“Eine große Verwirrung…” das mag manchen an den verdatterten Prediger in der Filmsatire “Leben des Brian” erinnern, der die selbsternannten Verkündiger vorgeblicher Glaubenswahrheiten und ihre Anhänger als lächerliche Figuren gnadenlos vorführt.
Wem dieser britische Anarchohumor nicht subtil genug oder gar anstößig ist, der mag es vielleicht mit Franz Kafkas († 1924) zeitloser Erzählung “Die Abweisung“ halten.
Auch sie handelt von der großen Verwirrung der Leute – diesmal wenn es darum geht, der weltlichen Obrigkeit in Form eines Steuereinnehmers die eigenen Belange vorzutragen.
Die nötige innere Sammlung zu einer selbstbewussten Rede will dem Vertreter der Bürgerschaft dort einfach nicht gelingen, zu verwirrend ist die Präsenz des selbstherrlichen Beamten und der ihn begleitenden Uniformierten:
Mit dem “allerdemütigsten Lächeln, das sich vergeblich anstrengte, auch nur einen leichten Widerschein auf dem Gesicht des Obersten hervorzurufen… formulierte er die Bitte um Steuerbefreiung für ein Jahr, vielleicht auch noch um billigeres Holz aus den Wäldern. Dann verbeugte er sich tief und blieb in der Verbeugung.”
Hübsch, nicht? Und wie so oft bei Meister Kafka bleibt man am Ende in einiger Verwirrung zurück – was war das eigentlich, was er da so merkwürdig präzis geschildert hat? Erlebtes, Geträumtes, vielleicht eine Vision der Verhältnisse 100 Jahre später?
Das muss jeder für sich entscheiden, welchen Reim er sich aus solcher literarisch meisterhaft bewirkten Verwirrung macht. Für ebensolche sorgt indessen auch ganz ohne künstlerische Ambitionen das Foto, das ich heute präsentieren möchte:
Horch 8/24 PS um 1912; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Schon bei Erwerb der Aufnahme war mir klar, dass diese einen Tourenwagen der sächsischen Marke Horch aus der Zeit kurz vor dem 1. Weltkrieg zeigt.
Verflixt, wie kann der Kerl das so einfach erkennen – das mögen Sie jetzt vielleicht denken.
Nun, nach Betrachung einiger tausend solcher Fotos von Autos vorwiegend deutscher Provenienz sammelt sich auch ohne Talent im Kopf zwangsläufig ein Kompendium solcher Abbildungen an, an denen jede neue Aufnahme in Millisekunden abgeglichen wird.
Im vorliegenden Fall genügt für diese Musterkennung, für welche “Künstliche Intelligenz” gigantische Rechenleistung und hochkomplexe Algorithmen benötigt, die Übereinstimmung von genau zwei Elementen:
Das eine sind die schrägstehenden Luftschlitze in der Motorhaube, die es zwar auch bei anderen Herstellern wie etwa Opel gab, aber bei Horch besonders stark geneigt sind (vgl. meine Horch-Fotogalerie:
Das zweite Element ist das Kühleremblem. Davon ist auf den ersten Blick zwar kaum etwas zu erkennen, aber warten Sie einen Moment.
Schneller als jede Künstliche Intelligenz anhand von unzähligen Beispielen mühsam lernt, Übereinstimmungen zuverlässig zu erkennen, kann ich subito das nötige Wissen vermitteln.
Das tue ich anhand einer einzelnen Aufnahme aus meinem Fundus, die noch dazu einen Horch aus völlig anderer Perspektive zeigt:
Horch 6/18 PS oder 8/24 PS um 1912; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Dieser Wagen trägt vorn das Horch-Emblem, wie es etwa ab 1910 bis einschließlich 1912 auf flachem Kühler Verwendung fand. Ab 1913 wich dieser einem Schnabelkühler (also mit vorkragendem Oberteil).
Jetzt sehen Sie sich nochmals die Kühlerpartie des eingangs gezeigten Horch an – sicher sehen Sie dort nun ebenfalls genau dieses Markenemblem.
Können Sie mir folgen, oder habe ich bereits für große Verwirrung gesorgt? Falls nicht, folgt diese auf dem Fuße und ich muss zugeben, dass ich ihr selbst zum Opfer gefallen bin.
Bevor ich bekenne, was mich so nachhaltig verwirrt an diesem Horch, dass mir die Worte fehlen (eine eher seltene Situation), sei noch festgehalten, dass die Proportionen dieses Wagens auf einen Horch der untere MIttelklasse hindeuten.
Sehr wahrscheinlich haben wir es mit dem Typ 9/24 PS zu tun, der 1911 eingeführt wurde und einen konventionellen 2-Liter-Vierzylindermotor besaß. Ein gewisse Neuerung stellte bei Einführung die Druckumlaufschmierung dar.
Die besaß auch das Schwestermodell 6/18 PS, das äußerlich kaum zu unterscheiden war. Doch der große Tourenwagenaufbau und die höhere Stückzahl (ca. 900 vs. 200) machen den 8/24 PS zum wahrscheinlicheren Kandidaten.
Für die heutige Betrachtung sind solche Fragen aber zweitrangig, denn für weit größere Verwirrung sorgt hier etwas ganz anderes:
Erkennen Sie, was ich meine? Oder sind Sie noch nicht verwirrt genug? Sieht doch alles ganz normal aus, könnte einer denken.
Vorne gasbetriebene Scheinwerfer, Holzspeichenräder mit demontierbaren Felgen (und Reifen) – ein dazu passendes Reserverad (also nicht nur der Reifen), dahinter die außenliegenden Hebel für Gangschaltung und Handbremse.
In Reichweite des Fahrers befindet sich außerdem eine Ballhupe, die Frontscheibe ist oben ausklappbar und kann außerdem geneigt werden. Was soll da für große Verwirrung sorgen?
Na, dann schauen wir uns doch einmal an, was sich da sonst noch an Gerätschaften findet:
Keine Probleme bereiten die in das Windlaufblech zwischen Motohaube und Windschutzscheibe halb eingelassenen elektrischen Standlichter.
Doch was ist das für ein zylinderförmiges Rohr neben der Ballhupe? Für die Zeitung sicher zu klein und als Behälter für die Fahrzeugpapiere vielleicht etwas ungünstig angebracht.
Um die Verwirrung noch zu vergrößern, möchte ich außerdem auf die kuriose Rohrleitung verweisen, die vom Armaturenbrett aus zunächst nach oben steigt und dann rechtwinklig nach vorne abknickt um schließlich wieder abzutauchen, dabei immer breiter werdend.
Ich habe eine Vermutung, um was es sich bei diesen ominösen Anbauteilen handelt, doch möchte ich meine möglicherweise unbegründete Interpretation für mich behalten.
Daher sind jetzt Sie an der Reihe, liebe Leser. Und ganz gleich wie groß die Verwirrung sein mag, in meinem Blog sind alle gleichberechtigt, ihre Sicht der Dinge vorzutragen.
Wenn ich hier mit meinen tagebuchartigen Gedanken in Vorlage trete (ein Blog ist genau das: ein Online-Diarium, englisch: Web-Log), dann setze ich diese der Prüfung durch eine beeindruckende Zahl an Kennern und Sammlerfreunden aus, die hier mitlesen.
Also nur zu: Lässt sich die Verwirrung auflösen, die sich bei Betrachtung dieses Fotos eines Horch 8/24 PS von ca. 1912 einstellt? Oder bleibt es letztlich bei der Akzeptanz des Gegebenen wie in Franz Kafkas Erzählung “Die Abweisung”?
Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Eine intensive Arbeitswoche liegt hinter mir – als Solo-Selbständiger muss man nacharbeiten, was sich während des Urlaubs angesammelt hat. Dass einen die Kunden brauchen, ist freilich ein gutes Gefühl, das einen für die eine oder andere Sitzung am Rechner kompensiert.
Nun ist Wochenende und die noch vorhandene Energie wendet sich vom Broterwerb anderen Aktivitäten zu, die einem zwar keiner bezahlt, aber deren Wert in ihnen selbst liegt.
So hat der große alte Maronenbaum ganz hinten im Garten begonnen, seine Früchte abzuwerfen. Ein Teil davon fällt auf den Fußweg neben dem Grundstück, der von Schulkindern, aber auch Nachbarn genutzt wird, die dort mit dem Hund entlanggehen.
Da gilt es jeden Tag, die stachligen Kastanienhüllen einzusammeln, neben dem Abfall, welchen die umweltbewegte Jugend dort ganzjährig fallenlässt. Noch befriedigender war der abendliche Einkauf zwei Orte weiter – angesichts des schönen Wetters mit dem Fahrrad.
Jemand musste den Leuten die Anweisung gegeben haben, dass man im Oktober mit Pullover und Jacke vor die Tür gehen muss – so kam ich mir mit Polohemd merkwürdig vor, als ich bei tiefstehenden Sonne den Radweg durch das Wettertal entlangsauste.
