Auf diesem Oldtimerblog finden Freunde von Vorkriegsautos beinahe täglich “neue” historische Originalfotos von Wagen aller möglichen und unmöglichen Marken.
Dabei bemüht sich der Verfasser, möglichst der Jahreszeit entsprechende Aufnahmen herauszusuchen. Im lichtlosen und kalten Dezember mag vermutlich niemand ein Urlaubsbild wie das folgende sehen müssen:
© Tourenwagen der 1920er Jahre ; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Dieser hier bislang unterbelichteten Marke aus dem benachbarten Ausland werden wir uns diesen Winter allerdings noch ausführlich widmen.
Wer ahnt, um welches Kaliber es sich dabei handelt, darf sich auf eine ganze Reihe Fotos von Fahrzeugen desselben Herstellers freuen.
Damit die trübe Dezemberstimmung aber nicht in Euphorie umkippt, belassen wir es heute bei der Betrachtung folgender angemessen tristen Aufnahme:
© NAG C4; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Vor dem Hintergrund blattloser Bäume und eines grauen Himmels sehen wir einen einschüchternd wirkenden Tourenwagen in Tiefschwarz. Würde der Fährmann über den Styx Auto fahren, könnte es so aussehen…
Uns interessiert natürlich, um was für ein Modell es sich handelt. Der erste Gedanke des Verfassers war: NAG C4. Diesen Anfang der 1920er Jahre verbreiteten Typ der Berliner AEG-Tochter haben wir hier schon öfter vorgestellt (Bildergalerie)
Doch kam bei der näheren Betrachtung eine zweite Vermutung auf. Für einen NAG C4 wirkt der Wagen einfach zu mächtig. Zum Vergleich hier eine Aufnahme dieses 30 PS leistenden Vierzylindertyps von NAG:
© NAG C4; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Ja, die beiden Autos weisen Gemeinsamkeiten auf, speziell um die Kühlerpartie. Doch solche Spitzkühlermodelle gab es nach dem 1. Weltkrieg von etlichen Herstellern.
Die schiere Größe des Wagens auf dem Ausgangsfoto und die raffinierter geschnittene Partie vor der niedrigen Frontscheibe ließ den Verdacht aufkommen, dass es ein D-Typ der renommierten Stettiner Firma Stoewer sein könnte.
Ein weiteres Detail schien diese Annahme zu bestätigen, die Kühlerfigur:
Was dort auf einer Weltkugel thront, ist eindeutig ein Greif – seit altersher das Wappentier der preußischen Provinz Pommern. Die dort ansässige Firma Stoewer montierte solche Kühlerfiguren auf ihre von Kennern geschätzten Automobile.
Nach Rücksprache mit dem Stoewer-Museum machte sich allerdings Ernüchterung breit: Dies sei kein Stoewer D-Typ und der Greif sei in Stettin erst später als Kühlerfigur verbaut worden.
Also zurück zur ersten Vermutung, dass es doch ein NAG C4 ist. Und tatsächlich liefert obige Ausschnittsvergrößerung den Schlüssel zur Identifikation. Denn mittig an der Verbindungsstange zwischen den Frontscheinwerfern erkennt man schemenhaft die sechseckige Plakette, die typisch für die NAGs jener Zeit war.
Man sieht sie auch auf dem weiter oben zumVergleich gezeigten, leider sehr körnigen Abzug eines NAG C4-Tourenwagens:
Damit wäre klar, dass es sich in beiden Fällen um einen NAG des Typs C4 handelt, der von 1920-24 in einigen tausend Exemplaren gebaut wurde.
Für den Verfasser immer wieder erstaunlich ist es, wieviele Fotos es von diesem absolut gesehen eher seltenen Automobil heute noch gibt. Offenbar genossen die eindrucksvollen Wagen mit der markanten Kühlerpartie besondere Wertschätzung.
Dass wir uns nach über 90 Jahren über solche Sachen den Kopf zerbrechen, hätte die damaligen Insassen gewiss amüsiert:
“Junger Mann, natürlich liegt uns Pommern am Herzen, daher auch die Kühlerfigur. Doch unser Chauffeur Wilhelm ist ein wenig konservativ und schwört nun einmal auf NAG. Die Wagen haben uns im Weltkrieg nie im Stich gelassen, sagt er.”
Tja, offenbar wusste man einst im fernen Berlin Automobile zu bauen, die den Stettinern Konkurrenz zu machen wussten. Tempi passati…