Hier gibt’s was zu feiern: Dodge von 1925/26

Erst kürzlich fragte ich an dieser Stelle “Wo geht’s hier zum Sommer?“. Jetzt ist er ohne Zweifel da, auch wenn die angedrohten “Tropennächte” auf die Tropen beschränkt bleiben.

Es ist nach Mitternacht, drinnen ist’s nach vielen Sonnenstunden noch wärmer als draußen. Bis sich das wieder einregelt, macht man alle Fenster auf und legt eine Platte auf. Ja die gibt’s immer noch, genauso wie Kerzen, Violinen oder Olivenöl.

Der Fortschritt ist eine feine Sache, wenn man ihn als Angebot versteht, das sich am Bewährten und Gewohnten zu messen hat. Der Lebenskünstler prüft alles, was die Menschheit irgendwo und irgendwann geschaffen hat und entscheidet, was ihm zusagt.

So gesehen, aber auch nur so gesehen, leben wir in den besten aller Zeiten. Passt uns das neureligiöse Verzichts-Spießertum der Gegenwart nicht, können wir ja nach Belieben in Welten auswandern, in denen das Leben hemmungslos gefeiert wird.

Ich habe keine Idee, was es Mitte der 1920er Jahre zu feiern gab, als diese Aufnahme entstand, aber vielleicht können wir etwas davon lernen::

Dodge Tourer von 1925/26; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Was geht hier vor sich? Haben Sie eine Idee?

Mir gefällt jedenfalls dieses automobile Treiben mit geschmückten Wagen, elegant gekleideten Frauen in gewagten Posen (gemessen an modernen Sicherheitsstandards) und hilflos dazwischen herumstehenden düsteren Gestalten.

Vor allem gefällt mir die Besatzung des Tourenwagens im Vordergrund, den ich als Dodge des Modelljahrs 1925/26 ansprechen würde.

Von der Laune der Insassen lässt man sich doch gerne anstecken. Wer würde hier ängstlich die CO2-Emissionen kalkulieren und “sinnlose” Fahrten konstatieren?

Dodge Tourer von 1925/26; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wer weiß etwas zu dem Kennzeichen dieses Fahrzeugs? Wo könnte dieser Korso gut gelaunter Zeitgenossen einst stattgefunden haben?

Ich würde auf ein Land ohne nennenswerte eigene Autoindustrie tippen, eventuell eines in Skandinavien oder in Osteuropa.

So der so gab es etwas zu feiern, als vor bald 100 Jahren jemand auf den Auslöser drückte. Die Probleme jener Zeit waren zweifellos andere, gravierendere als die derzeit propagierten.

Eine warme Sommernacht wäre da nicht als Bedrohung empfunden worden, sondern als willkommener Kontrast zu dem, was in mitteleuropäischen Breiten die Hälfte des Jahres an Wettermisere üblich ist.

Bald ist es ein Uhr nachts, gerade hat es geregnet – war gar nicht “angesagt”.

Die Platte mit Cecilia Bartolis Vivaldi-Album noch einmal umgedreht – in der Hinsicht findet sich immer einen Anlass zu feiern. Morgen beginnt eine neue Arbeitswoche, doch mit so einem schönen Dokument aus alter Zeit hat das Hier und Jetzt ausnahmsweise Vorrang…

Nachtrag: Der Aufnahmeort war laut João Pedro Gazineu die Avenida Rio Branco in Rio de Janeiro (Brasilien). Der “Corso Carnavalesco” war von den 1910er bis in die 1920er Jahre populär. DF auf dem Nummernschild steht für “Distrito Federal”. Also da, wo es echte Tropennächte gibt und das Leben tobt…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Ungetrübtes Wintervergnügen: Dodge “Victory Six”

Glaubt man den Panikmeldungen der Presse, leben wir in wahrlich schlimmen Zeiten. Nicht, dass wir in deutschen Landen Verhältnisse wie 1969/70 zu Zeiten der Hongkong-Grippe zu beklagen hätten – von der unberührt das Leben damals weiterging.

