist für mich, dass wir einen frühen “Adler” des gleichnamigen Herstellers aus Frankfurt/Main vor uns haben. Das verrät die typische Gestaltung der Kühlerpartie:
Da hier die Motorhaube noch übergangslos auf die Trennwand zum Fahrerraum stößt, kann dieser Wagen kaum später als 1909 entstanden sein.
Ab 1910 setzte sich bei Fabrikaten im deutschen Sprachraum nämlich der “Windlauf” durch – ein Blech, das für einen strömungsgünstigen Übergang von der Haube zur (hier fehlenden) Windschutzscheibe sorgte.
Die Proportionen der Frontpartie sowie die Gestaltung von Kotflügeln und Rädern finden sich nahezu identisch auf folgender Abbildung, welche der Überlieferung nach einenm Adler 8/15 PS zeigt, wie er 1908/09 gebaut wurde:
Adler 8/15 PS Droschken-Coupé von 1908/09; Postkarte aus Sammlung Michael Schlenger
Leider ist das die einzige mir bekannte Vergleichsabbildung eines solchen Adler des Typs 8/15 PS, denn für diese Marke, die einst zu den bedeutensten in Deutschland überhaupt zählte, gilt seit langem ebenfalls das Motto “Stillgestanden”.
Über 40 Jahre ist es her, dass Altmeister Werner Oswald den Versuch einer Gesamtschau aller je hergestellten Adler-Automobile unternahm (“Adler-Automobile, 1900-1945“, Motorbuch-Verlag, 1. Auflage 1981).
Seither steht meines Wissens nach die Zeit still in Sachen “Adler”-Dokumentation. Der in mancher Hinsicht so rührige Adler Motor-Veteranen-Club ist in der Hinsicht bislang ebenfalls untätig geblieben, obwohl es es dort Material ohne Ende geben muss.
So bleibt es am Ende bei der Vermutung, dass das exklusive “Coupé de Ville” auf dem Foto von Klaas Dierks 1908/09 auf Basis eines eher kleinen Adlers entstanden war, und dafür kommt vor allem der 2-litrige Vierzylindertyp 8/15 PS in Betracht.
Wer es genauer weiß, ist aufgerufen, das hier kundzutun und auf Vergleichsstücke zu verweisen. Denn so wenig mich die Gegenwart zu begeistern vermag, wünsche ich mir, dass zumindest in Sachen Adler-Veteranen die Zeit nicht länger stillsteht…
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Viele Wege führen seit altersher nach Italien – das Sehnsuchtsland germanischer Stämme fuhr aber meist nicht gut damit, wenn man sich an den Geschichtsunterricht erinnert.
Die Invasoren aus dem Norden brachten außer Gewalt und Chaos selten etwas Brauchbares mit. Der Kulturtransfer fand meist in die entgegengesetzte Richtung statt.
Das sollte sich zumindest vorübergehend ändern, als das Automobil erfunden wurde. Die Erfindung aus Deutschland fiel zumindest im wirtschaftlich bessergestellten Norden Italiens auf fruchtbaren Boden, wobei heimische Marken rasch den eigenen Markt dominierten.
Bevor Fiat & Co. das Regiment übernahmen, vermochten sich offenbar einige deutsche Hersteller noch eine Weile in Italien zu halten – zumindest versuchten sie es.
Davon kündet diese Reklame aus meiner Sammlung, die ich erst vor kurzem fand:
Adler-Reklame von ca. 1907; Original aus Sammlung Michael Schlenger
In einer leider unbekannten Publikation wurde das Adler “Kleinauto” mit Motorisierung 8 PS bzw. 9 PS offeriert.
Aus der Beschreibung geht hervor, dass es sich um einen Wagen mit zwei Zylindern und doppelter Zündung (also Magnet und Batterie) handelt, welcher in der schwächeren Ausführung als Zweisitzer und mit dem stärkeren Antrieb als Viersitzer erhältlich war.
Geht man von der Gestaltung des abgebildeten Tourenwagens – also des 9 PS-Viersitzers – aus, lässt sich die Anzeige schon einmal auf ca. 1905 bis 1909 eingrenzen.
Die technischen Angaben – das Nebeneinander eines 8 PS-Zweisitzers und eines 9 PS-Viersitzers erlauben es dann, die Reklame auf 1907 festzunageln (Quelle: H. Schrader, Deutsche Autos 1885-1920, 1. Aufl., 2002).
Das ist ein achtbares Ergebnis nach so langer Zeit – es kommt aber noch besser.
Wie erfolgreich die Bemühungen der in der Anzeige erwähnten Generalvertretung von Adler in Mailand waren, ist mir nicht bekannt. Es ist denkbar, dass Adler mit diesen schwach motorisierten Kleinwagen zeitweise eine Nische zu besetzen vermochte.
Mag aber auch sein, dass man in Francoforte den italienischen Markt falsch einschätzte – systematische Marktforschung blieb in deutschen Landen lange ein Fremdwort.
Möglicherweise war damals in Italien nur einer dünnen Schicht von Superreichen überhaupt ein Automobil zugänglich. Und diese Leute wollten keinen schwachbrüstigen Kleinwagen, sondern ein potentes Gefährt für alle Lebenslagen (und die italienische Topographie).
Jedenfalls fällt auf, dass der schon damals führende italienische Hersteller Fiat nach einer kurzen und sehr steilen Lernkurve ab 1905 kein Modell anbot, das nicht mindestens 24 PS leistete. Daneben gab es Typen mit 40 bzw. 60 PS, die bereits 80-100 km/h schnell waren.
Erst nach dem 1. Weltkrieg begann bei Fiat die Neuausrichtung mit Abdeckung auch des Kleinwagensegments und zugleich eine radikale Rationalisierung der Produktion, die in Europa damals einzigartig war – die Marktgegebenheiten gaben es nun her.
Wie dem auch sei, in deutschen Landen ist der Adler mit 8 bzw. 9 PS (damit sind übrigens keineswegs die Steuer-PS gemeint, sondern die effektive Höchstleistung) auch jenseits der Welt der Reklame anzutreffen.
Ganz selten hat man das Glück, dass einem ein zeitgenössisches Foto eines solchen frühen Adler zuläuft, bei dem der Typ dokumentiert ist. Meist ist man nämlich auf die nach wie vor lückenhafte Literatur zu Adler-Veteranen vor 1925 angewiesen und muss sich mit Mutmaßungen behelfen. Online gibt es außer meiner Adler-Galerie nichts Brauchbares.
Vor einiger Zeit bescherte mir nun Leser Volker Zimmer aus dem Erzgrbirge einen solchen raren Glücksmoment, den ich Ihnen nicht vorenthalten will:
Adler 5/9 PS von Familie Gnüchtel; Originalfoto via Volker Zimmer (Lauter, Erzgebirge)
“Geht’s hier nach Italien?” – Das könnte der Fahrer dieses Adler Tourenwagens gefragt haben, stellt man sich gerne vor.
Der gutgelaunte Herr ganz links hätte dann vielleicht geantwortet: “Junger Mann, hier habe ich für Sie eine Routenbeschreibung mit Angabe solider Unterkünfte und Orte, an denen man Benzin bekommt. Die habe ich von Otto Julius Bierbaum persönlich, der 1902 mit seinem Adler erstmals nach Italien fuhr.”
Zumindest die Bierbaum-Story stimmt – sein Erlebnisbericht “Empfindsame Reise im Automobil” ist noch heute lesenswert. Es mutet unglaublich an, dass man einst mit einem Zylinder und 8 PS über die Alpen und bis nach Sorrent südlich von Neapel gelangen konnte.
Ob aber der Adler auf obigem Foto wirklich für Ähnliches vorgesehen war, ist unwahrscheinlich. Immerhin wissen wir Folgendes, das auf dem Foto selbst festgehalten ist:
Der Wagen war ein Adler-Tourenwagen mit Motorisierung 5/9 PS – also der in der italienischen Anzeige erwähnte 9 PS-Viersitzer. Er gehörte der Familie Gnüchte, die in der sächsischen Kleinstadt Lauter (Erzgebirge) eine Emaille-Fabrik besaß.
Die Geschäft liefen so gut, dass man sich zumindest einen kleinen Adler leisten konnte – an die großen Typen, die knapp 20 PS und im Einzelfall 40 PS leisteten, war nicht zu denken.
Egal, denn jeder Adler-Wagen öffnete damals die Tür zur großen weiten Welt, und wer weiß, wie weit bereits der 5/9 PS-Tourer einst die Insassen transportierte?
Und selbst wenn er Italien einst nur in Reklameform erreichte, leistete so ein kleiner Adler mehr als manche politische Revolution, bei der meist nur neue Eliten die alten ablösen.
Er machte seine Besitzer zu Herrschern über Raum und Zeit, was zuvor selbst Königen und Kaisern nicht zu Gebote stand. Denken Sie einmal daran, wenn Sie morgens Ihren Wagen starten, um zur Arbeit – oder nach Italien – zu fahren: Das Automobil ist gelebte Demokratie!
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Kürzlich durfte ich hier einen Audi “Front” Typ 225 Luxus auf einem Foto von 1939 vorstellen, das den Einsender selbst als Bub auf der Motorhaube zeigt. Seine Reaktion auf den Blog-Eintrag fiel so aus: “Sehr schön, dass Sie den Erinnerungswert dieser Aufnahme in den Mittelpunkt gestellt haben”.
Das ist bei einem solchem Dokument auch naheliegend – das Auto wird in solchen Fällen zur Staffage und liefert lediglich den Anlass, ein wenig über vergangene Zeiten zu reflektieren. Bei Fotos ohne menschliches Element ist das meist schwieriger.
Doch selbst bei Aufnahmen, die nur das nackte technische Objekt aus maximal nüchterner Perspektive zeigen – nämlich von der Seite – kann es in seltenen Fällen geschehen, dass der Erinnerungswert beinahe das Fahrzeug überstrahlt.
Heute kann ich dank Leser und Sammlerkollege Matthias Schmidt (Dresden) genau so ein Beispiel präsentieren. Es zeigt einen Adler des Typs 10/50 PS, der 1925 auf den Markt kam.
Bislang konnte ich nur zwei Exemplare dieses Modells dingfest machen – hier das erste in Tourenwagenausführung mit niedergelegtem Verdeck, aber noch montierten seitlichen Steckscheiben, wie man das nur selten zu sehen bekommt:
Adler 10/50 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Typisch für den 10/50 PS Typ waren die serienmäßigen Drahtspeichenräder, die Vierradbremsen und Details wie das kleine vernickelte Trittschutzblech am Schweller unterhalb der Tür.
Dass ich den Wagen seinerzeit identifizieren konnte, ist einer Mischung aus Bauchgefühl und Literaturrecherche zu verdanken – so richtig wohl war mir dabei freilich nicht.
Erst eine zweite Aufnahme desselben Typs von Leser und Adler-Enthusiast Rolf Ackermann (wie ich ein Wetterauer Bub, bloß etwas reicher an Jahren) gab mir die Sicherheit, richtig zu liegen:
Adler 10/50 PS; Originalfoto aus Sammlung Rolf Ackermann
Auf diesem Dokument sehen wir genau solch einen Tourer wie zuvor, nur ist diesmal die Kühlerpartie mit dem ins Kühlernetz hineinragenden dreieckigen Adler-Emblem zu sehen.
So weit, so gut. Aber war im Titel nicht eine Limousine angekündigt?
In der Tat und das ist dann doch eine ganz andere Erscheinung, wenngleich es sich ebenfalls um einen Adler 10/50 PS handelt und das ist im vorliegenden Fall ganz gewiss:
Adler 10/50 PS Limousine; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)
Ein ziemlicher Brocken, nicht wahr? Wenn jemand unter Ihnen, liebe Leser, stattliche 1,90 Meter misst, wäre er von dieser Adler-Limousine noch um 3 Zentimeter überragt worden.
Bei einem dermaßen großzügig dimensionierten Fahrzeug – einem Salon auf vier Rädern – erfasst man wieder die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs “einsteigen” wie einst zu Zeiten, in denen die Bahn noch pünktlich war und man ein Abteil für sich genießen konnte.
Bei der deutschen Staatsbahn des 21. Jh. muss der Insasse der 1. Klasse bekanntlich mit Unzuträglichkeiten wie weiland nur Passagiere der Holzklasse rechnen, wenn etwas mal wieder ein Wagen “fehlt” oder ein ganzer Zug “leider ausfällt”.
Vermutlich konnte man sich in den 1920er Jahren nicht vorstellen, dass der Besitz eines Automobils einen dereinst vor dem Niedergang des einst auch von mir geschätzten und durchaus als stilvoll empfundenen Transportmittels Eisenbahn schützen würde.
Doch hatte man bereits unbewusst ein Gespür für das Außerordentliche und Erhebende, welches das Automobil mit sich brachte. Es ist kein Zufall, dass es unzählige Fotos des ersten Autos gibt, das jemand sein eigen nannte.
Ähnliches ist mir von anderen praktischen Gegenständen wie Kühlschränken, Fernsehern oder PCs nicht bekannt, obwohl sie alle den Lebensalltag grundlegend veränderten.
Der besondere Rang des Automobils lag und liegt letzlich in seiner Fähigkeit, seinen Besitzer zum Herr über Raum und Zeit werden zu lassen.
Binnen eines Tages ins Gebirge, ans Meer oder irgendwo in die Wildnis zu gelangen – unabhängig von Fahrplänen und fremden Menschen – mit der Option, jederzeit wieder auf Wanderschaft zu gehen, das stand früher selbst Kaisern und Königen nicht zu Gebote.
Und so ist es wohl zu verstehen, dass so viele Menschen die Erinnerung an ihr erstes Auto für festhaltenswert hielten wie sonst vielleicht nur die an die erste Liebe.
Genau das hat einst jemand auf der Rückseite des Abzugs getan, auf dem die Adler 10/50 PS-Limousine so nüchtern wie auf einem Werksfoto abgelichtet ist:
Adler 10/50 PS Limousine; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)
Mir ist bislang kein anderes Foto begegnet, auf dem jemand quasi die Biografie seines Wagens so knapp und zugleich erschöpfend festgehalten hat.
Wenn der Adler im August 1926 als Neuwagen erworben wurde, war er ein Vertreter des Typs 10/50 PS mit neuentwickeltem, aber gleichstarkem Motor – offenbar wies der ab 1925 verbaute Sechszylinder Schwächen auf.
Für erwähnenswert hielt der Besitzer bei seinem ersten Automobil nicht nur, dass es sich um einen Sechssitzer handelte – was bei sechs Seitenfenstern auch zu erwarten ist – sondern auch dass der Wagen einen Motor mit “6 Cylindern” besaß.
Kultivierte Sechszylinderwagen hatte es vereinzelt zwar schon bei einigen deutschen Herstellern vor dem 1. Weltkrieg gegeben – bei Protos etwa – doch Mitte der 1920er Jahre schien das bei diesem Adler immer noch außergewöhnlich.
Nun sind aber Sie, liebe Leser gefragt: Was steht wohl hinter “6 Cylinder mit…”? Ich habe eine Weile herumgerätselt und dann durch Vergleich einzelner Buchstaben mit der übrigen Beschriftung das Wort “Boschlicht” als Lösung gefunden.
