Ein schöner Rücken…Pontiac Roadster von 1928

Ein schöner Rücken kann auch entzücken – sagt der Volksmund. Auf die von uns so geliebten Vorkriegsautomobile trifft das allerdings nicht immer zu.

Noch in der ersten Hälfte der 1920er Jahre unternahm man kaum Anstrengungen, die Heckpartie eines Wagens attraktiv zu gestalten. Speziell bei Tourenwagen ging es da ziemlich prosaisch zu.

Deshalb sind Heckaufnahmen von Autos jener Zeit eher selten. Doch ab und zu hat man Glück und jemandem ist eine reizvolle Rückansicht gelungen.

Hier haben wir ein erstes – wenn auch etwas unscharfes – Beispiel dafür:

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unbekannter US-Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Fotograf hat hier die Länge des Tourenwagens betont, die auf ein großzügiges rückwärtiges Passagierabteil mit Platz für an die fünf Personen schließen lässt.

Die Doppelstoßstangen, die Zweifarblackierung der Scheibenräder und die trommelförmigen Scheinwerfer sprechen stark für ein US-Fabrikat um 1925.

Entstanden ist diese Aufnahme aber im deutschsprachigen Raum. „Baronin Koks“ hat ein Spaßvogel auf der Rückseite des Abzugs vermerkt.

So bezeichnete man damals spöttisch vornehm tuende Vertreter des Geldadels – im Ruhrgebiet etwa sagte man „Graf Koks von der Halde“, wenn man auf die banale Basis des (Neu)Reichtums anspielen wollte.

Aus welchem US-Fabrikat genau unser Fotomodell gerade auszusteigen scheint, sei einer späteren Recherche anheimgestellt.

Wir wenden uns stattdessen einem anderen amerikanischen Wagen zu, der nur wenig später entstand und ebenfalls in deutschen Landen abgelichtet wurde:

Pontiac_1928_roadster_Galerie

Pontiac Rumbleseat Roadster von 1928; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses schöne Foto atmet noch ganz die Stimmung des Hochsommers. Die Felder sind frisch gemäht – im Deutschland jener Zeit weitgehend ohne Maschineneinsatz.

Ein Paar mit einem bullig wirkenden Zweisitzer hat irgendwo in der menschenleeren Landschaft gehalten und der Fahrer hat mit malerischem Blick seine Beifahrerin aus reizvoller Perspektive auf’s Negativ gebannt.

Rund 90 Jahre später erfreuen wir uns noch an diesem Dokument eines längst vergangenen glücklichen Moments. Vorkriegsautobilder wie dieses können ihre ganze eigene Magie entfalten, da ist der Wagen mitunter zweitrangig.

Im vorliegenden Fall wollen wir es aber doch genau wissen und können den Zweisitzer mit der wohlgestalteten Heckpartie auch präzise identifizieren. Dazu bedarf es einer Mischung aus Erfahrung, Kombinationsvermögen und Glück.

Die Erfahrung sagt uns, dass dieses stark gerundete Heck bei einem Zweisitzer eher typisch für US-Wagen der 1920er Jahre ist:

Pontiac_1928_roadster_HeckpartieDieser Aufbau wurde in Amerika als „Rumbleseat Roadster“ angesprochen, wobei der „Rumbleseat“ der im Heck ausklappbare Notsitz war, der im Volksmund der Schwiegermutter zugedacht war – vor allem bei Regen…

Die Bezeichnung Roadster folgte in den USA nicht den britischen Gepflogenheiten – tatsächlich gab es Roadster nach englischem Verständnis (also offene Zweisitzer mit tiefem Türausschnitt und dünnem Notverdeck) in den Vereinigten Staaten kaum.

Auf diesem Bildausschnitt zu erkennen ist des weiteren ein deutsches Nummernschild, vermutlich mit der Kennung „IA“ für Berlin beginnend. Die Hauptstadt wies Ende der 1920er Jahre eine enorme US-Fahrzeugdichte auf, was auch daran lag, dass etliche amerikanische Marken dort eigene Fertigungsstätten unterhielten.

Doppelstoßstangen und zweifarbig lackierte Scheibenräder unterstützen die Annahme, dass wir hier ein US-Modell vor uns haben. Endgültige Gewissheit liefert aber wie fast immer erst die Betrachtung der Frontpartie:

Pontiac_1928_roadster_Frontpartie

Auf folgende Details sei der Leser auf obigem Bildausschnitt hingewiesen:

  • die seitlichen Luftschlitze lassen das vordere Viertel der Motorhaube frei,
  • die trommelförmigen Scheinwerfer verfügen über einen verchromten Zierring und sind am hinteren Ende abgerundet,
  • die Kühlerfigur besitzt eine nach hinten reichende kammartige Verlängerung,
  • die Oberseite der Motorhaube ist mittig leicht erhöht,
  • die hell abgesetzte seitliche Zierleiste läuft vorn verspielt aus

Den Schlüssel zur Identifikation liefert ein Foto, das wir vor nicht allzu langer Zeit in diesem Blog gezeigt haben (Stichwort: Kombination):

Pontiac_New_Series_6-28_1928_Foto_1932_1_Frontpartie

Pontiac Six von 1928; Originalaufnahme von 1932 aus Sammlung Michael Schlenger

Hier erkennen wir als erstes die Kühlerfigur wieder, die den legendären Indianerhäuptling Pontiac im Profil zeigt, der namengebend für die erst 1926 geschaffene Marke war.