Nein, wirklich schlimm muss sein, dass die Leute heuer im Winter mit Kind und Kegel den Schnee genießen wollen, der sich in den letzten Jahren rar gemacht hat. Frische Luft, Sonnenschein, Vitamin D tanken – gut für die Abwehrkräfte, sollte man meinen.

Leider gefallen sich vom Bürger besoldete Bürokraten derzeit darin, selbigem den Spaß in Wintersportgebieten zu verbieten. In der Schweiz sieht das übrigens ganz anders aus, aber dort ist traditionell auch sonst mehr Hausverstand am Werk.

Wer sich gern den Willküranordnungen von Corona-Apokalyptikern beugt, mag unterdessen Genuss aus der Betrachtung virtueller Winterfreuden beziehen. Doch auch wer noch selber denkt, wird ein Angebot wie dieses wohl kaum ausschlagen:

Dodge “Victory Six” von 1928; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Selbst ohne das amerikanische Nummernschild – ausgestellt im Ostküsten-Bundesstaat New Jersey – würde wohl jeder auf ein US-Auto der späten 1920er Jahre tippen.

Der stämmige Auftritt, die geschwungenen Doppelstoßstangen und der coupéhaft anmutende kurze Dachaufbau – alles das fand sich so kaum bei europäischen Herstellern.

Zwar dürfte hierzulande kaum einer diesen Wagen auf Anhieb erkennen, dennoch ist die Identifikation von Marke und Typ ein Kinderspiel – vorausgesetzt, man hat die US-Vorkriegsbibel in Reichweite, den “Standard Catalog of American Cars” von Kimes/Clarke.

Der Hersteller ist jedenfalls schnell ermittelt, am zuverlässigsten anhand der Aufschrift auf der Nabenkappe:

Die Initialen “DB” stehen natürlich weder für “Daimler-Benz” oder “Deutsche Bahn”, sondern für die “Dodge Brothers”, die vor dem 1. Weltkrieg ihr Glück als Zulieferer für Oldsmobile und Ford gemacht hatten.

Ihnen kommt der Ruhm zu, Amerikas erstes Großserienauto mit Ganzstahlkarosserie zu bauen – das war 1914! Schon 1915 setzte Dodge rund 45.000 Autos ab, niemand vor ihnen war auf Anhieb so erfolgreich.

1920 starben die Gebrüder Dodge, was den Geschicken der Firma nicht bekam. Erst 1928 wendete sich das Blatt, als Walter Chrysler das Unternehmen kaufte. Aus demselben Jahr stammte der Dodge auf dem heutigen Foto.

Der Dodge des Modelljahrs 1928 war nach amerikanischen Maßstäben ein Wagen der unteren Mittelklasse, in Deutschland war er eher der Oberklasse zuzurechnen: 60 PS-Sechszylindermotor mit Aluminiumkolben und hydraulische Bremsen serienmäßig, als Extra u.a. Drahtspeichenräder, Heizung und Außenspiegel.

Der Dodge auf dem Foto war ein Vertreter der Variante “Victory Six”, zu erkennen unter anderem an der Aufteilung der Luftschlitze in der Motorhaube auf vier Gruppen, davon drei mit je vier Schlitzen und eine mit nur zweien.

Markant ist auch der Aufbau mit der Bezeichnung “Brougham” – ein Mittelding zwischen einer Zweitürer-Limousine mit vier gleichgroßen Seitenscheiben und einem Coupé mit zwei Seitenscheiben – ich finde, das steht dem Wagen ausgezeichnet:

Sehr hübsch ist die Aufnahmesituation mit dem Schoßhund auf dem Trittbrett und der Besitzerin im Pelzmantel neben dem Wagen.

