Das muss Liebe sein: Ein Willys „Six“ von 1932

Das Foto, das ich heute vorstelle, schlummert schon eine ganze Weile in meinem Fundus.

Es ist ein typisches Beispiel für mein Vorgehen bei der Suche nach Autoaufnahmen der Vorkriegszeit: Die Qualität des Abzugs ist mäßig und weder der Anbieter noch ich wussten, was darauf abgebildet ist – zusammengenommen gute Voraussetzungen, um ungewöhnliche Funde für kleines Geld zu machen.

Natürlich kann dabei nicht immer eine große Rarität herausspringen, aber doch oft genug etwas nicht Alltägliches – zumindest nach hiesigen Maßstäben. Genauso verhält es sich bei dem Wagen, der auf folgender Aufnahme zu sehen ist:

Willys „Six“, Modelljahr 1932; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Zwar verfolgen meinen Blog eine ganze Menge Markenspezialisten, die von den Objekten ihrer Leidenschaft weit mehr wissen als ich und die mir immer wieder wertvolle Hinweise geben (umgekehrt aber auch anhand meiner Fotos manchen neuen Einblick gewinnen).

Dabei handelt es sich aber mit ein, zwei Ausnahmen um Enthusiasten, die sich für Vorkriegswagen aus Europa begeistern. Von daher würde es mich wundern, wenn jemand (außer besagten ein, zwei Ausnahmen…) auf Anhieb sagen könnte, was das für ein Wagen auf obiger Aufnahme ist.

Ich selbst habe einige Zeit mit der Identifikation zugebracht, die mir am Ende dank meines Literaturfundus gelang, der auch im Internetzeitalter unersetzlich ist.

Der Aufwand mag in keinem Verhältnis zum letztlich prosaischen Ergebnis stehendas muss halt Liebe sein, wenn man sich in eine solche Aufnahme so „hineinkniet“, als zeigte sie eine bislang undokumentierte Spezialausführung einer Marke von Rang.

Das Auto kam mir trotz des mitteleuropäisch anmutenden Umfelds (ich tippe auf die Niederlande) „spanisch“ vor – was in diesem Fall „amerikanisch“ bedeutet. Eine klassische Limousine ohne jede Extravaganz, die mit Drahtspeichenräder daherkommt, das war um 1930 auf dem europäischen Kontinent die Ausnahme, nicht aber in den USA.

Damit war die Richtung der Recherche vorgegeben: Es galt, das Standardwerk zu US-Vorkriegsautos durchzuarbeiten – den „Standard Catalog of American Cars“ von Kimes/Clark – dessen Umfang von gut 1.600 dichtbeschriebenen und reich bebilderten Seiten nicht gerade einladend wirkt (was auch der Druckqualität geschuldet ist).

Dabei hilft es nicht, wenn man die üblichen Verdächtigen von Chrysler, Ford und General Motors (die „Big Three“) von vornherein ausschließen kann, denn um 1930 gab es in den USA noch an die hundert Autohersteller (noch früher waren es tausende…).

So wurde ich erst nach über 1.550 Seiten fündig (hätte ich mal hinten angefangen…) und stieß auf eine Limousine mit sehr ähnlicher Kühlerpartie und denselben horizontalen Entlüftungsschlitzen in der Haube:

Fast genau so sah der Willys „Six“ aus, den das seit 1904 bestehende Unternehmen im Modelljahr 1931 produzierte.

Der Hersteller – anfänglich Overland, später Willys-Overland und zuletzt Willys – hatte damals den 1926 eingeführten Overland „Whippet“ bereits in Rente geschickt, der ein Riesenerfolg gewesen war und von dem ich bereits einige in Deutschland aufgenommene Exemplare gezeigt habe – ich komme gelegentlich darauf zurück.

Die ab 1930 gebauten Willys-Wagen waren Weiterentwicklungen des mit vier und sechs Zylindern gebauten Whippet ohne größere Auffälligkeiten – solide, leistungsfähig, ordentlich ausgestattet und vor allem billig.

Daneben gab es zwar auch eine Baureihe mit deutlich stärkeren ventillosen Motoren nach Knight-Patent, die aber ebenso wie eine Version mit von Continental zugekauftem Reihenachtzylinder nur eine Nebenrolle spielten.

Die einzige Neuerung, die Willys im Folgejahr 1932 brachte, war ein (vermutlich nur teilweise) synchronisiertes Getriebe – damals die Ausnahme in diesem Segment. Für das Modelljahr 1932 wurde aber auch die Kühlerpartie behutsam überarbeitet, was man erst beim Vergleich mit Fotos aus dem Netz erkennt.

So konnte ich am Ende mit den kombinierten Qualitäten des klassischen Autobuchs und den unendlichen, doch oft unstrukturierten Ressourcen des Internets den Wagen auf meinem Foto als Willys „Six“ des Modelljahrs 1932 identifizieren.

Nicht auszuschließen ist, dass es sich statt der Basisversion mit konventionellem 65 PS-Motor um die Ausführung mit ventillosem Knight-Schiebermotor mit 87 PS handelt.

Äußerlich scheint diese sich vor allem durch den rund 25 Zentimeter längeren Radstand vom 65-PS-Modell unterschieden zu haben. Ob der Willys auf dem heute vorgestellten Foto nun über einen kurzen oder langen Radstand verfügte, lässt sich kaum sagen, da diese Partie weitgehend verdeckt ist.

„Schuld“ an diesem Zustand sind die beiden Zeitgenossen, die es sich auf dem Trittbrett vor dem hinteren Kotflügel bequem gemacht haben:

Nun, dass muss Liebe sein – und angesichts dieses glücklich festgehaltenen Moments gerät der Willys „Six“ zur bloßen Staffage – wer interessiert sich da noch für den Radstand?

Solche Fotos kann man mit heutigen Automobilen einfach nicht mehr machen. Einmal mehr zeigt sich für mich: Das menschliche Element hat erheblichen Anteil am Zauber der Vorkriegswagen auf alten Fotos

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

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