Wenn ich richtig liege, scheint die Ausrüstung mit einer Lichtmaschine und Scheinwerfern des Herstellers Bosch Mitte der 1920er Jahre als fortschrittlich angesehen worden zu sein.
Wieso das der Fall war und weshalb andere Zulieferer elektrischer Komponenten damals von Bosch verdrängt wurden, das mag ein sachkundiger Leser erläutern. Wenn dann noch jemand mit der Fahrgestell- und Motornummer des Adler etwas anzufangen wüsste…
Schon Ende 1929 verkaufte der Besitzer die Adler-Limousine wieder. Vielleicht war er in der Weltwirtschaftskrise in finanzielle Not geraten und musste liquidieren, was ging. Doch blieb ihm dieses Foto seines “ersten Autos” und irgendwann später – vielleicht nach sehr langer Zeit – hielt er auf dem Abzug fest, woran er sich erinnerte.
Das ist die eigentümliche Magie der Vorkriegswagen. Wer weiß, welche Erinnerungen aus alter Zeit durch den Kopf des einstigen Besitzers schossen, als er das Foto umseitig mit schon etwas unsicherer Hand beschriftete.
Vielleicht war das als eine Art Flaschenpost an die Nachgeborenen gedacht. Matthias Schmidt hat sie an Land gezogen und gemeinsam sinnieren wir heute über das, was nach über 90 Jahren übriggeblieben ist vom Adler-Sechszylinder mit Boschlicht…
Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Lange nichts mehr gehört vom einstigen Volumenmodell der Frankfurter Adler-Werke ab Mitte der 1920er Jahre – dem Modell 6/25 PS. Von 1925 bis 1928 entstanden weit über 5000 Exemplare – immerhin bald ein halbes Prozent davon sind in meiner Adler-Galerie vertreten.
Darunter finden sich rare Spezies wie ein Landaulet, aber auch ein schickes 2-sitziges Cabriolet im Stil amerikanischer Rumbleseat-Roadster. Dieses überlebende Exemplar habe ich vor genau zehn Jahren (2012) in meiner Heimatstadt Bad Nauheim fotografiert:
Adler 6/25 PS, Zweisitzer-Cabriolet; Bildrechte: Michael Schlenger
Hier sieht man die typischen Merkmale des Adler 6/25 PS, nämlich die nur dort verbauten Scheibenräder und den unten gerade abschließenden Kühler mit ins Gitter hineinragendem Adler-Emblem – übernommen vom Vorgängertyp 6/24 PS.
Diese Details finden sich natürlich auch an der meistverkauften Ausführung – dem klassischen Tourer mit fünf bis sechs Sitzen, seitlichen Steckfenstern und ungefüttertem Verdeck.
Ein solches Exemplar steht heute im Mittelpunkt und das Bemerkenswerte daran ist, dass dieses Auto sehr wahrscheinlich irgendwo in deutschen Landen noch existiert.
Dafür gesorgt, dass dieser Adler nach dem Krieg nicht verschrottet wurde, hat Heiner Goedecke aus Leipzig. Er hat mir die Fotos aus der Zeit zur Verfügung gestellt, in der er der Hüter dieses Überlebenden war.
Der Adler trat vor genau 60 Jahren in sein Leben, irgendwann im Jahr 1962. Heiner Goedeckes Vater – Buchhändler in Leipzig – erwarb damals für 500 Ostmark den 6/25 PS-Tourer, welchen ein Landwirt aus Dölzig seit 1939 aufbewahrt hatte.
Nach dem Krieg schien der Bauer kein Interesse mehr an der Reaktivierung des Adler gehabt zu haben. Aber ihm verdanken wir zumindest, dass das Auto die schwierigsten Jahre seines Daseins überdauert hatte.
1962 gab es in der DDR bereits eine vitale Szene für Vorkriegswagen und so kam der Adler 6/25 PS gerade recht, um neues Leben eingehaucht zu bekommen.
Zwar war das Auto keine 10.000 Kilometer gelaufen, aber der Landwirt hatte den Lack mit Öl “konserviert” und damit im Ergebnis ruiniert.
Nachdem Heiner Goedecke und sein Bruder Ulrich den Adler von ihrem Vater übereignet bekommen hatten, machten sie erst einmal eine Bestandsaufnahme. Dazu gehörten einige Beweisfotos von dem guten Stück – hier noch im Fundzustand mit Vorkriegskennzeichen:
Adler 6/25 PS Tourer; Originalfoto bereitgestellt von Heiner Goedecke (Leipzig)
Wenn einem so ein Schätzchen zuläuft, will sich natürlich jeder als stolzer Besitzer präsentieren.
Als ersten sehen wir Heiner Goedecke höchstpersönlich als jungen Mann hinter dem Lenkrad:
Adler 6/25 PS Tourer; Originalfoto bereitgestellt von Heiner Goedecke (Leipzig)
Während sich Heiner Goedecke mit Autos auskannte, scheint das für seinen Bruder Ulrich eher weniger gegolten zu haben – so jedenfalls die Überlieferung.
Leider liegt kein Bild von ihm mit dem Adler vor. Allerdings sollte er es später zu einiger Professionalität bringen, was den Einsatz des Wagen angeht – darauf komme ich zurück.
Die Überholung des Adlers lag jedenfalls in den Händen von Heiner Goedecke, der einige Malaisen, die durch die lange Standzeit verursacht waren, in den Griff bekam.
Dazu gehörten offenbar auch irgendwelche Arbeiten am Getriebe, wenn ich es richtig sehe. Jedenfalls haben wir Heiner Goedecke hier gut gelaunt auf Tauchstation im Wageninnern:
Die vierstellige, auf dem Getriebegehäuse vorne eingeschlagene Nummer ist nur teilweise lesbar. Ich meine, als letzte Ziffern “38” zu erkennen, die erste Ziffer könnte ebenfalls eine “8” sein, eventuell aber auch eine “6”, die zweite Ziffer ist unleserlich.
Nach den Arbeiten am Antrieb sind die Reifen an der Reihe – irgendwo wird man noch passende Exemplare aufgetrieben haben.
Hier sehen wir Heiner Goedecke beim Aufpumpen – in gesellschaftsfähigem Aufzug, wie das Anfang der 1960er Jahre in Ost und West noch selbstverständlich war:
Adler 6/25 PS Tourer; Originalfoto bereitgestellt von Heiner Goedecke (Leipzig)
Am Vorderkotflügel hatte man inzwischen den unvermeidlichen Außenspiegel montiert, offenbar eine “Leihgabe” eines zeitgenössischen Wagens aus DDR-Produktion.
Nach getaner Arbeit war es dann Zeit für eine weitere Aufnahme der stolzen Besitzer nebst Freunden, bevor es auf Probefahrt gehen konnte:
Adler 6/25 PS Tourer; Originalfoto bereitgestellt von Heiner Goedecke (Leipzig)
In den folgenden Jahren wurde der Adler auf zahlreichen Veranstaltungen des Veteranenverbands der DDR (ADV) vorgeführt. Einmal ging es sogar nach Prag.
Dazu Heiner Goedecke im O-Ton:
“Das war 1966 und eine Traumreise. Mit offenem Verdeck, bei strahlendem Sonnenschein ging es über das Erzgebirge, noch auf kaum befestigten Landstraßen und dann zum Empfang im Prager Rathaus – alles auf eigener Achse.”
Auf den treuen Adler konnte Heiner Goedecke wirklich stolz sein – hier haben wir ihn ein weiteres Mal abgelichtet am Steuer:
Adler 6/25 PS Tourer; Originalfoto bereitgestellt von Heiner Goedecke (Leipzig)
Übrigens hatte Heiner Goedecke dem Wagen zwischenzeitlich eine Neulackierung verpasst – mit “bergseegrünem” Aufbau und schwarz abgesetzten Kotflügeln und Schwellern.
In diesem Erscheinungsbild übernahm Bruder Ulrich den Wagen in der Folge, nachdem Heiner Goedecke geheiratet hatte und sich nachwuchsbedingt “nur” noch ein Vorkriegsauto leisten konnte – einen Adler Trumpf Junior.
“Schuld” daran war diese junge Dame, die hier am Steuer des Adler 6/25 PS sitzt und neckisch an der Zündverstellung in Lenkradmitte herumspielt:
Adler 6/25 PS Tourer; Originalfoto bereitgestellt von Heiner Goedecke (Leipzig)
Jedenfalls machte Bruder Ulrich mit dem Wagen später noch “Karriere” als Komparse in diversen Filmen wie “Kleiner Mann, was nun?” oder Das Lied vom kleinen Trompeter”.
Es ist daher möglich, dass Leser aus dem Osten unseres Landes den Adler schon einmal im Fernsehen oder im Kino gesehen haben – dann gibt es hier ein Wiedersehen.
Apropos Wiedersehen: Heiner Goedeckes Bruder verkaufte den Adler Anfang der 1970er Jahre, verriet aber nie, an wen. Die letzten Spuren des Wagens verloren sich im Vogtland.
Da dieser 6/25 PS mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit noch irgendwo existiert, wäre es doch schön, wenn sich ermitteln ließe, wer ihn heute hütet.
Vielleicht ließe es sich sogar arrangieren, dass Heiner Goedecke “seinen” Adler, zu dem er so viel zu erzählen weiß und der ihn einige Jahre seines Lebens begleitet hat, noch einmal zu Gesicht bekommt und dem Kameraden seiner Jugend “Mach’s gut” sagen kann.
Da ihm die Sache selbst keine Ruhe gelassen hat, ist er noch einmal auf die Suche nach Dokumenten gegangen und konnte die Nummer eruieren, unter welcher der Adler im ADMV der DDR registriert war: 550.
Zusammen mit der zumindest fragmentarischen Getriebenummer “8…38” oder “6…36” und dem Namen des Verkäufers “Ulrich Goedecke” in den 1970er Jahren sollte sich doch herausfinden lassen, wer dieses schöne Stück Zeitgeschichte heute unter seinen Fittichen hat und für die Zukunft am Leben erhält wie einst Heiner Goedecke.
Hinweise dazu bitte entweder über die Kommentarfunktion oder meine E-Mail-Adresse (michael.schlenger@freenet.de) oder meine Telefonnummer (0177-4066000). Vertrauliche Behandlung aller Informationen ist garantiert.
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Mit dem reißerischen Titel meines heutigen Blog-Eintrags sichere ich mir die Aufmerksamkeit von gleich zwei Fraktionen deutscher Vorkriegsauto-Freunde:
Die Fans der Frankfurter Traditionsmarke Adler kommen hier ebenso auf ihre Kosten wie diejenigen, deren Liebe den unter dem Dach der Auto-Union zusammengefassten Marken gilt. Dazu zählen nach herkömmlicher Auffassung Audi, DKW, Horch und Wanderer.
Wie soll Adler Teil dieses 1932 Konglomerats gewesen sein, ohne dass es jemand außer mir bemerkt hat? Das geht natürlich nur, wenn man “Auto-Union” sehr großzügig auslegt.
So wurde bereits 1927 in Hamburg eine Firma mit der Bezeichnung “Selbstfahrer Union Deutschlands” gegründet. Sie sollte die spätere Auto-Union überleben, denn sie existierte bis 1970.
Dass diese “Selbstfahrer Union” in gewisser Weiseauch eine Art “Auto Union” war und mit dieser ganz erhebliche Überschneidungen aufwies, diese Erkenntnis hat mir folgender Zufallsfund beschert, der mir im Netz auf der Verkaufsplattform “eBay” gelang:
Broschüre der Selbstfahrer Union Deutschlands; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Dies ist das Deckblatt einer 1938 erschienenen kleinen Broschüre. Das Aufmacherbild macht noch heute Lust auf eine Landpartie im offenen Wagen, auch wenn man weiß, dass diese Reklame unter dem Regime der Nationalsozialisten entstand.
Über dessen Charakter ist alles bekannt und gesagt. Ich weigere mich aber, reflexartig alles für verwerflich zu erklären, was damals entstand. Beispielsweise wird die fabelhafte Autobahn-Infrastruktur jener Zeit nicht dadurch entwertet, dass der NS-Staat damit ältere Pläne umgesetzt und das vorhandene Können der Ingenieure und Arbeiter genutzt hat.
So muss man auch nicht dieses hervorragend gelungene Reklamefoto zwanghaft als Bekenntnis zu “arischen” Idealen interpretieren. Die selbstbewusst in die Ferne deutende “Wasserstoff”blondine hätte man auch jenseits des Atlantiks zum Fototermin eingeladen.
Zurück zur Auto-Union – korrigiere: Autofahrer-Union, nein Selbstfahrer-Union. Diese war gewissermaßen ein früherer Vorläufer von “Car Sharing”-Konzepten.
Im Unterschied zu einer klassischen Autovermietung, die es ebenfalls bereits gab, musste man Mitglied sein und einen fixen Jahresbeitrag zahlen, um die verfügbaren Fahrzeuge nach Bedarf nutzen zu können.
Im gesamten Deutschen Reich gab es Stützpunkte, außerdem Niederlassungen in mehreren Nachbarstaaten:
Broschüre der Selbstfahrer Union Deutschlands; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Voraussetzung für die Mitgliedschaft war der “Ariernachweis” – man sieht: ganz kommt man an der Ideologie jener Zeit nicht vorbei.
Der reguläre Jahresbeitrag betrug 10 Reichsmark, Soldaten der Wehrmacht mussten nur 3 Mark berappen. Einen Sonderrabatt (5 RM) genossen zudem Mitglieder nationalsozialistischer Organisationen wie SA, SS, NSKK usw.
Je nach dem, welches Auto man auswählte, fielen dann individuelle Nutzungsgebühren an.
Diese staffelten sich nach Entfernung, Nutzung wochen- oder feiertags sowie natürlich nach Wagentyp. Auf jeden Fall war eine Kaution von 100 Reichsmark fällig, die zugleich der Selbstbeteiligung im Rahmen der separat zu zahlenden Versicherung entsprach.
Bemerkenswert ist nun, welche Wagen die Selbstfahrer-Union anbot. Blättern wir doch einfach durch die Broschüre durch und schauen, welche Typen verfügbar waren:
Broschüre der Selbstfahrer Union Deutschlands; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Das Einsteigerangebot stellte kaum überraschend der obige DKW F7 mit Zweitaktmotor und Frontantrieb dar. Günstiger und zuverlässiger konnte man kaum vier Personen einigermaßen kommod und mit ordentlichem Landstraßentempo transportieren.
Sicher gab es noch kompaktere Wagen am deutschen Markt, doch das waren keine vollwertigen Automobile, weshalb sie reine Nischenexistenzen führten.
Den kleinen DKW – der übrigens die vier Ringe der Auto-Union auf dem Kühler trug – konnte man ausweislich der Broschüre als Cabrio-Limousine wie abgebildet oder als ganz geschlossene Ausführung “buchen”.