Bei näherem Hinsehen scheint sie mit der Linken auf etwas im Innenraum des Wagens zu deuten – tatsächlich: dort lugt ein weiterer Vierbeiner hervor, vermutlich hat er sich auf dem Fahrersitz auf die Hinterbeine gestellt.

Übrigens ist das Foto dieses vergnüglichen Winterausflugs nicht das einzige in meinem Fundus, das einen Dodge “Victory Six” zeigt. Wer meint, das Modell bloß deshalb nicht zu kennen, weil es so etwas in Europa nicht gab, muss das hier zur Kenntnis nehmen:

Dodge “Victory Six” von 1928; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses Foto stellt das maximale Kontrastprogramm zum ersten dar. Aufgenommen wurde es im Hochsommer 1934 und zwar auf der anderen Seite des Großen Teichs: in Hamburg.

Aufnahmedatum und -ort waren das Einzige, was auf dem Abzug vermerkt war. Man kann sich vorstellen, wie lange es gedauert hat, bis ich herausgefunden habe, was das für ein Auto ist. Erst mit dem Vergleichsstück aus New Jersey sieht das einfach aus, auch wenn wir es hier mit einer viertürigen Limousine mit sechs Fenstern zu tun haben.

Der genaue Standort ließ sich ebenfalls ermitteln – im Hintergrund sieht man nämlich die Seewarte unweit der St. Pauli Landungsbrücken. Der Gründerzeitbau von 1875 wurde wie das Umfeld bei den Bombardierungen Hamburgs im 2. Weltkrieg zerstört.

Heute sieht man vom einstigen Aufnahmeort aus nur noch die schwedische Gustaf Adolfs-Kirche rechts im Hintergrund, die als eines der wenigen Gebäude am Hamburger Hafen den Bombenkrieg überstanden hat.

Der Versuch, dieses Foto aus dem Sommer 1934 nachzustellen, wird also nicht erst daran scheitern, dass heute bei uns vermutlich kein Dodge “Victory Six” mehr vorhanden ist. Auch die übrige Welt von damals ist bis auf kleine Reste untergegangen.

DAS waren Ereignisse, die die Bezeichnung Katastrophe verdienten. Wer dagegen heute harmlose Wintervergnügungen von Familien zu einem verantwortungslosen “Ansturm auf Wintersportgebiete” hochjazzt, dem fehlen Maßstäbe und Anstand.

So hilft die Beschäftigung mit Vorkriegsautomobilen auf alten Fotos einmal mehr dabei, sich der Tyrannei der Bewertung durch den Zeitgeist zu entziehen und sich selbst ein Bild zu machen von dem, was war und was ist.

Nachtrag: John Heitmann aus den USA hat mich auf einen sehr interessanten Artikel aufmerksam gemacht, der darlegt, dass Dodge beim 1928er Modell völlig neue Karosserie-Technologien eingesetzt hat.

© Michael Schlenger, 2021. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Jedes Detail zählt: Dodge Tourer von 1924

Heute begebe ich mich wieder einmal in die “Niederungen” amerikanischer Großserienfabrikate – zumindest aus Sicht derer, für die ein Vorkriegsautomobil rar sein und möglichst spektakulär daherkommen muss.

So sehr mich Exoten aller Art begeistern – falls sie gelungen sind und nicht nur eine technische oder formale Sackgasse darstellen – so wichtig ist mir, an die Wagen zu erinnern, die das Auto der Luxusnische entrissen und jedermann zugänglich gemacht haben.

In Deutschland gelang dies zwar vor dem Zweiten Weltkrieg noch nicht, dennoch waren auch hier ab den 1920er Jahren in zunehmender Anzahl volkstümliche Automobile aus den USA vertreten, die man hierzulande kaum mehr zu Gesicht bekommt.