Was andere tun, denken oder meinen, das soll das eigene Urteil nicht beeinflussen – das ist eine der Maximen, die ich meiner Erziehung verdanke, und so halte ich mich für weitgehend immun, was den Herdentrieb angeht.
Man muss ja nicht automatisch richtig liegen, wenn man sich einen eigenen Reim aus den Dingen macht – wobei das speziell in den herausfordernden Jahren von 2020-2022 schon hilfreich war. Oft genug gewinnt man so ein anderes Bild der Welt.
Auch bei der Beschäftigung mit historischen Automobilen – vor allem der Vorkriegszeit – erweist es sich immer wieder als nützlich, nichts zu glauben, alles zu prüfen, und selbst zu denken, wie sich das Programm der Aufklärung zusammenfassen lässt.
Erproben wir das einmal bei einem Objekt, welches auf den ersten Blick ein klarer Fall zu sein scheint, aber sich bei kritischer Betrachtung der konventionellen Einordnung entzieht:
Die großgewachsene und schlanke Dame neben diesem offenbar zweitürigen Cabriolet lässt den Wagen kleiner erscheinen, als er tatsächlich war.
Wer mit scharfem Auge und Sachkenntnis ausgestattet ist, erspäht ein “H” auf dem Kühlergehäuse, registriert die Gestaltung von Kühlerfigur und Radkappen und weiß: das muss ein Horch sein!
Daran kann kein Zweifel bestehen – die sächsische Luxusmanufaktur baute ab Mitte der 1920er Jahre zwar stark von US-Vorbildern geprägte Wagen, doch im Detail waren diese Horch-Automobile unverwechselbar.
Was fällt hier noch ins Auge? Nun, da wäre vor allem die doppelte Reihe an Luftschlitzen in der Motorhaube, aber auch die massive einteilige Stoßstange.
Wie gehen diese beiden Elemente zusammen? Lässt sich daran erkennen, mit welchem Horch-Typ genau wir es zu tun haben?
Das ist das Problem, vor dem wir heute stehen, und das sich meines Erachtens nicht lösen lässt, ohne ein neues Horch-Modell zu erfinden – den nirgends dokumentierten Typ 460!
Schauen wir aber erst einmal, was die Horch-Galerie an Familienähnlichkeit hergibt.
Da wäre zunächst der Horch 420 zu nennen, welcher die erstmals 1931 auftauchenden zwei übereinanderliegenden Reihen Luftschlitze besaß – hier am Beispiel einer Pullman-Limousine:
Diese eindrucksvolle Aufnahme verdanken wir Leser Klaas Dierks, einer derjenigen, die uns immer wieder an den Schätzen aus über Jahre aufgebauten Sammlungen teilhaben lassen.
Sie sehen: Hier kommen Sie in doppelter Hinsicht auf Ihre Kosten – nicht nur stelle ich Ihnen meine Arbeit als Blogger nicht in Rechnung, auch meine geschätzten “Lieferanten” tun dies nicht. Es gibt sie noch, die guten Dinge, das soll an dieser Stelle festgehalten sein.
Die Frontpartie des Horch auf dem obigen Foto stimmt bis auf ein Detail mit derjenigen des zuvor gezeigten Sport-Cabriolets überein. Nur die zweigeteilte statt einteilige Stoßstange unterscheiden die beiden Ausführungen.
Was will uns das sagen? Nun, beide besaßen denselben, 90 PS leistenden Achtzylindermotor mit komplexer Ventilsteuerung (OHC) und 4,5 Litern Hubraum. Der wurde neben dem erwähnten Typ 420 auch im parallel angebotenen 450 angeboten, der allerdings über einen längeren Radstand verfügte.
Auch dieser Horch 450 besaß jedoch weiterhin die zweigeteilte Vorderstoßstange wie der Typ 420. Nur die parallel angebotene Ausführung als Sport-Cabriolet – der Horch 470 – besaß eine einteilige Stoßstange wie der Wagen auf dem Foto von Matthias Schmidt:
Dummerweise zeichneten sich die zweitürigen Horch-Sport-Cabriolets aber durch eine bis zur Windschutzscheibe reichende Motorhaube aus.
Das ergibt sich jedenfalls aus dem Studium des Standardwerks “Horch – Typen, Technik, Modelle” von P. Kirchberg/J. Pönisch, Verlag Delius-Klasing, 2011.
Eine bessere Gesamtschau der Horch-Vorkriegswagen wird man schwerlich finden, aber selbst eine solche von hervorragenden Kennern erstellte Abhandlung kann nicht jede Variante zeigen, die es in der an Spezialmodellen so reichen Horch-Geschichte gab.
Werfen wir zunächst noch einen Blick auf ein Horch-Sport-Cabriolet, wie es sich zwischen 1931 und 1933 typischerweise darstellte – nämlich mit bis an die Frontscheibe durchgehender Motorhaube:
Horch 8 Typ 470 oder 480 Sport-Cabriolet, Bauzeit: 1931-32; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Was ist nun von dem Horch Sport-Cabriolet auf dem Foto von Matthias Schmidt zu halten, welches zwar ebenfalls zwei Reihen Luftschlitze und eine einteilige Vorderstoßstange besitzt, aber dessen Motorhaube nicht bis zur Windschutzscheibe reichte?
Sollte es zwischen den Horch Modellen 420, 440 und 450 einerseits und den Typen 470 bzw. 480 ein bis dato unbekanntes Modell 460 gegeben haben, welches Elemente beider Reihen vereinte?
Ich tendiere zwar zur Auffassung, dass die Wirklichkeit komplexer (mitunter auch völlig anders) ist, als sie einem präsentiert wird, doch im Fall des eingangs gezeigten Horch Sport-Cabriolets meine ich, dass wir es schlicht mit einer Variante des Typs 420 zu tun haben.
Genaueres hätte uns vielleicht die freundliche Dame neben dem fraglichen Wagen sagen können – doch sie ist längst verstummt.
Eine Botschaft aber vermittelt sie uns vielleicht doch: Nehmen wir die Dinge leicht, mit Heiterkeit und erfreuen wir uns selbst und unsere Mitmenschen mit einer gewissen Eleganz, wo es geht, es gibt hässliche Dinge genug…
Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Die Geschichte von Preußen wird von ernsthaften Historikern heute ebenso differenziert betrachtet wie andere Epochen der europäischen Geschichte auch – weder glanzvoll verklärt, noch fanatisch verdammt.
So wollen wir es auch heute halten, wenn es um ein besonderes “Glanzstück” Preußens geht – wir geben einfach wieder, was wir wissen, halten uns an die überlieferten Fakten, stellen keine kühnen Hypothesen auf und stricken keine Legenden.
Erst recht mit dem Abstand von über 100 Jahren können wir uns dem Gegenstand der heutigen Betrachtung unvoreingenommen nähern und seine unverkennbar glänzenden Seiten würdigen wie seine unübersehbaren Mängel erwähnen.
Dazu begeben wir uns – wenn auch nicht mitten ins Getümmel – so doch in das Umfeld der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, des Ersten Weltkriegs.
Die Möglichkeit zu diesem Zeitsprung in die Endphase von Preußens Glanz hat uns ein Sammler ermöglicht, der auf Fotografien jener Zeit spezialisiert ist.
Er kam auf mich zu und bat mich, das folgende Automobil zu identifizieren, von dem er nur wusste, dass es zum Stab der 105. Infanterie-Division gehörte:
Horch Tourenwagen von 1913/14; Originalfoto: Sammlung H. Wild
Eine im wahrsten Sinne glanzvolle Erscheinung, nicht wahr? Doch der preußische Adler auf der hinteren Tür sagt uns zuverlässig, dass wir uns in einer Zeit befinden, in der in Europa die Lichter ausgingen und auf allen Seiten die Kriegsfurien das Kommando übernahmen.
Doch auch wenn das Wappen, das ab 1871 zugleich das des Deutschen Reichs war, auf ein vom Militär genutztes Automobil hindeutet, scheint hier noch ein letztes Mal Preußens Glanz auf – und sei es nur in Form des Lacks dieses eindrucksvollen Gefährts.
Für einen Wagen im Dienst der Armee ist soviel Glanz eher untypisch, doch zeigen auch Beispiele aus der Frühphase des Zweiten Weltkriegs, dass von hohen Offizieren genutzte Wagen anfangs noch in Zivillackierung in den Einsatz fuhren.
Von daher ist anzunehmen, dass diese Aufnahme zu Kriegsbeginn und weit hinter der Front entstanden ist. Wo sich der auf der Rückseite des Fotos vermerkte Stab der 105. Infanterie-Division damals befand, das mögen Kenner ermitteln.
Mein Auftrag ist heute ein anderer, und für den verfüge ich über das nötige Handwerkszeug.
