Würde man eine Umfrage unter Freunden von Vorkriegsautos starten, welcher Marke der Rang gebührt, einst die majestätischsten Wagen gebaut zu haben, dürfte die Antwort einhellig ausfallen: Rolls-Royce.
Und tatsächlich kann man sich auch heute der schieren Präsenz eines klassischen Rolls-Royce kaum entziehen:

Dieses grandiose Gefährt beispielsweise war 2017 bei den Classic Days auf Schloss Dyck zu bestaunen.
Dort herrscht nicht gerade Mangel an historischen Automobilen von Rang, doch ein Rolls-Royce Phantom I wie dieser ist selbst inmitten hochkarätiger Klassiker “truely outstanding”.
Vor lauter Ehrfurcht vor diesen herrlichen Geschöpfen einer untergegangenen Ära wird gern vergessen, dass ein Rolls-Royce der Vorkriegszeit keineswegs ein kapriziöses Vehikel war, das nur zum mondänen Auftritt vor Schlössern und Opernhäusern taugte.
Nein, diese Wagen waren von einer solchen Qualität, Zuverlässigkeit und Langlebigkeit, dass der kühne Slogan der britischen Firma “The Best Car in the World” nicht unglaubwürdig wirkte.
Mit einem gut gewarteten Rolls-Royce ließen sich in den 1920er Jahren Fernreisen mühelos meistern. Dass sich die Besitzer nicht auf ein engmaschiges Netz an Werkstätten verließen, sondern tausende Kilometer auf den damals kaum ausgebauten Straßen absolvierten, daran erinnert folgende historische Aufnahme:

Dieses mächtige 2-türige Cabriolet – weiß jemand, welche Karosseriefirma es baute? – dürfte vor einem See in der Schweiz oder in Oberitalien abgelichtet worden sein.
Nachtrag: Leser Norbert Andrup hält Erdmann & Rossi als Hersteller des Aufbaus für wahrscheinlich.
Auf solchen Touren durfte nichts an dem monumentalen Wagen kaputtgehen, denn auf sachkundige Hilfe war unterwegs nirgends zu hoffen. So verließ man sich auf die bis heute beeindruckende Robustheit der Rolls-Royce-Konstruktionen.
Wieso bis heute beeindruckend? Das mag sich einer fragen, für den Vorkriegsautos Gefährte von fragwürdiger Verlässlichkeit sind, die besser in einem Museum oder auf lokalen Schönwetterveranstaltungen aufgehoben sind.
Nun, folgendes Foto verrät, dass man einem gut erhaltenen Rolls-Royce der Zwischenkriegszeit selbst heute ohne weiteres längere Strecken zumuten kann:

Dieser Rolls-Royce des “Einstiegs”typs 20 HP stand inmitten zahlloser anderer Klassiker auf dem “Vintage Car Park” des Goodwood Revival Meetings 2017.
Wer angesichts der glänzenden Karosserie auf einen Neuaufbau tippt, liegt gründlich daneben. Wir sehen hier das originale Aluminiumblech, mit dem dieser Wagen im Jahr 1926 ausgestattet wurde.
Möglicherweise plante der Erstkäufer – ein Offizier der britischen Besatzungstruppen in Indien – den Wagen in der tropischen Region einzusetzen, wo Alukarosserien langlebiger waren als lackierte Stahlaufbauten.
Doch ausweislich des Aushangs am Wagen blieb der Rolls-Royce zeitlebens in England. Bis in die 1950er Jahre verweilte der Wagen in Familienbesitz. Dann kaufte ihn ein Architekturfotograf, der ihn für seine Dienstreisen einsetzte.
Erst in den 1990er Jahren wechselte das Auto wieder den Besitzer, wurde aber weiterhin regelmäßig gefahren. Die heutigen Eigentümer erwarben das Fahrzeug 2001 und nehmen damit beinahe jährlich an Langstreckenfahrten teil.
Erst 2013 – nach fast 90 Jahren – war erstmals eine Motorüberholung fällig. Seither verrichtet der Rolls-Royce wieder unaufällig seinen Dienst. Die rund 100 Kilometer aus seiner Heimat in der Grafschaft Oxfordshire zum Goodwood Revival wird für den Wagen unter die Rubrik “lokale Ausfahrt” gefallen sein.
Bei solchen Gelegenheiten dürfen sich die Insassen des Tourers neben dem famosen Rundumblick auch an der Ästhetik des Instrumentenbretts erfreuen:

Ja, das ist schon eine feine Sache, so ein Rolls-Royce aus den 1920er Jahren, der dem Ideal des ewigen Lebens so nahekommt wie vielleicht sonst kein anderes Auto.
Aber ist das denn nicht fürchterlich teuer, so ein antikes Luxusgefährt? Sagen wir so: Billig sind auch die Rolls-Royce des “kleinen” Typs 20 HP nicht. Aber für den Gegenwert eines klassischen Porsche 911 bekommt man immerhin zwei davon.
Welches der beiden Autos mehr “Value for Money” bietet, bleibt dem Urteil des Lesers überlassen. Für den Verfasser zumindest ist der Fall klar…
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Mit Sicherheit handelt es sich bei dem am Seeufer abgebildeten Phantom I Cabriolet um ein von Erdmann & Rossi in Berlin eingekleidetes Fahrzeug. Und sehr wahrscheinlich um die Chassisnummer 75RF von Anfang 1928. Auf den drei Fotos die ich von diesem Wagen kenne, ist aber der Kofferraum etwas anders, bzw. er hat kein integriertes Gepäckabteil, sondern einen separaten Koffer und ein dahinter montiertes Reserverad. Es kann natürlich sein, dass das Auto später entsprechend modernisiert wurde, denn ansonsten ist die Karosserie samt 2-Ton-Farbgebung auch in den Details wie der zu dieser Zeit ungewöhnlichen Profilierung der Kotflügel, der großen verchromten Lüftungsklappe oder den Winkern unterhalb der Windschutzscheibe identisch.
Erdmann & Rossi kleidete insgesamt 16 Phantom I ein, oder New Phantom, wie dieses Modell zu seiner Bauzeit hiess, und war damit mit Abstand der erfolgreichste Karossier für dieses Modell in Deutschland. Die meisten dieser glorreichen 16 waren Cabriolets, allerdings diese wiederum bis auf zwei Fahrzeuge 4-Türer, und nur eines nach britischer Namensgebung ein Drop Head Coupé, und das war eben besagte (Chassis-) Seriennummer 75RF. Erstbesitzer dieses Wagens war ein Herr Hoffmann, Wohnort leider unbekannt und bei diesem Allerweltsnamen wohl auch nicht mehr feststellbar. Nach einem Foto das mir vorliegt, war er Ende der 1920er-Jahre ein recht junger Mann, kaum älter als Mitte 30. Vielleicht ein erfolgreicher Börsenspekulant der späten 20er Jahre? Ein Karrierist oder reicher Erbe auf alle Fälle, denn ein Phantom kostete damals vergleichsweise so viel wie heute. Nur, das man damals für das gleiche Geld auch eine hübsche Villa samt Dienstboteneinliegerwohnung bekam, und heute in der Großstadt nur eine bessere Etagenwohnung für “Double income, no Kids”.