Dabei waren Importfahrzeuge wie das folgende bereits um 1925 nicht ungewöhnlich – sie wurden bei aller Vaterlandsliebe gekauft, weil es kein konkurrenzfähiges heimisches Angebot gab. Entsprechend stolz ließ man sich damit ablichten:

Dodge Series 116 Limousine von 1925; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Limousine des Baujahrs 1925 habe ich vor einigen Jahren hier in einem größeren Kontext präsentiert, der die Geschichte des Herstellers Dodge ausführlich darstellt.

Heute will ich nicht so weit ausholen, sondern lediglich einen recht ähnlichen Wagen zeigen, der ebenfalls einst in deutschen Landen unterwegs war und deutlich macht, dass bei Automobilen der Vorkriegszeit “jedes Detail” zählt.

Halten wir zunächst einige Elemente fest, die den Dodge mit Limousinenaufbau auszeichnen:

Da wäre die (zumindest optisch) einteilige Frontscheibe – jedenfalls ist kein unterer Abschluss des Rahmens erkennbar, wenngleich die Scheibe wohl ausstellbar war. Die Schwellerpartie ist schmucklos, dafür weisen die Scheibenräder einen feinen konzentrischen Zierstreifen auf, fünf Radbolzen sind zu sehen.

Die Vorderkotflügel sind mittig “bauchig” ausgeführt, was der Stabilität dient, in dieser Ausprägung selten zu sehen. Darauf sitzen (möglicherweise nachgerüstete) Positionslampen und wohl aus deutscher Produktion stammende Scheinwerfer.

Nun im Vergleich eine weitere Aufnahme, die einen auf den ersten Blick ganz ähnlichen Dodge mit Tourenwagen-Karosserie zeigt:

Dodge Series 116 Tourer von 1924; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch hier haben wir zweifellos einen Dodge der “Series 116” vor uns, die 1923 eingeführt wurde – nebenbei mit der wohl ersten serienmäßigen Ganzstahlkarosserie überhaupt!

Details wie die senkrechten Luftschlitze verraten, dass dieser Dodge aber erst aus dem Modelljahr 1924 stammen kann.

Der untere Abschluss des Scheibenrahmens ist hier deutlich zu sehen, laut Literatur ein Unterscheidungsmerkmal gegenüber dem Modelljahr 1925, als eine durchgehende oder zumindest weiter herunterreichende und unten rahmenlose Scheibe verbaut wurde.

Dass dieser Wagen eine Doppelstoßstange, Trittschutzbleche am Schweller und vor der Scheibe angebrachte Positionslampen aufweist, unterscheidet ihn zusätzlich.

Diese Elemente waren als aufpreispflichtiges Zubehör verfügbar, wurden aber auch beim Sondermodell “Special” verbaut, das außerdem über eine “Motometer”-Kühlerverschlusskappe verfügte, welche hier ebenfalls zu sehen ist:

Hier haben wir nun auch die serienmäßigen Frontscheinwerfer, während der Winker am linken Scheibenrahmen ein Indiz dafür ist, dass dieser Dodge einst in Deutschland gefahren wurde.

Übrigens spricht auch die Qualität des Abzugs gegen einen in den USA fotografierten Wagen. Ich meine nämlich, dass Fotomaterial aus den Staaten damals eine andere Anmutung hatte – schwer zu beschreiben, aber man sieht irgendwann einen Unterschied.

Auch das Kopfsteinpflaster und die Mittelgebirgslandschaft, die sich in der Karosserieflanke spiegelt, wirken eher europäisch.

Hier kann man auch die dem Schutz des Lacks in der Schwellerpartie dienenden Trittschutzbleche studieren, die ein Extra waren und deren eigenständige Form eines der vielen Details ist, auf die es ankommt, wenn man einen solchen Wagen identifizieren will.

Bei allen feinen Unterschieden hatte sich unter der Motorhaube nichts getan, was den Dodge des Modelljahrs 1925 vor dem von 1924 oder 1923 ausgezeichnet hätte. Verbaut wurde derselbe robuste Vierzylinder mit 35 PS aus 3,5 Litern Hubraum.