Der versierte Veteran in Sachen deutsche Vorkriegswagen wirft zunächst einen routinemäßigen Blick auf die Vorderpartie des ins Visier genommenen Fahrzeugs, um zu einer möglichst genauen Ansprache zu gelangen:
Festzuhalten ist hier Folgendes:
Der Wagen weist eine nahezu durchgehend horizontale Linie von Motorhaube und Windlauf – der Blechpartie vor der Frontscheibe – auf. Das findet sich bei deutschen Wagen meist erst kurz vor dem 1. Weltkrieg, selten schon 1912, aber gehäuft ab 1913.
Dass wir es mit keinem Wagen aus späterer Kriegsproduktion zu tun haben, dafür spricht, dass er noch über gasbetriebene Scheinwerfer verfügt.
Das sieht man diesen zwar nicht unmittelbar an, denn es sind aus diesem Blickwinkel keine Löcher zum Abzug der Verbrennungsabgase zu sehen. Doch die beiden am Vorderende des Trittbretts montierten Behälter sprechen eine eindeutige Sprache.
Darin wurde durch Reaktion von Calciumkarbid und Wasser das Gas Ethin (landläufig als Acetylen gezeichnet) produziert, welches in den Scheinwerfern verbrannt wurde.
Das Verfahren wurde noch bis in die 1930er Jahren auch für Fahrräder genutzt, doch ab 1913/14 wurden bei Automobilen als Extra bereits die ersten elektrischen Scheinwerfer angeboten. Im Kriegsverlauf setzte sich die neue Technik durch und war ab etwa 1920 Standard – von einigen Kleinstwagen abgesehen.
Somit haben wir erste Indizien für eine Datierung in die Zeit von 1913/14. Weitere Hinweise liefern uns die drei schrägstehenden Luftschlitze in der hinteren Hälfte der Motorhaube.
Diese Konstellation findet man nach meinem Eindruck so nur bei Wagen der sächsischen Manufaktur Horch – hier am kleinen Modell 8/24 PS zu besichtigen:
Dieses Dokument aus dem Fundus des Dresdener Sammlers Matthias Schmidt hat den Vorteil, dass es auch den Markenschriftzug auf dem Kühler und den “Schnabelkühler” zeigt, den Horch 1913 einführte und der nur bis 1914 verbaut wurde.
Vergleichen Sie einmal die nach vorn sanft abfallende Form des Kühleroberteils mit der des eingangs gezeigten Wagens – auffallend ähnlich, nicht wahr?
Nur die Proportionen der beiden Wagen wollen nicht übereinstimmen, auch unterscheidet sich die Zahl der Bolzen an der vorderen Radnabe.
Das ist aber kein Grund, den heutigen glänzenden Kandidaten nicht ebenfalls als Horch von 1913/14 zu identifizieren. Denn wie damals üblich unterschieden sich die unterschiedlich motorisierten Modelle eines Herstellers meist nur in den Dimensionen.
Das kann man schön am folgenden Horch nachvollziehen, der ebenfalls mit drei schrägstehenden Luftschlitzen in der hinteren Haubenhälfte und Schnabelkühler daherkommt, aber wesentlich größer ist als der Typ 8/24 PS:
Horch Aufsatzlimousine von 1913/14; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Dass obiges Exemplar einen geschlossenen Aufbau trägt, können wir getrost ausblenden. Denn bei diesen frühen Automobilen war in der Regel nur der Vorderwagen marken- und typspezifisch, die übrige Karosserie konnte vom Kunden frei gewählt werden.
Festzuhalten ist hier auch die übereinstimmende Gestaltung der Radnaben. Von daher bin ich – im Rahmen des Möglichen – sicher, dass auch der heute vorgestellte Wagen aus dem Fuhrpark der 105. Infanterie-Division ein großer Horch von 1913/14 war.
Als Motorisierung kommen vor allem die beiden mittleren Vierzylinder 14/40 PS (3,6 Liter) und 18/50 PS (4,7 Liter) in Betracht. Denkbar ist außerdem der ab 1914 gebaute Hubraumriese 25/60 PS (6,4 Liter), der identische Außenabmessungen aufwies.
Viel mehr lässt sich nach meinem derzeitigen Kenntnisstand zu dem großen Tourer auf dem heute vorgestellten Wagen nicht sagen.
Wie man sieht, hatte er zum Aufnahmezeitpunkt vom einstigen Glanz schon ein wenig eingebüßt und die eine oder andere Formveränderung erfahren.
Nur der auf dem Trittbrett montierte Karabiner des deutschen Standardtyps K98k wirkt noch fabrikneu – er war für Notfälle vorgesehen:
Auch der preußische Adler erscheint hier noch frisch und unversehrt, doch waren seine Tage gezählt, als der Fotograf den Auslöser betätigte. Die damaligen Zeitgenossen und auch der Fahrer dieses Horch konnten das nicht wissen.
Wo mögen die Gedanken des Kraftfahrers am mächtigen Lenkrad zum Zeitpunkt der Aufnhame gewesen sein? Wohl daheim bei seiner Familie, für die diese Aufnahme vermutlich gemacht wurde.
Als Chauffeur irgendwelcher “hohen Tiere” hatte er es vergleichsweise gut getroffen, während der Großteil seiner männlichen Altersgenossen in den Schützengräben täglich dem Tod ins Auge sahen.
Für die Männer dort war Preußens Glanz schon kurz nach Kriegsausbruch passé, als der große Horch-Tourer noch eine glänzende Erscheinung abgab.
Doch war es nur eine Frage der Zeit, bis auch dieser Wagen und die Abenteuer, die er erlebt haben mag, Geschichte waren.
Von diesen Horch-Automobilen jener Zeit, die nur in wenigen hundert Exemplaren entstanden und hohen Chargen vorbehalten waren, haben so gut wie keine die Zeiten überdauert.
So sind es nur solche Bilder, auf denen sie ein letztes Mal von Preußens Glanz künden…
Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Woran denken Sie beim Stichwort “Horch”? Doch wohl am ehesten an einen der grandiosen Repräsentationswagen der 1930er Jahre, die der sächsischen Marke ewigen (nach menschlichem Ermessen) Ruhm gesichert haben.
Stellvertretend dafür hier die Aufnahme eines Horch 853, die ich 2017 vor der Kulisse von Schloss Dyck am Niederrhein gemacht habe:
Horch 853 Cabriolet, Schloss Dyck 2017; Bildrechte Michael Schlenger
Ich behaupte, dass man gar nicht so verdorben von der Moderne sein kann, um diese an Kunst grenzende Meisterschaft der Gestaltung nicht bewundern zu müssen.
Wie im Fall des Jugendstils vor dem 1. Weltkrieg hat man den Eindruck, dass hier ein Gipfelpunkt erreicht war, auf den nur ein verheerender Absturz folgen konnte.
Es sollte nach 1945 etliche Jahre dauern, bis von Italien ausgehend wieder Karosserien entstanden, die solche skulpturenhafte Qualitäten besaßen, nun auf reduzierte, doch immer noch hochelegante Art.
Horch sollte freilich diese Renaissance der schönen Form nicht mehr erleben, für solche großbürgerliche Opulenz war im “Arbeiter- und Bauernstaat” DDR kein Platz mehr.
Nach dem Waffenstillstand 1918 hatte das noch anders ausgesehen. Horch war unbeschadet durch den Krieg gekommen und profitierte die ersten Jahre von der Scheinblüte am deutschen Automarkt. Diese war von der Ahnung getrieben, dass es mit der durch Kriegsschulden ausgehöhlten Währung kein gutes Ende nehmen würde.
Wer nach Kriegsende noch Vermögen besaß, investierte sein Geld oft in ein Automobil, denn dieses würde seinen Nutzen und damit auch wirtschaftlichen Wert behalten.
So konnte Horch bis 1922 seinen Typ 33/80 PS-Typ mit gigantischem 8,5 Liter-Vierzylinder ebenso im Programm behalten wie das 6,4 Liter-Modell 25/60 PS. Im mittleren Segment baute man die Typen 18/50 PS (4,7 Liter Hubraum) und 14/40 PS (3,6 Liter) weiter.
Diese leistungsstarken Modelle waren während des Kriegs als Offizierswagen im Einsatz und machten einiges her – hier ein großer Horch mit dem 1914 eingeführten Spitzkühler:
Horch “Salonwagen” aufgenommen im 1. Weltkrieg; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks
Dass diese leistungsstarken Modelle nach 1918 tatsächlich weitergebaut wurden – wenn auch nur in überschaubaren Stückzahlen, das ist durch die Literatur zu Horch belegt.
Daneben bot Horch bis anno 1922 noch das “kompakte” Modell 8/24 PS mit 2,1 Litern Hubraum an, das bereits 1911 präsentiert worden war. Der Vollständigkeit halber sei auch das Einstiegsmodell Horch 6/18 PS genannt, das jedoch 1920 eingestellt wurde.
