Viele französische Vorkriegsautos genießen hierzulande kein sonderliches Prestige.
Während für einen Mercedes 190 SL – ein schönes Auto, aber kein Meisterwerk – sechsstellige Beträge aufgerufen werden, ist eine der Ikonen des französischen Automobilbaus der 1930er immer noch erschwinglich: der Citroen 11 CV.
Das auch als Gangsterlimousine bekannte Modell ist technisch wie formal in einer Liga mit dem legendären Lambda von Lancia einzuordnen – beide Wagen waren ihrer Zeit enorm voraus und sind für Gourmets absolute Leckerbissen.

Citroen 11CV; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Preislich hat sich beim Citroen 11CV jedoch in den letzten Jahren nicht allzuviel getan. Er gehört immer noch zu den erschwinglichen Vorkriegsklassikern. Was könnte die Ursache sein: Ignoranz, Unsicherheit, Herdentrieb?
Man könnte es schon eher verstehen, wenn es um den Renault KZ 10 CV ginge – der war wirklich eigenwillig und technisch unspektakulär – schönsehen kann man ihn sich nicht.
Aber selbst solch ein “schräger Vogel” von der anderen Seite des Rheins hat seinen Reiz:

Renault Type KZ 10 CV; originale Postkarte aus Sammlung Michael Schlenger
So charmant die (für die Aufnahme gestellte) Situation auch ist, die auf einer zeitgenössischen Postkarte festgehalten wurde, so fremdartig wirkt das Auto darauf, speziell die Frontpartie.
Kaum zu glauben, dass man bei Renault diesen eigenwilligen Typ mit nur wenigen Änderungen von 1922 bis Anfang der 1930er Jahre baute.
Es handelt sich um eine Variante des Renault KZ 10 CV mit konventionellem 2,1 Liter-Vierzylinder, von dem wir bereits zwei Beispiele vorgestellt haben.
In Frankreich waren diese braven und zuverlässigen Wagen als Taxi verbreitet, weshalb man sie auf zeitgenössischen Abbildungen recht häufig sieht. Hier eine Postkarte aus Paris, auf der man mindestens drei solcher Renaults sehen kann:

Paris, Justizpalast und Sainte Chapelle; originale Ansichtskarte aus Sammlung Michael Schlenger
Diese Ansichtskarte schickte in den 1920er Jahren eine junge Dame auf Reisen an die Familie in Deutschland – ein Aufenthalt in Paris war damals noch eine große Sache.
Zu der aufregend anderen Welt in der Seine-Metropole gehörte auch der dichte Autoverkehr, allenfalls im damaligen Berlin ging es ähnlich quirlig zu.
Zurück zum Renault Type KZ 10 CV: Technisch tat sich bei dem Modell über die Jahre nicht viel, aber formal wurde das Auto behutsam weiterentwickelt.
Das sieht erst bei genauem Hinsehen und im Vergleich mit früheren Versionen. Folgende Aufnahme zeigt die erste Variante, die von 1922-26 gebaut wurde:

Renault Type KZ 10 CV; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Haupterkennungsmerkmal ist das ovale Markenemblem an der Vorderseite der Motorhaube. Übrigens war der Renault Typ KZ 10 CV das erste Modell der Marke, bei dem der hinten angebrachte Kühler nicht mehr seitlich über die Haube hinausragte.
Ungewöhlich ist an diesem Wagen der hölzerne Nutzfahrzeugaufbau. Eventuell handelte es sich um eine Type KZ Colonial, der ab 1925 mit kurzem Radstand angeboten wurden.
Im Jahr 1926 tauchte erstmals das rautenförmige Markenemblem auf der Motorhaube auf, das auf folgendem Foto gut erkennbar ist:

Renault Typ KZ 10 CV; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Abgesehen vom geänderten Markenemblem und dem langen Radstand sind kaum Unterschiede zu erkennen – man merke sich bei der Gelegenheit die Höhe der Schwellerpartie und die Form der Vorderschutzbleche.
Im darauffolgenden Jahr 1927 erhielt der Renault Type KZ 10 CV Stoßstangen, sonst blieb alles beim alten. Erst 1928 ergaben sich größere Änderungen im Erscheinungsbild.
So schmiegten sich nun die Vorderschutzbleche näher an die Räder an, folgten also nicht mehr einer geraden Linie zum Trittbrett. Außerdem war das Chassis niedriger, was sich in einer flacheren Schwellerpartie bemerkbar machte:
Gut zu erkennen sind auch die kleinen Positionsleuchten auf den Kotflügeln, die bei den Vorgängermodellen noch nicht zu sehen waren. Auch die konzentrischen, hell abgesetzen Kreise auf den Scheibenfelgen scheinen hier erstmals aufzutauche.
Acht statt zuvor sieben (wenn nicht alles täuscht) Luftschlitze in der Motorhaube weisen ebenfalls auf eine nur behutsame Modellpflege hin.
Die Kundschaft schätzte offenbar die konservative Linie des Renault Type KZ 10 CV, dessen Frontpartie immer noch an die allerersten Modelle der Marke erinnert.
Außer dem rautenförmigen Markenemblem, das neuerdings wieder die Ausmaße der Vorkriegszeit erreicht, einnert heute bei Renault nichts mehr an diese Modelle.
Eigenwillig gestaltet sind die Wagen der Marke nach wie vor. Aber sie erscheinen längst nicht mehr konservativ, sondern auf beinahe brutale Weise progressiv. Die Kundschaft von heute scheint das zu mögen – so ändern sich die Zeiten…
© Michael Schlenger, 2018. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.
Während Renault zu Beginn der Motorisierung nicht der Einzige war, der auf den Kühlergrill verzichtete, stellte dies 20 Jahre später schon eine Besonderheit dar, die mit ähnlicher Relevanz nur bei Tatra zu finden war. So ergab sich der Wechsel zum Rhombus, dessen Spitzkanten sich ideal in die Mittellinie auf der Motorhaube einfügten, vielleicht auch wegen des runden Tatra-Emblems beim Tatra 11 und Tatra 30. Im Gegensatz zu den luftgekühlten mährischen Boxer- und V-Motoren benötigte Renault eine Wasserkühlung, platzierte diese aber äußerlich unsichtbar vor die Stirnwand. So verbarg sich unter ganz ähnlich geformten Motorhauben eine gänzlich unterschiedliche Technik, und die Eigenwilligkeit fand in Frankreich 30 Jahre später erneut eine Fortsetzung, denn während Hans Ledwinka bei Tatra den luftgekühlten Heckmotor schon bald zum V8 fortentwickelte, waren Renault Dauphine, R8 und R10 mit Wasserkühlung im Heck versehen, so wie deren tschechische Alternativen Škoda 1000MB und Š100 ebenfalls von wassergekühlten Vierzylindern der 40 PS-Klasse angetrieben wurden, und auch den Reservereifen hinter der vorderen Stoßstange verbargen, wo sich sonst meist ein verchromter, dann zunehmend schwarzer Kühlergrill zeigte.