Mit dem reißerischen Titel meines heutigen Blog-Eintrags sichere ich mir die Aufmerksamkeit von gleich zwei Fraktionen deutscher Vorkriegsauto-Freunde:
Die Fans der Frankfurter Traditionsmarke Adler kommen hier ebenso auf ihre Kosten wie diejenigen, deren Liebe den unter dem Dach der Auto-Union zusammengefassten Marken gilt. Dazu zählen nach herkömmlicher Auffassung Audi, DKW, Horch und Wanderer.
Wie soll Adler Teil dieses 1932 Konglomerats gewesen sein, ohne dass es jemand außer mir bemerkt hat? Das geht natürlich nur, wenn man „Auto-Union“ sehr großzügig auslegt.
So wurde bereits 1927 in Hamburg eine Firma mit der Bezeichnung „Selbstfahrer Union Deutschlands“ gegründet. Sie sollte die spätere Auto-Union überleben, denn sie existierte bis 1970.
Dass diese „Selbstfahrer Union“ in gewisser Weise auch eine Art „Auto Union“ war und mit dieser ganz erhebliche Überschneidungen aufwies, diese Erkenntnis hat mir folgender Zufallsfund beschert, der mir im Netz auf der Verkaufsplattform „eBay“ gelang:

Dies ist das Deckblatt einer 1938 erschienenen kleinen Broschüre. Das Aufmacherbild macht noch heute Lust auf eine Landpartie im offenen Wagen, auch wenn man weiß, dass diese Reklame unter dem Regime der Nationalsozialisten entstand.
Über dessen Charakter ist alles bekannt und gesagt. Ich weigere mich aber, reflexartig alles für verwerflich zu erklären, was damals entstand. Beispielsweise wird die fabelhafte Autobahn-Infrastruktur jener Zeit nicht dadurch entwertet, dass der NS-Staat damit ältere Pläne umgesetzt und das vorhandene Können der Ingenieure und Arbeiter genutzt hat.
So muss man auch nicht dieses hervorragend gelungene Reklamefoto zwanghaft als Bekenntnis zu „arischen“ Idealen interpretieren. Die selbstbewusst in die Ferne deutende „Wasserstoff“blondine hätte man auch jenseits des Atlantiks zum Fototermin eingeladen.
Zurück zur Auto-Union – korrigiere: Autofahrer-Union, nein Selbstfahrer-Union. Diese war gewissermaßen ein früherer Vorläufer von „Car Sharing“-Konzepten.
Im Unterschied zu einer klassischen Autovermietung, die es ebenfalls bereits gab, musste man Mitglied sein und einen fixen Jahresbeitrag zahlen, um die verfügbaren Fahrzeuge nach Bedarf nutzen zu können.
Im gesamten Deutschen Reich gab es Stützpunkte, außerdem Niederlassungen in mehreren Nachbarstaaten:

Voraussetzung für die Mitgliedschaft war der „Ariernachweis“ – man sieht: ganz kommt man an der Ideologie jener Zeit nicht vorbei.
Der reguläre Jahresbeitrag betrug 10 Reichsmark, Soldaten der Wehrmacht mussten nur 3 Mark berappen. Einen Sonderrabatt (5 RM) genossen zudem Mitglieder nationalsozialistischer Organisationen wie SA, SS, NSKK usw.
Je nach dem, welches Auto man auswählte, fielen dann individuelle Nutzungsgebühren an.
Diese staffelten sich nach Entfernung, Nutzung wochen- oder feiertags sowie natürlich nach Wagentyp. Auf jeden Fall war eine Kaution von 100 Reichsmark fällig, die zugleich der Selbstbeteiligung im Rahmen der separat zu zahlenden Versicherung entsprach.
Bemerkenswert ist nun, welche Wagen die Selbstfahrer-Union anbot. Blättern wir doch einfach durch die Broschüre durch und schauen, welche Typen verfügbar waren:

Das Einsteigerangebot stellte kaum überraschend der obige DKW F7 mit Zweitaktmotor und Frontantrieb dar. Günstiger und zuverlässiger konnte man kaum vier Personen einigermaßen kommod und mit ordentlichem Landstraßentempo transportieren.
Sicher gab es noch kompaktere Wagen am deutschen Markt, doch das waren keine vollwertigen Automobile, weshalb sie reine Nischenexistenzen führten.
Den kleinen DKW – der übrigens die vier Ringe der Auto-Union auf dem Kühler trug – konnte man ausweislich der Broschüre als Cabrio-Limousine wie abgebildet oder als ganz geschlossene Ausführung „buchen“.
Ebenfalls aus dem Hause DKW gab es daneben dieses Schmuckstück:

Technisch bot der DKW F7 in der Ausführung als Luxus-Cabriolet gerade einmal 2 PS mehr und eine etwas höhere Spitzengeschwindigkeit (die Literatur nennt 85 km/). Doch ästhetisch wie von der Verarbeitung her repräsentierte dieser Wagen eine Klasse für sich.
Die bei Horch gebaute Karosserie war mit Blech beplankt, nicht mit Kunstleder bespannt, serienmäßig gab es sportlich wirkende Drahtspeichenräder, Zweifarblackierung und reichlich Chrom. Besonders elegant war die wie ein Kometenschweif auslaufende seitliche Zierlinie.
Gestalterisch war der DKW von den großen Horch-Wagen aus dem Auto Union-Verbund inspiriert und mir fällt kein Kleinwagen ein, der jemals wieder diese formale Klasse erreicht hätte.
Bevor wir uns weiteren alten Bekannten aus dem Hause Auto-Union widmen, kommt als nächster tatsächlich ein Adler an die Reihe:

Zumindest in der Selbstfahrer-Union führte der ebenfalls frontgetriebene, aber mit 4-Zylinder-Viertakter souveräner motorisierte Adler eine friedliche Koexistenz mit dem DKW der Auto-Union.
Dabei waren die beiden in der Praxis scharfe Konkurrenten. Solventere Käufer entschieden sich für den solideren und erwachsener wirkenden Frankfurter, an dem es gestalterisch nichts zu mäkeln gab, wenngleich der Verbrauch merklich höher war.
Dass bereits ein kleines Mehr an Spitzengeschwindigkeit damals allgemein mit deutlich höheren Verbräuchen erkauft wurde, zeigt der nächste Kandidat – wiederum ein Adler:

Der ebenfalls frontgetriebene große Bruder des Adler Trumpf Junior kam zwar mit optisch windschnittiger erscheinender Frontpartie daher, doch unter dem Strich brachte das nicht viel.
Der Geschwindigkeitszuwachs war überschaubar – immerhin konnte jetzt die magische Marke von 100 km/h geknackt werden. Ansonsten fiel der weit stärkere Motor (38 statt 25 PS) durch erheblich höheren Verbrauch auf, war allerdings auch elastischer.
Nach diesem Adler-Intermezzo kehren wir wieder zur „echten“ Auto-Union zurück, und zwar in Form des Wanderer W 24:

Man fragt sich in Anbetracht der Leistungsdaten, weshalb die Selbstfahrer-Union neben dem Adler Trumpf auch den in etwa gleichstarken Wanderer W24 im Programm hatte.
Ich kann mir das nur damit erklären, dass man in dieser Kategorie die Wahl zwischen Front- und Heckantrieb sowie zwischen progressiver und konservativer Formgebung bieten wollte.
Dabei bot jedoch ausgerechnet der Wanderer mit seinen traditionellen Trittbrettern zugleich einige Gestaltungsdetails, die vergleichsweise modern wirkten. Das hilt für die Kühlerpartie und die angedeutete Verbindung zwischen Vorderkotflügeln und Motorhaube.
Formal stimmiger kommt mir jedenfalls der Adler vor, wenngleich seiner Linie ein Trittbrett ebenfalls gutgetan hätte.
Nochmals teurer – und wesentlich – durstiger war der Sechszylindertyp Wanderer 40:

Bei allen Qualitäten krankt dieses Modell an derselben formalen Unentschlossenheit, die irgendwo zwischen Tradition und Moderne umherirrt.
Vom größeren Kofferraum und der Laufkultur des Sechszylinders abgesehen bot diese Ausführung eigentlich nur Nachteile: Höhere Mietkosten als beim Adler Trumpf und dem Wanderer W24 sowie drastisch erhöhten Benzinverbrauch.
Nur die wesentlich bessere Elastizität des großen Motors, die schaltfaules Fahren ermöglichte und besondere Reserven im Gebirge bot, sprach für dieses Angebot.
Noch bemerkenswerter ist jedoch das „Spitzenmodell“, das die Mitglieder der Selbstfahrer-Union“ für ihre Zwecke ordern konnten:

Mit diesem Adler stellte man den angebotenen Wagen der Auto-Union etwas zur Seite, was dort nicht zu haben war: ein Fahrzeug in der damals als besonders modern geltenden Stromlinienform.
Die behauptete Zahl der Insassen (bis zu sechs!) lassen wir einmal unkommentiert.
Legt man Hubraum, Leistung, Spitzengeschwindigkeit und Verbrauch zugrunde, scheint die Karosserieform zwar Effizienzgewinne gegenüber dem Wanderer W40 gebracht zu haben. Vergleichbare Leistungsdaten bot aber auch der Sechszylinder-Fiat 1500 bei erheblich kleinerem Hubraum, weniger exotischer Linienführung und geräumigerem Innenraum.
Ausgerechnet an dem scheinbar zukunftsweisenden „Stromlinien“-Adler Typ 2,5 Liter wird deutlich, wo ein Gutteil der Effizienzgewinne verborgen lag, die später erschlossen wurden.
Mein erstes Auto – ein simpler 1200 VW Käfer mit 34 PS-Motor – schaffte 120 km/h Spitze (und zwar als Dauertempo auf der Autobahn) und konnte im günstigsten Fall in der Ebene bei Tempo 100 mit gut 7 Liter Verbrauch gefahren werden, ansonsten mit 8-9 Litern (eigene Erfahrungswerte).
Der Volkswagen war ja ebenfalls eine Konstruktion der 1930er Jahre, weshalb es mir schleierhaft ist, wieso der fast 60 PS leistende Adler trotz „Stromlinien“form so lahm war.
Entweder war die Karosserie in Wahrheit aerodynamisch ungünstiger als sie aussieht, oder man traute dem Motor keine Dauer-Höchstleistung zu und begrenzte über die Übersetzung die Drehzahl im vierten Gang.
Für die Mitglieder der Selbstfahrer-Union Deutschlands dürfte jedenfalls nach der Lage der Dinge der „Stromlinien“-Adler wenig für sich gehabt haben außer der eigenwilligen Form. Vielleicht hatte Adler versucht, das Modell auf diese Weise in den Markt zu drücken.
Doch aus Nutzersicht werden die Modelle der Auto-Union die Nase vorn gehabt haben, wobei zumindest Adler „Trumpf“ und „Trumpf Junior“ diesen ebenbürtig waren.
Im Angebot der Selbstfahrer-Union Deutschlands waren jedenfalls einst Autos von Adler und der Auto-Union für kurze Zeit als Mitglieder eines illustren Clubs vereint. BMW, Hanomag, Opel und Mercedes waren dort dagegen nicht vertreten…
Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.