Es ist schon spannend, was einem bei der “freien Jagd” nach historischen Automobil-Fotos alles vor die Flinte kommt. Wer nicht auf bestimmte Marken und Typen festgelegt ist, kann echten Raritäten auf die Spur kommen.
Wohl jeder Freund deutscher Automarken erkennt auf Anhieb die gefällig gezeichneten DKW-Modelle der Vorkriegszeit mit markanten Bezeichnungen wie Reichsklasse und Meisterklasse.
© DKW F7 Cabrio-Limousine 1937-38; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Von diesen eleganten Fahrzeugen haben viele Exemplare überlebt, weil sie wegen ihrer Zweitaktmotoren im Krieg nicht von der Wehrmacht eingezogen wurden. Wer einen bezahlbaren deutschen Vorkriegswagen mit Charme sucht und sich an der geringen Leistung nicht stört, kommt an DKW kaum vorbei.
DKW hatte von Anfang an eine glückliche Hand, was das Erscheinungsbild seiner Automobile anging. Das Publikum sah über die Schwächen des Zweitaktantriebs hinweg und erfreute sich an bezahlbarer Mobilität mit Stil. Allein die Cabriolets (gebaut bei Baur und Horch) der Typen F4, 5 und 7 verkauften sich rund 30.000 Mal.
Selbst Kenner müssen aber erst einmal passen, wenn sie folgendes Fahrzeug zu Gesicht bekommen – ein rassiger Bootsheck-Roadster. Man denkt vielleicht zuerst an ein englisches Modell oder hält einen Special der Nachkriegszeit für möglich.
© Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Markenembleme sind auf dem Foto nicht zu erkennen. Da das Bild in Deutschland aufgenommen wurde, spricht die Wahrscheinlichkeit erst einmal für ein deutsches Fabrikat.
Fündig wird man schließlich beim Durchblättern des “Oswald” (Deutsche Autos 1920-45): Auch das ist ein DKW! Dazu noch das heute seltenste Modell überhaupt – ein PS 600. Es war die Sportversion des braven DKW P15, des ersten Automobils von DKW. Damit hatte die Firma 1928 auf Anhieb einen Volltreffer gelandet.
Umsteiger vom Motorrad wussten, was sie vom Zweitaktspezialisten DKW erwarten konnten und störten sich weder am trotz Wasserkühlung lauten Motorengeräusch oder an der Karosserie aus kunstlederbezogenem Sperrholz.
Während der P15 mit nur 15 PS auskommen musst, holte das hier gezeigte Sportmodell aus demselben 600ccm-Zweizylindermotor 18 PS. Mit einem Werks-Tuning-Satz waren sogar 20 PS drin. Das entsprach dem Wert beim Motorrad DKW 600 Super Sport, das ebenfalls einen wassergekühlten 600ccm-Motor hatte und damals als Traummaschine galt. Die Motorisierung des DKW PS 600 erscheint heute dürftig, doch bei einem Wagengewicht von 550 kg war damit eine zügige Fortbewegung möglich.
Nicht zu verachten war die Wendigkeit des Wagens, zu der neben dem geringen Gewicht auch die schmale Bereifung im Motorradformat 3,25 x 19 beitrug. Die Bremsleistung war dagegen mäßig. Immerhin gab es Bremstrommeln rundum, die über Seilzüge betätigt wurden, wie auf der Ausschnittsvergrößerung am Hinterrad gut zu erkennen ist:
Dass der Wagen nicht nur rasant aussah, sondern tatsächlich eine gewisse sportliche Charakteristik hatte, belegen zahlreiche Klassensiege zwischen 1929 und 1933, unter anderem am Schauinslandrennen und auf dem Nürburgring. 1930 stellte der DKW PS 600 auf der Steilwandstrecke in Monthléry bei Paris sogar einen Rekord auf, als er bei einer 24h-Fahrt einen Durchschnitt von über 90 km/h erreichte.
Gebaut wurden vom DKW PS 600 bis 1931 nur 500 Exemplare. Dass davon überhaupt einige überlebt haben, dürfte der attraktiven Form und der Tatsache zu verdanken sein, dass in der DDR alles am Laufen gehalten wurde, was den Krieg überstanden hatte. Damit kommen wir zum mutmaßlichen Entstehungsort und dem Zeitpunkt der Aufnahme. Ein erster Hinweis findet sich im Hintergrund:
Der Schriftzug Berliner Bären-Lotterie über dem Schaufenster verweist auf eine 1953 in der DDR geschaffene staatliche Glücksspieleinrichtung. Somit dürfte das Bild in der Nachkriegszeit in Ostberlin oder einer anderen ostdeutschen Großstadt entstanden sein. Für Berlin spricht der rückseitige Stempel “Foto Boss Treptow”.
Die Datierung lässt sich noch etwas präzisieren. Den entscheidenden Hinweis gibt der im Hintergrund vorbeihuschende Lieferwagen.
Das Fahrzeug ist so markant, dass es eindeutig identifiziert werden kann: Es handelt sich um einen Barkas B 1000, der das ostdeutsche Pendant zum VW Transporter darstellte. Er wurde 1961 vorgestellt und war seinerzeit eine durchaus moderne Konstruktion.
Damit rückt der Entstehungszeitpunkt des Fotos in die 1960/70er Jahre. Der Barkas wurde zwar kaum verändert bis 1990 gebaut, doch der gezahnte Rand des Fotos und sein Zustand sprechen für ein erhebliches Alter der Aufnahme. Das Fahrzeug sieht für eine Alltagsnutzung zu gepflegt aus, speziell das Verdeck macht einen sehr guten Eindruck. Vielleicht kam der DKW von einem Veteranentreffen zurück und der Fotograf hat ihn durch Zufall aufgenommen.
Gut stehen jedenfalls die Chancen, dass dieses Exemplar des DKW PS 600 heute noch existiert. In Ostdeutschland sind mindestens zwei dieser attraktiven Wagen mit ihrer markanten Zweifarblackierung erhalten, nämlich im August Horch Museum in Zwickau und im Museum für sächsische Fahrzeuge in Chemnitz.
Beide Sammlungen sind übrigens für Freunde von Vorkriegsfahrzeugen unbedingt empfehlenswert!