Deutsche Serienhersteller boten damals meist nur Wagen mit 20-30 Pferdestärken in traditioneller Holz-Stahlbauweise, die einer rationellen Fertigung und damit einem günstigen Preis entgegenstand. Entsprechend gering waren die Stückzahlen.

Dagegen setzte Dodge vom Modell “Series 116” in den Jahren 1923-25 über 450.000 Stück ab, wobei die Kapazitäten ausreichten, um quasi nebenbei auch den eher unbedeutenden deutschen Markt zu bedienen.

Dieser lag nach dem 1. Weltkrieg und einer kurzen Scheinblüte in der Zeit der Hyperinflation, als Autos wie heute Immobilien als Schutz vor Geldentwertung gekauft wurden, weitgehend darnieder. Dass inländische Hersteller die überschaubare Nachfrage nicht selbst stillen konnten, kündet vom Rückstand gegenüber den US-Marken.

Angesichts der überragenden Rolle, die US-Großserienfabrikate am deutschen Markt in den 1920er Jahren spielten, ist es für mich immer wieder rätselhaft, wie unterrepräsentiert diese in der heutigen Klassikerszene hierzulande sind.

Sicher, einen Ford jener Zeit findet man immer mal wieder, aber einen Dodge? Dabei sind die Dinger für immer noch überschaubares Geld in den USA zu haben und ein Überseetransport kostet nicht die Welt.

Prestige darf man zwar nicht erwarten, aber ein solcher Dodge dürfte heute einige Aufmerksamkeit auf sich ziehen, denn für die wahren Enthusiasten zählt jedes Detail einer untergegangenen Autowelt.

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Rarität von 1932: Dodge Series DK “Eight” Coupé

Bei “Raritäten” aus der Vorkriegszeit denkt man nicht gerade an Fahrzeuge von US-Marken – schon gar nicht an Fabrikate eines Massenproduzenten wie Dodge.

Tatsächlich war der letzte Dodge, der auf diesem Oldtimerblog vorgestellt wurde, ein typischer Vertreter amerikanischer Fließbandproduktion – ein Series 116 “Four”.

Das ist keineswegs abwertend gemeint, die US-Großserienhersteller bauten in der Zwischenkriegszeit durchweg technisch moderne und formal stets harmonische Autos – in ausgezeichneter Qualität und zu volkstümlichen Preisen.

Hier haben wir zur Erinnerung noch einmal besagten Dodge Series 116 “Four”, von dem über eine halbe Million Exemplare entstanden:

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Dodge Series 116  “Four”; Bildrechte Michael Schlenger

Dieser wunderschöne Tourer war 2017 beim Goodwood Revival Meeting zu sehen.

Der Verfasser konnte den aus Skandinavien (?) angereisten Wagen während eines kurzen sonnigen Abschnitts aufnehmen, ohne zu wissen, dass ein Exemplar dieses Typs unerkannt in seiner Sammlung historischer Automobilfotos schlummerte.

Nun zum Gegenstand des heutigen Blogeintrags, der sich als veritable Rarität entpuppen wird:

Dodge_DK_8_1932_Galerie

Dodge Typ DK “Eight”; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ein mächtiges Automobil, dessen Haube Platz für ein großzügiges Aggregat bot.

Auf den ersten Blick wirkt nichts vertraut an dem Fahrzeug, dessen geneigte Kühlermaske und Frontscheibe auf eine Entstehung Anfang der 1930er Jahre verweisen.

Da sind die Buchstaben “DBB” auf der Nabenkappe und ein Flügelemblem auf dem Kühler zu erkennen, doch dazu fällt einem erst einmal nichts ein:

Dodge_DK_8_1932_Frontpartie

Dass die Buchstabenkombination “DBB” in jener Zeit für die seit 1928 zum Chrysler-Konzern gehörende Marke Dodge steht, ist nicht gerade intuitiv – vielleicht kann ein Leser Erhellendes dazu beitragen.

