Heute befasse ich mich mit der Frühzeit des Automobilbaus der einstigen Marke Wanderer aus dem sächsischen Chemnitz. Die ersten in Serie gebauten Wanderer-Wagen des Typs W3 von 1913/1914 hatte ich bislang nur gestreift (siehe hier).
Die folgende Reklame aus meiner Sammlung zeigt diesen Erstling, der einen 1,1 Liter “großen” Vierzylinder besaß und als 5/12 PS-Modell unterhalb Opels populärem 5/14 PS-Typ vermarktet wurde:

Wanderer W3 5/12 PS; Originalreklame aus Sammlung Michael Schlenger
So unvollkommen die Wiedergabe des Wagens hier auch sein mag, lassen sich doch folgende Merkmale festhalten:
- steil ansteigendes Windlaufblech zwischen Motorhaube und Frontscheibe,
- kein Spritzschutz zwischen Rahmen und Trittbrett (erkennbar an den freiliegenden Trittbretthaltern),
- nach hinten annähernd waagerecht auslaufendes Heckschutzblech.
In dieser Spezifikation wurde der Wanderer W3 nur ein gutes Jahr lang gebaut. Bereits im Juni 1914 erhielt er einen im Detail verbesserten Nachfolger. Während es bei anderen Herstellern jener Zeit mitunter schwerfällt, die Modellpflege auf so kurze Sicht nachzuvollziehen, ist dies bei Wanderer sehr gut möglich.
Dies ist zweifellos ein Verdienst der vorbildlichen Literatur (“Wanderer Automobile”, von Erdmann/Westermann, Verlag Delius Klasing), die mit Unterstützung von Audi-Tradition entstand – bei Opel etwa wartet man bislang vergeblich auf Vergleichbares.
Mittlerweile liegen auch mir genügend Originaldokumente vor, um die in der Literatur akribisch wiedergegebenen Metamorphosen des ersten Wanderer-Wagens darstellen zu können – und vielleicht noch etwas mehr.
Den Anfang macht ein kurioses Foto, bei dem man im ersten Moment meint, es mit einem Spielzeugauto zu tun zu haben:

Wanderer W3-II 5/15 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Für Sammler von Qualität kommen solche Fotos natürlich nicht in Frage – für mich sind sie dagegen Gold wert. Tatsächlich ist der Originalabzug in noch schlechterer Verfassung, es bedurfte einigen Aufwands, um eine brauchbare digitale Kopie zu fabrizieren.
Was den Wagen hier so winzig erscheinen lässt, ist die Tatsache, dass die Reifen fehlen.
Vermutlich wurde der Wagen kurz nach Beginn des 1. Weltkriegs an einen Privatmann geliefert, der angesichts der Ressourcenknappheit selbst zusehen musste, ob und wie er an die wertvollen Gummipneus gelangt. Dasss es das gab, ist jedenfalls überliefert.
Gegen eine Entstehung der Aufnahme nach dem Krieg spricht das Fehlen der dann gängigen elektrischen Scheinwerfer – hier sind noch Gasleuchten montiert.
Was fällt sonst noch auf an diesem Wanderer? Nun, in folgenden Details unterscheidet er sich von dem Modell auf der eingangs gezeigten Reklame:
- Die Linie von der Motorhaube zur Windschutzscheibe verläuft flacher,
- zwischen Rahmen und Trittbrett befindet sich ein schräges Blech, das die Trittbretthalterungen kaschiert und verhindert, dass Schmutz hochgewirbelt wird,
- das Heckschutzblech folgt der Rundung des Reifens – was dem Schutz nachfolgender Fahrzeuge vor weggeschleuderten Steinen dient,
- die bisher drei Luftschlitze pro Haubenseite sind sechs gewichen (hier nur vier sichtbar).
Auch unter der Haube hat sich etwas getan: So wurde der Hubraum leicht auf 1,2 Liter vergößert, was mit einer Leistungssteigerung auf 15 PS einherging.
In dieser Ausführung als 5/15 PS wurde der Wanderer (intern als W3-II bezeichnet) den ganzen 1. Weltkrieg über gebaut. Hier haben wir eine zeitgenössische Reklame, die den Wagen vollmundig anpreist:

Reklame für den Wanderer W3-II 5/15 PS; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Schon bald hatte sich im Kriegsverlauf gezeigt, dass der kleine Wanderer alles andere als ein Spielzeug war. Dank geringen Gewichts, großer Bodenfreiheit und anspruchsloser Technik bewährte er sich im harten Einsatz als Aufklärungs- und Kurierfahrzeug an der Front, obwohl er dafür gar nicht konstruiert worden war.
Die Qualitäten des kompakten, aber kaum kleinzukriegenden Wanderer sprachen sich herum, sodass das Modell schon ab Ende 1915 praktisch nur noch für den Bedarf des Militärs gefertigt wurde.
Das vermeintliche Spielzeugauto entpuppte sich als ernstzunehmender Beitrag zur Mobilität in einer zunehmend mechanisierten Kriegsführung.
Wer über so einen solchen Wanderer verfügte, konnte mit Recht stolz darauf sein – die Masse der Soldaten bekam so etwas allenfalls von weitem zu sehen, bevor es in die Schützengräben ging.
Folgende 1916 entstandene Aufnahme (aus der Sammlung von Leser Klaas Dierks) habe ich schon einmal präsentiert, doch passt sie auch heute ausgezeichnet, denn sie zeigt ebenfalls einen Wanderer W3 in der Ausführung als 5/15 PS-Modell:

Wanderer W3-II 5/15 PS; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks
Das leicht überdimensionierte – wohl an gängigen Offizierswagen der Oberklasse orientierte – Kennzeichen verweist auf die Zugehörigkeit des Wagens zur VI. Armee, die in Bayern aufgestellt worden war. Die Zahl 2.392 ist die laufende Nummer im Wagenpark, der auch Lastkraftwagen und Artillerieschlepper umfasste.
Wanderer hatte sich mit dem Typ W3 bei der Armee in der Kompaktklasse einen einzigartigen Rang erarbeitet, der sich in umfangreichen Bestellungen widerspiegelte.
Auf der folgenden, wohl einzigartigen Aufnahme, die 1917 im heute rumänischen Siebenbürgen entstand, sind rund 30 Wanderer dieses Modells zu sehen, die offenbar neu angeliefert worden waren:

Wanderer W3-II 5/15 PS; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks
Hier kann man auf dem ersten Wagen sehr gut die erwähnten sechs Luftschlitze erkennen, die den Wanderer W3 ab 1915 vom ursprünglichen Modell unterscheiden.
Angesichts des Datums der Aufnahme ist es gut möglich, dass hier bereits Wanderer-Wagen des 1917 eingeführten dreisitzigen Typs dabei sind – zuvor war lediglich Platz für den Fahrer und einen Passagier hintereinander.
Die Jahre 1914, 1915, 1916 und 1917 hätten wir nun mit Bildern des Wanderer W3 in seinen verschiedenen Erscheinungsformen abgedeckt. Doch so selten Automobilfotos aus dem letzten Kriegsjahr 1918 sind, konnte Leser Peter Neumann eines mit einem Wanderer W3-II 5/15 PS beisteuern, der damals auf dem Balkan eingesetzt war.
Der Abzug ist sehr schlecht erhalten, doch liefert er ein interessantes Detail, das sich so nicht in der Literatur findet:

Wanderer W3-II 5/15 PS; Originalfoto aus Sammlung Peter Neumann
Man sieht hier alle in der Literatur genannten Elemente des ab 1915 gebauten modellgepflegten Wanderer W3 – nur die Zahl der Luftschlitze passt nicht.
Offenbar muss es eine Übergangsphase gegeben haben, in der der Wanderer bereits mit der modernisierten Karosseries des Typs W3-II gefertigt wurde, aber die Motorhaube statt sechs nur wie bisher drei Luftschlitze aufwies.
Möglicherweise zeigte sich erst im Zuge des Kriegseinsatzes des im Sommer 1914 eingeführten leistungsgesteigerten Typs 5/15 PS, dass eine verbesserte Entlüftung des Motorraums ratsam ist.
Jedenfalls deutet das letzte Foto darauf hin, dass die sechs Luftschlitze erst eingeführt wurden, nachdem die übrigen ab 1915 eingeführten Änderungen an der Karosserie erfolgt waren und nicht parallel dazu.
Als Fazit bleibt für mich, dass der Wanderer W3-II 5/15 PS ein durchaus ernstzunehmendes Fahrzeug war, das eine eingehende Beschäftigung verdient. Ein Spielzeugauto war das jedenfalls nicht – die im Krieg bewährte Version wurde in geringfügig modifizierter Form bis 1921 weitergebaut…
© Michael Schlenger, 2019. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.