Besagter Typ 6/24 PS erhielt nach dem 1. Weltkrieg einen nochmals modifizierten Spitzkühler, während frühere Exemplare noch den ab 1912 verbauten Schnabelkühler besaßen. Hier haben wir ein Beispielfoto aus dem 1. Weltkrieg:
Die Identifikation dieses Horch als Typ 8/24 PS verdanken wir übrigens dem Markenspezialisten Prof. Peter Kirchberg, teilte mir der Besitzer der Originalaufnahme mit.
So wenig sich unter dem Blechkleid in technischer Hinsicht getan hatte, so vollkommen anders kam der Horch 8/24 PS nach dem 1. Weltkrieg in äußerlicher Hinsicht daher.
Der birnenfömige Schnabelkühler war einem schnittigen Spitzkühler gewichen, anstelle der Gasscheinwerfer war nun elektrische Beleuchtung Standard. Nicht zuletzt war die Schwellerpartie zwischen Trittbrett und Aufbau ganz geschlossen worden:
Horch 8/24 PS ab 1919; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger
Leider steht hier der Fahrer vor der Haubenpartie, auf der sonst die ebenfalls umgestalteten Luftschlitze zu sehen wären – sie waren nun vertikal statt nach hinten geneigt.
Zur Andersartigkeit des Erscheinungsbilds trägt zudem die abweichende Ausführung des oberen Karosserieabschlusses entlang des Innenraums bei. Hier ist nun eine leicht nach innen eingezogene “Schulter” zu erkennen, die man bei deutschen Wagen der unmittelbaren Nachkriegszeit sehr oft findet.
Der Wirkung dieses an sich gelungenen Tourenwagens etwas abträglich ist die seitlich montierte Steckscheibe. Diese weist im Unterteil eine Klappe auf, die es dem rechts sitzenden Fahrer erlaubt, die hier noch außerhalb der Karosserie liegenden Hebel für Gangschaltung und Handbremse zu betätigen.
Wer übrigens Zweifel hegt, dass wir es mit einem Horch und keinen Opel zu tun haben – die Rüsselsheimer verbauten damals optisch ähnliche Spitzkühler – der sei auf folgende Ausschnittsvergrößerung verwiesen:
Hier lässt sich mit etwas gutem Willen der kursive Schriftzug “Horch” erkennen. Das Nummernschild verweist übrigens auf eine Zulassung dieses Autos im Raum Erfurt.
Leider ist über die Besitzer dieses Wagens sowie Ort und Zeitpunkt der Aufnahme nichts bekannt. Nach 100 Jahren verlieren sich die Spuren des Daseins im Regelfall zusehends – machen wir uns keine Illusionen: mit uns wird das genauso geschehen.
Ob wohl die flüchtigen Zeugnisse des digitalen Zeitalters überhaupt ähnliche Überlebenschancen wie die physischen Fotoabzüge aus der Welt unserer Vorfahren haben? Es soll ja Leute geben, die ihr ganzes Leben auf ihrem Smartphone oder – noch dümmer – in der “Cloud” dokumentiert haben. Da könnten schon die Enkel mit nichts dastehen…
Ein letztes Wort noch zum Stichwort “Luxus” im Zusammenhang mit diesem doch eher bescheiden wirkenden Horch mit seinem kompakten 24 PS-Motor. Für das reine Chassis mit Motor (aber ohne Aufbau) ist ein Preis von 6.000 Mark überliefert.
Klingt erst einmal nicht so aberwitzig, oder? Aber bei solchen Angaben hilft es enorm, sie in Relation zu den Einkommensverhältnissen eines Durchschnittsverdieners zu setzen.
Die entsprechenden Daten sind seit 1891 durchgängig dokumentiert und beziehen sich auf die Gesamtheit aller Arbeiter und Angestellten in Deutschland (ohne Beamte). Demnach betrug anno 1919 das durchschnittliche Jahreseinkommen brutto gut 2.000 Mark.
Für den kompakten Horch mit seiner keineswegs starken Motorisierung hätte ein deutscher Durchschnittsverdiener damals also drei Brutto-Jahreseinkommen aufbringen müssen – und da war die Karosserie wie erwähnt noch nicht dabei.
Man ersieht daran, welch’ ein Luxus selbst dieser Horch der unteren Mittelklasse damals war. Es wurden auch nur etwas mehr 900 Stück davon gebaut – über einen Zeitraum von 10 Jahren. Einem dieser Wagen nach gut 100 Jahren hier zu begegnen, das darf ebenfalls als Luxus gelten…
Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Februar 2023 – der Jahreswechsel liegt gefühlt schon weit zurück.
Für mich ist der Januar stets ein besonders arbeitsreicher Monat – nur in der ersten Dezemberhälfte drängen sich so viele Aufträge von Kunden, die unabhängig von der Auslastung unbedingte Präzision und Termintreue erwarten.
Da kann es schon einmal vorkommen, dass noch eine Spätschicht oder ein Wochenendeinsatz eingelegt werden muss. Andere Selbständige kennen das – man ist nicht immer begeistert, aber anders kommt kein Geld herein.
Auf wenig Begeisterung stoßen da Nachrichten, dass die “Beschäftigten” im maßlos überdehnten Staatsdienst mal eben 10 % Inflationsausgleich fordern. Mein Stundensatz bleibt 2023 unverändert, die Konkurrenz erzwingt es…
Auch sonst ist das Umfeld nicht gerade stimmungsfördernd – dann noch das Wetter. Heute habe ich ein wenig Selbstanalyse betrieben und beschlossen, dass man etwas gegen das Aufkommen schlechter Laune tun muss – und kann!
So will ich fortan dem Thema Stil im Automobilismus mehr Raum schenken. Dabei stehen die Fahrzeuge eher im Hintergrund, geben bestenfalls eine reizvolle Kulisse ab. Am besten eignen sich dafür Wagen, die ich schon erschöpfend besprochen habe.
Den Anfang macht heute die Aufnahme eines Horch 303 – des Ende 1926 präsentierten ersten Achtzylinderwagen der sächsischen Marke.
Man hatte erkannt, dass man den zunehmenden Importen von US-Wagen etwas Besonderes entgegensetzen musste – die Amis boten übrigens schon Anfang der 1920er Jahre 8-Zylinder-Wagen an, etwa diesen Cole V8:
Cole V8 mit deutscher Zulassung; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Da die Amerikaner in allen Größenklassen preislich unschlagbar waren und in Deutschland die Grundlagen für eine vergleichbare Massenproduktion fehlten, blieb nur die Abgrenzung durch besondere Raffinesse.
Horch gelang das als Erstem und Einzigem nachhaltig durch die Entwicklung eines besonders aufwendig ausgeführten Reihenachtzylinders mit zwei obenliegenden Nockenwellen, die von Königswellen angetrieben wurden.
Der dadurch ermöglichten Effizienz des Gaswechsels im Zylinderkopf stellten die amerikanischen Fabrikate schiere Kraft aus großen Hubräumen gegenüber. Das hörte man übrigens auch. Letztlich war es eine Frage des Stils, welchen Ansatz man bevorzugte.
Unter den deutschen Herstellern machte jedenfalls Horch auf viele Jahre das Rennen in der 8-Zylinder-Kategorie. Schon während der kurzen Bauzeit der ersten Serie (1927/28) wurden rund 3.500 Exemplare dieser Wagen an den Mann gebracht.
Interessanterweise stand die ans Banale grenzende Optik des ersten Achtyzlinders von Horch dem Erfolg bei der solventen Kundschaft keineswegs entgegen:
Horch 303 oder 304; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Diese Herrschaften hatten sogar das Kleingeld für einen Fahrer – sie hätten sich also etwas optisch Extravagantes leisten könnten, wollten sie aber nicht. Das hat Stil!
Damit verlassen wir die Ebene der Daten und Fakten – wenn Sie sich im Hinblick auf die frühen Horch-Achtzlinder (303-400) einlesen wollen, finden Sie in meinem Blog Material in Fülle. Die späteren Typen arbeite ich nach und nach ebenfalls ab.
Der Horch 303 begleitet uns mit seinem 60 PS leistenden 3,1 Liter-Aggregat unauffällig, während es weiter auf’s Land hinausgeht. Die Straßen sind nur mäßig befestigt und ziemlich staubig – gut, dass wir in einer Limousine sitzen, andere sind noch mit Tourern unterwegs.
Der Motor und die saugluftunterstützten Vierradbremsen sind jeder Situation gewachsen – sofern man nicht meint, das Spitzentempo von 100 km/h unbedingt hier erproben zu wollen.
Dennoch ergibt sich beim Autowandern in der Einsamkeit ein unerwarteter Halt. Ein Motorradfahrer steht mit seiner Maschine am Straßenrand, er behebt einen Defekt an der Zündanlage.