Die Identifikation als Dodge der frühen 1930er Jahre ist jedenfalls gesichert; fragt sich nur, welches Modell wir vor uns haben.

An dieser Stelle kommt das mehr als 1.500 Seiten starke Werk “Standard Catalog of American Cars 1805-1942” ins Spiel – ja, richtig gelesen: “1805-1942”.

Dieses Dokument jahrzehntelanger Recherchen, für die auf dem europäischen Kontinent offenbar Motivation und Durchhaltevermögen fehlen, ist unverzichtbar, wenn es um die Identifikation von Vorkriegsautos aus US-Produktion geht.

So sind wir imstande, Typ und Entstehungsjahr ungewöhnlich präzise einzugrenzen. Im Hinblick auf das Baujahr helfen uns folgende Details:

  • schräge Frontscheibe ohne außenliegende Sonnenblende
  • in den Windlauf zurückversetzte Positionslampen
  • vollverchromte Scheinwerfer.

Damit lässt sich der Wagen als Dodge des Modelljahrs 1932 ansprechen.

Verfügbar waren drei unterschiedliche Motorisierungen, ein Vierzylinder mit 65 PS, ein 79 PS starker Sechszylinder und ein 90 (später 100 PS) leistender Reihenachtzylinder. Soviel zum Thema “untermotorisierte Vorkriegsautos”…

Auch wenn der Dodge auf unserem Foto nicht vollständig zu sehen ist, erlaubt eine Kleinigkeit die präzise Identifikation als “Eight”, also als Achtzylinder:

Dodge_DK_8_1932_Frontpartie2

Hier sehen wir eine zweiteilige Stoßstange, damit können wir den Vierzylinder-Dodge von 1932 ausschließen, dessen Stoßstange einteilig war.

Beim Sechszylindermodell waren beide Elemente der Stoßstange in der Mitte V-förmig geschwungen, beim Achtzylinder war dies nur beim oberen Teil der Fall.

Wir sehen auf unserem Foto genug: Der obere Teil der Stoßstange steigt zur Mitte an, um dann (hier nicht sichtbar) V-förmig nach unten weisen. Das untere Teil verläuft in etwa waagerecht – das gab es 1932 nur beim Dodge Typ DK “Eight”.

Mit 8-Zylinder wurde der Dodge des Modelljahrs 1932 rund 20.000mal gebaut – für amerikanische Verhältnisse eine geringe Zahl, in Deutschland dagegen wäre das ein großer Erfolg gewesen.

Dass wir es wirklich mit einer Rarität zu tun haben, verrät folgender Bildausschnitt:

Dodge_DK_8_1932_Seitenpartie

Offensichtlich verfügt dieser Dodge DK “Eight” mit festem Dach nur über drei Fenster – es muss also ein 2-sitziges Coupé sein.

Davon gab es laut dem “Standard Catalog of American Cars” (3. Ausgabe, S. 473) weniger als 900 Fahrzeuge – das Coupé mit außenliegendem “Schwiegermuttersitz” (821 Exemplare) und das “Business Coupé” (57 Stück).

Leider wissen wir nichts über Aufnahmeort und -anlass. Der Verfasser vermutet, dass das Foto einst irgendwo in den USA entstand und über den Umweg des Fotoalbums eines Verwandten in Deutschland zu uns gelangte.

Der Besitzer des Dodge Achtzylinder-Coupés hinterlässt jedenfalls den Eindruck eines Geschäftsmanns, der “es geschafft” hat – zumindest aus Sicht der deutschen Angehörigen – in den USA zählte Dodge bloß zur Mittelklasse…

Dodge_DK_8_1932_Besitzer

Der Blick des Herrn im Nadelstreifenanzug geht in die Ferne – woran er wohl im Moment der Aufnahme gedacht haben mag? Vielleicht beschäftigten ihn Geschäftsideen oder auch drängende Sorgen – seine Miene wirkt angestrengt.

