Horch 10/50 PS: Neubeginn nach dem 1. Weltkrieg

Wie andere deutsche Automobilhersteller auch brauchte die Nobelmarke Horch nach dem 1. Weltkrieg einige Zeit, um wieder Anschluss an die allgemeine Entwicklung zu bekommen. Bis 1922 stellt man im sächsischen Zwickau noch die Vorkriegsmodelle her, bis sie durch den völlig neuen Typ 10 M abgelöst wurden.

Mit diesen bis 1927 gebauten Wagen, die es als 10/35 PS und 10/50 PS-Ausführung gab, war Horch nicht nur auf der Höhe der Zeit, sondern in mancher Hinsicht führend, zumindest am deutschen Markt. So konservativ die Linienführung wirkt, so kompromisslos modern war die verbaute Technik.

Aber werfen wir erst einmal einen Blick auf eines dieser neuen Horch-Modelle:

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© Originalfoto eines Horch 10/50 PS, späte 1920er Jahre; Bildquelle: Sammlung Michael Schlenger

Das Originalfoto ist von ausgezeichneter Qualität, doch glaubt man erst einmal nicht, dass sich das Fahrzeug identifizieren lässt. Der großgewachsene Herr in Mantel und Schiebermütze hat sich so vor den Kühler gestellt, dass man fast nichts davon sehen kann. Markenlogos sucht man an dem Wagen ansonsten vergebens.

Doch wie so oft helfen mehrere Indizien weiter: Das Stadtbild im Hintergrund, die Insassen und letztlich der Wagen selbst wirken sehr “deutsch”. Für eine so großzügige Tourenwagenkarosserie mit sechs Sitzen kam seinerzeit hierzulande nur eine Handvoll Hersteller in Frage.

Letztlich ist es das Zusammentreffen mehrerer Merkmale, das die Identifikation als Horch 10/50 PS-Modell ermöglicht: die Parabelform der Stahlspeichen, die Gestaltung der Bleche unterhalb der Türen, die verchromten/vernickelten Nabenkappen, die tiefliegenden Kühlluftschlitze und die spitzgiebelartige Form der Motorhaube, die für eine entsprechende Kühlermaske spricht. In Werner Oswalds Standardwerk “Deutsche Autos 1920-45” ist genau diese Ausführung abgebildet.

Zwar waren diese Horch-Modelle noch weit von der gestalterischen Raffinesse der späteren 8-Zylinder-Wagen der Marke entfernt. Doch scheint die Kundschaft auch so verstanden zu haben, dass man damit Fahrzeuge der gehobenen Klasse erwarb. Der Anspruch, den die Geschäftspolitik von Horch (heute würde man von “Philosophie” sprechen) auszeichnete, kam nicht nur in der makellosen Verarbeitung zum Ausdruck. Auch die fortschrittliche Technik zeugt vom Ehrgeiz der Firma.

So hatte das von 1924-26 gebaute 10/50 PS-Modell zwar nur einen 4-Zylinder-Motor mit 2,6 Liter Hubraum. Doch die hängenden Ventile wurden von einer königswellengetriebenen obenliegenden Nockenwelle gesteuert – noch präziser ließ sich das damals kaum bewerkstelligen. Verantwortlich für die Konstruktion war übrigens Paul Daimler, der 1922 zu Horch kam.

Der Motorblock bestand aus einer Aluminium-Legierung, die Kolben waren sogar ganz aus Aluminium. Hochbelastete Flächen waren nitriert, also mit Stickstoff zeitaufwendig gehärtet; eine Bearbeitung war dann nur noch mit Diamanten möglich.

Der Horch 10/50 PS wurde serienmäßig mit Vierradbremsen geliefert – was keine Selbstverständlichkeit darstellte. Ein Novum waren die Bandstoßdämpfer, die dem unkontrollierten Ausfedern entgegenwirkten. Dass immer noch 40 Schmiernippel an Fahrwerk, Lenkung und Bremsen mit Fett versorgt sein wollten, verrät einiges darüber, wie stark Automobilbesitzer einst in Anspruch genommen wurden.

Dennoch: wer einen solchen Wagen Mitte der 1920er Jahre sein eigen nennen konnte, durfte stolz darauf sein. Diese Selbstzufriedenheit kommt in unserem Foto gut zum Ausdruck. Die Herrschaften – wohl eine Familie – hatten sich für die populäre Phaeton-Ausführung entschieden, also den offenen Tourenwagen mit leichtem Verdeck und seitlichen Steckscheiben aus Zelluloid.

Horch_10-50PS_1924-27_Ausschnitt

Die Pelzmäntel der Damen und die Schneereste im Hintergrund verweisen auf einen Wintertag in einer nördlich gelegenen deutschen Stadt – die Backsteinarchitektur spricht dafür. Vielleicht erkennt ein Leser die Silhouette mit der markanten zweitürmigen Kirche und den mächtigen Bastionen.

Nachtrag: Dank eines Fotos aus der Sammlung von Helmut Kasimirowicz konnte ich den Ort als Tangermünde identifizieren.

Dass man bei trockenem Wetter mit einem solchen Wagen auch bei Kälte offen fuhr, mutet in Zeiten beheizbarer Lenkräder irritierend an. Doch auch Vermögende waren damals offenbar aus einem anderen Holz geschnitzt…

Literaturtipp: Kirchberg/Pönisch: Horch – Typen, Technik, Modelle, Verlag Delius-Klasing, 2. Ausgabe 2011, ISBN: 9-783768-817752

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