Nicht schon wieder ein Hanomag. So mag mancher denken, der mit deutschen Vorkriegsautos die Marken Horch, Maybach und Mercedes verbindet. In den 1920/30er Jahren waren solche Premiumwagen aber größere Raritäten als heute.
Wer sich damals in Deutschland ein Auto leisten konnte – das waren im Vergleich zu England, Frankreich und den USA nicht viele – fuhr Adler, DKW, Ford, Opel oder: Hanomag.
Die gefühlte Überlebensquote von Hanomag-PKWs geht heutzutage gegen null. Dabei begegnen einem die Wagen des Maschinenbaukonzerns aus Hannover bei der “freien Jagd” nach alten Autofotos auf Schritt und Tritt.
Ob beim gepflegten Ausflug, im harten Kriegseinsatz oder im Alltag der Wiederaufbauzeit – speziell das Mittelklassemodell Hanomag Rekord war offenbar ein zuverlässiger Gefährte. In der Hanomag-Galerie auf diesem Blog ist das technisch unspektakuläre, doch enorm robuste Modell in zahlreichen Originalfotos vertreten.
Viel Literatur zum Hanomag Rekord gibt es nach Kenntnis des Verfassers nicht. Neben dem unverzichtbaren “Oswald” (Deutsche Autos 1920-1945) wäre das Standardwerk “Hanomag Personenwagen” von Görg/Hamacher zu nennen. Das Buch ist ein Muss für Hanomag-Besitzer, bloß: Wer einen “Rekord” besitzt, findet dort kaum Abbildungen, die ihm die Restaurierung erleichtern.
In Berichten von Hanomag-Besitzern hört man öfters, dass sie beim Kauf eines Restaurierungsobjekts nicht wussten, mit welchem Typ sie es zu tun haben. Für eine einst so angesehene Marke bedauerlicher Zustand. Dabei gibt es durchaus Abhilfe, zumindest im Netz.
Hier präsentieren wir ein Werksfoto von 1938, das das Herz jedes originalitätsversessenen Hanomag “Rekord”-Besitzers höher schlagen lassen sollte:
© Hanomag “Rekord” Werksfoto, Modell 1937-38; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Diese hervorragende Aufnahme zeigt den 1934 vorgestellten Hanomag “Rekord” in allen Details – hier speziell die von 1937-38 gebaute Limousine.
Werksfotos zeigen zwar nicht immer genau den Auslieferungszustand. Doch die Qualität der Ausführung wird in jedem Fall deutlich – und die ist derart hoch, dass es schwer sein dürfte, sie bei einer wirtschaftlichen Restaurierung eines solchen Wagens zu erreichen.
Schauen wir uns als erstes die Frontpartie an:
Ob die wie gemeißelt wirkenden Sicken der Schutzbleche und das Wabenmuster des Kühlergrills nach rund 80 Jahren wieder so perfekt herstellen lassen? Vielleicht konserviert man den historisch gewachsenen Zustand besser, wenn man es nicht gerade mit einem Wrack zu tun hat.
Scheinwerfer und Hupe sollten sich nach dieser Vorlage originalgetreu wiederherstellen lassen. Bei späten Modellen waren die Scheinwerferringe offenbar nicht mehr verchromt. Chrom wurde kurz vor Kriegsbeginn bevorzugt der Rüstungswirtschaft zugeführt.
Die Stoßstange sollte sich bei einem fähigen Betrieb wieder so verchromen lassen, dass die satte Materialanmutung wie auf dem Foto entsteht. Einige Fettfinger wie auf unserer Aufnahme sind dann ebenfalls “original”…
Arbeiten wir uns an der Frontpartie entlang weiter nach hinten:
Anspruchsvoll ist der korrekte Sitz der Luftklappen in der Motorhaube. Die Zierstäbe sollten so gut verchromt sein, dass sie wie auf unserem Foto das Sonnenlicht reflektieren. Oder man lässt sie so, wie sie die Zeiten überdauert haben.
Eine größere Herausforderung für den Restaurierer oder den Karosseriebauer des Vertrauens sind die Spaltmaße von Motorhaube und Tür. So präzise wie auf dem Foto arbeitete man bei Hanomag vor 80 Jahren. Wer heute partout auf “Originalzustand” restaurieren will, muss sich an diesem hohen handwerklichen Standard messen.
Der Eindruck sehr sorgfältiger Verarbeitung setzt sich bei der Betrachtung der Seitenpartie fort:
Auch hier gilt: Wer das so nicht hinbekommt, belässt es besser beim historisch gewachsenen Zustand, solange die Karosserie komplett ist, denn auch dies ist original.
Das reizvolle Zweifarbschema lässt sich zweifellos reproduzieren. Wer an der Lackierung spart, wird aber mit dem Ergebnis nicht glücklich sein. Hier müssen Könner ran, die dieselbe Tiefe des Glanzes erreichen und nicht die “Orangenhaut” abliefern, die man selbst bei höherwertigen Fahrzeugen bisweilen sieht.
Nebenbei: Wer auf obigem Foto genau hinsieht, erkennt auf dem Rückfenster spiegelverkehrt den Schriftzug “Hanomag” und das Adleremblem. Kein Muss bei der Restaurierung, aber ein nettes Detail, das sich mit heutigen Mitteln realisieren lässt.
Zum Schluss noch ein Blick auf die Räder:
Felgen und Radkappen lassen sich zweifellos wieder in diesen Zustand versetzen. Doch bei den Reifen muss man auch als Originalitätsfetischist passen. Das ist auch nicht schlimm, da heute Reifen mit historisch aussehendem Profil verfügbar sind, die zugleich bessere Eigenschaften aufweisen als die Teile anno dazumal.
Interessant: Der Vorderreifen auf unserem Foto hat die Dimension 5,00 x 17. Im “Oswald” dagegen findet sich für den Hanomag Rekord Baujahr 1937/1938 die Angabe 4,75 oder 5,25 x 17 bzw. 5,50 x 16. Das kann ein Fehler in der Literatur sein, oder die verbauten Reifen variierten tatsächlich.
Man sieht: Einen Hanomag “Rekord” originalgetreu zu restaurieren, bringt unerwartete Probleme mit sich. Daher gilt auch hier: Ein komplettes und funktionsfähiges Fahrzeug, das mit mannigfaltigen Veränderungen die Zeiten überdauert hat, ist originaler als eines, das mit ungeeigneten Mitteln in einen vermeintlichen Neuzustand versetzt wurde, der ohnehin nur ganz kurze Zeit gegeben war: bei Auslieferung.
Der Vollständigkeit halber: Aufgenommen wurde dieses Werksfoto 1938 vor dem historischen Rathaus in Hannover. Wer bei öffentlichen Bauten an das betonierte Grauen von Schulen, Stadthallen und Sparkassen unserer Tage denkt, wird vielleicht auch das städtebauliche Können unserer Altvordereren schätzen lernen…
Hanomag-Freunden sei eine vergleichbar hochwertige Werksaufnahme eines “Kurier” aus dem Jahr 1938 ans Herz gelegt.
Viel Erfolg und Freude bei der Fertigstellung des Autos, Herr Becker!
Danke für den guten Bericht. Habe gleiches Modell in arbeit