Fiat 1400 und 1900: Gediegene Mittelklasse

Der jahrzehntelange Erfolg, den Fiat einst mit den Modellen 500/600 und dem 1100 (Millecento) hatte, prägt bis heute das Image der Marke.

Kaum bekannt ist, dass Fiat nach dem Zweiten Weltkrieg für eine ganze Weile gehobene Mittelklassewagen baute, die in Europa fast ohne Konkurrenz waren.

Ende 1949 begann die Fertigung des Fiat 1400, eines großzügig geschnittenen Viertürers in Pontonform. Zu dieser Zeit baute Mercedes noch Autos, die formal in den 1930er Jahren stehengeblieben waren.

Hier ein erster Blick auf den 1400er Fiat (rechts), der neben einer Lancia Aprilia und einem Fiat 1100 der 1930er/40er Jahre (links) in der Tat hochmodern wirkt:

Fiat_1400

© Ausschnitt aus einem Originalfoto der 1950er Jahre; Sammlung Michael Schlenger

Die formale Rückständigkeit von Mercedes war auch nicht mit dem verlorenen Krieg zu erklären. Borgward präsentierte Ende 1949 mit dem Hansa ebenfalls eine Ponton-Limousine, die erste deutsche Neukonstruktion nach dem Krieg. Und für Italien war der 2. Weltkrieg trotz des Seitenwechsels 1943 ebenfalls ein Desaster in jeder Hinsicht.

Fiat wollte nach dem Krieg so schnell wie möglich den Anschluss an die PKW-Entwicklung schaffen, die in den USA trotz des Krieges nicht stehengeblieben war. Mit dem 1400er gelang das eindrucksvoll:

Fiat_1400_Triest_Sommer_1954

 

© Steyr-Fiat 1400 in Triest, August 1954; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Bei diesem großzügigen Wagen wird wohl kaum jemand an einen Fiat denken, und doch ist es einer. Dieser 1400er wurde bei Steyr in Österreich in Lizenz gebaut und ist hier im Sommer 1954 in Triest zu sehen. Ab diesem Jahr wurde der Wagen übrigens mit 50 PS-Motor verkauft, damit war eine Höchstgeschwindigkeit von 125 km/h möglich. Schon der 44-PS-Vorgänger war eine Neukonstruktion nach dem Krieg.

Fiat bot den 1400er auch als zweitüriges Cabriolet an. Im Unterschied zur Limousine hatte die offene Version seitliche Chromleisten, die von den Besitzern der Viertürer gern nachgerüstet wurden. Folgendes Foto zeigt ein solches „aufgehübschtes“ Exemplar:

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© Fiat 1400 in den Dolomiten, 1955; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ab 1953 war der Fiat 1400 außerdem in einer Dieselvariante erhältlich. Auch hier war man schneller als Mercedes (Ponton-Diesel ab 1954).

Von Anfang an hatten die Konstrukteure des Fiat 1400 eine stärkere Motorenvariante im Blick. Wenn es nach den Ingenieuren gegangen wäre, hätte man gern einen 6- oder gar 8-Zylinder-Motor implantiert. Doch Platzverhältnisse und Kostenerwägungen standen dem entgegen.

Man entschied sich, den 1,4 Liter Motor auf 1900ccm aufzubohren und mit der Karosserie des Fiat 1400 zu kombinieren. Dass dies gelang, spricht ebenso für die Robustheit des Ausgangsaggregats wie die Raumökonomie des 1400er.

Der auf diese Weise kreierte Fiat 1900 wurde 1952 vorgestellt. Er kam mit einer für damalige Verhältnisse sensationellen Ausstattung daher.

Statt eines 4-Gang-Getriebes mit herkömmlicher Kupplung verfügte er über ein Strömungsgetriebe mit 5-Gängen. Dabei wurde der Kraftschluss hydraulisch hergestellt und es konnte schaltfaul gefahren werden. Im 4. Gang konnte man von 30 km/h bis zur Höchstgeschwindigkeit durchbeschleunigen, der 5. Gang war lang ausgelegt.

Die Motorleistung wurde bis Produktionsende 1958 von 60 über 70 auf zuletzt satte 80 PS gesteigert – das war eine annähernde Verdopplung gegenüber dem ersten Fiat 1400 und unterstreicht nochmals die Qualität der Konstruktion. Mercedes wagte bei seinem bis 1962 gebauten Ponton-Modell keine vergleichbar großzügige Leistung

Im Fiat 1900 war ein Radio serienmäßig  verbaut, und es gab eine über Türkontakte aktivierte Innenraumbeleuchtung, damals eine Seltenheit. Äußerlich unterschied sich der Fiat 1900 durch mehr Chromschmuck vom 1400er Modell.  Das erlaubt die Identifikation des 190oer, der sich auf folgendem zeitgenössischen Foto „versteckt“:

Amalfi_1953

 

© Fiat 1900 in Amalfi 1953; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses schöne Bild ist ausweislich des Vermerks auf der Rückseite im Jahr 1953 entstanden. Aufnahmeort ist die alte Handels- und Hafenstadt Amalfi an der gleichnamigen Küste zwischen Neapel und Salerno – einer der grandiosesten Kulturlandschaften Europas.

Das Foto hat jemand am zentralen Platz der Stadt unterhalb des Doms von Amalfi geschossen. Wer sich heute dort in einem der Cafés niederlässt, kann dasselbe Achitekturensemble genießen.

Geändert hat sich nur das Erscheinungsbild der Besucher und Bewohner – die Eleganz jener Zeit sucht man in unseren Tagen vergeblich. Dennoch ist Amalfi immer noch einen Aufenthalt wert. Wenn die Tagestouristen fort sind, scheint die Zeit dort stillzustehen. Der Ort eignet sich perfekt als Standquartier für die gesamte Amalfiküste, wo übrigens immer noch viele klassische Fiats unterwegs sind.

Ein Fiat 1900 wie auf dem Foto ist allerdings heutzutage auch in Italien eine ganz große Rarität. Hier nochmals ein näherer Blick auf das Exemplar, das dort vor über 60 Jahren in der Sommersonne stand:

Fiat_1900_Amalfi_1953

 

Eindeutig identifizieren lässt sich der Wagen als 1900er anhand der Chromleisten. Diese reichen nur bis zu C-Säule, während 1400er mit nachgerüsteter Chromleiste vom Cabriolet diesen Schmuck nur an Vorder- und Hinterkotflügel tragen.

Die Weißwandreifen sprechen ebenfalls für die große Variante. Die Front wird zwar durch einige Stühle verdeckt, doch der Fall ist klar – das ist der Wagen von jemand, der „es geschafft hatte“…

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