Bestimmt jedoch dachte er nicht daran, dass er über 80 Jahre später mit seinem Auto den Freunden ungewöhnlicher Vorkriegsautos Freude bereiten würde.

Darin liegt der Zauber dieser alten Bilder – für einen Moment sind wir den Wagen von einst und ihren Besitzern so nah, als wären wir Zeitgenossen…

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Vermächtnis zweier Brüder: Dodge “Four” Series 116

Hand auf’s Herz: Welchem Freund von Vorkriegsautos hierzulande fällt etwas zur US-Marke “Dodge” ein? Vermutlich irgendetwas mit gesichtsloser Massenproduktion, ein Hersteller unter vielen in den Staaten…

Der Verfasser hatte zugegebenermaßen bislang auch kein klares Bild davon, was die Autos der “Dodge Brothers” einst besonders machte. Dass sich das geändert hat, ist folgender Aufnahme und dem Besuch des Goodwood Revival 2017 zu verdanken:

Dodge_Sedan_1925_Brothers_Stoßstange_Galerie

Dodge Series 116 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Foto fand eigentlich nur aus Mitleid Eingang in die Sammlung des Verfassers. Wäre ja schade, wenn es an ein paar Euro scheitern würde, den stellenweise schon angegriffenen Abzug nicht in digitalisierter Form zu konservieren.

Was da für ein Auto zu sehen ist, blieb erst einmal im Ungefähren. Klar war nur, dass es einst in Deutschland aufgenommen wurde. Das verraten die Häuser im Hintergrund (das Originalfoto zeigt mehr davon) und das Erscheinungsbild des Herrn mit “Zweifinger”-Bart und Ledergamaschen über den Halbschuhen.

Das Bauchgefühl sagte zwar “US-Fahrzeug”, doch schien hier zunächst nichts Markentypisches erkennbar zu sein:

Dodge_Sedan_1925_Brothers_Stoßstange_Frontpartie

Weder die Stoßstange noch die Scheibenräder sind für sich genommen einzigartig, solches Zubehör war prinzipiell für viele Autos der 1920er Jahre verfügbar.

Auch die Scheinwerfer, das elektrische Horn und die Positionsleuchten auf den  Kotflügeln liefern keinen Anhaltspunkt. Ein Detail merken wir uns aber vorerst: die ungewöhnliche Ausbuchtung auf der Oberseite der Schutzbleche. 

Zeitsprung: Gut 90 Jahre, nachdem obige Aufnahme entstand, fand sich anlässlich des Goodwood Revival Meeting 2017 auf dem “Vintage Car Park” dieses Fahrzeug:

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Dodge “Four” Series 116 Tourer; Bildrechte: Michael Schlenger

Dieser großzügige Tourenwagen war leicht als Dodge der frühen 1920er Jahre zu identifizieren.

Formal betrachtet hätte das Auto alles Mögliche sein können, wenn man einmal vom flachen Kühler absieht. Den hätte man an einem Wagen aus dem deutschen Sprachraum nach dem 1. Weltkrieg kaum zu sehen bekommen – hier waren stattdessen Spitzkühler in allen möglichen Varianten groß in Mode.

Ein näherer Blick auf die Kühlermaske und wir erkennen den Hersteller:

Dodge_Series_116_Tourer_3_Galerie

Dodge Brothers-Emblem; Bildrechte: Michael Schlenger

Nun beginnt die Sache spannend zu werden. Das Emblem verweist auf die Brüder John und Horace Dodge aus Detroit, die kurz vor dem 1. Weltkrieg beschlossen, Autos zu bauen.

Bis dahin waren sie als Zulieferer von Ford tätig, sahen aber die Bemühungen ihres Kunden mit Sorge, einen immer größeren Teil der Wertschöpfungskette aus eigenen Kräften abzudecken.

