Ein Adler “Primus” von 1932 im DDR-Alltag

Spätestens in den 1960er Jahren trennten sich die Deutschen in West und Ost von Wagen, die den Krieg überlebt hatten und ihnen in den Jahren des Wiederaufbaus treue Dienste geleistet hatten. Auch in der DDR standen inzwischen zeitgemäßere Fahrzeuge zur Verfügung.

Doch damals gab es zum Glück Individualisten, die lieber ein “altes Auto” fahren wollten als sich mit moderner Massenware abzugeben. Während heute ein dreißig Jahre altes Auto wie zum Beispiel ein Mercedes 190 ohne Einschränkungen im Alltag gefahren werden kann, sah das in den 1960er Jahren ganz anders aus.

Wer sich damals auf ein Vorkriegsauto einließ, bekam in der Regel schwachbrüstige Motoren mit unsynchronisierten Getrieben, mäßige Bremsleistung, oft nicht vorhandene Heizung und beengte Platzverhältnisse. Die überlebenden Wagen hatten meist einen harten Einsatz im Krieg hinter sich und waren technisch am Ende. Für die Ersatzteilversorgung musste der Schrottplatz herhalten.

Wir heutigen Klassiker-Enthusiasten müssen dankbar sein, dass es einst genügend Altauto-Liebhaber gab, die unter ungünstigsten Bedingungen Wagen der Vorkriegszeit am Laufen hielten. Ein schönes Beispiel dafür zeigt das folgende Originalfoto:

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© Originalfoto Adler Primus in der DDR um 1960, aus Sammlung Michael Schlenger

Der Wagen trägt ein DDR-Nummernschild der ersten Serie, die ab 1953 vergeben wurden. Die Buchstaben standen nicht für Städte oder Landkreise wie in der Bundesrepublik, sondern für Bezirke. Hier handelt es sich um ein Fahrzeug, das im Bezirk Suhl /Thüringen zugelassen war. Der Kleidung nach zu urteilen, ist das Bild Anfang der 1960er Jahre entstanden.

Der Wagen wirkt stark gebraucht, speziell die Kotflügel sehen äußerlich mitgenommen aus. Mit Durchrostungen war aufgrund der damaligen Blechstärken und praktisch nicht vorhandener Hohlräume jedoch kaum zu rechnen. Von der Lackqualität abgesehen macht das Auto einen gesunden Eindruck. Es sind noch die typischen Bosch-Scheinwerfer der Vorkriegszeit montiert, auch der empfindliche Kühler wirkt intakt.

Dass wir es hier mit einem im Alltag genutzten Fahrzeug zu tun haben, ist am Dachgepäckträger zu erkennen, der wohl ein Eigenbau der Nachkriegszeit ist. Gleichzeitig weisen Details darauf hin, dass der Besitzer den Wagen nicht nur unter Nützlichkeitsaspekten schätzt. So erfüllen die nachgerüsteten Scheinwerferschirme keinen Zweck, sehen aber hübsch aus:

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Der vergnügte Gesichtsausdruck der jungen Dame auf der Rückbank weist darauf hin, dass ihr der alte Wagen keineswegs peinlich war. Das Grinsen des Herrn, der unter der Motorhaube hantiert, spricht ebenfalls Bände – vielleicht hat der Fotograf kurz vor diesem Schnappschuss eine witzige Bemerkung gemacht. Wer genau hinschaut, sieht unter seiner Haartolle eine weitere Person hervorlugen – die Schwiegermutter?

Kenner werden die Marke des Wagens spätestens anhand obiger Ausschnittsvergößerung identifiziert haben – es handelt sich um einen Adler der frühen 1930er Jahre. Man kann die dreieckige Plakette des Frankfurter Herstellers auf der Kühlermaske gut erkennen.

Wie es der Zufall will, lassen sich Wagentyp und Herstellungsjahr genau benennen. Bei dem Auto handelt es sich um einen Adler “Primus“, ein konventionelles 4-Zylinder-Modell mit 32 PS aus 1,5 Liter Hubraum. Vorgestellt wurde der Primus 1932, und aus diesem Jahr dürfte auch der abgebildete Wagen stammen. Denn schon 1933 wurde der Flachkühler mit der Chrommaske durch den des  Frontantriebsmodells “Trumpf” ersetzt.

Wir haben es also bei dem Wagen auf dem Foto mit einer Rarität zu tun. Das gilt erst recht für heutige Verhältnisse. Während der frontgetriebene Adler Trumpf noch vergleichsweise häufig anzutreffen ist, ist ein Primus mit Flachkühler nur selten zu sehen. Bei der Classic Gala 2015 im Schlosspark Schwetzingen war ein solches rares Exemplar zu bewundern:

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© Adler Primus, Schlosspark Schwetzingen 2015; Bildrechte: Michael Schlenger

Man darf davon ausgehen, dass der Primus auf dem alten Foto aus DDR-Zeiten heute noch existiert. Vielleicht kann jemand aus der Adler-Szene Näheres dazu beitragen.

2 Gedanken zu „Ein Adler “Primus” von 1932 im DDR-Alltag

  1. Kurze Korrektur zum Kennzeichen: es ist ein tschechoslovakisches Kennzeichen, nach dem System von 1960. Erkennbar am ersten Bindestrich nach den beiden Anfangsbuchstaben. Diesen gab es im DDR System so nicht.
    Zulassungsort ist hier der Raum Olomouc / Olmütz

    Mit Grüßen,
    M. Grunwald

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