Lang ist’s her, dass ich in meinem Blog für Vorkriegsautos auf alten Fotos einen Wagen der heute kaum noch bekannten deutschen Marke Selve zeigen konnte.
Im November 2017 durfte ich folgendes Foto aus dem Werksarchiv der Werkzeugfirma HAZET ausführlich besprechen (hier):

Selve 8/20 oder 8/24 PS; Originalfoto aus Werksarchiv der Hazet Gmbh & Co. KG
Den mächtigen Tourenwagen konnte ich als ein frühes Exemplar aus der 1919 gestarteten Automobilproduktion des Selve-Konzerns identifizieren.
Zur Historie der Marke Selve gehört die Flugmotorenproduktion von Basse & Selve im westfälischen Altena während des Ersten Weltkriegs.
Hier haben wir eine Originalreklame aus meiner Sammlung, die aus Heft Januar/Februar 1918 der Zeitschrift “Motor” stammt:

Basse & Selve Flugmotor, Originalreklame aus Sammlung Michael Schlenger
Keine 12 Monate nach Erscheinen dieser Anzeige war der 1. Weltkrieg vorbei und wie viele andere Rüstungsfabrikanten im In- und Ausland musste sich auch der Selve-Konzern nach einer neuen Verwendung der Kapazitäten im Motorenbau umsehen.
Man entschied sich für den Kauf von NAW in Hameln, wo einst die “Sperber”-Automobile gebaut worden waren. Dort fand man eine Kompetenz im Fahrzeugbau vor, die durch die Motorenfabrikation von Basse & Selve ideal ergänzt wurde.
So entstanden ab 1919 in Hameln in den neugegründeten Selve-Automobilwerken Wagen, die mit hauseigenen Vierzylinderaggregaten ausgestattet waren, die anfänglich bei Hubräumen von 1,6 bis 2,1 Litern zwischen 20 und 32 PS leisteten.
Welcher Motor genau unter der Haube verbaut war, sah man vielen Autos jener Zeit von außen nicht an. Das gilt auch für den Selve, den ich heute vorstellen will:

Selve Tourenwagen Typ 6/20 oder 6/24 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Die Identifikation als Selve ist anhand der Position der ovalen Markenplakette auf dem Spitzkühler möglich.
Einige Details wie die abweichende Ausführung der Vorderschutzbleche und die schlichte Ausführung des Tourenwagenaufbaus ohne hinten angesetzten Verdeckkasten sprechen tendenziell dafür, dass es sich bei dem Selve nicht mehr um eines der frühen Nachkriegsmodelle handelt.
Gleichzeitig deutet das Fehlen von Vorderradbremsen auf eine Entstehung vor 1925 hin. Damit kommen zwei äußerlich ähnlich Selve-Typen in Betracht, das Modell 6/24 PS mit 1,6 Liter Hubraum und das größere und länger gebaute Modell 8/32 PS.
Mangels Vergleichsfotos oder sonstiger Abbildungen in der dünnen Literatur zu der bis 1929 aktiven Marke erscheint eine genauere Ansprache des Selve vorerst nicht möglich.
Das ist aber hinnehmbar, denn die Erfahrung zeigt, dass sich früher oder später neue Belegaufnahmen finden oder Markenkenner weiterführende Hinweise geben.
Darin liegt einer der Vorteile des Blog-Formats – neue Erkenntnisse kann ich in bisherige Artikel und die Markengalerien einfließen lassen oder auch neue Einträge verfassen.
Ebenso lassen sich Fehleinschätzungen korrigieren – ein Beispiel dafür wird übrigens Gegenstand des nächsten “Fund des Monats” sein…
Unterdessen begnügen wir uns mit der nicht nur für die raren und reizvollen Selve-Autos geltenden Erkenntnis “Lang ist’s her”, hier vorgetragen von Zarah Leander: