Regelmäßige Leser dieses Oldtimerblogs könnten beim Stichwort NAG und dem Typ C4 der Meinung sein, dass sie diesen Artikel getrost übergehen können.
Denn das ab 1920 gebaute Erfolgsmodell der Berliner Siemens-Tochter gehört zu den häufigsten Gästen auf diesen Seiten.
Gefühlt ein Dutzend dieser markanten Wagen wurden anhand historischer Fotos aus der Sammlung des Verfassers bereits vorgestellt. Warum drei weitere zeigen?
Nun, zum einen ist ein NAG C4 immer ein eindrucksvolles Automobil – nur wenige andere deutsche Wagen der frühen 1920er Jahre hatten ein so unverkennbares Markengesicht.
Zum anderen ist es spannend zu sehen, in was für unterschiedlichen Situationen und Gegenden man dem technisch unauffälligen, aber höchst zuverlässigen 10/30 PS-Wagen begegnet.
Beginnen wir mit einer konventionell anmutenden Aufnahme:

NAG Typ C4; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger
Hier haben sich sechs Insassen vom siebten auf einem Ausflug in einer Gegend mit sandigem Boden und Nadelwald ablichten lassen.
Der 4,60 m lange Tourenwagen bot erkennbar großzügige Platzverhältnisse, nur auf größeres Gepäck musste man bei voller Besetzung verzichten.
Zur Identifikation von Marke und Typ muss man nicht viele Worte verlieren. Der moderate Spitzkühler mit wohl ovalem Ausschnitt lässt gleich an NAG denken.
Einen Stoewer D-Typ kann man ausschließen, dort stünde der von der Seite sehr ähnliche Kühler leicht schräg. Auf dem Originalabzug sind zudem auf den Nabenkappen die von Sechsecken eingefassten Buchstaben NAG zu erahnen.
Selten so schön zu sehen ist der Aufbau in der nach dem 1. Weltkrieg nur noch kurze Zeit üblichen Tulpenform. Auf den meisten Bildern des Typs C4 in der NAG-Fotogalerie sieht man die spätere, sachlicher gehaltene Karosserieausführung mit fast senkrechten Bordwänden.
Nicht zuletzt liefert diese Aufnahme einige Anregungen für Vorkriegsautobesitzer in Sachen stilgerechter Bekleidung.
Man muss nicht gleich zum Hemd mit “Vatermörder”-Kragen greifen, wie der Herr mit Bart, der modisch in der Kaiserzeit stehengeblieben ist. Wer wie er nicht alles mitmacht, was der Zeitgeist befiehlt, ist dem Verfasser übrigens sympathisch.
Aber ein weißes Hemd mit Ärmelband und Weste, dazu eine am besten schon gut gebrauchte “Schieberkappe”, das macht sich auch heute gut zu so einem Wagen, wirkt lässig und zugleich korrekt – im Sinne von rücksichtsvoll.
Jetzt aber weiter mit unserer kleinen NAG C4-Revue. Das folgende Foto transportiert uns gleich auf eine ganz andere – etwas schiefe – Ebene:
Dieses Foto ist eines von mehreren aus der Sammlung des Verfassers, die Wagen der Zwischenkriegszeit bei einem Automobilturnier zeigen, das auch kuriose Prüfungen wie die hier zu sehende umfasste.
Dabei ging es darum, mit seinem Wagen auf eine als Wippe angelegte Ebene aufzufahren, und zwar so, dass man dort möglichst lange das Gleichgewicht hielt.
Die Chancen erhöhte theoretisch ein Mitfahrer auf der Rückbank, der die Neigung besser im Blick behalten konnte als der Mann am Steuer und – hoffentlich rechtzeitig – das Signal zum Halt gab.
Genau dieser Moment scheint auf diesem Schnappschuss festgehalten zu sein:
Wie es scheint, hat der Mann hinten aber zu spät erkannt, dass der kopflastige NAG bereits zu weit über die Mitte der Wippe gefahren ist. Vielleicht dachte der gut genährte Fahrer auch, dass er selbst den Schwerpunkt des Wagens darstellt…
Auch hier wird man den tulpenförmigen Tourenwagenaufbau registrieren. Der Wagen war demnach zum Aufnahmezeitpunkt – in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre – schon älter. Gebaut wurde der NAG Typ C4 übrigens nur bis 1924.