Ebenfalls aus dem Hause DKW gab es daneben dieses Schmuckstück:
Broschüre der Selbstfahrer Union Deutschlands; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Technisch bot der DKW F7 in der Ausführung als Luxus-Cabriolet gerade einmal 2 PS mehr und eine etwas höhere Spitzengeschwindigkeit (die Literatur nennt 85 km/). Doch ästhetisch wie von der Verarbeitung her repräsentierte dieser Wagen eine Klasse für sich.
Die bei Horch gebaute Karosserie war mit Blech beplankt, nicht mit Kunstleder bespannt, serienmäßig gab es sportlich wirkende Drahtspeichenräder, Zweifarblackierung und reichlich Chrom. Besonders elegant war die wie ein Kometenschweif auslaufende seitliche Zierlinie.
Gestalterisch war der DKW von den großen Horch-Wagen aus dem Auto Union-Verbund inspiriert und mir fällt kein Kleinwagen ein, der jemals wieder diese formale Klasse erreicht hätte.
Bevor wir uns weiteren alten Bekannten aus dem Hause Auto-Union widmen, kommt als nächster tatsächlich ein Adler an die Reihe:
Broschüre der Selbstfahrer Union Deutschlands; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Zumindest in der Selbstfahrer-Union führte der ebenfalls frontgetriebene, aber mit 4-Zylinder-Viertakter souveräner motorisierte Adler eine friedliche Koexistenz mit dem DKW der Auto-Union.
Dabei waren die beiden in der Praxis scharfe Konkurrenten. Solventere Käufer entschieden sich für den solideren und erwachsener wirkenden Frankfurter, an dem es gestalterisch nichts zu mäkeln gab, wenngleich der Verbrauch merklich höher war.
Dass bereits ein kleines Mehr an Spitzengeschwindigkeit damals allgemein mit deutlich höheren Verbräuchen erkauft wurde, zeigt der nächste Kandidat – wiederum ein Adler:
Broschüre der Selbstfahrer Union Deutschlands; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Der ebenfalls frontgetriebene große Bruder des Adler Trumpf Junior kam zwar mit optisch windschnittiger erscheinender Frontpartie daher, doch unter dem Strich brachte das nicht viel.
Der Geschwindigkeitszuwachs war überschaubar – immerhin konnte jetzt die magische Marke von 100 km/h geknackt werden. Ansonsten fiel der weit stärkere Motor (38 statt 25 PS) durch erheblich höheren Verbrauch auf, war allerdings auch elastischer.
Nach diesem Adler-Intermezzo kehren wir wieder zur “echten” Auto-Union zurück, und zwar in Form des Wanderer W 24:
Broschüre der Selbstfahrer Union Deutschlands; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Man fragt sich in Anbetracht der Leistungsdaten, weshalb die Selbstfahrer-Union neben dem Adler Trumpf auch den in etwa gleichstarken Wanderer W24 im Programm hatte.
Ich kann mir das nur damit erklären, dass man in dieser Kategorie die Wahl zwischen Front- und Heckantrieb sowie zwischen progressiver und konservativer Formgebung bieten wollte.
Dabei bot jedoch ausgerechnet der Wanderer mit seinen traditionellen Trittbrettern zugleich einige Gestaltungsdetails, die vergleichsweise modern wirkten. Das hilt für die Kühlerpartie und die angedeutete Verbindung zwischen Vorderkotflügeln und Motorhaube.
Formal stimmiger kommt mir jedenfalls der Adler vor, wenngleich seiner Linie ein Trittbrett ebenfalls gutgetan hätte.
Nochmals teurer – und wesentlich – durstiger war der Sechszylindertyp Wanderer 40:
Broschüre der Selbstfahrer Union Deutschlands; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Bei allen Qualitäten krankt dieses Modell an derselben formalen Unentschlossenheit, die irgendwo zwischen Tradition und Moderne umherirrt.
Vom größeren Kofferraum und der Laufkultur des Sechszylinders abgesehen bot diese Ausführung eigentlich nur Nachteile: Höhere Mietkosten als beim Adler Trumpf und dem Wanderer W24 sowie drastisch erhöhten Benzinverbrauch.
Nur die wesentlich bessere Elastizität des großen Motors, die schaltfaules Fahren ermöglichte und besondere Reserven im Gebirge bot, sprach für dieses Angebot.
Noch bemerkenswerter ist jedoch das “Spitzenmodell”, das die Mitglieder der Selbstfahrer-Union” für ihre Zwecke ordern konnten:
Broschüre der Selbstfahrer Union Deutschlands; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Mit diesem Adler stellte man den angebotenen Wagen der Auto-Union etwas zur Seite, was dort nicht zu haben war: ein Fahrzeug in der damals als besonders modern geltenden Stromlinienform.
Die behauptete Zahl der Insassen (bis zu sechs!) lassen wir einmal unkommentiert.
Legt man Hubraum, Leistung, Spitzengeschwindigkeit und Verbrauch zugrunde, scheint die Karosserieform zwar Effizienzgewinne gegenüber dem Wanderer W40 gebracht zu haben. Vergleichbare Leistungsdaten bot aber auch der Sechszylinder-Fiat 1500 bei erheblich kleinerem Hubraum, weniger exotischer Linienführung und geräumigerem Innenraum.
Ausgerechnet an dem scheinbar zukunftsweisenden “Stromlinien”-Adler Typ 2,5 Liter wird deutlich, wo ein Gutteil der Effizienzgewinne verborgen lag, die später erschlossen wurden.
Mein erstes Auto – ein simpler 1200 VW Käfer mit 34 PS-Motor – schaffte 120 km/h Spitze (und zwar als Dauertempo auf der Autobahn) und konnte im günstigsten Fall in der Ebene bei Tempo 100 mit gut 7 Liter Verbrauch gefahren werden, ansonsten mit 8-9 Litern (eigene Erfahrungswerte).
Der Volkswagen war ja ebenfalls eine Konstruktion der 1930er Jahre, weshalb es mir schleierhaft ist, wieso der fast 60 PS leistende Adler trotz “Stromlinien”form so lahm war.
Entweder war die Karosserie in Wahrheit aerodynamisch ungünstiger als sie aussieht, oder man traute dem Motor keine Dauer-Höchstleistung zu und begrenzte über die Übersetzung die Drehzahl im vierten Gang.
Für die Mitglieder der Selbstfahrer-Union Deutschlands dürfte jedenfalls nach der Lage der Dinge der “Stromlinien”-Adler wenig für sich gehabt haben außer der eigenwilligen Form. Vielleicht hatte Adler versucht, das Modell auf diese Weise in den Markt zu drücken.
Doch aus Nutzersicht werden die Modelle der Auto-Union die Nase vorn gehabt haben, wobei zumindest Adler “Trumpf” und “Trumpf Junior” diesen ebenbürtig waren.
Im Angebot der Selbstfahrer-Union Deutschlands waren jedenfalls einst Autos von Adler und der Auto-Union für kurze Zeit als Mitglieder eines illustren Clubs vereint. BMW, Hanomag, Opel und Mercedes waren dort dagegen nicht vertreten…
Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Heute kommen nicht nur die Freunde der Traditionsmarke Adler aus Frankfurt/Main auf ihre Kosten; ich kann auch zur Abwechslung etwas Farbe in die sonst meist auf Schwarz-Weiß beschränkte Bildwelt der Vorkriegszeit bringen.
Dazu muss ich nicht einmal auf bisweilen fragwürdige Programme zur Nachkolorierung zurückgreifen – nein, diesmal geht es beinahe “live und in Farbe” zurück in die 1930er Jahre.
Das habe ich einem guten Freund zu verdanken, der zwar selbst anderen antiquarischen Leidenschaften frönt als historischen Automobilen, der aber meine Passion kennt und mir zum Geburtstag ein ganzes Konvolut an einschlägigem Prospektmaterial geschenkt hat, das fein abgeheftet im Ordner eines längst verblichenen Autohauses die Zeiten überdauert hat.
Doch bevor ich die Schatztruhe öffne, muss ich Sie erst mit einigen Aufnahmen auf die Folter spannen, wie man sie schon x-fach gesehen hat (jedenfalls in meinem Blog).
Die Fans des Adler “Favorit”, der ab 1929 als Vierzylinder-Schwestermodell zum 1927 eingeführten “Standard 6” gebaut wurde, können davon natürlich nicht genug bekommen.
Zum “Anfüttern” daher erst einmal eine Aufnahme, die das Modell im Stil der erfolgreichen “Amerikanerwagen” jener Zeit auf eher konventionelle Weise zeigt:
Adler “Favorit” Limousine; Originalabzug aus Sammlung Klaas Dierks
Zweifellos war das ein ansehnlicher Wagen mit den bekannten “Adler”-Qualitäten, doch ein wenig mehr Raffinesse hätte ihm vielleicht gut zu Gesicht gestanden.
Nun kann man der Meinung sein, dass es bloß an der Wiedergabe in Schwarz-Weiß wirkt, da dieser Wagen in Wirklichkeit gar nicht dunkelgrau daherkam, sondern blau oder weinrot beispielsweise.
Mag sein, dennoch gibt es andere Aufnahmen desselben Typs, die trotz Schwarz-Weiß-Wiedergabe erkennen lassen, dass Adler seinen Käufern auf Wunsch durchaus mehr bot, was die Farbgebung des “Favorit” angeht.
Man ahnt das ansatzweise bereits auf der folgenden Aufnahme:
Adler “Favorit” Limousine; Originalabzug aus Sammlung Marcus Bengsch
Zum einen ist die Kombination aus hellem Wagenkörper und davon dunkel abgesetzten Elementen wie Kotflügeln und Schwellerpartie immer attraktiv. Schon wirkt so ein konservativer Limousinenaufbau viel leichter und freundlicher.
Haben Sie aber auch bemerkt, dass dieser Adler mit einem dritten Farbton aufwarten kann?
Der findet sich nämlich auf dem breiten Zierstreifen unterhalb der Seitenfenster, der wiederum von dunklen Linien eingefasst ist. Eine davon läuft vorne weiter entlang des Falzes des Motorhaube bis zum Kühler.
Noch besser studieren lassen sich diese Elemente auf einer weiteren Aufnahme eines Adler “Favorit”:
Adler “Favorit” Limousine; Originalabzug aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)
Neben dem hellen Zierstreifen zu erkennen ist hier, dass besagte dunkle Linien auch am Heck eine Fortsetzung finden. Offen gesagt, habe ich das beim Adler “Favorit” auf diesem Foto zum ersten Mal bewusst genommen.
Das mag daran liegen, dass mein Blick dafür zuvor durch einen prachtvollen Prospekt des Adler “Favorit” geschärft wurde, den ich heute in aller Ausführlichkeit wiedergeben will.
Dieses Dokument, das nun meine Sammlung ziert, wirft die schwierige Frage auf, welche der ab Werk verfügbaren Farbgebungen man bevorzugen würde, stünde man vor dem entsprechenden Luxusproblem eines Käufers um 1930.
Als Entscheidungshilfe produzierten die Adler-Werke einen kleinen Prospekt, der auf dem Titelblatt mit der Kuriosität zweier “Favorit”-Exemplare aufwartete, welche von einer Skandinavientour eindrucksvolle Rentiergeweihe als Trophäe mitgebracht hatten:
Prospekt zum Adler “Favorit”; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Für uns ist aber der ganz oben wiedergebene Wagen interessanter, lässt er doch den bereits erwähnten, hell abgesetzten Zierstreifen erkennen.
In welchen Variationen und in Kombination mit welchen Farbtönen dieser erhältlich war, das erfahren wir auf den folgenden Seiten der Broschüre.
Man muss bei der Farbwiedergabe natürlich berücksichtigen, dass sie durch die damaligen Möglichkeiten der Drucktechnik beeinflusst ist, dennoch vermitteln die Abbildungen zumindest eine ungefähre Vorstellung von den ab Werk verfügbaren Farbschemata.
Beginnen wir mit einem Überblick über Seite 2:
Prospekt zum Adler “Favorit”; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Im Unterschied zu Tönen der Nachkriegszeit haben wir es hier mit eher “müden” Farben zu tun, also solchen mit geringer Farbsättigung und Leuchtkraft.
Man findet Entsprechungen dazu auf den wenigen Fahrzeugen, die noch ihren Originallack tragen, bevorzugt an verborgenen Stellen, an den die Farbe sich weder durch UV-Strahlung noch durch Behandlung mit Polituren verändert hat.
Wenn ich es richtig interpretiere, ist im Prospekt neben der Farbgebung des Zierstreifens, der ihn einrahmenden Linien und der umgebenden Karosseriepartien auch der Ton der Stoffe im Innenraum wiedergegeben.
Besonders gut gefällt mir die erste Farbkombination, die man vielleicht als Variation über den Ton “Tabak” ansprechen würde – ideal also für den starken Raucher:
Prospekt zum Adler “Favorit”; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Dagegen empfiehlt sich für den Kenner opulenter Rotweine eher die Farbgebung in mehreren Abstufungen des allgemein als “bordeaux” bezeichnenden Tons.
Ich weiß zwar selbst einen schweren Roten zu schätzen, vor allem wenn er aus Italien stammt, doch am (erst recht im) Auto wäre mir das vermutlich des Guten zuviel.
Denn das sieht ein wenig so aus, als habe sich der Wagen zu lange in einem Barrique aufgehalten – dem Auto fehlt im Ergebnis einfach die Leichtigkeit wie beim ersten Beispiel:
Prospekt zum Adler “Favorit”; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Offensichtlich ist auch hier die Abstimmung des Innenraums auf die Außenfarbe. Die dunkle Einfassung des hellen Zierstreifens wiederholt sich ebenfalls.
Wem das Ganze zu “süffig” daherkommt und wer einen dezenteren Auftritt bevorzugt, mag an der Variante über die Farbe “Blau” Gefallen finden. Diese klassische Kombination wirkt stets geschmackssicher, meidet aber zugleich die abweisende Schwere einer ganz schwarzen Lackierung.
Dass die Motorhaube hier ebenfalls hell abgesetzt scheint, ist eine Täuschung, die lediglich dem Reflektionsverhalten der dem Auge zugewandten gewölbten Partie geschuldet ist:
Prospekt zum Adler “Favorit”; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Diese Farbkombination ist wie ein blaues Jackett zu weißem Hemd eine “sichere Bank” und ich kann den Herren bei der Gelegenheit nur empfehlen, auch im 21. Jahrhundert stets einen feinen, schlank geschnittenen blauen Blazer vorzuhalten.
Die Damen wissen diesen klassisch-sportlichen Stil nach meiner Erfahrung zu schätzen, selbst wenn man Jeans dazu trägt (die Schuhe müssen freilich auch etwas taugen). Dann noch ein solcher Adler “Favorit” und Sie können damit fast direkt zum Standesamt fahren (um diese fragwürdige Erfahrung bin ich allerdings herumgekommen).
Genug der Abschweifung – einen weiteren Kandidaten haben wir noch, diesmal einen von der “grünen” Fraktion:
Prospekt zum Adler “Favorit”; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Mit diesem Vertreter tue ich mich zugegeben etwas schwer. An sich kann ein dezenter Grünton, mit schwarz kontrastierend eine durchaus glückliche Wahl sein (das ist definitiv nicht politisch gemeint…).
