Bei “Raritäten” aus der Vorkriegszeit denkt man nicht gerade an Fahrzeuge von US-Marken – schon gar nicht an Fabrikate eines Massenproduzenten wie Dodge.
Tatsächlich war der letzte Dodge, der auf diesem Oldtimerblog vorgestellt wurde, ein typischer Vertreter amerikanischer Fließbandproduktion – ein Series 116 “Four”.
Das ist keineswegs abwertend gemeint, die US-Großserienhersteller bauten in der Zwischenkriegszeit durchweg technisch moderne und formal stets harmonische Autos – in ausgezeichneter Qualität und zu volkstümlichen Preisen.
Hier haben wir zur Erinnerung noch einmal besagten Dodge Series 116 “Four”, von dem über eine halbe Million Exemplare entstanden:

Dodge Series 116 “Four”; Bildrechte Michael Schlenger
Dieser wunderschöne Tourer war 2017 beim Goodwood Revival Meeting zu sehen.
Der Verfasser konnte den aus Skandinavien (?) angereisten Wagen während eines kurzen sonnigen Abschnitts aufnehmen, ohne zu wissen, dass ein Exemplar dieses Typs unerkannt in seiner Sammlung historischer Automobilfotos schlummerte.
Nun zum Gegenstand des heutigen Blogeintrags, der sich als veritable Rarität entpuppen wird:

Dodge Typ DK “Eight”; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Ein mächtiges Automobil, dessen Haube Platz für ein großzügiges Aggregat bot.
Auf den ersten Blick wirkt nichts vertraut an dem Fahrzeug, dessen geneigte Kühlermaske und Frontscheibe auf eine Entstehung Anfang der 1930er Jahre verweisen.
Da sind die Buchstaben “DBB” auf der Nabenkappe und ein Flügelemblem auf dem Kühler zu erkennen, doch dazu fällt einem erst einmal nichts ein:
Dass die Buchstabenkombination “DBB” in jener Zeit für die seit 1928 zum Chrysler-Konzern gehörende Marke Dodge steht, ist nicht gerade intuitiv – vielleicht kann ein Leser Erhellendes dazu beitragen.
Die Identifikation als Dodge der frühen 1930er Jahre ist jedenfalls gesichert; fragt sich nur, welches Modell wir vor uns haben.
An dieser Stelle kommt das mehr als 1.500 Seiten starke Werk “Standard Catalog of American Cars 1805-1942” ins Spiel – ja, richtig gelesen: “1805-1942”.
Dieses Dokument jahrzehntelanger Recherchen, für die auf dem europäischen Kontinent offenbar Motivation und Durchhaltevermögen fehlen, ist unverzichtbar, wenn es um die Identifikation von Vorkriegsautos aus US-Produktion geht.
So sind wir imstande, Typ und Entstehungsjahr ungewöhnlich präzise einzugrenzen. Im Hinblick auf das Baujahr helfen uns folgende Details:
- schräge Frontscheibe ohne außenliegende Sonnenblende
- in den Windlauf zurückversetzte Positionslampen
- vollverchromte Scheinwerfer.
Damit lässt sich der Wagen als Dodge des Modelljahrs 1932 ansprechen.
Verfügbar waren drei unterschiedliche Motorisierungen, ein Vierzylinder mit 65 PS, ein 79 PS starker Sechszylinder und ein 90 (später 100 PS) leistender Reihenachtzylinder. Soviel zum Thema “untermotorisierte Vorkriegsautos”…
Auch wenn der Dodge auf unserem Foto nicht vollständig zu sehen ist, erlaubt eine Kleinigkeit die präzise Identifikation als “Eight”, also als Achtzylinder:
Hier sehen wir eine zweiteilige Stoßstange, damit können wir den Vierzylinder-Dodge von 1932 ausschließen, dessen Stoßstange einteilig war.
Beim Sechszylindermodell waren beide Elemente der Stoßstange in der Mitte V-förmig geschwungen, beim Achtzylinder war dies nur beim oberen Teil der Fall.