Die Gegnerschaft von Auto- und Motorradfahrern, auf die man in der Moderne bisweilen stößt, gibt es noch nicht. Es gilt: Alle Führer von Kraftfahrzeugen sind Kameraden! Also halten wir an, grüßen freundlich und erkundigen uns nach dem Defekt.
Der ist bereits behoben, sodass uns nichts weiter zu tun bleibt, als uns ein wenig über die Straßenverhältnisse auszutauschen und uns nach einem Café in der nächsten Stadt zu erkundigen – denn Reisen macht auch mit 8 Zylindern müde und durstig.
Es ergibt sich ein kleines Gespräch über dies und das. Der Motorradfahrer ist ein gut situierter Geschäftsmann, der in seiner knappen Freizeit gern sportlich unterwegs ist.
Wir fixieren ihn ein wenig skeptisch, während er in gewählten Worten von den Freuden des Kurvens auf zwei Rädern schwärmt – er wird doch kein Schnösel sein?
Horch 303; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Na, was sagen Sie? Ist das nicht ein wunderbares Zeugnis einer Begegnung eines Horch 303 aus Leipzig mit einem Motorrad irgendwo auf einer geschotterten Nebenstraße?
Im Hintergrund zieht ein Zug mit längst vergessener Präzision seinem Ziel entgegen. Mehr Zeitkolorit und Stil kann man von so einem Dokument nicht wollen.
Vielleicht war man ja sogar auch zusammen unterwegs und hier ist “nur” ein kurzer Zwischenhalt zur Besprechung der weiteren Route dokumentiert – vollkommen egal.
Den beiden Männern in typischer Lederkluft – natürlich mit weißem Hemd und Krawatte, wie damals selbstverständlich – gehört unsere ganze Aufmerksamkeit und los geht das Kopfkino. Da hat der Horch-Achtzylinder im Hintergrund keine Chance.
So etwas werden Sie jetzt öfters in meinem Blog finden – denn wir brauchen alle ab und zu kleine Fluchten und Glücklichmacher….
Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Für vorweihnachtliche Bücherempfehlungen ist es etwas spät, zumindest mit Blick auf 2022, aber davon unabhängig rate ich dringend zur Lektüre “umstrittener” Autoren – es gibt kaum etwas, das mehr Denkanstöße verspricht.
Mit dem Warnhinweis “umstritten” wollen etablierte Kreise verhindern, dass man ihre Deutungshoheit (=Macht) in Frage stellt. Bekanntlich waren Sokrates und Galilei einst ebenso umstritten wie später Darwin oder Einstein. Heute ist es vielleicht Elon Musk.
In der Wissenschaft setzt der Fortschritt die Infragestellung des Konsens sogar voraus. Auch andernorts kann der Selberdenker Impulse aus “umstrittenen” Thesen beziehen. Ein eifriger Produzent frei flottierenden Gedanken – ergo: “umstritten” – war Friedrich Nietzsche.
Was wird diesem Meister der deutschen Sprache nicht alles Schlimmes vorgeworfen! Er sei ein böser Frauenfeind gewesen – aus seiner Biografie gewinnt man einen anderen Eindruck.
Doch wer etwas vom Stapel lässt wie: “Das Weib war der zweite Fehlgriff Gottes”, muss von beschränkten Neidern niedergemacht werden.
Bei Nietzsche – Zertrümmerer und Schöpfer zugleich – findet sich auch etwas Passendes, wenn man sich damit befasst, wie die sächsische Marke Horch in den 1930er Jahren ihr Selbst suchte und am Ende zu sich fand.
“Werde, der Du bist” – so übertrug Nietzsche eine Mahnung des griechischen Dichters Pindar an den König Hieron von Syrakus (5. Jh. v. Chr.). Im Kern ist damit gemeint, das im eigenen Wesen Angelegte zu erkennen, zu kultivieren und nach außen kenntlich zu machen.
Genau das hatte Horch Anfang der 1930er nötig. Gewiss, man baute damals großartige Autos, so etwa das repräsentative Modell 375, das über den 1928 eingeführten 4-Liter-Motor mit 80 PS verfügte und leicht an der Dreifach-Stoßstange zu erkennen ist:
Horch 375 Sport-Cabriolet in den Niederlanden; Foto bereitgestellt von Henk Schuuring
Dieses wunderschöne Fahrzeug nahm 1930 am Concours d’Elegance im niederländischen Hilversum teil – der Aufbau könnte von Gläser (Dresden) stammen.
Bei aller Begeisterung ist allerdings auch zu konstatieren, dass die Frontpartie schlicht ein Plagiat des Cadillac von 1928/29 war – kein Ruhmesblatt für die stolze Firma Horch.
Aber Ende der 1920er Jahre galten nun einmal die Amerikaner hierzulande als maßgebend, was das Erscheinungsbild eines solchen Wagen angeht und den deutschen Herstellern fiel (noch) nichts Eigenes ein, das damit standhalten konnte.
Das sollte sich ändern, nachdem ab 1930 auf dem Chassis des Horch 375 ein auf 5 Liter aufgebohrter Motor angeboten wurde, der nunmehr satte 100 PS leistete.
Dieser Typ 500, dessen Bezeichnung nur zufällig zum Hubraum passt, wurde anfänglich noch in enger Anlehnung an den Horch 375 gestaltet:
Horch 500 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Diese Limousine unterscheidet sich äußerlich nur durch die nunmehr bis vorne reichende Reihe Luftschlitze vom schwächeren Typ 375, der bis 1931 noch daneben verfügbar war.
Doch irgendwann muss jemand bei Horch den Hebel umgelegt und beschlossen haben, dass man lange genug den US-Luxuswagen nachgeeifert sei.
So begann man ab 1932 den Typ 500 mit einer zunehmen eigenständigen Linie auszustatten.
Elemente wie die Luftklappen in der Motorhaube waren zwar noch amerikanischen Vorbildern entlehnt, doch die Kühlergestaltung nahm eigene Züge an:
Horch 500 B Pullman-Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Auch die seitlich und vorne weit heruntergezogenen Vorderkotflügel waren Merkmal einer zunehmend eigenständigen Gestaltung, die schließlich in den fabelhaften Modellen der fortgeschrittenen 1930er Jahre mündete, mit denen Horch bis heute anhaltenden Ruhm erlangte.
Hier ist im Ansatz zu erkennen, wie die Marke zu dem wurde, was sie eigentlich war – “der” führende Hersteller repräsentativer Automobile in Deutschland.
Mercedes-Benz hatte auf dem Sektor zwar auch Großartiges zu bieten, baute aber zugleich auch biedere Mittelklassewagen mit schon damals irritierender Untermotorisierung – merkwürdig angesichts des rasch Gestalt annehmenden deutschen Autobahnnetzes.
Typisch deutsch war an dem Horch 500 B die abgebildete Karosserieausführung mit Cabriolet-Verdeck, aber feststehenden Türsäulen. Dafür gab es die Bezeichnungen Pullman-Cabriolet oder auch Sedan-Cabriolet.
Dem angeblichen deutschen Ordnungssinn – meines Erachtens ein aus punktueller Detailversessenheit entstandener Mythos – zuwiderläuft hier wieder einmal das nachlässig niedergelegte Verdeck.
Das ging mit Sicherheit akkurater, wenn man wollte:
Gut gefällt mir auf diesem Ausschnitt das Spiel der geschwungenen Linien entlang der Flanke, das den Karosseriekörper weniger massig erscheinen lässt, als er tatsächlich war. Gleichzeitig wirken die Türen dank der getreppt gestalteten Oberkante niedriger.
Solche Kunstgriffe waren kein Ornament um seiner selbst willen, sondern wohldurchdachte gestalterische Elemente, die einem bestimmten ästhetischen Zweck dienten. Diese raffinierte Linienspiel findet man in den 1920er Jahren nur ausnahmsweise.
Bei aller Anerkennung für den eigenen Charakter dieses eindrucksvollen Wagens ist auf demselben Foto noch etwas anderes zu sehen, was im Schatten des Horch ebenfalls auf dem Weg zu sich selbst war – nämlich eine Fiat 1100 Limousine:
Der ab 1937 gebaute kleine Fiat mit seinem drehfreudigen und weichlaufenden Motor (ich kenne das Aggregat aus eigener Erfahrung) stellte die Basis für einen Welterfolg dar, der erst Jahrzehnte später endete (Näheres dazu hier).
Zugleich waren die agilen Motoren des Fiat 1100 unter sportbegeisterten Zeitgenossen begehrt, da sie erhebliche Leistungsreserven bargen und dennoch zuverlässig blieben.
Während die Geschichte von Horch 1945 endete, sollte Fiat noch lange mit seinem ganz eigenen Wesen Erfolg haben – leider ist davon außer der Form des 500er nichts geblieben…
Irgendwann ist alles Geschichte. Unterdessen hat uns eine geheimnisvolle Fügung dazu bestimmt, im großen Gang der Dinge unser kleines Dasein zu bewältigen.
