In den letzten Blogeinträgen kamen herausragende Vorkriegsmodelle zu ihrem Recht, die bei den Classic Days 2018 auf Schloss Dyck am Niederrhein zu bewundern waren.
Bevor wir in die “Niederungen” konventioneller (doch nicht weniger interessanter) Vorkriegswagen im deutschen Sprachraum zurückkehren, widmen wir uns einem Prachstück, das auf einer alten Postkarte in unsere Zeit gelangt ist.
Dabei handelt es sich um ein Achtzylindermodell der sächsischen Marke Audi, die vor dem Krieg auf hochwertige Manufakturwagen spezialisiert war.
Hier haben wir einen dieser feinen Wagen, die wie die Modelle von Horch in Zwickau gefertigt wurden:

Audi Typ SS “Zwickau”; originale Postkarte aus Sammlung Michael Schlenger
Woran genau man den Typ erkennt, damit beschäftigen wir uns noch. Auf den ersten Blick sieht man auf jeden Fall, dass es sich um ein Achtzylindermodell handelt.
Mancher Leser mag sich daran erinnern, dass wir vor geraumer Zeit schon einen Achtzylinderwagen von Audi gezeigt haben. Das war der 100 PS starke Typ R, der 1927 vorgestellt wurde und später die selbstbewusste Bezeichnung “Imperator” erhielt.
Originalfotos dieses über 5 Meter langen und mehr als 2 Tonnen schweren Kolosses sind selten, das gilt besonders für die raffinierten Spezialaufbauten. Immerhin ließ sich ein Werksfoto auftreiben, das die Pullmanlimousine des Typs R zeigt:

Audi Typ R “Imperator”; Werksfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Zum Zeitpunkt der Vorstellung dieses mächtigen Wagens war Audi schon geraume Zeit in wirtschaftlichen Schwierigkeiten.
Ein Schuldenschnitt im Jahr 1926 hatte der Firma zwar etwas Zeit gekauft, doch die mittelständische Eigentümerfamilie erkannte, dass sie mit dem Automobilbau auf keinen grünen Zweig kommen würde.
Als Käufer fand sich der expansionsfreudige Inhaber der Zschopauer DKW-Werke, J.S. Rasmussen. Er hatte 1927 in den USA die 6- und 8-Zylindermotorenfertigung der insolventen Firma Rickenbacker gekauft und suchte nach einem Einsatzfeld dafür.
Doch hielt sich die Nachfrage nach Rickenbacker-Motoren am deutschen Markt in Grenzen – die meisten Hersteller boten selbst 8-Zylinder an (wie Horch) oder arbeiteten daran (wie Adler, Brennabor, Hansa, NAG, Röhr, Stoewer usw.).
Da bot sich für Rasmussen in Form der Audi-Werke ein scheinbar ideales Einsatzgebiet für die nach Deutschland transportierte Rickenbacker-Motorenfertigung.
Nach Übernahme von Audi im Jahr 1928 ließ Rasmussen den in Zwickau entwickelten 8-Zylinder noch ein Jahr lang im Imperator verbauen, dann bekamen die parallel verfügbaren Rickenbacker-Aggregate den Vorzug.
Damit wären wir wieder bei der eingangs gezeigten Aufnahme eines 8-Zylinder-Audi mit Zulassung im schlesischen Görlitz. Seine Frontpartie unterschied sich in einem Detail von der des Imperator:
Im Unterschied zum “Imperator” ist auf dem oberen Teil der Kühlermaske kein “Audi”-Schriftzug mehr angebracht – dieser ist nur noch im unteren Teil der “8” auf der Scheinwerferstange zu sehen.
Stattdessen prangt oben auf dem Kühler das Wappen der Stadt Zwickau, die namensgebend für den neuen Audi mit Rickenbacker-Achtzylinder war.
Ungeachtet der ähnlichen Frontpartie unterschied sich der Audi Typ SS “Zwickau” in vielen Details vom Vorgängertyp “Imperator”:
- Der amerikanische Motor war mit 5,1 Litern Hubraum großvolumiger als der von Audi entwickelte Achtzylinder des Imperator (4,9 Liter).
- Die Spitzenleistung war identisch (100 PS), fiel beim Rickenbacker-Aggregat aber bereits deutlich früher an.
- Dank neun statt fünf Kurbelwellenlagern lief der Motor kultivierter.
- Der Typ “Zwickau” besaß zusätzlich einen lang übersetzten 4. Gang, der eine Drehzahlabsenkung bei hohem Tempo ermöglichte.
- Die zuvor gestängebetätigte Vierradbremse wich einer hydraulischen Bremse von ATE nach Lockheed-Patent.
- Der Radstand fiel merklich kürzer aus als beim Imperator und das Gewicht sank um 300 kg.
Ein großer Markterfolg war der Audi Typ R “Zwickau” mit gut 450 Exemplaren bis 1932 allerdings auch nicht (Imperator: 145 Stück von 1928-29).
Neben dem 8-Zylindertyp “Zwickau” fertigte Audi übrigens auch ein 6-Zylindermodell T mit der Bezeichnung “Dresden”, dessen Aggregat ebenfalls von Rickenbacker stammte. Dieses Modell war allerdings mit nur 76 Exemplaren ein Reinfall.
Auf alten Fotos erkennt man diesen Typ am Dresdener Stadtwappen oben auf der Kühlermaske und natürlich am Fehlen der “8” auf der Scheinwerferstange.
Sollte ein Leser eine Aufnahme eines solchen Modells besitzen, wäre der Verfasser für eine digitale Kopie zur Vervollständigung der Audi-Typengalerie sehr dankbar.
Übrigens sind die Audis der Typen R “Imperator”, SS “Zwickau” und T “Dresden” in der Seitenansicht schwer zu erkennen. Da Audi damals keine eigene Karosseriefertigung besaß, entstanden die Aufbauten bei Fremdfirmen und waren oft hochindividuell.
Davon kann der heutige Besitzer eines Audis – so ausgezeichnet die Wagen auch sonst sind – nur träumen. Man sieht: Zur Erfüllung mancher Träume kommt man auch im 21. Jahrhundert an einer Reise in die Vorkriegszeit nicht vorbei…
© Michael Schlenger, 2018. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.