Heute geht es mehr als 90 Jahre zurück in die glorreiche Vergangenheit der Marke Mercedes – noch heute zehrt man “beim Daimler” in Stuttgart von den einstigen Lorbeeren, ohne diesen vergleichbare neue hinzufügen zu können.
Man muss sich das vorstellen: Im Mai 1921 – als es in Europa kaum befestigte Landstraßen gab – fuhr Mercedes-Werksfahrer Max Sailer die ihm anvertraute Rennsportversion des Typs 28/95 PS rund 2.000 km hinunter nach Sizilien.
Dort angelangt absolvierte er das wohl härteste Straßenrennen aller Zeiten – die Targa Florio. Zu jener Zeit waren vier Runden auf dem 58 km langen Rundkurs durch die grandiose Landschaft der “Madonie” zu fahren.
Der zweite Platz im Gesamtklassement und die schnellste Zeit für seriennahe Wagen sorgten für enorme Aufmerksamkeit in der Heimat. Wir dürfen davon ausgehen, dass Max Sailer voller Stolz den Lorbeerkranz quer durch ganz Italien nach Hause fuhr:

Mercedes 28/95 PS von 1921; historische Sammelkarte aus Sammlung Michael Schlenger
Auf dieses Ergebnis sollten 1922 weitere Achtungserfolge des Typs 28/95 PS bei der Targa Florio folgen, darunter der Sieg in der Klasse über 4,5 Liter Hubraum.
Mercedes nutzte die Rennaktivitäten, um die zivile Version des auf das Jahr 1914 zurückgehenden Typs 28/95 PS selbstbewusst am Markt zu platzieren. In der Tat boten die Stuttgarter mit dem 7,3 Liter großen Sechszylinder einen besonderen Leckerbissen.
Die im Zylinderkopf strömungsgünstig schräg hängenden Ventile wurden direkt über eine obenliegende Nockenwelle betätigt, welche wiederum von einer Königswelle angetrieben wurde – einen präziseren Ventiltrieb gab es damals nicht.
Das in der Praxis fast 100 PS leistende Aggregat stellte die Krönung im Angebot von Mercedes dar – das Prestige dieser rennsporterprobten Konstruktion war kolossal. Auch die Dimensionen der Serienausführung fielen entsprechend spektakulär aus:

Mercedes 28/95 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Wir müssen bei dieser Aufnahme die Identität des mächtigen Spitzkühlermodells mit den seitlichen Mercedes-Sternen nicht umständlich herleiten.
Auf dem Originalabzug ist nämlich unten von alter Hand folgendes vermerkt: “Fritz auf 28/95 PS Mercedes 6/1922”.
Demnach ist das Foto nur einen Monat nach dem zweiten erfolgreichen Einsatz der Sportausführung des Typs in Sizilien entstanden.
Fahrer Fritz sagte sich damals vielleicht: “Das muss die Familie wissen – auch ich steuere ja solch einen Mercedes 95 PS – das ist mir glatt einen Wochenlohn für das Foto wert.”
Denn natürlich war der junge Fritz nicht der Eigner des Mercedes mit den drei zwischen den Luftschlitzen austretenden armdicken Auspuffrohren:
Doch mit seiner Anstellung als Chauffeur eines derartig prestigeträchtigen Wagens hatte er es gut getroffen. Die allermeisten seiner männlichen Zeitgenossen waren in der Landwirtschaft, in handwerklichen Berufen oder als Industriearbeiter tätig.
Das Fehlen von Vorderradbremsen – die gab es beim Typ 28/95 PS erst später – wird Fritz verkraftet haben. Im Zweifelsfall waren die Motorbremse des Hubraumgiganten sowie beherzter Einsatz von Hand- und Fußbremse gleichzeitig gefragt.
Dass die Aufnahme tatsächlich erst nach dem 1. Weltkrieg entstand, darauf verweisen die elektrischen Scheinwerfer. Mercedes baute nämlich noch vor Kriegsausbruch 1914 einige Wagen des Typs 28/95 PS.
Das aber ist eine andere Geschichte, die wir irgendwann anhand eines weiteren Fotos erzählen wollen, welches glatt das Zeug zum Fund des Monats hat…