Die Beschäftigung mit den faszinierenden Kreationen der Vorkriegszeit bestärkt uns heute vielleicht in der uralten Maxime: “Werde, der Du bist“.
Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Erst kürzlich habe ich hier die Aufnahme eines ganz frühen Horch vorgestellt, den ich auf 1901/02 datieren würde.
Von dort war es ein weiter Weg bis zu den atemberaubenden Kreationen der sächsischen Marke in den 1930er Jahren, die das letzte Aufbäumen der reinen Lust am Schwelgen in der puren Opulenz der Formen im Automobilbau repräsentierten.
Bei aller Eleganz speziell italienischer Karosserien der 1950er bis 1970er Jahre – deren vollkommenster Vertreter vielleicht der Ferrari “Dino” war – eine vierrädrige Skulptur wie diesen Horch 853 hat es nicht annähernd jemals wieder gegeben:
Horch 853 Sport-Cabriolet; Bildrechte: Michael Schlenger
So kam bei Horch tatsächlich das Beste zum Schluss – oder zumindest kurz vor Toresschluss anno 1945.
Das gilt auch für den Bilderreigen, mit denen ich Sie, liebe Leser, heute verwöhnen will.
Der automobile Gegenstand desselben ist auf den ersten Blick recht prosaisch – es handelt sich um das Vierzylindermodell Horch 10/50 PS, das um die Mitte der 1920er Jahre entstand und heute im Schatten der großartigen Achtzylinder steht, die darauf folgten.
Wie ich im Folgenden zeigen will, vermag jedoch auch dieses sachliche Modell eine magische Wirkung entfalten, je länger man sich damit beschäftigt. Das liegt aber weniger an dem Fahrzeug selbst als den Situationen, in denen es einst festgehalten wurde.
Dabei kommt das Beste zum Schluss – versprochen! Beginnen will ich mit einer braven Limousine des Typs:
Horch 10/50 PS Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Woran mangelt es diesem Auto außer an einem wirklich markanten “Gesicht”? Natürlich am belebenden menschlichen Element. Die Damen an Bord scheinen uns zwar freundlich gesinnt zu sein, sie sind aber eindeutig zu zurückhaltend, um Leidenschaft zu wecken.
Gut, dann probieren wir es einmal mit dem anderen Extrem, einem von allerlei Volk umlagerten Horch 10/50 PS – hier in der raren Ausführung als Landaulet:
Horch 10/50 PS Landaulet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Man sollte meinen: Hier ist etwas für jeden Geschmack dabei, sogar für die Hundeliebhaber.
Bloß der Horch 10/50 PS kommt hier entschieden zu kurz, was gewiss nicht an seiner beachtlichen Länge von 4,50 Meter lag.
Probieren wir es mit einem besser ausbalancierten Beispiel wie diesem:
Horch 10/50 PS Chauffeur-Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Gut, die Inszenierung verdient Anerkennung und wieder einmal muss man feststellen: Solche Fotos lassen sich mit dem heutigen Kfz-Material nicht annähernd realisieren.
Vermutlich würde das in unseren Tagen in die fragwürdige Kategorie “Kunst-Performance” fallen, in der jeder seine Obsessionen publik machen kann. Damals brachte man so etwas aus dem Stegreif im Rahmen einer reinen Privataufführung.
Zu konstatieren ist allerdings, dass der Horch hier ein wenig unvorteilhaft erscheint. Der riesige Passagierraum dominiert, während das Motorabteil, in dem die vier Zylinder die ganze Drecksarbeit für die feinen Herren machten, unverdient im Schatten steht.
Entschieden respektvoller traten diese Burschen auf:
Horch 10/50 PS Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Auf diesem Dokument gewinnen wir erstmals einen Eindruck von der respekteinflößenden Frontpartie des Horch 10/50 PS, bei der man sich einiges von den zeitgenössischen Sechszylindermodellen von Fiat abgeschaut hat.
Mit diesem Bild verabschieden wir uns nun von den geschlossenen Versionen des Modells, die weit seltener waren als die offenen Tourenwagenausführungen. Diese werden uns von nun an bis zum Schluss begleiten.
Das erste Exemplar, das mir vor einigen Jahren den Horch 10/50 PS nahegebracht hat, war dieses:
Horch 10/50 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Kühl und wenig freundlich wie der Tag, an dem er einst für die Nachwelt festgehalten wurde, stellt sich dieser Wagen dar.
Wie anders ist das Bild dagegen, wenn man sich ganz den Insassen zuwendet – beispielsweise denen in diesem Exemplar:
Horch 10/50 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Schön und gut, aber hier ist doch von dem Horch kaum etwas zu sehen – interessanterweise aber genug, um den Typ präzise zu identifizieren.
Begeben wir uns also auf die Suche nach einer Aufnahme, bei die Verhältnisse eher zu überzeugen wissen. Wie wäre es mit diesem hier?
Horch 10/50 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Ach nein, das ist es auch noch nicht – nun wirkt der Wagen zu dominant und die Insassen erscheinen zu distanziert.
Nebenbei ist dies eine Aufnahme, bei der die Ähnlichkeit mit den großen Fiats jener Zeit besonders ins Auge fällt. Später nahm Horch bei den 8-Zylindertypen an Cadillac genau Maß – eine eigene Formensprache entwickelte man erst in den 1930er Jahren.
Schon ansprechender als zuvor erscheint der Horch 10/50 PS hier:
Horch 10/50 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt
Allerdings entfaltet der Wagen hier nur deshalb Wirkung, weil die Passagiere im Heck von der stocknüchternen Seitenpartie ablenken, an der kein irgendwie geschulter Gestalter mitgewirkt haben kann.
Erschreckend kalt wirkt die Tourenwagenausführung des Horch 10/50 PS, wenn nur noch der Fahrer darin verbleibt – dieses Nichts an Formgebung hinter der vorderen Sitzbank kann man nicht ernsthaft schönreden:
Horch 10/50 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt
Hier hilft wieder einmal nur ein klassisches Ablenkungsmanöver – wir brauchen also Leute, welche das Passagierabteil mit Leben füllen.
Das ist auf folgender Aufnahme doch recht gut gelungen, oder?
Sagen wir: Das kann man als Versuch in die richtige Richtung gelten lassen, aber die abgebildeten Zeitgenossen sorgen noch nicht so recht für Begeisterung.
Dasselbe ist an der folgenden Aufnahme zu beanstanden, so unterhaltsam sie auf den ersten Blick erscheinen mag – was allein der wagemutigen Dame zu verdanken ist:
Horch 10/50 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Mmh, wir scheinen hier an gewisse Grenzen zu stoßen – bislang will keine dieser Aufnahme so richtig umwerfen, so sehenswert sie alle sind.
Wir haben aber zum Glück noch etwas “neueres” Material – sämtliche bisher gezeigten Fotos sind nämlich alte Hüte, die ich schon einmal präsentiert habe.
Wer bis hier durchgehalten hat, wird ab jetzt nur noch bislang unpublizierte Aufnahmen zu sehen bekommen – und nicht vergessen: das Beste kommt zum Schluss.
Schauen wir also, was sich zwischenzeitlich eingefunden hat. Da wäre etwa diese Aufnahme, die in Wiesbaden vor dem mondänen Hotel “Nassauer Hof” entstand:
Horch 10/50 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Der Horch in der hinlänglich bekannten Tourenwagenversion profitiert in dieser Situation von der palastartigen Fassade, von der einiges bis in die Gegenwart erhalten geblieben ist.
Aber seien wir ehrlich: Vor einer derartigen Kulisse verblasst so ein Gefährt doch. Was tun?
An der sachlichen Gestaltung des Horch 10/50 PS ist nichts mehr zu ändern, also müssen wir einen anderen Blick darauf entwickeln, das hier könnte die Lösung sein:
Horch 10/50 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Nach meinem Geschmack ist das eine Annäherung an das perfekte Autofoto.
Der Wagen ist als eigenständiger Charakter wirkungsvoll wiedergegeben, gleichzeitig verleihen ihm mehrere Persönlichkeiten das Leben, das er im Stillstand nicht haben kann.
Vor allem haben wir es mit einer durchdachten Inszenierung zu tun, bei der die Darsteller im Moment der Aufnahme bewusst zu posieren wissen.
Der Horch gibt hier die Kulisse für ein gelungenes Neben-, Hinter-und Übereinander der Beteiligten ab, so wie im richtigen Leben.
Was kann da noch kommen, fragt man sich? Nun, nach all’ diesen Versuchen und Variationen bleibt am Ende die Reduktion auf das Wesentliche, was das Auto, das menschliche Element und die Aufnahmesituation betrifft.
Das Beste kommt zuletzt, und ich hoffe, das sehen Sie auch (gleich) so.