Mit echten Sporteinsätzen des NAG C4 beschäftigen wir uns bei anderer Gelegenheit – man soll nicht gleich sein ganzes Pulver verschießen. Bleiben wir also bodenständig und begeben uns nach: Ostfriesland!

NAG Typ C4 mit Paul von Hindenburg; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Was auf den ersten Blick wie ein großer Empfang wirkt, war auch einer – nur in der Kleinstadt Leer im Nordwesten unseres Landes.
Wir sehen hier einen alten Bekannten auf dem Rücksitz – Reichspräsident Paul von Hindenburg. Seine Vita und tragische Rolle in der deutschen Geschichte haben wir erst kürzlich anhand eines Maybach-Fotos ausführlich behandelt.
Daher konzentrieren wir uns hier ganz auf den Wagen – wiederum ein NAG C4. Nun sieht man den typischen Spitzkühler mit dem ovalen Ausschnitt komplett, auch das NAG-Emblem auf der Stange zwischen den Scheinwerfern.
Dank der hervorragenden Qualität der Aufnahme lässt sich die Karosserie in allen Details studieren. Der Tourenwagenaufbau hat hier nur noch eine angedeutete “Taille” und kommt mit dem tiefschwarzen Hochglanzlack sehr streng daher.
Im Vergleich zum frühen Typ C4 mit Tulpenkarosserie fällt außerdem auf:
- Die außenliegenden ovalen Türgriffe sind verschwunden – zum Öffnen muss man den innenliegenden Griff betätigen – sehr raffiniert.
- Des Weiteren ist die vordere Aufhängung der hinteren Blattfeder nicht mehr in einem separaten Gehäuse untergebracht, sondern wird vom durchgehend glattflächigen Schwellerblech kaschiert.
- Die Seitenverkleidung zwischen Motorhaube und A-Säule weist drei zusätzliche Luftschlitze auf, die anders geformt sind als die in der Haube selbst. Das könnte auf eine Spezialkarosserie hinweisen.
Man hat sich offenbar nicht lumpenlassen in Leer in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre. Vermutlich war der NAG das repräsentativste Fahrzeug, das man auftreiben konnte für die Fahrt vom Bahnhof in die Stadt.
Denn natürlich ist von Hindenburg nicht die ganze Strecke von Berlin aus mit dem offenen Wagen gereist. Das ging mit der Eisenbahn damals deutlich entspannter.
Der etwas grimmig dreinschauende Fahrer könnte uns gewiss mehr verraten:
“Meine Güte, jetzt hat Graf von Wedel dem Bürgermeister schon unseren NAG zur Verfügung gestellt, damit der Reichspräsident in Leer nicht mit dem Pferdegespann unterwegs sein muss. Und da ziehen einige der Banausen nicht einmal den Hut!”
In der Tat, ein paar halsstarrige Friesenköpfe haben den Zylinder einfach aufgelassen, während von Hindenburg und die meisten Honoratioren den Hut abgenommen haben. Solche Details lassen mehr ahnen, als wir heute wissen.
Möglich aber auch, dass unser Chauffeur sich bloß über den zerdellten Vorderkotflügel geärgert hat.
“Dem Herrn Graf war das ondulierte Schutzblech natürlich gleichgültig, der hat mit dem Unterhalt von Schloss Evenburg ja genug zu tun. Aber wenn ich’s rechtzeitig gewusst hätte, hätte ich das Blech vom alten Janssen noch rasch richten lassen.”
Tja, vielleicht weiß ja ein Leser mehr über diesen Besuch von Reichspräsident Paul von Hindenburg in Leer in den späten 1920er Jahren oder über den NAG selbst.
Der Wagen muss damals einem hochgestellten Besitzer in der Region gehört haben. Wer außer Graf von Wedel auf Schloss Evenburg bei Leer kam dafür in Frage?