Der Entschluss, in die Offensive zu gehen, fiel den beiden leicht – die Brüder Dodge waren zeitlebens ein Herz und eine Seele. Das auf den ersten Blick an einen Davidstern erinnernde Emblem bringt das zum Ausdruck: Tatsächlich zeigt es zwei griechische “Deltas”, die einander umschlingen (Quelle).

Ihr 1914 vorgestelltes Vierzylindermodell mit 35 PS war auf Anhieb ein Erfolg. Schon 1916 waren die Dodge Brothers auf Rang 4 der größten US-Autohersteller aufgerückt. Kein anderer Wagen seiner Klasse galt damals als dermaßen robust.

1920 erreichten die nur behutsam weiterentwickelten Dodge-Automobile Platz 2 der Zulassungsstatistik in den Vereinigten Staaten – ein wohl einzigartiges Ergebnis für eine Firma, die noch keine zehn Jahre alt war.

Im selben Jahr starben die Brüder Dodge kurz nacheinander. Doch ihr Vermächtnis sollte noch einige Zeit Erfolge zeitigen. 1922 brachte Dodge den weltweit ersten Wagen mit Ganzstahlkarosserie auf den Markt.

Eine 12-Volt-Elektrik war bereits damals Standard bei Dodge, ab 1921 war außerdem eine Heizung verfügbar. 1922 wurden erstmals Scheibenräder verbaut, Stoßstangen vorne und hinten gab es als Extra.

Scheibenräder, Stoßstangen? Hatten wir die nicht auf dem ersten Foto? Und wie war das mit den auffallend gewölbten Schutzblechen? Zumindest die finden wir hier wieder:

Dodge_Series_116_Tourer_5_Galerie

Dodge “Four” Series 116; Bildrechte: Michael Schlenger

Der Fall ist klar: Die historische Aufnahme zeigt ebenfalls einen Dodge “Four” der ab 1923 gebauten Serie 116, bloß als Limousine statt als Tourenwagen.

Der lange Radstand und die senkrechten Luftschlitze in der Haube verweisen auf das Modelljahr 1924/25. Scheibenräder und Stoßstangen gab es – wie gesagt – als Zubehör. Luxusausführungen besaßen außerdem vernickelte Kühler.

In der Literatur zum Dodge “Four” Series 116 ausdrücklich erwähnt wird die von viertelkreisförmigen Haltern getragene Sonnenblende, die wir hier sehen:

Dodge_Sedan_1925_Brothers_Stoßstange_Seitenpartie

Beim näheren Hinsehen kann man zudem die Initialien “DB” auf der Nabenkappe des Hinterrads entziffern, die sich auch auf dem Kühleremblem des in Goodwwod abgelichteten Wagens wiederfinden.

Letztlich ist die Handschrift der “Dodge Brothers” also auch auf dem anfangs so rätselhaft anmutenden Foto zu erkennen.

Dass ein Exemplar des Dodge “Four” Series 116 einst ein Deutschland landete, verwundert kaum. Weit über 500.000 Exemplare dieses Modells wurden an verschiedenen Standorten gefertigt.

Davon haben auch in Europa eine ganze Reihe überlebt, wie der makellose Tourer in Goodwood zeigt:

Dodge_Series_116_Tourer_4_Galerie

Dodge “Four” Series 116; Bildrechte: Michael Schlenger

Wer schon immer davon träumte, sich einen erschwinglichen Tourenwagen der frühen 1920er Jahre zuzulegen, das Model T von Ford aber zu simpel findet, der kommt am Dodge “Four” wohl kaum vorbei.

In den USA sind gute Exemplare ab 10.000 Dollar zu haben – wie war das noch einmal mit angeblich unbezahlbaren Oldtimern? Genau: Wer auf Prestige pfeift, bekommt zum Gebrauchtwagentarif auch heute noch echte Klassiker!

Literatur: “Standard Catalog of American Cars”, von B.R. Kimes, 3. Ausgabe, 1996, S. 459-465

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