Ein Urahn des Opel „Laubfrosch“: Typ 6/16 PS

Heute kommt es in diesem Blog für Vorkriegsautos zu einem ungewöhnlichen Familientreffen.

Auf den ersten Blick mag es sich um eine eher theoretische Begegnung handeln, denn die beiden Opel-Generationen, um die es geht, trennen fast 15 Jahre. In der Vorkriegszeit war das in automobiler Hinsicht eine Ewigkeit.

Unsere kleine Studie beginnt im Sommer vor 90 Jahren – also: 1928 – und führt uns zunächst nach Unterfranken in den Hammelburger Forst:

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Opel 4/16 PS von 1926/27; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Über den Hersteller dieses Tourenwagens müssen wir dank des Opel-„Auges“ auf der Kühlermaske nicht eigens nachdenken.

Aufgrund des kompakten Formats kommt nur Opels Basismodell mit 4 Steuer-PS in Frage, hier in der Ausführung ab Oktober 1926, was die Linkslenkung verrät.

Der ab 1924 in Fließbandfertigung gebaute 4 PS-Opel war ein großer Wurf – allerdings begann seine Karriere nicht erst in Rüsselsheim. Vielmehr wurde ab 1922 in Paris das Auto gebaut, welches das Vorbild des Opel 4 PS abgab: der Citroen 5 CV.

Der weitsichtige Firmengründer André Citroen hatte noch vor Ende des 1. Weltkriegs die Konstruktion eines großserientauglichen Kleinwagens angeordnet, um seine Munitionsfabrik auch im Frieden auslasten zu können.

Mit dem Citroen Typ A machten die Franzosen ab 1919 Furore, denn er war der erste in Großserie gebaute europäische Wagen.

Der vor dem Krieg so erfolgreiche Autobauer Opel verlegte sich stattdessen auf Oberklassewagen, für die der deutsche Markt trotz kurzer Scheinblüte viel zu klein war, um ausreichende Erträge für das Werk abzuwerfen.

Erst mit dem Plagiat des Citroen 5CV gelang Opel ab 1923 der Anschluss an die Entwicklung. Dieser dreiste Schritt, der prompt juristische Auseinandersetzungen nach sich zog, verwundert doch.

Denn längst hatte Opel eigene Erfahrung im Bau von Kleinwagen. So entstand 1909 das Modell 6/12 PS, das (hier) bereits vorgestellt wurde:

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Opel 6/12 PS; Originalfoto von 1910 aus Sammlung Michael Schlenger

Ab 1911 gab es dann ein weiteres Kompaktmodell, den Typ 5/12 PS bzw. 5/14 PS – im Volksmund als „Puppchen“ bezeichnet.

Im Unterschied zum 6/12 PS von 1909, der nur einen Zweizylindermotor (1,5 Liter) besaß, kam das „Puppchen“ mit einem modernen Vierzylinder (1,2 bis 1,4 Liter) daher. Ein besonders reizvolles Foto eines solchen frühen 5 PS-Opel folgt gelegentlich.

Ebenfalls 1911 stellte Opel den etwas stärkeren Kleinwagentyp 6/16 PS vor. Solch ein Fahrzeug  – wenn auch mit etwas späterem Baujahr – zeigt das folgende Foto, das einst in Jauer in Niederschlesien (heute Polen) entstand:

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Opel 6/16 PS von ca. 1913, aufgenommen in Jauer (Niederschlesien); Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wer nun in den Standardwerken zu frühen deutschen Wagen von Schrader und seinem Vorläufer von Fersen nachschlägt, wird dort nahezu nichts zum Opel 6/16 PS-Modell finden – kein Bild, keine Prospektabbildung, keine technischen Daten.

Dieser Mangel ist nur eines von vielen Beispielen für den Bedarf nach Nachfolgern dieser stark veralteten und oft fehlerhaften Werke (die dennoch unverzichtbar sind).

Angesichts der Ausgangsituation mag man sich fragen, wie der Verfasser auf die Zuschreibung „Opel 6/16 PS“ gekommen ist. Dazu werfen wir erst einmal den üblichen Blick auf die Frontpartie:

Opel_6-16_PS_Tourer_Foto_Gorski_Jauer_Frontpartie

Auch wenn das ovale Emblem auf dem Kühler nicht lesbar ist, sprechen zwei Merkmale für ein kleines Modell von Opel aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg:

  • birnenförmiger Kühler mit markentypischem Verschlussdeckel
  • leicht angeschrägte Luftschlitze in der kurzen Motorhaube

Form der Nabenkappe, Zahl der Radbolzen und Trittbretthalterung am Rahmen entsprechen ebenfalls vollkommen den Verhältnissen bei Opel-Vorkriegsmodellen.

Irritierend sind auf den ersten Blick die vor 1918 unüblichen elektrischen Scheinwerfer. Sie sprechen wie die Gestaltung der Werbung für „Auto Nitsche“ im Hintergrund dafür, dass dieses Foto nach dem 1. Weltkrieg entstanden sein muss.