Anordnung der Luftschlitze und Gestaltung der Scheinwerfer sind ebenfalls identisch. Bei dem Wagen handelt es sich eindeutig um einen Pontiac New Series Six von 1928 (Porträt des Coupès).

Doch was ist mit den abweichenden (Speichen)Rädern? Nun, die waren zwar die Basisausstattung beim Pontiac Six des Modelljahrs 1928, doch gab es gegen Aufpreis auch Scheibenräder wie auf unserem Foto des Rumbleseat Roadster.

Wir haben außerdem noch Glück: Im „Standard Catalog of American Cars“ von Clark/Kimes (1996) findet sich eine Abbildung eines Pontiac Rumbleseat Roadsters des Baujahrs 1928 mit derselben hell abgesetzten Zierleiste.

Die Ansprache des Wagens auf dem Foto darf damit als gesichert gelten. Das Netz liefert nach Eingabe des Suchbegriffs „Pontiac Roadster 1928“ einige Vergleichsfotos.

Zwar war ein Pontiac von anno 1928 mit seinem knapp 50 PS leistenden Sechszylinder in den USA bloß einer von vielen braven Mittelklassewagen. Im Deutschland der späten 1920er Jahre machte man damit jedoch überall Eindruck.

So scheint sich die charmante Beifahrerin des Pontiac-Besitzers aus Berlin ihres Glücks bewusst gewesen zu sein:

Pontiac_1928_roadster_Beifahrerin

Ein scherzhafter Ehrentitel für sie wäre damals übrigens nicht „Baronin Koks von der Halde“ gewesen. In Berlin lautete die Entsprechung „Gräfin Rotz von der Backe“!

Für so einen Vermerk von alter Hand auf diesem Abzug hätte man etwas gegeben…

© Michael Schlenger, 2018. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

5 Gedanken zu „Ein schöner Rücken…Pontiac Roadster von 1928

  1. Vielen Dank Herr Schlenger für Ihre Vermutung, die sich wohl auch bei Buick bestätigt. Da findet man zwar den Buick 44 mit 80 PS und 4144 ccm so wie in Borsigwalde montiert, jedoch sind die amerikanischen Buick mit Hubräumen von 3392, 3918 und 4220 ccm motorisiert.
    Neben vielen weiteren Informationen wie dem Reichsgesetz vom Aug.1925 zur Aufhebung der Importbeschränkung, die ich hier

    https://forums.aaca.org/topic/169217-general-motors-gmbh-berlin-borsigwalde/

    nachlesen konnte, finde ich auch das bei GM Borsigwalde verwendete Typenschild beachtenswert, denn der Markenname Buick ist nicht vorgegeben, sondern zusammen mit dem Modelltyp als „Buick 44“ eingeschlagen. So wäre es beachtenswert, ob dieses Blanko-Typenschild auch für Chevrolet und Pontiac Verwendung fand !?

  2. Die 45 und die 58 dürften sich schon auf die PS-Zahl beziehen, die beim 6-28 mit 48 bhp und beim 6-29 Big Six mit 60 bhp angegeben wurde. Ich vermute, dass die Motoren für den deutschen Motoren etwas gedrosselt wurden, wie das später bei Ford auch der Fall war. Jedenfalls gibt es keine entsprechenden Typenbezeichnung seitens Pontiac, welche diese Zahlen erklären würde.

  3. Dank des Auto-Adreßbuchs handelt es sich beim Rumbleseat Roadster um einen Pontiac „45“ und fast hätte ich die charmante Dame als Halterin Frau Dr. Sigurd K. benannt – da steht aber Sigurd statt Sigrun, somit ist sie wohl doch die Beifahrerin !
    Der hier abgebildete Pontiac mit dem Kennzeichen IA-25273 ist ein 6-28 New Series, wie der ab A-Säule zum Heck verbreiterte Seitenstreifen belegt.
    Für die Auflistung dieses und weiterer bis 1934 registrierter Pontiac als „45“ oder „58“ habe ich keine plausible Erklärung, denn diese Angaben passen auch in puncto Motorleistung nicht; weder zum diesem noch zu den Nachfolgern Big Six und Fine Six. Die wichtigste Hilfe bleibt aber sicherlich die Benennung der Automarke … wenn es das doch auch für IP, IIU oder HB gäbe !

  4. Klasse Hinweis – darauf wäre ich nicht gekommen. Nur die alberne Diskussion „Engschrift oder nicht“ gab es damals wohl noch nicht. Auf meinem Peugeot 202 ist das alte französische Kennzeichen übrigens noch von Hand aufgemalt, schön der Form der Stoßstange folgend…

  5. Wie auch heute noch waren die Heckpartien der US-Autos auch damals für die kleineren dort üblichen Nummernschilder konstruiert. Und damals wie heute gab es schmalere zweizeilige Nummernschilder, die zugeteilt wurden, wenn es die Platzverhältnisse erforderten. Aber auch die weit verbreitete Gattung „Amtsschimmel“ gab es natürlich auch bereits vor 90 Jahren, wie man an dem kunstvoll verbogenen Kennzeichen erkennen kann, wenn der Sachbearbeiter der Zulassungsstelle es so will, dann gibt es eben nur ein breites einzeiliges, ob das nun vernünftig anzubringen ist oder nicht fällt nicht in seinen Zuständigkeitsbereich. Warum auch kaufen die Leute amerikanische Autos…?!

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