Aber ich meine, so etwas verträgt sich eher mit einem sportlichen oder zumindest eleganten Aufbau. Und beides hat der Adler “Favorit” bei aller Liebe nun wirklich nicht zu bieten.
Dem Käufer eines solchen Wagens blieb so oder so die Qual der Wahl, und dabei mag dieser Prospekt letztlich nur bedingt geholfen haben.
Am Ende kam man vielleicht sogar auf eine ganz andere Idee – denn so sehr Limousinen Ende der 1920er Jahre im Trend lagen, war doch für manchen Adler-Freund immer noch ein klassischer Tourenwagen der eigentliche Favorit.
Und als ob die Adlerwerke diesen damals zunehmend exotischen Kundenwunsch auch noch berücksichtigen wollten, haben sie genau daran am Ende dieses kleinen Prospekts gedacht.
Damit öffneten sich dann nochmals ganz andere Perspektiven (Forsetzung folgt)…
Prospekt zum Adler “Favorit”; Original aus Sammlung Michael Schlenger
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Heute kommen wieder einmal die Freunde der einst hochbedeutenden Frankfurter Marke Adler auf ihre Kosten – und das in einem unerwartet sportlichen Kontext.
Adler gehörte zwar zu den wichtigsten und angesehensten deutschen Vorkriegsherstellern, aber Sportlichkeit verband man mit ihr nur am Rande.
Für teure Werkseinsätze bei sportlichen Prüfungen hatte man selten etwas übrig – das Prestige der Marke ergab sich aus der Qualität und Zuverlässigkeit der Wagen. Ein Adler war selten progressiv, genau das schätzte die Kundschaft bis weit in die 1920er Jahre.
Ein gutes Beispiel dafür war das Mittelklassemodell Adler 6/25 PS, das von 1925 bis 1928 gebaut wurde. Rund ein Dutzend zeitgenössischer Fotos dieses Typs sind inzwischen in meiner Adler-Galerie zu finden – meist in Tourenwagenausführung wie hier:
Adler 6/25 PS Tourer; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Seltener findet man auf zeitgenössischen Aufnahmen geschlossene Aufbauten des Adler 6/25 PS mit seinen charakteristischen Scheibenrädern.
Doch neben klassischen Limousinen gab es vereinzelt sogar Landaulets, die wohl am ehesten im Taxibetrieb Verwendung fanden. Solche speziellen Aufbauten dürften von Karosseriebetrieben eigens angefertigt worden sein.
So bot Adler ab Werk auch eine schicke Ausführung des Typs 6/25 PS als offener Zweisitzer an, die es auch mit stärkerer Motorisierung gab:
Adler-Reklame von 1925; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Nun könnte man meinen, dass aus dieser Reklame nicht unbedingt zu schließen ist, dass der sportliche Sport-Zweisitzer auch mit der Motorisierung 6/25 PS verfügbar war und dass man vielleicht bloß mit dem Erscheinungsbild der weit stärkeren Modelle warb.
Das gab es zweifellos auch schon damals, doch im vorliegenden Fall lässt sich nachweisen, dass es auch den eher kompakten Adler 6/25 PS mit einem solchen Aufbau gab.
Hier sehen wir ein entsprechendes Fahrzeug aus fast identischer Perspektive und die Scheibenräder verraten, dass es sich um einen Typ 6/25 PS handelt:
Adler 6/25 PS Sport-Zweisitzer; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Typisch für diesen Aufbau ist das Notverdeck, das niedergelegt nicht viel Platz beansprucht, und das flach abfallende Heck.
Besäße nun noch die Tür einen tiefen Ausschnitt, würde man den Wagen als reinrassigen Roadster ansprechen, doch so etwas bot Adler erst in den 1930er Jahren an.
Davon zu unterscheiden ist die Ausführung als zweisitziges Cabriolet. Davon konnte ich zwar leider noch kein Foto aus Vorkriegszeiten dingfest machen, doch hatte ich das Glück, im Jahr 2012 in meiner Heimatstadt Bad Nauheim ein erhaltenes Exemplar abzulichten:
Adler 6/25 PS 2-sitziges Cabriolet; Bildrechte: Michael Schlenger
Dieser schöne Wagen repräsentiert einen amerikanischen Karosserietyp – ein offener Zweisitzer mit gefüttertem Cabrio-Verdeck und ausklappbarem Notsitz im Heck – dem legendären “Schwiegermuttersitz”.
Man beachte hier die wesentlich höhere Gürtellinie und das aufwendige Verdeckgestänge – beides Elemente, die sich am minimalistischen Sport-Zweisitzer nicht finden.
Ein solches 2-sitziges Cabriolet strahlt auch im moderaten Format eine gewisse Eleganz aus, doch Sportlichkeit hätte man ihm nicht zugesprochen.
Allerdings muss Sportlichkeit nicht unbedingt an ein dynamisches Erscheinungsbild oder gar eine herausragende Motorisierung geknüpft sein. Sie kann auch eine Haltung sein und aus purer Entschlossenheit resultieren.
Perfekt illustriert wird dies durch folgende Aufnahme aus der Sammlung von Leser Klaas Dierks, die “nur” einen serienmäßigen Adler 6/25 PS Tourenwagen zeigt – aber wenn das nicht sportlich ist, was die beiden Insassen hier veranstalten, was dann?
Adler 6/25 Tourenwagen; Original-Negativ aus Sammlung Klaas Dierks
Ist dieser Schnappschuss eines unbekannten Amateurs nicht die Wucht? Entstanden sein dürfte er bei einer der zahllosen lokalen Veranstaltungen mit mehr oder minder sportlichem Anspruch, bei denen meist serienmäßige Wagen zum Einsatz kamen.
Mit einem Foto wie diesem hätte Adler glatt Werbung machen können für das wackere 6/25-Modell, das sich eine Weile gut verkaufte. Doch wären typische Adler-Kunden vermutlich nicht davon angetan gewesen.
Sportlichkeit war so ziemlich das Letzte, was man von der Traditionsmarke erwartete, und dieses “Rennfoto” wäre vermutlich auf Unverständnis gestoßen. Doch gab es ganz offenbar damals auch eine kleine Fraktion, die Spaß an solchen Aktivitäten hatte.
Ob der Adler 6/25 PS mit seinem simplen seitengesteuerten Motor dafür so gut geeignet war wie der mit obenliegender Nockenwelle ausgestattete Fiat 509, der zeitgleich angeboten wurde und auch in Deutschland als Basis für Sportversionen beliebt war?
Vermutlich nicht – doch oft genug zählt die innere Einstellung, die den Unterschied macht.
Technische Unterlegenheit durch kalkuliertes Risiko und Einsatzfreude wettzumachen, das war eines der Kennzeichen des heroischen Zeitalters, das spätestens mit der Etablierung des Fahrradhelms bei Sonntagsradlern und Kleinkindern auf Dreirädern sein Ende fand.
Es gibt aber noch eine andere Dimension von Sportlichkeit – die sich einst aufs Schönste mit dem Automobil verband und dieses regelmäßig zum Statisten degradierte.
Unerwartet sportlich stellt sich in dieser Hinsicht auch dieser Adler des Typs 6/25 PS dar, der auf eine Weise geadelt wird, die in einem neuen Zeitalter des freudlosen Puritanismus und aggressiven Jakobinertums neuerdings als unschicklich gilt:
Adler 6/25 PS; Foto via Karen Starr Venturini (USA)
Diese schwer überbietbare Aufnahme eines einst in Berlin zugelassenen Adler des Typs 6/25 PS wurde mir von einer oldtimerbegeisterten Dame aus den USA zugesandt, die den schönen Namen Karen Starr Venturini trägt.
Auch so etwas, meine Damen und Herren, illustriert die Schönheit des klassischen Sportwagens – ganz gleich, was unter Haube schlummert. Vergleichbares wird schon lange nicht mehr gewagt – die Hüter der politischen Korrektheit ruhen nie.
Doch gibt es noch solche Zeugen einer Zeit, die zwar ihre eigenen Probleme hatte, sich aber einen gesunden Ausgleich zu verschaffen wusste. Etwas ganz Ähnliches praktiziere ich hier als Heilmittel gegen allerlei virulente Neurosen…
Nanu, mag jetzt mancher denken – kein Markenname im Titel? Keine Sorge, die automobile Markengeschichte der Vorkriegszeit kommt nicht zu kurz, ganz im Gegenteil.
Es ist bloß so, dass ich heute Anlass zu einer Spurenlese der besonderen Art habe, und das vedanke ich der Unermüdlichkeit eines KfZ-Urgesteins und Lokalhistorikers aus Seesen im Harz – sein Name ist Wolf-Dieter Ternedde.
Wer unter meinen Lesern ein gutes Namensgedächtnis hat, mag sich daran erinnern, dass uns Herr Ternedde schon das eine oder andere reizvolle Dokument aus Vorkriegszeiten “vermittelt” hat, etwa diesen großartigen Mercedes 15/70/100 PS – hier beim Tankstopp in der frühen Nachkriegszeit:
Mercedes 15/70/100 PS Tourenwagen; Originalfoto via Wolf-Dieter Ternedde (Seesen)
Ansonsten werden wir heute zwar etwas kleinere Brötchen backen, doch ich verspreche Ihnen: Die heutige Spurenlese durch die Welt der Vorkriegsautomobile in Seesen wird sich lohnen – und am Ende deutlich über diesen zeitlichen Horizont hinausweisen.
Doch der Reihe nach.
Wolf-Dieter Ternedde – von Hause aus Karosseriebaumeister und KfZ-Meister (beides zusammen findet man nicht alle Tage) wollte sich nach dem altersbedingten Ausscheiden aus dem traditionsreichen Betrieb der Familie Ternedde in Seesen nicht einem ordinären Ruhestand hingeben.
Nach der liebevollen Dokumentation der „Seifenkistenrennen in Seesen 1951 bis 1955“ in Buchform stand ihm der Sinn nach mehr. Nach guter Handwerksmanier hat er Nägel mit Köpfen gemacht – und als Nächstes auf fast 250 Seiten “Die Geschichte der heimischen KfZ-Werkstätten 1912-2021 und die ersten Automobile in Seesen” aufgearbeitet.
Was dieses Werk so bemerkens- und lesenswert macht, das will ich am Ende darlegen.
Zuvor unternehmen wir eine Reise durch die Geschichte der Automobile im Seesen der Vorkriegszeit – anhand einer Auswahl von Fotos, die Wolf-Dieter Ternedde in seinem Buch verarbeitet hat. Die abgebildeten Autos habe ich – so gut es eben ging – für ihn bestimmt.
Ziemlich am Anfang steht dieser “Doktorwagen”:
Opel 5/10 PS Doktorwagen von Dr. Schüttrumpf (Seesen); Foto via Wolf-Dieter Ternedde
Dieses frühe Automobil fuhr einst Dr. med August Schüttrumpf aus Seesen.
Im Unterschied zu zahlreichen fragwürdigen “Doktoren”, die es sich heutzutage in der Politik auf Kosten der arbeitenden Allgemeinheit bequem machen wollen, war er ein echter – nämlich ein praktizierender Arzt.
Vertreter seines Berufsstands waren meist die Ersten, die ein Automobil nicht zum bloßen Vergnügen erwarben. Hausärzte und Veterinäre gewannen mit der Benzinkutsche einen oft genug lebensrettenden Geschwindigkeitsvorteil und einen zuvor unerreichten Radius.
Der Wagen von Dr. Schüttrumpf war vermutlich ein Opel des Typs 5/10 PS, der einst als “Doktorwagen” Karriere machte. Ob er schon 1909 das Licht der Welt in Rüsselsheim erblickte (dann wäre es noch ein Typ 4/8 PS) gewesen, oder erst 1910, ist schwer zu sagen.
Der “Windlauf” – also die ab 1910 übliche aufwärtsgerichtete Blechpartie zwischen Motorhaube und Windschutzscheibe – könnte nachgerüstet sein. Interessant ist, dass diese Aufnahme ein winziger Ausschnitt aus einem weit größeren Bild ist, das erst 1919 entstand.
Was mag der “Doktorwagen” in diesen zehn Jahren bereits alles erlebt haben? Wievielen Menschen konnte Dr. Schüttrumpf inSeesen und Umgebung damit rechtzeitig Hilfe leisten – wie oft mag er trotz des wackeren Wagens zu spät gekommen zu sein?
Bleiben wir in der Zeit kurz nach dem 1. Weltkrieg: Hier haben wir eine eindrucksvolle Versammlung von Tourenwagen, die sich anlässlich einer Ausfahrt einst vor dem Hotel Wilhelmsbad in Seesen eingefunden hatten:
Adler 12/34 PS bzw. 12/40 PS (vorne links) vor dem Hotel Wilhelmsbad (Seesen); Originalaufnahme aus Stadtarchiv Seesen
Diese Wagen waren damals reine Luxusgefährte – auch nach dem verlorenen Krieg und trotz der erdrosselnden Tributleistungen infolge des Versailler “Vertrags” gab es in Deutschland noch ein dünne Schicht Vermögender, die sich so etwas gönnen konnten.
Oft genug war damals der Kauf eines Automobils ein Weg, der sich anbahnenden Aushöhlung der Währung ein Schnippchen zu schlagen, denn auch bei galoppierender Inflation blieb ein Auto werthaltig, war doch sein Nutzen derselbe.
So kam es in der ersten Hälfte der 1920er Jahre zu einem Boom im oberen Segment des deutschen Automarkts. Davon profitierten auch die leistungsfähigeren Modelle der Frankfurter Traditionsmarke “Adler”.
Diese technisch konventionellen, aber mit ihrem Spitzkühler schneidig aussehenden Modelle wie das in der ersten Reihe links zu sehende Fahrzeug finden sich auf Fotos jener Zeit ziemlich häufig.
Während es sich dabei meist um Typen mit 9/24- bzw. 9/30 PS-Motorisierung handelte, könnte der Wagen auf obigem Foto durchaus ein stärkeres Modell gewesen sein, welches parallel mit 12/34 bzw. 12/40 PS-Vierzylinder im selben Stil gebaut wurde.
Während die meisten deutsche Hersteller in der ersten Hälfte der 1920er Jahre wie Adler noch an traditionellen Formen und Manufakturproduktion festhielten, beschritten Brennabor und Opel bald neue Wege – die von der führenden US-Autoindustrie vorgezeichnet waren.
Brennabor verzettelte sich nach vielversprechendem Anfang mit unübersichtlicher Modellpolitik und teils wenig ansprechender Gestaltung. Opel dagegen hatte mit der Orientierung an erfolgreichen Konzepten aus dem Ausland eine glücklichere Hand.
Nach dem von Citroen inspirierten Opel 4-PS-Modell folgten die Rüsselsheimer in der Mittel- und Oberklasse bald ganz amerikanischen Vorbildern – vor der Übernahme durch General Motors wohlgemerkt.
