Die Deutschen kommen! Fiat-Taxis in Catania 1930

Wer Italien und das Verhältnis der Italiener zu ihren Nachbarn nördlich der Alpen ein wenig kennt, weiß: Bewunderung und Geringschätzung liegen nahe beieinander.

Gegeneinander kämpfen, miteinander ringen, voneinander lernen und profitieren – gern in abruptem Wechsel – das prägt das Verhältnis der Teutonen und der Bewohner der italienischen Halbinsel seit der Antike.

Ungeachtet aller geschichtlichen Umbrüche war Italien immer ein Sehnsuchtsland für die Deutschen, nach dem es einen magisch zog – mal als Eroberer, mal als Reisender:

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Fiat 520 mit deutscher Touristin bei Rapallo (Ligurien), Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

In den besten Fällen trug die Berührung der beiden Völker Früchte wie Goethes Reise nach Italien. Der von seinem Dasein als hochrangiger Beamter in Weimar frustrierte Dichter war nach Überwindung der Alpen in der Kutsche wie vom Blitz getroffen.

Bei der ersten Gelegenheit ersetzte Goethe seine nordische Reisekleidung durch eine elegantere Garderobe nach italienischem Schnitt und wurde auch sonst zu einem anderem Menschen. Viele sollten ihm folgen, doch wohl keinem gelang es, solchen Gewinn aus dem Genuss des Südens und seiner uralten Hochkultur zu ziehen.

Leider hat auch Italien bei aller Schönheit der Kulturlandschaften und Kunstschätze unter der globalisierten Einebnung des Geschmacks gelitten. Das war noch Ende des 20. Jahrhunderts anders – und erst recht vor dem 2. Weltkrieg.

Damit wären wir in der Zeit der Weimarer Republik, als folgende Aufnahme entstand:

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Besatzungsmitglieder des Kreuzers Königsberg in Catania 1930; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auf den ersten Blick ist das ein wenig spektakuläres Foto – gewiss nichts für die Liebhaber außergewöhnlicher Vorkriegskarosserien oder Rennaufnahmen.

Tatsächlich sind hier nur rund ein Dutzend eher alltägliche Tourenwagen (und im Hintergrund ein paar Limousinen) zu sehen. In der ersten Reihe haben wir gängige Fiat-Typen vor uns, die in den 1920er Jahren zehntausendfach produziert wurden.

Für die verwöhnte Leserschaft meines Blogs sind das natürlich Brot- und Butter-Gefährte. Tatsächlich sind diese Wagen mit ihrer klassischen Kühlerpartie, wie sie einst in ganz Europa zu finden waren, in meinem heutigen Blogeintrag bloß Staffage.

In der trüben Zwischenzeit nach dem Weihnachtsfest (bzw. der Wintersonnenwende am 21.12. oder dem Geburtstag des altrömischen Sonnengotts am 25.12.) und vor dem Jahreswechsel erlaube ich mir einen Ausflug in benachbarte Technikwelten.

Wer genau hingeschaut hat, hat vielleicht bemerkt, dass es sich bei der „Besatzung“ der Taxis auf obigem Foto um Matrosen der deutschen Kriegsmarine handelt:

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Zum Glück ist der Abzug von alter Hand beschriftet und verrät, dass diese Szene 1930 in der Hafenstadt Catania auf Sizilien entstand – und zwar anlässlich des Besuchs eines Kriegsschiffs der Weimarer Republik.

Die Rede ist vom 1927 fertiggestellten Leichten Kreuzer „Königsberg“. Mit 170 Meter Länge, fast 68.000 PS starken Dampfturbinen und einer Höchstgeschwindigkeit von knapp 60 km/h eine eindrucksvolle Konstruktion.

Beachtlich war auch die Bewaffnung mit drei großen Geschütztürmen mit Kaliber 15 cm, mehreren 8,8cm-Flugabwehrkanonen und 12 Torpedorohren – später kam noch ein Bordflugzeug hinzu.

Hier haben wir den Kreuzer „Königsberg“ auf einer zeitgenössischen Postkarte:

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Leichter Kreuzer „Königsberg“; originale Postkarte aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme verdeutlicht, dass das Deutsche Reich auch in der demokratischen Phase der Weimarer Republik keineswegs pazifistisch eingestellt war, sondern einen beträchtlichen Verteidigungs- und Selbstbehauptungswillen aufbrachte – wie eigentlich alle Staaten im damaligen Europa.

Wir Nachgeborenen im 21. Jh., die fast risikofrei in einzigartigem Wohlstand aufgewachsen sind, können uns eine solche Situation überhaupt nicht mehr vorstellen.

So erfreuen wir uns vor allem an den alten Autos jener Zeit – auch den klassisch geschnittenen Fiat-Wagen und ihren wie hier oft modebewussten Insassen:

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Fiat 520, aufgenommen in Czarnikau (Provinz Posen); Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Doch im Hintergrund dieser Aufnahme eines Fiat 520 der späten 1920er Jahre mit jungen „Hipstern“ aus Czarnikau lauert der Konflikt zwischen Deutschen und Polen in den seit 1918 umstrittenen Gebieten (vor genau 100 Jahren begann übrigens der Posener Aufstand).

Dieser Konflikt flammte ab 1938/39 erneut auf und mündete in den 2. Weltkrieg. Das Wissen um die Katastrophe, aus der mit Ausnahme der USA niemand als wirklicher Sieger hervorging, ist bei Betrachtung solcher Aufnahmen stets präsent.

So war auch der Leichte Kreuzer Königsberg Ende der 1920er und Anfang der 1930er Jahre nicht nur ein Botschafter des guten Willens. Das Deutsche Reich im Gewand der Weimarer Republik trat durchaus wehrhaft auf.

Beim Besuch des Schiffs in Sizilien werden aber zumindest die Taxifahrer in Catania dieser deutschen „Invasion“ mit Wohlwollen begegnet sein, denn es galt, die einige hundert Mann starke Besatzung herumzukutschieren.

Handelt es es sich bei dem Herrn mit dunklem Zweireiher um den Kommandanten des Schiffs? Dann hätten wir hier Fregattenkapitän Hermann Densch vor uns:

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Die Zeiten überdauert hat diese Aufnahme vermutlich im Nachlass eines einstigen Besatzungsmitglieds und es ist denkbar, dass eine ganze Reihe weiterer Abzüge in Umlauf waren bzw. noch sind.

Leider wissen wir nichts über das Programm, das die Matrosen damals an Land absolvierten – vermutlich unter Leitung eines orts- und sprachkundigen Zivilisten, den wir eventuell als Beifahrer des ersten Wagens sehen.

Das Schiff und seine Besatzung sollten noch im 2. Weltkrieg zum Einsatz kommen. Bei der Besetzung Norwegens im April 1940 wurde es von britischen Bombern getroffen und sank im Hafen von Bergen.

Was auf dem heute präsentierten Bild wie eine heitere Ausflugsfahrt wirkt – und anno 1930 auch war – endete 10 Jahre später mit Tod und Zerstörung…

© Michael Schlenger, 2018. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

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