“A Streetcar named Desire” – so lautete der Titel eines Dramas des US-Schriftstellers Tennessee Williams, das Ende 1947 uraufgeführt wurde. So groß die Versuchung auch ist – damit war keineswegs “Ein Auto namens Desiré” gemeint.
In den USA bezeichnet “streetcar” gerade nicht das frei nach des Lenkers Lust umherfahrende Automobil, sondern die schienengebundene Straßenbahn.
Im deutschen Sprachraum umschiffte man diese linguistischen Klippen durch den Titel “Endstation Sehnsucht” – unter diesem Namen wurde auch die legendäre Verfilmung von 1951 mit Marlon Brando und Vivien Leigh in den Hauptrollen hierzulande bekannt.
Die Handlung des Stücks lassen wir heute links liegen, doch den deutschen Titel borgen wir uns aus. So befassen wir uns mit einem Objekt der Sehnsucht von Ende der 1920er Jahre, das für viele damals wohl die Endstation ihrer Ambitionen repräsentierte.
Nach 1929 – dem Baujahr des Autos, um das es im Folgenden geht – ging es nämlich für die meisten Deutschen im Zuge der Weltwirtschaftskrise stetig bergab.
Die ökonomische Scheinblüte der 1930er Jahre unter dem Regime der nationalen Sozialisten wurde mit gigantischen Staatsschulden für öffentliche Infrastruktur- und Rüstungsprojekte erkauft und ging mit immer radikalerer Repression widerständiger Geister, insbesondere der jüdischen Intelligenz, einher.
Was an Zivilisationsbruch folgte, ist bekannt und erklärt das Leiden der Deutschen an sich selbst und seine in wechselnder Form immer wieder zutagetretenden Neurosen.
Davon war freilich wenig zu ahnen, als dieses schöne Foto entstand:

Marke und Baujahr dieser einst in Wuppertal zugelassenen Limousine sind schnell ermittelt. Der stilisierte Kopf des Indianerhäuptlings Pontiac auf dem Kühler verweist auf den erst 1926 aus der Wiege gehobenen US-Hersteller aus Pontiac im Bundesstaat Michigan.
Die vertikale Unterteilung des Kühlergrills taucht erstmals beim 1929er Pontiac auf, auch das Ornament auf der Sonnenblende über der Windschutzscheibe passt. Ab 1930 findet sich eine horizontale Zierleiste entlang der Motorhaube, die hier noch zu fehlen scheint.
Mit seinem 60 PS leistenden Sechszylindermotor war dieser Pontiac in den Staaten zwar nur einer von vielen erschwinglichen Mittelklassewagen, doch im Deutschland jener Zeit stellte er ein nur wenigen zugängliches Luxusobjekt dar.
So repräsentierte dieses Exemplar einst die Sehnsucht seiner Besitzer. Der versonnen in die Ferne gehende Blick der neben dem Wagen stehenden jungen Frau erzählt uns auf zauberhafte Weise davon:

Der uns anlächelnde Fahrer und seine Nachbarin ahnten wohl nichts davon, dass sie sich zum Zeitpunkt dieser Aufnahme vielleicht auf dem Höhepunkt ihres Lebens befanden – zumindest was das materielle Glück angeht.
Wir Nachgeborenen denken bei solchen Dokumenten natürlich immer auch das mit, was die Geschichte unseren Altvorderen noch bescheren sollte. So gesehen mag auch dieses Zeugnis den Titel “Endstation Sehnsucht” verdienen.
Daraus lässt sich aber auch etwas für’s eigene Dasein lernen. Irgendwann ist dessen Höhe erreicht und es geht unaufhaltsam abwärts.
Rein materiell betrachtet spricht schon länger einiges dafür, dass wir uns in Europa bereits an diesem Punkt befinden – für unsere Sehnsüchte in punkto Lebensqualität mag die Endstation erreicht sein oder sogar hinter uns liegen.
Wird die übrige Welt, in der die energetische Basis sowie die politische und technologische Kompetenz weiterhin gegeben sind, dereinst genauso ergriffen auf die Zeugnisse unseres Hier und Jetzt schauen wie wir heute auf das Dasein unserer Vorfahren Ende der 20er Jahre?
Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Zur horizontalen Zierleiste entlang der Motorhaube hätte ich noch eine Anmerkung : Der “Silver Streak”, der das Pontiac-Design bis 1956 zuletzt als Doppelstreifen bestimmte, entstand erst 1935. Jedoch gab es Sicken in Wagenfarbe schon 1927/28 wie auch hier beim Wuppertaler Exemplar, die dann ab 1930 dachfirstartig verlaufend den zum Pontiac-Kopf hin spitzen Zulauf der Kühlergrillmaske fortsetzten. 1933/34 gab es dann eine Renaissance des Spitzkühlers, wobei seither die Kühlergrillmaske in Wagenfarbe lackiert war. Auf heutigen Bildern ist die originale Öffnungsfunktion der Motorhaube oft nicht mehr zu erkennen, da besonders die US-Autos der 1930er Jahre gnadenlos umgebaut wurden. Wo einst Scharniere angebracht waren, wird nun die vormals geteilte Motorhaube in einem Stück abgehoben – in perfekter Passung, aber eben nicht mehr original, und wo einst Sicken und Falze die Formgebung zierten, wurden diese womöglich weggeglättet.