So begegnete man in der Vorkriegszeit auch in Seesen dem Opel Typ 7/34 PS bzw. 8/40 PS, hier in einer Ausführung von 1927/28:
Opel 7/34 oder 8/40 PS, Fahrschule Hoffmann (Seesen); Foto via Wolf-Dieter Ternedde
Dieser Tourenwagen diente noch um die Mitte der 1930er Jahre als Fahrschulauto. Inhaber Paul Hoffmann war zugleich Besitzer einer Tankstelle und einer Opel-Werksvertretung – damit bestand die Aussicht, dass seine Fahrschüler ihm auch später treu blieben.
Wagen dieser Größenklasse blieben freilich die Ausnahme – größere Stückzahlen erreichten im damaligen Deutschland nur Kleinwagen wie das erwähnte Opel 4-PS-Modell.
Bemerkenswert ist, dass kein deutscher Hersteller damals aus eigenen Kräften in der Lage war, ein für eine Massenproduktion taugliches Kompaktmodell zu entwickeln. Entweder man verrannte sich in skurrilen Konzepten wie dem Hanomag “Kommissbrot” oder man nahm “Anleihen” an längst erfolgreichen Modellen ausländischer Hersteller.
Nachdem man etliche Jahre nur zugeschaut hatte, wie sich der automobile Globus weiterdrehte und man selbst stillstand, fiel irgendwann der Groschen. Nach Opel war es 1927 dann Dixi aus Eisenach, das sein Heil im Lizenznachbau des Austin Seven sah.
Der bereits seit fünf Jahren erfolgreiche Engländer fand mit einigen Anpassungen als Dixi rasch eine interessierte und oft begeisterte Anhängerschaft – so auch in Seesen:
Dixi 3/15 PS von Herbert Wadsack (Seesen); Foto via Wolf-Dieter Ternedde
Hier lehnt sich als stolzer Besitzer ein gewisser Herbert Wadsack in die (scheinbare) Kurve. Der 15 PS leistende Wagen gehörte anfänglich noch der Cyclecar-Klasse an – zu der sehr leichte Autos mit Reifen im Motorradformat und freistehenden Kotflügeln zählten.
Im Lauf der Zeit entwickelte man auf dieser Basis neben minimalistischen und sportlich wirkenden offenen Versionen wie diesem auch erwachsener erscheinende geschlossene Ausführungen des “Dixi”.
BMW aus München – damals noch ein reiner Motorradhersteller – erkannte das Potential und übernahm kurzerhand die Firma Dixi und ließ die zunächst noch auf dem Austin-Lizenzmodell 3/15 PS basierenden eigenen Modelle bis Kriegsende in Eisenach bauen.
Damit sind wir nun in den 1930er Jahren, als die deutsche Autoindustrie endlich aus der Lethargie erwachte und begann, selbst zunehmend den Fortschritt mitzubestimmen.
Freilich waren die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen denkbar ungünstig und einst stolze Marken wie Audi, DKW, Horch und Wanderer überlebten nur durch Bündelung der Kräfte – die legendäre Auto-Union entstand.
Unter ihrer Führung gelang es, den eigenständigen Charakter der Marken zu wahren und gleichzeitig die Vorteile einer gemeinsamen Organisation zu nutzen. Oft bekam der Käufer gar nicht mit, dass dieselbe Plattform oder auch Motoren bei Wagen unterschiedlicher Marken verwendet wurden.
Vielleicht am wertvollsten war aber das Gestaltungsbüro der Auto-Union, dem es gelang, einerseits den einzelnen Marken ein eigenes Gesicht zu geben und andererseits gewisse ästhetische Gemeinsamkeiten zu entwickeln, die den hohen Anspruch der Auto-Union in gestalterischer Hinsicht repräsentierte.
Ein Beispiel dafür ist der ab 1936 gebaute Wanderer des Typs W51 bzw. 53, wie hier als schickes Vierfenster-Cabriolet zu sehen ist:
Wanderer W51 oder W 53; Wagen der Gießerei Gerhards (Seesen); Foto via Wolf-Dieter Ternedde
Dieses Auto, das vermutlich eine Karosserie von Gläser (Dresden) besaß, gehörte dem Inhaber des Seesener Gießereiunternehmens Gerhards. Abgelichtet wurde es im Juni 1937 anlässlich einer längeren Ausfahrt bei Laboe.
Der Stil dieses Cabriolets mit gepfeilter Windschutzscheibe ähnelt zeitgenössischen Horch-Modellen, doch die Frontpartie war vollkommen eigenständig gestaltet und fand sich so nur bei Wanderer-Automobilen.
Hier sehen wir den Wagen während der gleichen Tour, wie er gerade ein Fähre verlässt:
Wanderer W51 oder W 53; Wagen der Gießerei Gerhards (Seesen); Foto via Wolf-Dieter Ternedde
Das Kennzeichen verweist auf eine Zulassung im einstigen Landkreis Gandersheim, zu dem auch Seesen gehörte.
Mit dieser Aufnahme sind wir schon kurz vor Kriegsbeginn, doch noch nicht ganz am Ende. Wie es der Bedeutung der Marke entspricht, kehren wir ein drittes Mal zu Opel zurück.
Rund ein Vierteljahrhundert nach dem Erscheinen des ersten Opel “Doktorwagens” in Seesen und etwa zehn Jahre nach der Einführung des Typs 8/34 PS, der als Fahrschulauto diente, finden wir zuletzt einen Vertreter des modernen Typs Olympia bzw. Kadett – des ersten in Großserie gebauten Ganzstahlwagens in Deutschland.
Verewigt ist dieses Modell auf einem Foto, das großen Charme besitzt, doch zugleich an die zeitlichen Umstände erinnert, unter denen es entstanden ist:
Opel Kadett oder Olympia; Foto via Wolf-Dieter Ternedde
Gegen diese junge Dame ist der wackere Opel natürlich chancenlos – aber er war dafür ausgelegt, eine dienende Rolle zu erfüllen und trug seine “Kühlerfigur” mit Gelassenheit.
Die Tarnblenden auf den Scheinwerfern verraten, dass dieses schöne Dokument nach Kriegsausbruch im September 1939 entstanden sein muss.
Private Automobile wurden für Militärzwecke eingezogen, sofern sie nicht veraltet waren (das rettete viele Autos mit Baujahr vor etwa 1930) oder für die ein aus staatlicher Sicht unabweisbarer Bedarf bestand – wie bei Ärzten, “wichtigen” Mitgliedern von Parteiorganisationen oder schlicht Leuten mit “Beziehungen”.
Im Fall des obigen Fotos dürften wir es mit einem beschlagnahmten Zivilfahrzeug zu tun haben, das wohl einer Luftwaffeneinheit diente – darauf deutet jedenfalls das auf dem linken Kotflügel angebrachte Abzeichen mit einer fallenden Bombe hin.
Vom späteren Bombenhagel der Alliierten scheint das kleine Seesen verschont worden zu sein, doch wie im übrigen Europa waren die Wunden des Kriegs auch so allgegenwärtig – in den Menschen, die ihn erlebt hatten.
Ein Kriegsteilnehmer dürfte auch dieser junge Mann gewesen sein, der uns auf dieser Aufnahme aus dem Jahr 1951 ernst anschaut:
Ford Eifel; Aufnahme von 1951 an der Tankstelle/Werkstatt Georg Hoffmann (Seesen); Foto via Wolf-Dieter Ternedde
Er trägt zu seinem Overall eine typische Feldmütze, wie sie millionenfach von deutschen Soldaten getragen worden war und oft zu den wenigen Dingen gehörte, mit denen sie nach Kriegsende heimkehrten.
Wie es scheint, hat der Träger dieser Mütze einen Aufnäher angebracht, möglicherweise einen der Marke Gasolin, auf die auch das Schild im Hintergrund verweist. Das würde ausgezeichnet zusammenpassen, denn das Foto entstand vor der Tankstelle/Werkstatt Georg Hoffmann in Seesen.
Das Auto ist leicht zu bestimmen – es handelt sich um einen Ford “Eifel” in der von 1937-39 gebauten Ausführung.
Viele dieser robusten Wagen leisteten noch lange nach Kriegsende gute Dienste, bis sie im Zuge des breiten Wirtschaftsaufschwungs der 1950/60er Jahre verschwanden, als sich erstmals die breite Masse Autos leisten konnte – zuimdest im Westen unseres Landes.
An dieser Stelle endet meine automobile Spurenlese in Seesen – doch die von Wolf-Dieter Ternedde ist hier noch lange nicht zuende. Denn er hat es sich zur Aufgabe gemacht, die ganze Geschichte des Automobils in Seesen zu dokumentieren.
Die heute vorgestellten Fotos sind bloß ein kleiner Ausschnitt aus diesem Vorhaben, für das das Herr Ternedde in jeder Hinsicht berufen war – was die nötige fachliche Kenntnis angeht, die Beziehungen zu seinen Mitbürgern in seinem Heimatort und nicht zuletzt die Gründlichkeit und Hartnäckigkeit alter Schule, mit der er die Sache anging.
So gelang es Wolf-Dieter Ternedde “Die Geschichte der heimischen KfZ-Werkstätten und die ersten Automobile in Seesen” in seinem soeben erschienen gleichnamigen Buch reich bebildert und mit lebendigen Schilderungen aus erster Hand festzuhalten.
Was mich an dem im Eigenverlag herausgegebenen Werk so begeistert, ist Folgendes: Man könnte meinen, dass einem als Nicht-Seesener dieses Stück Heimatgeschichte nicht viel sagen wird und die Dokumentation örtlicher Werkstätten, Karosseriebetriebe und Tankstellen bestenfalls ein Nischenthema ist – doch das ist nicht der Fall.
So erzählt Wolf-Dieter Ternedde in seinem Buch nicht nur – quasi nebenher – die Geschichte des Automobils bis in die unmittelbare Gegenwart. Er schildert zugleich die Geschichte unseres Landes aus einer ganz speziellen Perspektive, die uns allen etwas sagt.
Während man die Geschicke der teils längst verschwundenen, teils noch existierenden Seesener Firmen über die Jahrzehnte anhand von Fotos und Erzählungen verfolgt, beginnen einem die Menschen, die dort arbeiteten, und die Familien, denen die Betriebe gehörten, auf merkwürdige Weise vertraut zu werden.
Denn wir alle kennen aus eigener Geschichte und Anschauung ganz ähnliche Situationen, Lebenswege und Umbrüche. Die wechselnden Autos über die Jahrzehnte und das sich verändernde Erscheinungsbild der Betriebe und des Stadtbilds sind bloß stellvertretend für unser eigenes Erleben über die Jahrzehnte.
So zieht in diesem einzigartigen Buch, für das Wolf-Dieter Ternedde zum richtigen Zeitpunkt mit großem Fleiß auf die noch vorhandenen Dokumente und Zeitzeugen zurückgegriffen hat, letztlich das Leben mehrerer Generationen unseres Landes vorüber.
Wer ein Herz für das Automobil in allen seinen Facetten hat – von bodenständig bis glamourös – und wer Genuss und Erkenntnis aus dem Studium der Alltagshistorie bezieht, der wird an diesem Buch viel Freude haben.
Mancher wird sich auch einigen nachdenklichen Worten von Wolf-Dieter Ternedde am Ende anschließen wollen, denen ich hier nicht vorgreifen will. Nur soviel: Dieses Buch mit der Schilderung eines stetigen, über lange Zeit aber immer wieder belebenden Strukturwandels ist aktueller, als man vielleicht denken mag.
Bezug für 20 EUR (zzgl. 4 EUR Versandkosten) direkt beim Autor: w-ternedde@t-online.de
Der August 2021 nähert sich seinem Ende – allmählich wird es Zeit für den Fund des Monats. Doch vorher will ich noch eine kleine Sensation präsentieren.
“Klein” trifft es genau und “Sensation” an sich auch, wenngleich wir 111 Jahre in die Vergangenheit zurückreisen müssen, um die richtige Perspektive dafür zu gewinnen.
Dass wir heute auf diese Zeitreise gehen können, das verdanke ich Martina Müllender aus Montabaur, die übrigens feine Street Photography betreibt. Sie fand bei der Sichtung von Fotos aus Besitz ihrer Familie dieses wunderbare Dokument:
Adler Kleinauto von 1910; Originalfoto aus Familienbesitz (Martina Müllender)
Das Schöne an diesem Foto ist nicht nur der Adler, der uns hier entgegenkommt, sondern die Tatsache, dass sich noch genau sagen lässt, wann und wo die Aufnahme entstand, sogar wer den Wagen besaß.
Die Aufnahme angefertigt hat ein Urgroßonkel von Martina Müllender – die mit ihrem Beruf offensichtlich eine alte Familientradition fortsetzt. Als Aufnahmedatum wurde damals “1910” auf dem Abzug vermerkt.
Das passt perfekt zu dem abgelichteten Auto – denn 1910 markiert das Jahr, in dem die Wagen des Frankfurter Herstellers erstmals einen “Windlauf” erhielten, also ein Blech, das für einen strömungsgünstigen Übergang von der Motorhaube zur Frontscheibe sorgt.
Vor Einführung dieses Elements stieß die Motohaube abrupt auf die senkrechte Schottwand, auf der die Windschutzscheibe montiert ist.
Der Windlauf resultierte dagegen erstmals in den fließenden Linien vom Kühler bis zum Passagierabteil, die bis heute das Erscheinungsbild des Autos bestimmen. Die leicht schräggestellte Frontscheibe passt perfekt zu diesem modernen Gestaltungselement:
Wenn wir den zum Aufnahmezeitpunkt praktisch fabrikneuen Adler zeitlich so genau einordnen können, stellt sich die Frage, ob man auch den Typ näher bestimmen kann.
Nun, das wird schwierig, weil sich bei den frühen Adler-Automobilen gleichzeitig gebaute Typen bestenfalls in den Proportionen unterschieden. Selbst bei weitgehend identischen Abmessungen waren mit ein und derselben Karosserie oft mehrere Motorisierungen verfügbar, auf die äußerlich selten etwas hinwies.
Hinzu kommt, dass die Motorisierung in der laufenden Produktion wiederholt verbessert wurde, ohne dass damit sichtbare Änderungen einhergingen.
In historischen Dokumenten – also zeitgenössischen Broschüren und Reklamen – erwähnte Motorisierungen stehen somit oft nicht für eigenständige Typen, sondern stellen eher Momentaufnahmen dar.
Im vorliegenden Fall bestätigt sich das: Dieser Adler von 1910 ist von der Größe her als ein Wagen der Kleinwagenlinie dieser Marke einzuordnen. Damit kommen gleich mehrere Ausführungen in Frage, die gleichzeitig bzw. in kurzer Abfolge gebaut wurden.
Die Palette reicht von 5 bis 7 Steuer-PS, womit Hubräume von 1,3 bis 1,8 Liter einhergingen. Die verfügbare Spitzenleistung dieser kompakten Vierzylinderaggregate reichte von 11 bis 17 PS.
Konstruktive Unterschiede gab es dabei so gut wie keine, lediglich die Spur (1,25 Meter bzw. 1,30 Meter) und der Radstand (2,40, 2,50 bzw. 2,70 Meter) unterschieden sich. Es liegt auf der Hand, dass wir die Motorisierung dieses Adlers unmöglich bestimmen können.