Nähern wir uns dem letzten Foto behutsam und beginnen mit der Frontpartie des Horch 10/50 PS mit dem gekrönten “H” als einzigem Schmuck auf dem Kühler:
So weit, so unerheblich. Wie steht es um das menschliche Element – sitzt wieder ein einsamer Fahrer am Steuer oder ist der Passagierraum vollbesetzt?
Weder noch – der Chauffeur ist zwar allein, aber er hat sich neben dem ihm anvertrauten mächtigen Wagen aufgestellt und gibt dabei eine Figur ab, wie ich sie so ausdrucksstark selten gesehen habe:
Bald 100 Jahre ist es her, dass dieser noch recht junge Mann so selbstbewusst und hoffnungsfroh in die Zukunft schaute.
Ganz gleich, was aus ihm wurde, seine Zukunft ist längst Vergangenheit und von ihm und dem Horch dürfte kaum mehr geblieben sein als diese Aufnahme.
Solche Zeugnisse sind also immer auch ein Memento Mori und vermögen damit eine heilsame Wirkung auf uns Nachgeborene auszuüben.
Für den Chauffeur des Wagens war dieser Moment womöglich die Höhe seines Lebens – und für uns bislang das Beste, was uns in Sachen Horch 10/50 PS begegnet ist:
Horch 10/50 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Die Faszination der Symbiose von Mensch und Maschine kann man kaum besser abbilden, meine ich. Wenn Sie aus dem Nachsinnen wieder heraus sind, verraten Sie mir bitte noch, wo einst dieses großartige Foto entstanden ist – ich vermute, irgendwo an der Mosel…
Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Keine blasse Ahnung, womit ich es zu tun habe – das gilt für zahllose Bilder von Vorkriegsautos aus meinem Fundus.
Speziell bei sehr frühen Exemplaren kommt das häufiger vor. Das liegt an der in die Tausenden gehenden Zahl der Hersteller in Europa und in den USA, welche – meist mit nur geringem Erfolg – versuchten, an der Erfolgsgeschichte des Automobils mitzuwirken.
Besonders zahlreich waren die frühen Fabrikate aus Frankreich und Belgien – eines davon zeigt vermutlich diese Aufnahme:
unidentifiziertes Veteranenauto ab 1900; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
An diesem eigenwilligen, aber professionell gebaut wirkenden Gefährt beiße ich mir seit Jahren die Zähne aus. Bis heute habe ich keine blasse Ahnung, worum es sich handelt.
Dabei ist es weniger das verblichene Foto als solches, das Probleme bereitet. Denn hier kann man mit heutigen Mitteln einiges herausholen – ein Beispiel dafür bringe ich gleich.
Neben der Vielzahl der möglichen Fabrikate macht sich in solchen Fällen bemerkbar, dass bei so frühen Wagen die Aufnahmen der Hersteller für Prospekte und Reklamen fast immer die Seitenansicht zeigen.
Die Frontpartie bekommt man praktisch nur auf Privatfotos zu sehen, bei denen aber seltenst die Marke mitüberliefert ist. Und Kühlerembleme gab es anfänglich kaum.
Dennoch ist es natürlich von großem Reiz, der Identität solcher Exoten nachzuspüren und etwas über die Erbauer herauszufinden. Das eigene Herkommen und die Gründe für Erfolg und Scheitern der Vorfahren zu verstehen – das interessiert den Menschen nun einmal.
Heute kann ich vielleicht ein klein wenig dazu beitragen, eine Lücke in der Dokumentation einer der bedeutendsten deutschen Marken zu schließen: Horch!
Das mag etwas vermessen klingen, und vielleicht liege ich auch völlig daneben oder habe schlicht etwas übersehen. Immerhin gehört Horch zu den wenigen wirklich umfassend und in die Tiefe gehend erforschten deutschen Herstellern.
Vor allem Peter Kirchberg hat daran über Jahrzehnte gearbeitet und die Früchte seiner Arbeit sind im zusammen mit Jürgen Pönisch verfassten Standardwerk “Horch – Typen, Technik, Modelle” (Verlag Delius-Klasing) trefflich versammelt.
Im Vorwort zu diesem Werk, dem ich je nach Blickwinkel immer wieder neue Erkenntnisse abgewinnen kann, weisen die Autoren jedoch selbst auf einige “weiße Flecken” hin. Einer davon könnte sich eventuell heute verflüchtigen.
Jedenfalls meine ich, zumindest eine blasse Ahnung davon zu haben, was auf diesem erst dieser Tage von mir neu erworbenen Dokument einst festgehalten wurde:
Veteranenauto ab 1900; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Wiederum handelt es sich um ein mit zeitgenössischem Passepartout erhaltenes Foto. Solche Sachen schätze ich ganz besonders und bin dann auch bereit, mehr als die üblichen 5 EUR für historische Originalaufnahmen auszugeben.
In meiner “Studierstube”, die bis unter die Decke mit Automobilia und einschlägiger Literatur vollgestopft ist, bekommen solche Stücke einen besonderen Platz an einer Stelle ohne direkten Lichteinfall (die Fenster sind zudem mit halbtransparenten Rollos versehen).
So kann ich diese Zeugnisse täglich (eher abends bei Büchsenlicht) sehen, ohne weiteres Verblassen zu riskieren.
Für meinen Blog und die Markengalerien oder auch für etwaige Publikationen und Austellungen Dritter, die ich unterstütze, erstelle ich immer digitale Kopien.
Diese lassen sich dann auch so weit bearbeiten, dass man am Ende mehr als nur eine blasse Ahnung davon bekommt, was der Fotograf einst vor sich hatte. Mit meinen laienhaften Möglichkeiten ließ sich immerhin folgendes aus obigem Original herausholen:
Horch 10-12 PS von 1901/02; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Wer sich mit den frühen Veteranenwagen kurz nach 1900 befasst, begegnet Fahrzeugen mit einem solchen Erscheinungsbild auf Schritt und Tritt.
In der damals führenden französische Automobilindustrie hatte sich diese Gestaltungsweise mit nach Art einer umgedrehten Schaufel geformter Motorhaube (nach vorne und den Seiten abfallend) etabliert und findet sich bei zahllosen Marken.
Das gilt ebenfalls für den vorn unterhalb des Rahmens angebrachten Kühler mit schlangenartig gewundenen Wasserrohren. Diese Konstruktions- und Gestaltungsmerkmale französischer Hersteller übernahm auch die deutsche Konkurrenz – entweder im Rahmen von Lizenzfertigungen oder daran angelehnten Modellen.
Daher gestaltet sich die Identifikation eines solchen Wagens oft schwierig. Im vorliegenden Fall haben wir jedoch zwei Indizien, was die Herkunft angeht.
Zum einen verweist das Nummernschild auf eine Zulassung im Raum Dresden – damit rückt schon einmal ein sächsischer Hersteller ins Blickfeld. Zum anderen steht auf der Rückseite des Fotos “Horch” geschrieben.
Dem habe ich anfänglich aber keinen Glauben geschenkt, weil mir die dort ebenfalls vermerkte Jahreszahl 1906 nicht plausibel erschien. Um diese Zeit sah ein Horch längst ganz anders aus, nämlich wie dieser Typ 18-22 PS (ab 1904) etwa:
Horch 18-22 PS von 1904/05; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Allerdings hatte ich bis dato mangels Fotomaterials noch keine Gelegenheit gehabt, mich mit den noch früheren Horch-Modellen zu beschäftigen.
Also ging ich dem Hinweis “Horch” auf der Rückseite des Fotos nach – mit 1906 war eventuell auch nur das Aufnahmedatum gemeint – und studierte die Erstlinge der Marke bzw. aus der Kölner Experimentierphase von August Horch ab 1900.
Auf einen 1901 vorgestellten Einzylinderwagen, dessen Hinterachse noch riemengetrieben war, folgte im selben Jahr ein weiterer Einzylindertyp (4-5 PS) mit Kardanantrieb sowie ein Zweizylinder (9-10 PS).
Diese ganz frühen von Horch entwickelte Autos waren unter an ihrer senkrecht stehenden Lenksäule zu erkennen – die besitzt der Wagen auf dem heute vorgestellten Wagen ebenso wie den in der Literatur erwähnten Schlangenkühler vorn unten:
Während die Gestaltung der Radnaben stark der auf einem Foto des 1-Zylindertyps auf S. 53 des erwähnten Horch-Standardwerks ähnelt, unterscheidet sich die Ausführung der Kühlerschlangen deutlich.
Andererseits wiederum stimmen die Details der Motorhaube bis ins Detail überein, etwa die auf der Haubenflanke abgesetzte Fläche mit schrägstehenden Entlüftungschlitzen.
Jedoch sieht man auf den wenigen Abbildungen des entsprechenden frühen Horch-Einzylindertyps die Handbremse auf der in Fahrtrichtung linken Seite, und das Gestänge zu Übertragung der Kraft an die Hinterradbremsen verläuft auf bzw. unter Rahmenhöhe.
