Freunde von Vorkriegsautos finden auf diesem Oldtimerblog zum einen Vertreter legendärer Prestigemarken – erst gestern wurde ein Horch 8 vorgestellt – zum anderen vermeintlich unscheinbare Großserienfahrzeuge.
Dabei ist nicht nur der markenübergreifende Ansatz eine Besonderheit im deutschsprachigen Teil des Netzes, sondern auch die Art der Präsentation. Hier werden anstelle von Aufnahmen moderner Hochglanzrestaurierungen bevorzugt zeitgenössische Originalfotos aus dem Fundus des Verfassers gezeigt.
Diese historischen Bilder zeigen die Fahrzeuge im Alltag, mit oft deutlichen Benutzungsspuren, mit ihren Besitzern und Bewunderern in der Umgebung, die von einer untergegangenen Welt kündet.
Heute stellen wir Aufnahmen vor, die anhand nur eines Autotyps alles vereinen, was diese alten Fotos über die automobile Komponente hinaus so reizvoll macht.
Das Fahrzeug selbst ist denkbar unspektakulär – ein Opel 4/16 bzw 4/20 PS-Modell, mit dem die Rüsselsheimer Ende der 1920er Jahre den Durchbruch in der Großserienproduktion schafften. Den Typ als solchen nebst Vorgängern haben wir bereits ausführlich besprochen (4/14 PS, 4/16 PS, 4/20 PS).
Hier geht es daher nicht mehr um technische und formale Details des populären Opel “Laubfrosch”, sondern darum, wie er die individuelle Mobilität in Deutschland einst vorangebracht hat.
So ist auf vielen Ansichtskarten deutscher Großstädte aus der Zeit um 1930 einer der kleinen Opelwagen zu sehen. Hier ein erstes Beispiel aus Frankfurt am Main:
© Opel 4 PS in Frankfurt/Main; Ansichtskarte aus Sammlung Michael Schlenger
Das Auto rechts könnte ein US-Wagen sein, dafür spricht die breite Spur. Links steht aber auf jeden Fall ein zweitüriger Opel 4/16 oder 4/20 PS, zu erkennen am geschwungenen Oberteil der Kühlermaske, das man von Packard geklaut hatte.
Das herrliche spätmittelalterliche Gebäudeensemble südlich des Doms ist wie die übrige Fachwerkaltstadt beim alliierten Bombenangriff im März 1944 verbrannt.
Von diesen – wie deutsche Kriegsverbrechen verwerflichen – Aktivitäten alliierter Schreibtischtäter verschont blieben nur die historischen Zentren weit östlich gelegener Städte. Sie lagen außerhalb der Reichweite der Bomber und Begleitjäger.
Neben dem Kleinod Görlitz an der polnischen Grenze blieb auch Zittau in Sachsen unversehrt, das direkt an der Grenze zu Tschechien liegt. Die folgende Ansicht können Besucher heute nach wie vor genießen – von den Autos abgesehen:
© Opel 4 PS in Zittau/Sachsen; Ansichtskarte aus Sammlung Michael Schlenger
Die vorderen vier Wagen, die auf dem Marktplatz abgestellt sind, sind wahrscheinlich Opel der Typen 4 PS bzw. 10 PS (letzterer wird bei Gelegenheit vorgestellt).
Auch hier sieht man, wie die Autos von Opel einst die deutschen Groß- und Kreisstädte eroberten. Kein anderer Hersteller hierzulande verstand es, sich dem Vorbild der enorm leistungsfähigen US-Marken zumindest anzunähern.
Und so begegnen wir den 4 PS-Modellen von Opel Ende der 1920er Jahre nicht nur in Metropolen wie Frankfurt oder mittelgroßen Orten wie Zittau, sondern auch in Kleinstädten, wie folgende Ansichtskarte belegt:
© Opel 4 PS in Iphofen/Unterfranken; Ansichtskarte aus Sammlung Michael Schlenger
Dieses Idyll scheint wie aus einem Werk des romantischen Malers Spitzweg gefallen zu sein. Zu sehen ist das Rödelseer Tor des Orts Iphofen in Unterfranken.
So unglaublich es klingt: Von dem Opel abgesehen, bietet sich dem Flaneur dort noch heute genau dieselbe Ansicht. Selbst das Kopfsteinpflaster hat man bewahrt, das ist ohnehin die beste Entschleunigungstechnik innerorts.
Übrigens hat man hier die seltene Gelegenheit, die auffallend schmale Silhouette des Opel 4PS-Modells zu studieren:
Gut zu erkennen ist auch der Packard-Kühler, der von 1927 bis zum Ende der Produktion des 4 PS-Modells verbaut wurde. Demnach muss es sich um einen späten Opel 4/16 PS oder einen 4/20 PS-Typ handeln.
Schön ist der Blick durch das Tor in die Landschaft, wie er vielerorts noch bis in die 1950er Jahre genießen war. Was hier verlorengegangen ist und im Zuge einer zerstörerischen Energiepolitik weiter dezimiert wird, bemerkt man erst, wenn man historische Orte im Elsass oder der Toskana durch das Stadttor verlässt: Unvermittelt steht man vor einer über Jahrhunderte kaum veränderten Kulturlandschaft.
Damit wären wir an der letzten Station unserer Reise im Opel 4 PS – auf einem Gutshof auf dem Land irgendwo in Westfalen:
© Opel 4 PS mit Zulassung Westfalen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Von der zweitürigen Opel-Limousine sieht man nicht viel, aber genug, um sie als 4/16 oder 4/20 PS-Modell der Baujahre 1927-29 anzusprechen. Typisch ist die seitliche Zierleiste auf Höhe der Motorhaubenkante. Auch die Zweifarblackierung kündet von der Verfeinerung, die das anfangs sehr simple Modell inzwischen erfahren hatte.
Im Hintergrund erkennt man solide Ziegelsteinarchitektur und ein gefällig geformtes Hoftor – hier wohnen Leute, die auf ein gepflegtes Entree Wert legen.
Und diese Leute, die einst um 1930 so lässig und selbstsicher an ihrem Opel posierten, sind einen näheren Blick wert:
Das sind allesamt gestandene Charaktere, die trotz Anzug mit Krawatte eine natürliche Individualität ausstrahlen. Solche echten Persönlichkeiten brauchten weder auffällige Tätowierungen, durchbohrte Ohläppchen oder sonstige Insignien einer herbeiphantasierten “Stammeszugehörigkeit”.
Von diesem großartigen Foto lässt sich einiges lernen und sei es nur, dass ein würdiges Erscheinungsbild immer noch vom einzelnen Menschen abhängt. Dazu kann dann durchaus der ein oder andere alte Opel als Zierde gehören…