Wir können uns dem Wagen dennoch auf andere Weise nähern, im ersten Schritt dadurch, dass wir den Adler und sein Umfeld mit etwas Farbe in die Gegenwart holen:
Im zweiten Schritt machen wir uns mit dem Umfeld vertraut. Überliefert ist, dass die Aufnahme außerhalb von Litterscheid (Gemeinde Ruppichteroth) entstand und den Wagen zeigt, als er auf das Dorf zufuhr.
Nach Sichtung der heutigen Topographie vermute ich, dass der Adler aus Nordnordost-Richtung hangaufwärts kam und kurz davor war, den Ortsrand zu erreichen.
Wer war das nun, der anno 1910 mit seinem Adler Kleinauto gen Litterscheid unterwegs war? Auch das wissen wir glücklicherweise.
So ist überliefert, dass der Besitzer ein gewisser Dr. Eschweiler war, der damals das erste Automobil in das Dorf lenkte. Das war die kleine Sensation, von der ich eingangs sprach.
Auch wenn das Auto selbst nichts Ungewöhnliches darstellt, ist es bemerkenswert, dass wir nach so langer Zeit immer noch Zeugen dieses Ereignisses sein können…
Die letzten Tage war ich keineswegs untätig, wie vielleicht der eine oder andere Leser glauben könnte. So habe ich eine Reihe von Fotos abgestaubt, die schon länger in meinem Fundus schlummern und den darauf verewigten alten Wagen zu neuem Glanz verholfen.
Zufällig zeigen alle Aufnahmen wahrscheinlich denselben Wagentyp, wenn auch nicht dasselbe Auto – bestenfalls das gleiche…Auf geht’s!
Im März 1926 entstand irgendwo in Bayern diese Aufnahme – erkennt jemand den Ort?
Adler 9/24 oder 9/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Typisch deutsch, dieser Spitzkühlerwagen mit schlichtem Tourenwagenaufbau, soviel ist klar. Eindeutig auch die Zulassung in Schwabmünchen (heute Landkreis Augsburg).
Doch der Hersteller des Autos ist schwer zu ermitteln. Benz und Mercedes lassen sich ausschließen, Phänomen und Opel ebenfalls. Könnte es sich um einen Dux handeln? Dazu würde passen, dass kein Kühleremblem zu erkennen ist.
Doch vielleicht ist das auch nur der Fall, weil die Aufnahme ein wenig Staub angesetzt hat. Versuchen wir es einmal mit einer kleinen Auffrischung:
Hmh, viel gebracht zu haben scheint diese “Säuberungsaktion” hier nicht. Ein wenig Leben ließ sich dem alten Dokument aber immerhin einhauchen.
Wir behalten die Kühlergestaltung im Hinterkopf, ebenso vermerken wir 14 Luftschlitze in der Motorhaube, Drahtspeichenräder, schrägstehende Windschutzscheibe und eine nur wenig ausgebildete Schwellerpartie.
Den nächsten Fotokandidaten verdanke ich Leser Klaas Dierks – seine Aufnahme scheint einen ganz ähnlichen Wagen zu zeigen:
Adler 9/24 oder 9/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks
Der Kühler ist praktisch identisch gestaltet, nur ist hier ansatzweise eine dreieckige Emaill-Plakette zu erkennen.
Die Zahl der Luftschlitze ist leider nicht eindeutig festzustellen, dafür werden wir durch das seltene Detail einer zusätzlichen Windschutzscheibe vor den Passagieren im Fond entschädigt – vermutlich ein markenunabhängiges Zubehörteil.
Davon abgesehen, sind keine wesentlichen Unterschiede zu sehen – das mitgeführte Ersatzrad konnte ein Extra sein und war zudem von der anderen Fahrzeugseite nicht sichtbar. Räder und Frontscheibe stimmen überein.
Der Versuch, auch hier den Staub der Jahrzehnte wegzupusten, zeitigt leider keine neuen Erkenntnisse – der Chauffeur gibt sich weiterhin abweisend und das (mutmaßliche) Farbschema des Schals, den der junge Mann auf dem Trittbrett trägt, bringt uns nicht weiter:
Doch einen kleinen Schritt sind wir mit dieser Aufnahme vorwärtsgekommen – denn von nun an gilt es, vor allem das Kühleremblem im Blick zu behalten.
Den nächsten Schritt repräsentiert eine Aufnahme, die 1925 auf der “Fahrt nach Schönberg” entstand – woran sicher nicht nur dieser Wagen beteiligt war. Sechs bis sieben Insassen ließen sich in einem Tourenwagen schon unterbringen, aber keine zehn wie in diesem Fall:
Adler 9/24 PS oder 9/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Wer gerne Physiognomien studiert, hat hier reichliches Anschauungsmaterial. Neben dem bieder wirkenden Chauffeur sind hier einige prächtige “Verbrecher”gesichter versammelt. Den Wagen würde ich jedenfalls keinem dieser Herren abkaufen wollen…
Doch zurück zum Thema – dieses Exemplar sieht den beiden zuvor gezeigten verdammt ähnlich, von der senkrecht stehenden Frontscheibe einmal abgesehen. Tatsächlich finden sich auch hier ein lackierter Spitzkühler mit emailliertem Emblem, 14 Haubenschlitze, und Drahtspeichenräder (bei deutschen Wagen eher die Ausnahme).
Nun ist auch die Schwellerpartie besser zu erkennen: Hier ist noch der Chassisrahmen sichtbar und der Zwischenraum zum Trittbrett scheint mit einem gerundeten Element aus Blech oder Kunstleder geschlossen zu sein – eine Lösung, die man eher vor dem 1. Weltkrieg erwarten würde, nicht aber Anfang der 1920er Jahre, als dieser Wagen entstand.
Aufmerksame Betrachter werden spätestens hier erkannt haben, dass es sich um einen Wagen des Frankfurter Herstellers Adler handelt, das ist auch auf der Verschlussmutter des Vorderrads zu lesen.
In dieser Hinsicht hilft das Säubern des alten Originals sogar ein wenig, wenngleich die Insassen mit frischer Tünche versehen kein Deut “sauberer” wirken:
Auch wie sich der Wagen darbietet, vermag auf dieser Aufnahme noch nicht zu überzeugen.
Den Adler-Enthusiasten gelüstet es verständlicherweise danach, dieses offenbar gar nicht so seltene Spitzkühlermodell endlich einmal aus vorteilhafter Perspektive zu sehen.
Da hilft nur eine herzhafte Behandlung mit anderen Mitteln, in diesem Fall mit einem tüchtigen Schwall Wasser, der den Wagentyp auf einmal frisch und fast neu vor unseren Augen erstrahlen lässt:
Adler 9/24 oder 9/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks
Hand auf’s Herz, liebe Vorkriegsfreunde: Wann hat man zuletzt ein Autofoto der 1920er Jahre gesehen, das einen derartig gelungenen Bildaufbau zeigt?
Diese Aufnahme (von Leser Klaas Dierks) ist nicht nur vom Blickwinkel und der Tiefenstaffelung perfekt, sie enthält auch ein dynamisches Element, das uns buchstäblich an der Szene teilhaben lässt.
Der Fotograf hat nämlich in dem Moment auf den Auslöser gedrückt, in dem der junge Mann links in die Hocke gegangen ist und mit dem Wasserschlauch von schräg unten auf den Wagen hält.
Besonders gut gefällt mir die Lässigkeit der Haltung, die durch Weste und Oberhemd in keiner Weise beeinträchtigt wird – im Gegenteil. So wie eine verrutschte Krawatte eine reizvolle Mischung aus Korrektheit und Gleichgültigkeit darstellen kann, sind es hier die hochgekrempelten Hemdsärmel, die für einen gelungenen stilistischen Balanceakt sorgen.
Heute würde man denselben Vorgang in Jeans und T-Shirt absolvieren – einst ein Ausdruck von Nonkonformität, heute vollkommen beliebig. Wirklich cool wäre es, mit genau so einem Outfit dem Vorkriegsklassiker zu Leibe zu rücken, wie das der Bursche auf dem Foto tat.
Das würde in Farbe dann annähernd so aussehen:
Vor lauter Begeisterung über dieses großartige Dokument, auf dem uns der Adler auf einmal blitzsauber begegnet, soll nicht unerwähnt bleiben, dass wir es hier (und wahrscheinlich auf allen zuvor gezeigten Fotos) mit dem Adler-Vierzylindermodell 9/24 PS bzw. 9/30 PS zu tun haben, welches von 1921-24 gebaut wurde.
Ob sich die frühe 24-PS-Ausführung äußerlich von der späteren Version mit 30 Pferdestärken unterschied, vermag ich nicht zu sagen.
Mir ist keine allgemein zugängliche Adler-Publikation – sei es in Buchform oder im Netz – bekannt, die sich mit den Modellen der Marke vor Einführung des “Standard 6” und “Favorit” gegen Ende der 1920er Jahre wirklich ausführlich befasst – für eine der einst bedeutendsten und auch international bekanntesten deutschen Automarken ein Armutszeugnis.
So bleibt meine stetig wachsende Adler-Fotogalerie zwar die größte allgemein zugängliche Quelle von Dokumenten früher Adler-PKW-Modelle, doch ist sie in Teilen notgedrungen spekulativ. Vielleicht erbarmt sich ja einmal einer der Markenspezialisten – Material in Form der Originalprospekte ist ohne Ende vorhanden, das ist mir bekannt.
Nach dieser notwendigen Feststellung wird vielleicht der eine oder andere weniger mit Adler-Wagen der frühen 1920er Jahre vertrauten Leser das Markenemblem doch noch ein wenig detailreicher sehen wollen.
Dazu bietet sich eine weitere Aufnahme an, die zwar auf den ersten Blick nicht gerade perfekt ist, aber das entscheidende Detail auf den Punkt bringt:
Adler 9/24 oder 9/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Der stilisierte Adler – kaum überraschend bei der Marke – zeichnet sich hier deutlicher auf dem Kühleremblem ab als bei allen bislang gezeigten Aufnahmen dieses Typs.
Nebenbei sind die zahlreichen Verwandlungen des Emblems eine Wissenschaft für sich. Wer glaubt, dass es wenigstens im Netz eine vollständige Übersicht davon gäbe, wird auch hier enttäuscht (sofern ich nicht etwas übersehen habe).
Auch diese Herren aus alter Zeit scheinen erwartungsvoll dreinzuschauen – werden die Nachgeborenen noch denselben Enthusiasmus für die einst so verbreiteten und geschätzten Produkte der Marke aus Frankfurt am Main an den Tag legen?
Dazu kann ich nur sagen: An die Arbeit, liebe Adler-Markenspezialisten, wenn man dem selbstgesetzten Anspruch gerecht werden will.
An Wissen mangelt es nicht, soviel ist klar, aber eine aussagefähig bebilderte Typenhistorie erarbeiten und allgemein verfügbar zu machen, das sollte gut 75 Jahre nach dem Ende der Adler-PKW-Produktion irgendwann einmal drin sein.
Und sollte es vereinzelt an dem hervorragendem Bildmaterial mangeln, das die Marke Adler verdient, dann lässt sich da etwas machen.
So ist mir beim Abstauben und Aufpolieren der heute vorgestellten Fotos eine weitere Aufnahme eines Adler-Spitzkühlermodells des Typs 9/24 bzw. 9/30 PS aus meiner Sammlung wiederbegegnet, die garantiert keine Wünsche mehr offenlässt.
Hier hat nämlich bereits der Fotograf in jeder Hinsicht “saubere Arbeit” abgeliefert:
Adler 9/24 oder 9/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Nichts weniger als den Qualitätsanspruch eines solchen Dokuments darf man doch auch von der heutigen Dokumentation in Sachen Adler-PKW erwarten, oder ist da zwischenzeitlich etwas an Arbeitsethos verlorengegangen?
“Was vom Tage übrigblieb” – das ist der Titel eines britischen Films, auf den ich am Ende zurückkomme. Er ist zugleich Beschreibung dessen, was ich in meinem Blog zu später Stunde tue – einer mehr oder weniger heimlichen Liebe nachgehen.
Beim Schein der Schreibtischlampe tauche ich in alte Fotos ein, die ich – nicht sonderlich zielgerichtet – am Wegesrande aufgelesen habe oder die mir von anderen Enthusiasten zugespielt wurden und welche vordergründig Automobile der Vorkriegszeit zeigen.
In den besten Fällen handelt es sich um Momentaufnahmen, deren zeitlose Botschaft über das Studium technischer Besonderheiten und Karosseriedetails oder Anmerkungen zum Hersteller und zu den Zeitumständen hinausgeht.
Heute kann ich wieder mit einem Beispiel dafür aufwarten, bei dem man sich zwar mit dem Wagen beschäftigt, das einen aber letztlich mit dem Gedanken konfrontiert, was von einem Tag übrigbleibt – vor allem, wenn man nach langer Zeit darauf zurückblickt.
Was von einem Tag im September 1935 übrigblieb, ist zunächst dieser Ausschnitt eines Fotos, das im bayrischen Bad Tölz entstand und welches als Postkarte zu einem Adressaten ins nahegelegene Benediktbeuern gelangte:
Auf den ersten Blick ist hier wenig zu sehen außer einer massigen Limousine mit gegenläufig öffnenden Türen, angesetztem großen Kofferraum mit zwei Ersatzrädern und auffallendem Dachabschluss.
Doch wird sich das Bild ganz anders darstellen, wenn man einmal ein klareres Foto desselben Wagentyps gesehen hat. Ein solches muss man freilich erst einmal auftreiben. Und dazu muss man erst einmal wissen, was man hier eigentlich vor sich hat.
Ein erster Schlüssel zur Identifikation sind die profilierten Scheibenräder mit großer schmuckloser Radkappe. Diese finden sich identisch bei diesem Adler “Trumpf Junior”:
Adler “Trumpf Junior”; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Diese charmante Aufnahme des erfolgreichen Frontantriebswagens der Frankfurter Adlerwerke entstand 1934 im Raum Berchtesgaden. Im selben Jahr baute Adler die mächtige 6-Zylinder-Limousine, die wir auf dem eingangs gezeigten Foto sehen.
Sie wurde mit ähnlicher Ganzstahlkarosserie von Ambi-Budd (Berlin) ausgeliefert wie der Hanomag “Sturm” – der ebenfalls einen Sechszylindermotor unter der Haube besaß, welche sich durch fünf seitliche Luftklappen auszeichnete. Selbige verraten sich auf dem Foto durch kleine waagerechte Chromleisten.
Auf folgender Aufnahme sehen wir nun dieses Adler-Modell mit der standesgemäßen Bezeichnung “Diplomat” in derselben repräsentativen Ausführung.
Adler “Diplomat” Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Im hinteren Drittel des Dachs wäre Platz für ein weiteres Fenster gewesen wie beim Hanomag “Sturm”. Doch verzichtete man darauf, sodass die Passagiere im Heck dem Blick von außen verborgen blieben.
Das gibt dem Wagen eine aristokratische Würde, die man bei britischen Automobilen jener Zeit findet. Mir ist kein anderer deutscher Hersteller bekannt, der sich für diesen langgestreckten Dachabschluss entschied, der Vorbilder aus der Kutschenzeit zitiert.