Das Auto selbst ist aber ganz klar ein Vorkriegsmodell. Zum einen begann Opel schon 1914, seine Wagen mit dem modischen Spitzkühler auszustatten, der nach Kriegsende einige Jahre Standard bleiben sollte.

Zum anderen verweisen die geschwungene seitliche Linienführung und das Fehlen eines Schwellerblechs ebenfalls auf die Zeit vor 1914:

Opel_6-16_PS_Tourer_Foto_Gorski_Jauer_Seitenpartie

Könnte das aber nicht eines der erwähnten „Puppchen“-Modelle 5/12 bzw. 5/14 PS sein, die von 1911 bis 1915 gebaut wurden?

Nun, die Ähnlichkeit ist vorhanden, aber einige Details passen nicht. Zu nennen ist vor allem die zweigeteilte Frontscheibe. Auf Abbildungen des Puppchens ist nach Kenntnis des Verfasser stets nur eine einteilige Scheibe zu sehen.

Des weiteren scheint der Opel auf dem Foto geräumiger und komfortabler ausgestattet zu sein. Nicht zuletzt wirken seine Vorderschutzbleche kräftiger.

Dumm nur, dass selbst die treffliche Opel-Fahrzeugchronik (Bartels/Manthey, Podszun-Verlag 2012) nur Bilder von 6/16-Modellen von 1911/12 zeigt, deren Aufbauten formal traditioneller waren als die Karosserie auf unserem Foto.

Zum Glück lieferte jedoch die Bildersuche im Netz auf der Website der Alt-Opel IG einen vollkommen entsprechenden Wagen des Typs Opel 6/16 PS.

Das ist ein schöner Erfolg und zeigt, wie sich Lücken in der Dokumentation bedeutender Automarken auch anhand historischer Fotos schließen lassen. Eines haben wir uns noch für den Schluss aufgehoben:

Betrachtet man das Erscheinungsbild des wohlgenährten Herrn am Lenkrad, denkt man an eine Entstehung des Fotos in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre. Damit wären wir in derselben Zeit wie auf dem Foto des eingangs gezeigten Opel 4/16 PS.

Die beiden 16 PS-Opels hätten sich einst also durchaus begegnen können, obwohl ihre Entstehungszeit rund 15 Jahre auseinanderlag. Vergleichen wir doch einmal die Modelle in der Papierform:

  • Beide haben auf den ersten Blick dieselbe Leistung, der Opel 6/16 PS leistet aber tatsächlich 18 PS bei lediglich 1.750 Umdrehungen gegenüber 16 PS beim späteren Typ mit 4 Steuer-PS, der dafür 2.800 Umdrehungen benötigt.
  • Der 6/16 PS verfügt über 1,5 Liter Hubraum, der jüngere 4/16 PS über lediglich 1 Liter, womit er steuerlich vorteilhafter war.
  • Beide Modelle besitzen seitlich stehende Ventile, was bis in die 1930er Jahre Standard bei Kleinwagen bleiben sollte.
  • Ob die Batteriezündung des späteren 4/16 PS-Modells einen Vorteil gegenüber der batterielos funktionierenden Magnetzündung des 6/16 PS-Typs darstellte, mögen Kenner der Materie entscheiden.
  • Erwachsener war sicher die 4-Gang-Schaltung des frühen 6/16 PS-Opels; der „Laubfrosch“ musste zeitlebens mit 3 Gängen auskommen.

Dass der Opel 4/16 PS letztlich doch das modernere Auto war, ist an den Vierradbremsen, der höheren Endgeschwindigkeit (70 km/h ggü. 60 km/h) und dem weit geringeren Benzinverbrauch festzumachen (6,5 ggü. 9,5 Liter/100 km).

Trotzdem musste sich Ende der 1920er Jahre der gemütliche Besitzer des „Veteranen“-Opel 6/16 PS von ca. 1913 nicht vor dem fast 15 Jahre jüngeren „Jungspund“ aus Rüsselsheim mit seinem französischem Einschlag verstecken.

Man fragt sich, weshalb Opel angesichts der Erfahrung und des Erfolgs mit Kleinwagen  – der 6/16 PS wurde nach dem 1. Weltkrieg bis 1920 weitergebaut – später nicht imstande war, auf dieser Basis selbst einen moderneren Wagen zu entwickeln.

In der dem Verfasser zugänglichen Literatur findet sich dazu kein Wort. Hatte Opel kriegsbedingt fähige Konstrukteure verloren oder waren diese zu anderen Marken abgewandert?

Bemerkenswerterweise bemühte sich Opel beim 4 PS-Modell auch formal – von der etwas anderen Kühlermaske abgesehen – nicht um Eigenständigkeit. Oder entsprachen Fahrwerk und Antrieb im Detail vielleicht gar nicht so sehr dem Citroen, wie es heißt?

Wer hierzu Näheres beizusteuern weiß, kann dazu gern die Kommentarfunktion nutzen. Vielleicht erfahren wir ja so doch noch etwas mehr über die dunklen Seiten der  Familiengeschichte des Opel 4 PS-Modells…

© Michael Schlenger, 2018. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

 

 

 

 

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