Den meisten Oldtimerfreunden hierzulande fällt bei Vorkriegsautos von Fiat allenfalls der “Topolino” ein – der kleine Fiat 500 also, der nach dem Krieg als “Cinquecento” ganz groß herauskam.
Betrachtet man die Fülle der erhaltenen Fotos von Fiats aus der Vorkriegszeit, ergibt sich jedoch ein weit vielfältigeres Bild.
Neben dem Mittelklassemodell 508 mit 1 bzw. 1,1 Liter Hubraum, das auch in Deutschland im alten NSU-Werk in Heilbronn gebaut wurde (Beispiel), taucht auf alten Abzügen immer wieder der Fiat 509 auf.
Kurioserweise wurde der 509 vor dem 508 gebaut – und zwar in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre. Gemeinsam hatten die beiden Modelle außer dem Hubraum von knapp 1 Liter nicht viel – außer dass sie in großen Stückzahlen gebaut wurden.
Der 1925 vorgestellte Fiat 509 leistete zwar auch nur rund 20 PS. Sein obengesteuerter Motor gehörte aber zum Feinsten, was es seinerzeit in dieser Klasse zu kaufen gab. Auf dieser Basis entstanden einige heiße Sportversionen.
Doch auch die zahme Basisversion, die bis 1929 in über 90.000 Exemplare gebaut wurde – kein deutscher Hersteller außer Opel bekam damals solche Stückzahlen eines Typs hin – scheint durchaus gesellschaftsfähig gewesen zu sein:

Fiat 509, Bauzeit: 1925-29, Zulassung Mailand
Hier posiert ein schick gekleidetes Pärchen aus Mailand neben seinem Fiat 509 Zweisitzer. Wie der spätere Volkswagen und der Cinquecento war Fiats Volumenmodell schon in den 1920er Jahren klassenlos.
Das mag auch an der knackigen Linienführung gelegen haben, die auf vielen historischen Fotos nicht so recht zur Geltung kommt, weil dort die Wagen meist von der Seite wiedergegeben werden.
Wie markant der kleine Fiat 509 tatsächlich daherkam, vermittelt die folgende außergewöhnliche Aufnahme, zufälligerweise wieder mit feinen Leuten aus Milano:

Fiat 509, Bauzeit: 1925-29, Zulassung Mailand
Wir schauen uns den Wagen gleich näher an. Die Situation als solche verdient aber ebenso gewürdigt zu werden.
Hier hatte jemand nicht nur einen geschulten – man möchte sagen: malerischen – Blick für gekonnten Bildaufbau. Wer auch immer dieses Foto vor rund 90 Jahren schoss, besaß offenbar auch eine ausgezeichnete Kamera.
Obiges Bild ist bloß ein Ausschnitt des originalen Abzugs, der wiederum bloß ein umgekehrtes Abbild des längst verschollenen Negativs ist.
Welche feinen Details und Tonwertabstufungen mit der damaligen Technik möglich waren, wenn jemand richtig fokussierte und belichtete, beindruckt bis heute.
Gehen wir noch näher heran. Was auf dem Abzug auf wenigen Quadratzentimetern scharf und plastisch erhalten geblieben ist, das ist ganz wunderbar!
Hier haben wir endlich einmal ein Foto, das den Fiat 509 genau von vorne zeigt – in diesem Fall außerdem mit dem eher seltenen Limousinenaufbau.
Sehr schön lässt sich der klassische Kühleraufbau studieren, dessen Silhouette sich in der Motorhaube bis an die Schottwand fortsetzt.
Das Kennzeichen, nicht nur dieses Wagens, sondern auch der beiden anderen im Hintergrund, verweist auf Mailand (italienisch “Milano”). Wir können daher davon ausgehen, dass diese schöne Aufnahme einst im Umland der Hauptstadt der Lombardei entstand. Erkennt jemand die markante Kirche im Hintergrund?
Das fein gekleidete Paar neben dem Fiat macht einen gutsituierten Eindruck und scheint es gewohnt zu sein, für Fotografien zu posieren. Diese Leute hatten Stilbewusstsein und gehörten der aufstrebenden Mittelschicht an.
Mit einem Fiat 509 war man damals im bitterarmen Italien privilegiert. Es sollte noch eine Generation dauern, bis kleine Fiats den letzten Winkel jedes Dörfchens Italiens erobert hatten.
In den 1920er Jahren dagegen ließ sich mit dem Typ 509 auf dem Lande “bella figura” machen. Das würde vermutlich auch heute gelingen.
Denn während die “Cinquecentos” der Nachkriegszeit im ländlichen Italien bis heute im Alltag präsent sind, stellen ihre Vorgänger aus den 1920er Jahren eine Rarität dar.