Mit diesem Prachtexemplar, das so nur 1934 gebaut wurde, verabschiedete sich Adler aus der Liga klassisch gestalteter Oberklassefahrzeuge. Die ab 1935 gefertigte Version des “Diplomat” besaß eine weit modernere Karosserie, die nicht dieselbe Noblesse ausstrahlt.
Mit solchem Wissen ausgestattet und mit dem majestätischen Erscheinungsbild des Wagens vor Augen kehren wir zum Gegenstand der heutigen Betrachtung zurück:
Adler “Diplomat”; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Hier sieht man das Fahrzeug mit anderen Augen, was auch mit den beiden jungen Damen zu tun hat, die vom Fotografen gekonnt als lebendiger Kontrapunkt zu der dunklen Masse Blech platziert wurden.
Dass der Abzug, der einst als Postkarte lief, nach so langer Zeit nur mäßig erhalten ist, tut seiner Wirkung keinen Abbruch.
Immer wieder geht der Blick von dem eindrucksvollen Wagen zu den trotz gleicher Kleidung vom Typ her völlig unterschiedlichen Frauen und dann in den Hintergrund, der auch mit Strom- oder Telegrafenleitung idyllische Wirkung entfaltet.
Da diese Postkarte aus dem Heilkurort Bad Tölz verschickt wurde, könnte ich mir vorstellen, dass die beiden Damen zum Personal eines örtlichen Hotels gehörten. Wie es wohl zu der Aufnahme mit dem Adler kam, der vielleicht einem Gast gehörte?
Liefert die Beschriftung der Rückseite einen Hinweis darauf?
Leider ist der Text stark verblasst, mehr konnte ich aus dem Original nicht herausholen. Leser und Sammlerkollege Klaas Dierks lieferte folgende Transkription:
Lieber Hansi, wie geht es Dir jetzt? Hoffentlich besser. Ist auch zu Haus alles gesund? […] einige Wochen dann ist mit der Sesong Schluß. Aber dann spanne ich aus, bis sich daß …..
Vermutlich wissen wir am Ende nicht mehr als diese kurze Botschaft, die wohl eine der beiden Damen auf dem Foto verfasste, den Tag, an dem das Foto 1935 als Postkarte auf die Reise ging, die Empfängeradresse in Benediktbeuren und den Typ des Adler-Automobils, das darauf abgebildet ist.
Was vom Tage übrigblieb, an dem dieses Dokument entstand, ist somit am Ende ein verblassendes Stück Papier. Damit verbindet sich die zeitlose Frage, was vom Tag übrigbleibt, der bedeutend erscheint, während wir ihn erleben, der aber im Dunkel entschwindet, wenn er einmal zum Gestern und Früher geworden ist.
Dieselbe Frage – auf das gesamte Dasein angewendet – behandelt der britische Film “The remains of the day” von 1993. Er ist Reflektion des Daseins eines Butlers in der britischen Aristokratie, der in seinen späteren Jahren mit den verpassten – oder vermiedenen – Pfaden konfrontiert wird, die sein Dasein hätte nehmen können.
Großartig ist folgende Sequenz, in der Miss Kenton, die Haushälterin des Adelssitzes Darlington Hall, gespielt von Emma Thompson, den von Anthony Hopkins verkörperten Butler bedrängt, ihr zu verraten, was er in der Zeit liest, die von seinem Tag übrigbleibt.
“Lesen Sie ein verwegenes Buch”? – “Glauben Sie, dass es verwegene Bücher im Regal seiner Lordschaft gibt?”
“Woher soll ich das wissen? Was ist das für ein Buch? Lassen Sie es mich sehen!” – “Bitte lassen Sie mich alleine, Miss Kenton.”
“Warum zeigen Sie mir nicht Ihr Buch?” – “Jetzt ist die Zeit, die ich für mich habe. Sie stören mich darin.”
“Wirklich? … Was steht denn in dem Buch? Bitte, lassen Sie es mich sehen.… Wollen Sie mich vielleicht vor etwas schützen? Würde es mich schockieren? …Lassen Sie es mich sehen! …Oh, es ist ja gar nichts Skandalöses. Das ist ja bloß ein sentimentaler alter Liebesroman” …
Filmquelle: YouTube.com; hochgeladen von Movieclips
Für den Kalauer im Titel meines heutigen Blog-Eintrags habe ich mir einige historische Freiheiten genommen:
Zwar war der Gründer der Firma Heinrich Kleyer aus Frankfurt/Main, die sich ab 1881 mit Fahrrädern am Markt etabliert hatte, einst die treibende Kraft hinter der Entstehung der Automarke Adler – doch für die Konstruktion der Adler-Wagen ab 1900 zeichnete er selbst nicht verantwortlich – dafür griff man auf erfahrene Ingenieure zurück.
Zudem war der Name Kleyer bereits mit der Gründung der Adlerwerke AG 1895 eigentlich Vergangenheit – nur der Zusatz “vormals Heinrich Kleyer”erinnerte noch eine Weile im Firmennamen an ihn – wie in dieser Reklame von 1913:
Reklame für den Adler 5/13 PS-Modell; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Die Anzeige erschien 1913 in der Zeitschrift “Jugend” – die übrigens Ende des 19. Jh. erstmals den Kunststil ins Rampenlicht gerückt hatte, der nach ihr im deutschsprachigen Raum als “Jugendstil” bezeichnet wurde.
Richtig ist auf jeden Fall, dass diese Reklame für das seinerzeit kleinste Adler-Modell warb – den Typ 5/13 PS mit 1,3 Liter-Vierzylinder. Im Wesentlichen handelte es sich um eine leistungsgesteigerte Ausführung des seit 1910 gebauten Typs 5/11 PS.
Etwas moderner fielen die Aufbauten aus, bei denen die Linie der Motorhaube harmonisch in die dahinterliegende Blechpartie überging, die zur Windschutzscheibe hin anstieg – als Windlauf, Windkappe oder auch Torpedo bezeichnet.
Zudem besaß der Adler 5/13 PS serienmäßig filigrane Drahtspeichenräder, anhand derer man ihn vom Vorgängertyp 5/11 PS, aber auch vom etwas stärkeren Modell 7/15 bzw. 7/17 PS unterscheiden kann, die beide mit klobigeren Holzspeichenräder daherkamen.
Ein weiteres Detail des Adler 5/13 PS zeichnete sich dadurch aus, dass man es von außen nicht sah – dazu später mehr. Hier erst einmal ein Foto, das höchstwahrscheinlich einen Typ 5/13 PS zeigt, wie er ab 1912 angeboten wurde:
Adler Typ 5/13 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Die Adler-Wagen der Zeit vor dem 1. Weltkriegähneln sich zwar in der Formgebung stark und unterschieden sich äußerlich praktisch nur in den Proportionen.
Doch hier haben wir den glücklichen Fall, dass man anhand der Größe der Insassen und der Fenster im Hintergrund ermessen kann, dass man es mit einem sehr kompakten Modell zu tun hat. Die Drahtspeichenräder bestätigen dann die Vermutung, dass dieses Auto tatsächlich “Kleyers Kleinster” war – dessen Radstand ganze 2,40 m betrug.
An der Ansprache als Adler kann ohnehin kein Zweifel bestehen, der typische Kühler mit rasterförmigem Netz, der kursive Adler-Schriftzug und die Kühlerfigur sagen alles:
Die mit Karbidgas betriebenen Scheinwerfer unterstützen die Annahme, dass dieses Foto noch vor Beginn des 1. Weltkriegs entstanden ist – der Adler war damals also bestenfalls zwei Jahre alt.
Das Erscheinungsbild der Insassen wäre allerdings sowohl mit einer frühen Datierung als auch mit einer Entstehung in die Zeit kurz nach 1918 vereinbar.
Zwar brachten die 1920er Jahre vor allem bei den Damen einen radikalen Wandel in der Mode mit sich, aber die weiblichen Passagiere könnte man wie die Herren in der Vor- und in der (frühen) Nachkriegszeit verorten:
Dieser Ausschnitt bietet sich nun dazu an, auf das Detail zurückzukommen, das den Adler Typ 5/13 vom Vorgänger 5/11 PS unterscheidet, weil es nicht sichtbar ist.
Was könnte das sein? Nun, schauen wir, was sich in Griffweite des Fahrers befindet: Neben dem Lenkrad natürlich wäre das der Gummiball zur Bedienung der Hupe. Aber fehlt hier nicht noch etwas anderes?
Tatsächlich: Man sieht keinen Handbrems- und Schalthebel – die doch bei so frühen Automobilen fast immer rechts außen an der Karosserie angebracht waren. Ein Blick in die Literatur bestätigt, dass ausgerechnet “Kleyers Kleinster” mit innenliegenden Brems- und Schalthebeln ausgestattet war.
Bleibt die Preisfrage: Besaß dieser Adler 5/13 PS aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg bereits Brems- und Schalthebel in Wagenmitte – oder waren diese rechts an der Innenseite der Karosserie angebracht?
Die letztgenannte Variante erscheint mir wenig wahrscheinlich – weiß es ein Kenner früher Adler-Modelle dieses Typs genau?
Festzuhalten bleibt so oder so, dass auch “Kleyers Kleinster” ein interessantes und markentypisch vollwertiges Automobil in bester Verarbeitung war – kein Wunder dass man einst ziemlich stolz darauf war.
Für mich zeigt sich hier wieder einmal, wie ein auf den ersten Blick unscheinbares (und im Original schlecht erhaltenes) privates Autofoto bei näherer Betrachtung einiges Interessantes preisgibt – ganz abgesehen davon, dass historische Aufnahmen dieses Typs sehr selten sind, weshalb jedes Puzzlestück zählt – und sei es auch das kleinste…
Die Freunde der Marke “Adler” aus Frankfurt/Main werden sich vielleicht schon gefragt haben, weshalb ich bisher die in den 1930er Jahren so erfolgreichen Modelle “Trumpf” und “Trumpf Junior” gemieden haben.
Nun könnte ich anführen, dass ich erst noch haufenweise Fotos früherer Typen der Marke abzuhandeln habe, darunter einige frühe Modelle vor dem 1. Weltkrieg und jede Menge Exemplare der 1920er Jahre – einschließlich “Favorit” und “Standard 6 bzw. 8”.
Doch in dieser Kategorie haben sich inzwischen derartig zahlreiche Originalaufnahmen aus meinem eigenen Fundus und von Sammlerkollegen eingefunden, dass die populären Typen “Trumpf” und “Trumpf-Junior” wohl nie in Reichweite kommen.
Das wäre schade, denn auch von diesen gut dokumentierten Typen gibt es jede Menge reizvolle Aufnahmen, darunter auch einige, die nicht ganz alltägliche Aufbauten zeigen.
Wie aber beginnen? Nun, am besten ganz vorn, nämlich mit der Einführung des Adler “Trumpf” im Jahr 1932. Mit seinem Frontantrieb, der dem neu angeworbenen Konstrukteurs-Team um Hans-Gustav Röhr zu verdanken war, war das Modell für Adler ein kühner Schritt.
Zwar hatten Stoewer und DKW bereits zuvor Fronttriebler vorgestellt, doch das Antriebskonzept polarisierte – und tut es in gewissem Rahmen heute noch. Daher bot man parallel ein Modell mit traditionellem Heckantrieb an – den Adler “Primus”.
Dieser besaß denselben Motor und wurde anfänglich mit demselben Aufbau angeboten – ein bemerkenswertes Beispiel für eine Art Plattformstrategie.Optisch unterschieden sich die beiden Modelle im Erscheinungsjahr dennoch stark.
So kam der technisch konventionelle “Primus” mit einem Flachkühler und Rädern daher, wie man sie von den Modellen “Favorit” und “Standard 6” kannte, die noch aus den 1920er Jahren stammten und Anfang der 30er ausliefen:
Adler “Primus” Limousine von 1932; Originalfoto aus Sammlung Marcus Bengsch
Diese technisch zwar nicht ideale, aber dennoch reizvolle Aufnahme eines Adler “Primus” von 1932 hat mir Leser Marcus Bengsch vor einiger Zeit zugesandt.
Zumindest die erwähnte Kühlerpartie kann man hier gut erkennen. Sie zeichnete sich durch verchromte Lamellen im Kühler, das Adler-Emblem nach Entwurf von Bauhaus-Architekt Walter Gropius und eine geschwungene Scheinwerferstange aus, die der Front etwas die Strenge nimmt.
Die erwähnte Gestaltung der Räder lässt sich hier zwar nicht erkennen, dafür entschädigen aber die neben dem Wagen stehenden Damen, bei denen ich den Wagen entsprechend ganz unterschiedliche Charaktere vermute.
Technisch noch schlechter, aber kaum weniger sehenswert ist die folgende Aufnahme eines “Primus”, auf der man nun immerhin auch die Räder studieren kann:
Adler “Primus” Limousine” von 1932; Originafoto aus Sammlung Michael Schlenger
Dieses Foto stammt aus meinem eigenen Bestand und ist auf Juli 1932 datiert. “Fahrt nach Cottbus” steht außerdem noch auf der Rückseite des Abzugs.
Das ist vermutlich alles, was von dem Ausflug dieser Adler-Freunde aus dem Raum Berlin übriggeblieben ist. Sicher hätten sie nicht gedacht, dass die sommerliche Stimmung dieser Situation noch nach fast 90 Jahren ansteckend wirkt.
Wer sich von dem hinreißenden Lächeln der Dame neben der Fahrertür losreißen kann, wird bemerken, dass die Räder des “Primus” keine die Radbolzen abdeckenden Radkappen besaß, sondern eine voluminös ausgeprägte Nabenkappe, die verchromt war.
Schon besser zur aktuellen Jahreszeit (zumindest in meiner Region gab es kürzlich die ersten Nachtfröste) passt vielleicht eine letzte “Primus”-Aufnahme, die ich Frank-Alexander Krämer verdanke, der als Archäologe und Geschäftsführer einer Grabungsfirma auch ein Faible für Vorkriegsfahrzeuge hat:
Adler “Primus” Limousine” von 1932; Originalfoto aus Sammlung Frank-Alexander Krämer
Das ist in mancherlei Hinsicht eine sehr interessante Aufnahme: Zunächst fällt das Logo des Chemie und -Pharmakonzerns Bayer ins Auge – der Primus dürfte somit ein Firmenwagen gewesen sein. So etwas sieht man nicht alle Tage.
Dann haben wir eine Kühlermanschette zur Regulierung des Luftdurchsatzes in der kalten Jahreszeit (Thermostate waren noch unüblich). Diese gab es maßgeschneidert für jedes in nennenswerter Stückzahl am deutschen Markt vertretene Automobil.
Der Hersteller der Manschette lieferte wohl schon länger solche Kühlermanschetten für Adler-Wagen, denn wie selbstverständlich applizierte er das traditionelle Adler-Emblem darauf, das jedoch 1932 in dieser Form nicht mehr aktuell war.
Wie das Adler-Emblem auf dem Kühler des “Primus” tatsächlich aussah, ist gar nicht so leicht herauszufinden, da es recht klein war und Fotos des Typs nicht gerade häufig sind.
