Vermächtnis zweier Brüder: Dodge “Four” Series 116

Hand auf’s Herz: Welchem Freund von Vorkriegsautos hierzulande fällt etwas zur US-Marke “Dodge” ein? Vermutlich irgendetwas mit gesichtsloser Massenproduktion, ein Hersteller unter vielen in den Staaten…

Der Verfasser hatte zugegebenermaßen bislang auch kein klares Bild davon, was die Autos der “Dodge Brothers” einst besonders machte. Dass sich das geändert hat, ist folgender Aufnahme und dem Besuch des Goodwood Revival 2017 zu verdanken:

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Dodge Series 116 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Foto fand eigentlich nur aus Mitleid Eingang in die Sammlung des Verfassers. Wäre ja schade, wenn es an ein paar Euro scheitern würde, den stellenweise schon angegriffenen Abzug nicht in digitalisierter Form zu konservieren.

Was da für ein Auto zu sehen ist, blieb erst einmal im Ungefähren. Klar war nur, dass es einst in Deutschland aufgenommen wurde. Das verraten die Häuser im Hintergrund (das Originalfoto zeigt mehr davon) und das Erscheinungsbild des Herrn mit “Zweifinger”-Bart und Ledergamaschen über den Halbschuhen.

Das Bauchgefühl sagte zwar “US-Fahrzeug”, doch schien hier zunächst nichts Markentypisches erkennbar zu sein:

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Weder die Stoßstange noch die Scheibenräder sind für sich genommen einzigartig, solches Zubehör war prinzipiell für viele Autos der 1920er Jahre verfügbar.

Auch die Scheinwerfer, das elektrische Horn und die Positionsleuchten auf den  Kotflügeln liefern keinen Anhaltspunkt. Ein Detail merken wir uns aber vorerst: die ungewöhnliche Ausbuchtung auf der Oberseite der Schutzbleche. 

Zeitsprung: Gut 90 Jahre, nachdem obige Aufnahme entstand, fand sich anlässlich des Goodwood Revival Meeting 2017 auf dem “Vintage Car Park” dieses Fahrzeug:

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Dodge “Four” Series 116 Tourer; Bildrechte: Michael Schlenger

Dieser großzügige Tourenwagen war leicht als Dodge der frühen 1920er Jahre zu identifizieren.

Formal betrachtet hätte das Auto alles Mögliche sein können, wenn man einmal vom flachen Kühler absieht. Den hätte man an einem Wagen aus dem deutschen Sprachraum nach dem 1. Weltkrieg kaum zu sehen bekommen – hier waren stattdessen Spitzkühler in allen möglichen Varianten groß in Mode.

Ein näherer Blick auf die Kühlermaske und wir erkennen den Hersteller:

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Dodge Brothers-Emblem; Bildrechte: Michael Schlenger

Nun beginnt die Sache spannend zu werden. Das Emblem verweist auf die Brüder John und Horace Dodge aus Detroit, die kurz vor dem 1. Weltkrieg beschlossen, Autos zu bauen.

Bis dahin waren sie als Zulieferer von Ford tätig, sahen aber die Bemühungen ihres Kunden mit Sorge, einen immer größeren Teil der Wertschöpfungskette aus eigenen Kräften abzudecken.

Der Entschluss, in die Offensive zu gehen, fiel den beiden leicht – die Brüder Dodge waren zeitlebens ein Herz und eine Seele. Das auf den ersten Blick an einen Davidstern erinnernde Emblem bringt das zum Ausdruck: Tatsächlich zeigt es zwei griechische “Deltas”, die einander umschlingen (Quelle).

Ihr 1914 vorgestelltes Vierzylindermodell mit 35 PS war auf Anhieb ein Erfolg. Schon 1916 waren die Dodge Brothers auf Rang 4 der größten US-Autohersteller aufgerückt. Kein anderer Wagen seiner Klasse galt damals als dermaßen robust.

1920 erreichten die nur behutsam weiterentwickelten Dodge-Automobile Platz 2 der Zulassungsstatistik in den Vereinigten Staaten – ein wohl einzigartiges Ergebnis für eine Firma, die noch keine zehn Jahre alt war.

Im selben Jahr starben die Brüder Dodge kurz nacheinander. Doch ihr Vermächtnis sollte noch einige Zeit Erfolge zeitigen. 1922 brachte Dodge den weltweit ersten Wagen mit Ganzstahlkarosserie auf den Markt.

Eine 12-Volt-Elektrik war bereits damals Standard bei Dodge, ab 1921 war außerdem eine Heizung verfügbar. 1922 wurden erstmals Scheibenräder verbaut, Stoßstangen vorne und hinten gab es als Extra.

Scheibenräder, Stoßstangen? Hatten wir die nicht auf dem ersten Foto? Und wie war das mit den auffallend gewölbten Schutzblechen? Zumindest die finden wir hier wieder:

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Dodge “Four” Series 116; Bildrechte: Michael Schlenger

Der Fall ist klar: Die historische Aufnahme zeigt ebenfalls einen Dodge “Four” der ab 1923 gebauten Serie 116, bloß als Limousine statt als Tourenwagen.

Der lange Radstand und die senkrechten Luftschlitze in der Haube verweisen auf das Modelljahr 1924/25. Scheibenräder und Stoßstangen gab es – wie gesagt – als Zubehör. Luxusausführungen besaßen außerdem vernickelte Kühler.

In der Literatur zum Dodge “Four” Series 116 ausdrücklich erwähnt wird die von viertelkreisförmigen Haltern getragene Sonnenblende, die wir hier sehen:

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Beim näheren Hinsehen kann man zudem die Initialien “DB” auf der Nabenkappe des Hinterrads entziffern, die sich auch auf dem Kühleremblem des in Goodwwod abgelichteten Wagens wiederfinden.

Letztlich ist die Handschrift der “Dodge Brothers” also auch auf dem anfangs so rätselhaft anmutenden Foto zu erkennen.

Dass ein Exemplar des Dodge “Four” Series 116 einst ein Deutschland landete, verwundert kaum. Weit über 500.000 Exemplare dieses Modells wurden an verschiedenen Standorten gefertigt.

Davon haben auch in Europa eine ganze Reihe überlebt, wie der makellose Tourer in Goodwood zeigt:

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Dodge “Four” Series 116; Bildrechte: Michael Schlenger

Wer schon immer davon träumte, sich einen erschwinglichen Tourenwagen der frühen 1920er Jahre zuzulegen, das Model T von Ford aber zu simpel findet, der kommt am Dodge “Four” wohl kaum vorbei.

In den USA sind gute Exemplare ab 10.000 Dollar zu haben – wie war das noch einmal mit angeblich unbezahlbaren Oldtimern? Genau: Wer auf Prestige pfeift, bekommt zum Gebrauchtwagentarif auch heute noch echte Klassiker!

Literatur: “Standard Catalog of American Cars”, von B.R. Kimes, 3. Ausgabe, 1996, S. 459-465

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

 

 

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