Wir sehen auf unserem Foto genug: Der obere Teil der Stoßstange steigt zur Mitte an, um dann (hier nicht sichtbar) V-förmig nach unten weisen. Das untere Teil verläuft in etwa waagerecht – das gab es 1932 nur beim Dodge Typ DK “Eight”.
Mit 8-Zylinder wurde der Dodge des Modelljahrs 1932 rund 20.000mal gebaut – für amerikanische Verhältnisse eine geringe Zahl, in Deutschland dagegen wäre das ein großer Erfolg gewesen.
Dass wir es wirklich mit einer Rarität zu tun haben, verrät folgender Bildausschnitt:
Offensichtlich verfügt dieser Dodge DK “Eight” mit festem Dach nur über drei Fenster – es muss also ein 2-sitziges Coupé sein.
Davon gab es laut dem “Standard Catalog of American Cars” (3. Ausgabe, S. 473) weniger als 900 Fahrzeuge – das Coupé mit außenliegendem “Schwiegermuttersitz” (821 Exemplare) und das “Business Coupé” (57 Stück).
Leider wissen wir nichts über Aufnahmeort und -anlass. Der Verfasser vermutet, dass das Foto einst irgendwo in den USA entstand und über den Umweg des Fotoalbums eines Verwandten in Deutschland zu uns gelangte.
Der Besitzer des Dodge Achtzylinder-Coupés hinterlässt jedenfalls den Eindruck eines Geschäftsmanns, der “es geschafft” hat – zumindest aus Sicht der deutschen Angehörigen – in den USA zählte Dodge bloß zur Mittelklasse…
Der Blick des Herrn im Nadelstreifenanzug geht in die Ferne – woran er wohl im Moment der Aufnahme gedacht haben mag? Vielleicht beschäftigten ihn Geschäftsideen oder auch drängende Sorgen – seine Miene wirkt angestrengt.
Bestimmt jedoch dachte er nicht daran, dass er über 80 Jahre später mit seinem Auto den Freunden ungewöhnlicher Vorkriegsautos Freude bereiten würde.
Darin liegt der Zauber dieser alten Bilder – für einen Moment sind wir den Wagen von einst und ihren Besitzern so nah, als wären wir Zeitgenossen…
© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.
Da ich gerade mein 1:18-Modell des Dodge DG8 Rumbleseat Roadster hervorholte und auf der Suche nach historischen Quellen auch wieder zu Ihrem Blog geriet, las ich nun vom Radnabenlogo, das wegen der kantigen Zahlentype ein “DBB” anstelle des “DB8” bzw. ein “DBG” anstelle des “DB6” vermuten läßt. Für das DB6, also “Dodge Bros.Six” fand ich nur den Phaeton von 1930 mit leider unzureichender Bildqualität, aber das DB8 beim Achtzylinder ist auf der Radnabenkappe gut erkennbar. Heute sind auch Baureihen wie W123 oder W124, W116 oder W126, um Mercedes als gängiges Beispiel zu nehmen, hinlänglich bekannt. Gleichwohl ist da 280SE oder 240D am Heck zu lesen, und ebenso waren DC, DG oder DK Bezeichnungen, die wohl nur für den Händler und die Werkstatt wichtig waren. Die kantige Ausführung der 8 findet sich immerhin auch auf dem Deckel der Anlasserkurbelaufnahme – nur die 8 anstelle DB8 auf der Radnabe wäre logischer gewesen. Mit DB sollte aber wohl auch die Marke der Gebrüder Dodge so erkennbar bleiben wie auf den Radnaben des Typs 116, den Sie in Goodwood fotografiert haben.
https://forums.aaca.org/topic/392298-1931-dodge-db8-29500-not-mine/
https://artsvalua.com/de/vorkriegszeit/6597-dodge-phaeton-cabrio-1930-6-4000cc-.html
https://www.erclassics.de/dodge-brothers-series-116-1925-d4944/