Adler Primus Limousine von 1932; Foto der 1960er Jahre aus Sammlung Michael Schlenger
Neben diesen Aufnahmen finden sich in meiner Adler-Galerienur zwei weitere Fotos des “Primus” mit Flachkühler. Er wurde in dieser Ausführung nur 1932 gebaut und wie es scheint, wurde er weit seltener abgesetzt als der zeitgleiche “Trumpf” mit Frontantrieb.
Auffallend ist auch, dass alle mir bisher vorliegenden historischen Originalfotos von Exemplaren des Adler “Primus” Limousinen zeigen. Beim parallel erhältlichen “Trumpf” scheinen dagegen deutlich mehr Käufer eine offene Version bevorzugt zu haben.
Entsprechend schwer fiel es mir, eine Vorkriegsaufnahme eines Adler “Trumpf” mit geschlossenem Aufbau zu finden, der nebenbei identisch mit dem des “Primus” war. Zugeliefert wurde die Ganzstahlkarosserie von Ambi-Budd (Berlin).
Nur die Haubenpartie fiel beim Fronttriebler “Trumpf” länger aus, da der Motor nicht wie bei heutigen Wagen dieses Konzepts quer sondern, um 180 Grad gedreht längs eingebaut wurde, sodass sich das Getriebe vor dem Motor befand.
Dank Leser Marcus Bengsch kann ich heute einen solchen Adler “Trumpf” mit geschlossenem Aufbau anhand eines zeitgenössischen Originalfotos zeigen:
Adler “Trumpf” Limousine von 1932/33; Originalfoto aus Sammlung Marcus Bengsch
Wie man sieht, hatten die Gestalter von Adler dem technisch moderneren Modell “Trumpf” eine etwas progressiver wirkende Frontpartie verpasst.
Der Kühler stand leicht schräg im Wind und war etwas v-förmig ausgeführt, sodass auch der Adler auf dem Grill seine Schwingen etwas nach hinten strecken musste. Die Radbolzen waren beim “Trumpf” hinter Radkappen versteckt und auf das traditionelle Trittbrett, das der Primus besaß, verzichtete manganz.
In dieser Form wurde der Adler “Trumpf” zwei Jahre lange gebaut, bis er 1934 ebenfalls eine schrägstehende Windschutzscheibe erhielt.
Beim Modell “Primus” begnügte man sich damit, ab 1933 die Kühlermaske des “Trumpf” zu verbauen, behielt aber Trittbretter und Radgestaltung bei. Auch die Einführung seitlicher “Schürzen” an den Vorderkotflügeln 1935 ersparte man dem Traditionsmodell.
So blieb es bis zur Produktionseinstellung des “Primus” im selben Jahr beim Eindruck ziemlich “ungleicher Brüder”. Adler setzte danach hauptsächlich auf Fronttriebler, was sich als der richtige Ansatz erwies. Der Primus steht bis heute im Schatten des progressiven Verwandten und scheint weitgehend in Vergessenheit geraten zu sein.
Wer mit originalen Fotos offener Versionen des Adler “Primus” aufwarten kann, würde mir und meinen Leser damit eine große Freude machen. An Cabrio-Versionen des “Trumpf” und “Trumpf Junior” dagegen herrscht bei mir kein Mangel und ich habe einiges damit vor…
Leser meines Blogs sind ihm schon oft begegnet – dem Adler “Standard 6” der späten 1920er Jahre, der mit 6-Zylindermotor, Hydraulikbremsen und Karosserie nach US-Vorbild den damals in Deutschland dominanten Amerikanerwagen Paroli bieten sollte.
Sein Erfolg blieb zwar begrenzt, die Mehrzahl potentieller Käufer bevorzugte nach wie vor US-Fabrikate, doch hat er zumindest in Form alter Fotos reichlich Spuren hinterlassen.
Mehr als zwei Dutzend Exemplare davon sind in meiner Adler-Galerie versammelt, und es finden sich immer noch neue – auch dank Lesern und Sammlerkollegen. Da kann man schon ein wenig verschwenderisch vorgehen und ein Spitzenfoto des Standard 6 quasi als Einleitung für die Geschichte nehmen, die ich heute erzählen will:
Adler “Standard 6” Limousine, aufgenommen 1928; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Diese sicher von Profihand angefertigte Aufnahme entstand im April 1928 und zeigt einen Adler “Standard 6” in der frühen Ausführung aus idealer Perspektive.
Hauptmerkmal der ab 1927 gebauten Erstversion des Modells war die Kühlereinfassung mit weit in das Kühlernetz hineinragendem Adler-Emblem. Dieses wanderte bei späteren Ausführungen (ab etwa 1930) ganz nach oben. Daneben vollzogen sich weitere Änderungen (aber nicht alle zeitgleich), die hier nicht thematisiert werden sollen.
Vergleiche mit Abbbildungen in der Literatur (vor allem: W. Oswald; Adler Automobile 1900-1945, S. 47) sprechen dafür, dass dieser Aufbau als Sechsfenster-Limousine vom Berliner Presswerk Ambi-Budd in Ganzstahlausführung zugeliefert wurde.
Das Kennzeichen verweist auf eine Zulassung im Raum Plauen (Vogtland, Sachsen), Näheres zum Aufnahmeort ist nicht bekannt und lässt sich wohl auch nicht mehr ermitteln.
Ganz anders sieht das aus bei dem Foto, das heute eigentlich im Mittelpunkt steht, obwohl es von weit schlechterer Qualität ist. Doch ist es nicht das erste Mal, dass sich ein auf den ersten Blick unscheinbareres Bild am Ende als das interessantere herausstellt:
Adler “Standard 6” vor dem Hotel Dreizehnlinden in Corvey; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)
Dieses Foto stammt aus dem Fundus von Matthias Schmidt (Dresden) und zeigt offenbar einen nahezu identischen Adler Standard 6 in der frühen Ausführung mit Ambi-Budd-Aufbau; nur ist hier ein seitliches Ersatzrad montiert.
Das Nummernschild verrät, dass diese Limousine einst im westfälischen Landkreis Soest zugelassen war. Wie sich zeigen wird, befand sich der Ort der Aufnahme gut 100 km weiter östlich von Soest.
Wo dieser Adler geparkt worden war, das lässt sich anhand der Aufschrift auf dem dreistöckigen Gebäude genau ermitteln: “Dreizehnlinden”. So lässt sich der Schriftzug ergänzen, außerdem ist er nochmals auf dem Türsturz über dem Eingang eingemeißelt.
Dort erfährt man auch, dass man es mit einem Hotel zu tun hat, was einen nach kurzer Recherche zum “Hotel Dreizehnlinden” beim einst hochbedeutenden Kloster Corvey führt.
Das 1794 erbaute Hotel befindet sich westlich des Tors zu Kloster- und Schlossanlage. Auf der folgenden historischen Ansichtskarte sehen wir es aus ähnlicher Perspektive, aber aus größerer Entfernung als auf dem Foto mit dem Adler:
Hotel Dreizehnlinden beim Kloster Corvey, Ansichtskarte um 1910; Quelle: https://picclick.de
Der Ruf des Hotels Dreizehnlinden scheint ausgezeichnet gewesen zu sein, wenn man den Quellen im Netz glauben darf. Dazu würde es gut passen, dass eine Gesellschaft mit nicht ganz billigem Adler “Standard 6” einst dort haltmachte.
Übrigens hatte das Hotel seinen eigentümlichen Namen erst 1907 in Anlehnung an ein fiktives Kloster “Dreizehnlinden” erhalten, das im gleichnamigen Epos von Friedrich Wilhelm Weber eine zentrale Rolle spielt.
Der Verfasser des Werks, den man nicht zu den großen seiner Zeit zählen muss, hatte darin einige Bezüge aus seiner Heimatregion einbezogen – auch der Name “Dreizehnlinden” ist in der Gegend um Corvey belegt.
So kommt man anhand einer auf den ersten Blick mittelprächtigen Aufnahme eines Adler mit 6 Zylindern auf einen idyllischen Ort namens Dreizehnlinden (das sehr original erhaltene, aber baufällige Hotel steht übrigens seit Jahrzehnten leer) und könnte sich nun im Studium der Geschichte von Corvey beispielsweise verlieren.
Doch trotz solcher reizvoller Ausflüge in die Regionalgeschichte sind es aber letztlich die alten Automobile, die uns in ihren Bann ziehen. Und so steht am Ende des heutigen Blogeintrags nochmals ein Adler Standard 6, diesmal aus ungewöhnlicher Perspektive und in offener Ausführung:
Adler “Standard 6” und Opel 4/20 PS; Originalfoto aus Sammlung Marcus Bengsch
Bei den großen Adler-Wagen der späten 1920er und frühen 1930er Jahre findet sich immer wieder reizvolles Bildmaterial. Hinter dem mächtigen Adler hat übrigens ein braver Opel 4/20PS haltgemacht.
Doch nicht nur unterschiedliche Orte und Gelegenheiten machen den Charme dieser amerikanisch inspirierten Adler-Modelle aus. Auch unter der Haube ist noch einiges Potential vorhanden – denn eine Variante habe ich bislang ausgeblendet – den Standard 8!
Auf das rare Prachtstück freut sich bestimmt nicht nur dieser einzelne Herr…
In den 1920er Jahren waren Tourenwagen gewissermaßen ein Branchenstandard im deutschsprachigen Raum. Die offenen Versionen mit Platz für bis zu sieben Personen wurden jedoch nicht wegen ihrer Freiluftqualitäten bevorzugt, sondern weil sie die günstigste Möglichkeit darstellten, überhaupt ein Auto zu fahren.
Das begann sich ab Mitte der 1920er Jahre zu ändern, als zunehmend Limousinen gefragt waren. Das erklärt, weshalb beispielsweise Adler aus Frankfurt das 1928 eingeführte Vierzylindermodell “Favorit” meist mit geschlossenem Aufbau lieferte.
Hier ein typisches Beispiel mit Ganzstahl-Standardkarosserie von Ambi-Budd:
Adler “Favorit” Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Dieser 1930 fotografierte Wagen entspricht vollkommen vergleichbaren Exemplaren in der Literatur. Das Adler-Emblem ragt noch in das Kühlernetz hinein, was in Verbindung mit den fünf Radmuttern ein klarer Hinweis auf einen “Favorit” von 1928-30 ist.
Der parallel erhältliche Sechszylindertyp “Standard” 6 wäre davon nur durch die größere Reifendimension und sechs Radmuttern zu unterscheiden gewesen.
Bereits bei diesen ersten Ausführungen des Adler “Favorit” und des “Standard 6″ waren klassische Tourenwagenaufbauten selten. Meine Adler-Fotogalerie enthält zwar mittlerweile Dutzende Fotos dieser Typen – doch Tourenwagen sind die Ausnahme.
Hier haben wir ein rares Beispiel für den Tourer in der Ausführung bis 1930:
Adler “Favorit” Tourenwagen, Bauzeit: 1928-30; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Langjährige Leser meines Blogs werden diese schöne Aufnahme bereits kennen, die auch insoweit außergewöhnlich ist, als sie die seitlichen Steckscheiben zeigt, die normalerweise nur bei geschlossenem Verdeck angebracht wurden.
Das Oberteil der Windschutzscheibe ist hier waagerecht ausgestellt und gibt den Blick frei nicht nur auf den jungen Mann am Lenkrad, sondern auch auf ein Schild im Hintergrund mit der Aufschrift “SHELL AUTOOELE”, das heute Sammlerwert hätte.
Zur Jahreswende 1930/31 wurden Adler “Favorit” und “Standard 6” optisch modernisiert. Das dreieckige Adler-Emblem wanderte nach oben und war nun ganz in die Kühlermaske integriert. Gleichzeitig wurden die in zwei Gruppen angeordneten horizontalen Luftschlitze in der Motorhaube durch senkrechte abgelöst.
Das sah bei der Limousine dann so aus wie auf dieser Aufnahme:
Adler “Favorit” ab 1930, aufgenommen in der “DDR”; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Dass wir keinen “Standard 6” vor uns haben, sagt uns das Fehlen des entsprechenden Hinweises auf der Scheinwerferstange. Nach der Modellpflege Ende 1930 besaßen nämlich “Standard 6” und der Vierzylindertyp “Favorit” nur noch fünf Radmuttern.
Nebenbei ist dieses Foto ein schönes Beispiel für das Überleben von Vorkriegswagen als Alltagsauto in der einstigen “Deutschen Demokratischen Republik”, die ich wie die “Demokratische Volksrepublik Nordkorea” bewusst in Anführungszeichen schreibe.
Ab 1930 wurden Tourenwagen außer für staatliche Abnehmer wie Polizei und Militär kaum noch gebaut. Wer als Privatmann eine offene Ausführung wünschte, kaufte meist ein Cabriolet, das mit Kurbelscheiben und gefüttertem Verdeck weit komfortabler war.
Umso spannender ist es, auch bei den späten Adler-Wagen der Typen “Favorit” bzw. “Standard 6” doch noch vereinzelt auf Tourenwagenversionen zu stoßen:
Adler “Favorit” Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)
Dieses aus vorteilhafter Perspektive geschossene Privatfoto verdanke ich einmal der Großzügigkeit von Matthias Schmidt aus Dresden, der ein bemerkenswertes Archiv an Autofotos aus dem Deutschland der Vorkriegszeit besitzt.
Auch hier vermute ich aufgrund des Fehlens der Ziffer “6” auf der Scheinwerferstange, dass es sich um den Vierzylindertyp “Favorit” und nicht einen “Standard 6” handelt. Bemerkenswert ist, dass sich der Käufer für einen Tourenwagenaufbau entschied, der inzwischen so selten war, dass er in der heutigen Literatur nicht mehr abgebildet ist.
Wer Zweifel an dem Befund hat, da das Verdeck des oben abgebildeten Wagens durch den stolz posierenden Besitzer abgedeckt ist, sei auf eine zweite Aufnahme desselben Autos verwiesen, die jeden Zweifel zerstreut:
Adler “Favorit” Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)
Diese Seitenansicht mit geschlossenem Verdeck ist nach meiner Einschätzung eine Rarität – mir ist jedenfalls bislang keine vergleichbare Abbildung begegnet, die einen Adler “Favorit/Standard 6” ab 1930/31 in solcher Tourenwagenausführung zeigt.
Überraschenderweise wirkt der Adler mit geschlossenem Verdeck und die Länge betonender hell abgesetzter Seitenleiste geradezu sportlich. Das waren zwar weder “Favorit” noch “Standard 6” tatsächlich, doch der Stil ist absolut überzeugend.
Der spezielle Geschmack dieses Adler-Besitzers, der sich hier lässig mit Zigarre und in die Ferne gehendem Blick inszeniert, gefällt mir ausgesprochen gut, nicht zuletzt weil er offenbar auf modische Strömungen nichts gab.
Seine Partnerin mit Hund scheint mit der Situation eines stilistisch aus der Zeit gefallenen Automobils durchaus glücklich gewesen zu sein – war sie am Ende eine frühe Nostalgikerin?