Das sieht bei “unserem” mutmaßlichen” Horch noch ganz anders aus, Hier befindet sich die Handbremse links und das Gestänge durchstößt schräg von oben kommend scheinbar den hinteren Kotflügel:
Habe ich bloß keine blasse Ahnung oder sehe ich hier tatsächlich eine andernorts so nicht dokumentierte Ausführung des Einzylinder-Horch 9-10 PS von 1901?
Oder haben wir es vielleicht mit einer frühen Form des Typs 10-12 von 1902 vor der Umstellung auf schrägstehende Lenksäule und Bienenwabenkühler zu tun?
Der recht große und schwere Aufbau als viersitziges “Tonneau” würde aus meiner Sicht eher für eine Zweizylinderversion sprechen, der Einzylinder war dafür wohl zu schwach.
Wie dem auch sei – jetzt sind die Spezialisten für ganz frühe Horch-Wagen gefragt oder auch Amateure, die scharfsinniger sind als ich bzw. über noch mehr Bildmaterial zum Vergleich verfügen.
Zumindest eine blasse Ahnung meine ich aber in diesem Fall schon zu haben…
Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Kann etwas so Prosaisches wie ein Automobil – letztlich eine selbstfahrende Maschine auf vier Rädern – etwas mit Zahlenmagie zu tun haben?
Natürlich, denn wer an magische Zahlen glaubt, findet solche immer und überall. Ist Ihnen auch schon einmal aufgefallen, wieviele es davon angeblich gibt?
Eine spontane Aufzählung: Heilige Einfalt, Aller guten Dinge sind zwei, Heilige Drei Könige, Vier Fäuste für ein Halleluja, Sechs Zylinder für Laufkultur, Sieben gegen Theben, Acht Richtungen der Windrose, Neun Musen der griechischen Mythologie, Zehn Gebote usw.
Man sieht: Fast jede Zahl kann bei Bedarf mit Bedeutung aufgeladen sein, man muss nur wollen. Dass sich dies bis in unsere Tage hält so wie der Glaube an Horoskope oder den Amtseid von Politikern zeigt nur: die Aufklärung ist überwiegend Theorie geblieben.
So ist man auch als einigermaßen nüchtern veranlagter Automobilist geneigt, mit bestimmten Zahlen Großes zu verbinden: Ein Achtzylinder-Horch 500 – das muss ein Wagen mit 5 Liter-Motor sein! Dummerweise trifft das hier sogar zu.
Ist das aber wirklich mehr als nur Zufall? Betrachten wir die ab 1927 gebauten Horch-Achtzylinderwagen einmal unter diesem Aspekt:
Der erste seiner Art trug die Typbezeichnung 303 – sein Hubraum betrug 3,1 Liter, Zufall? So sachlich sah er übrigens aus, von Magie hier noch keine Spur:
Horch 303 Pullman-Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Der auf 65 PS erstarkte Nachfolger wurde als Typ 305 bezeichnet, der Hubraum war auf 3,4 Liter gewachsen. Aber die “3” passt doch noch immer irgendwie, oder?
Stimmt, aber schon bei der nächsten Ausbaustufe – dem nunmehr 80 PS leistenden Typ 350 – wird es grenzwertig. Dessen Hubraum betrug 3.949 ccm, passt das noch in die 3-Liter-Kategorie oder wäre hier nicht eine “4” naheliegender?
Zahlenmystiker werden hier folgendes anführen: Zum einen sind bei diesem Horch 350 von der Seite drei Räder zu sehen, außerdem sitzen zweimal drei Personen darin:
Horch 350 Sedan-Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)
Sollte doch etwas dran sein an der Zahlenmagie?
Auch der parallel erhältliche Horch 375 passt noch ins Schema: Er besitzt denselben Motor mit 3,9 Litern Hubraum, ist aber länger und besitzt ein verbessertes Fahrwerk.
Doch die Zahl 3 ist so oder so immer noch ein Leitmotiv – das sieht man ja schon an der dreifachen Vorderstoßstange:
Horch 375-Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Dieses Prachtexemplar aus dem Raum Leipzig vermittelt übrigens eindrucksvoll, wie sehr sich die Horch-Achtzylinder in nur zwei Jahren seit ihrer Einführung auch gestalterisch gemausert haben – das war erkennbar ein Luxuswagen der Spitzenklasse.
So, liebe Magiegläubige, ab nun wird’s ernüchternd: Denn spätestens mit dem Horch 400 bricht das schöngezimmerte Gebäude zusammen. Der Wagen besaß nämlich immer noch denselben Motor wie die Vorgängertypen 350 und 375 mit 3,9 Litern.
Bloß hieß er jetzt eben 400 und die längere Ausführung 405. Eine Verbindung zur magischen Zahl drei ist hier beim besten Willen nicht mehr herzustellen:
Horch 400 Sport-Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Allerdings sind hier jetzt aber auch vier Räder zu sehen – könnte das der Grund für die Typbezeichnung 400 sein?
Diese nicht ganz ernst gemeinte Frage lässt sich vielleicht mit der folgende Aufnahme beantworten, die den Nachfolgetyp 420 zeigt, der nun einen 4,5 Liter-Motor besitzt:
Horch 420 Pullman-Limousine; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks
Wiederum vier Räder, aber nun ganz klar ein Wagen mit über 4 Litern Hubraum. Die Typbezeichnung 420 passt also schon irgendwie, oder?
Verflixt, diese Zahlenmagie verfolgt einen hartnäckiger, als man meinen möchte. Dieser Unsinn muss sich doch irgendwie entkräften lassen.
Doch auch der vor allem äußerlich modernisierte Horch 470 hilft hier nicht weiter, besitzt er doch noch immer den 4,5 Liter großen Achtzylinder mit 90 PS – außerdem posieren auf folgendem Foto vier Personen, also muss ein Zusammenhang bestehen!
Horch 470 Sport-Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Wie schaut es aber im Fall des Horch 480 aus, der parallel mit vergrößertem Motor angeboten wurde? Dieses Aggregat besaß nun einen Hubraum von 4.944 ccm und leistete satte 100 PS.
Für den Zahlenmystiker ist der Fall klar: Da der Hubraum mit einer 4 beginnt, muss selbstverständlich auch die Typbezeichnung entsprechend anfangen.
Es ist zum Verzweifeln: Offenbar scheinen die Typbezeichnungen der Horch-Achtzylinder auf geheimnisvolle Weise in irgendeiner Verbindung mit dem Hubraum zu stehen.
Da hilft es am Ende auch nicht, wenn der weiter verbesserte Paralleltyp Horch 500 denselben Motor mit 4,9 Litern besaß, denn der Hubraum lässt sich ja bei Bedarf auf 5 Liter aufrunden, das passt also ebenfalls wieder.
Zu erkennen ist diese Ausführung unter anderem an den seitlichen Kotflügelschürzen. Der geschwungene vordere Ansatz des hinteren Kotflügels und die bis zur Frontscheibe reichend Motorhaube finden sich dagegen auch beim Horch Typ 480.
Hier haben wir ein neu aufgetauchtes Foto des Horch 500B in der luxuriösen Ausführung als Pullman-Cabriolet, zu erkennen an den feststehenden B- und C-Fenstersäulen:
Horch 500B Pullman-Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Das war ein weiter Weg vom brav anmutenden ersten Horch-Achtzylindertyp 303 mit moderaten 60 PS bis zum 100 PS-starken repräsentativen Modell 500B, das wir hier sehen.
Doch liegen gerade einmal vier Jahre dazwischen. In der heutigen Autowelt wäre in so kurzer Zeit außer einer oberflächlichen Modellpflege nicht viel passiert, doch in den 1930er Jahren vollzog sich die Entwicklung weit rasanter.
Sollte am Ende doch Magie im Spiel gewesen sein bei der für Horch so glücklichen Entwicklung in Zeiten, die alles andere als einfach waren?
Die Zahlen lügen eben doch nicht, werden jetzt die Gläubigen sagen: Horch hat sich bei seinen Typbezeichnungen ganz klar vom guten Stern des Hubraums leiten lassen!
Nun, Hubraum ist natürlich immer gut, das wissen die Zeitgenossen, die noch die lässige Kraftentfaltung eines großvolumigen Wagens mit acht Zylindern kennen. Aber hat Horch sich bei seinen Typbezeichnungen wirklich davon leiten lassen?
Nüchtern betrachtet lautet die Antwort: ja und nein. Bis zum 1932 erschienenen Zwölfzylindertyp 600 mit – Sie ahnen es – 6 Litern Hubraum standen die Modellbezeichnungen zumindest in einem losen Zusammenhang mit der Größe des verbauten Aggregats.
Doch in dem Augenblick, als der Horch 710 auf den Markt kam, verflüchtigte sich die Magie der Zahlen. Ab dann wurden die Typbezeichnungen immer höher, ohne dass dies noch (tendenziell) mit einer Hubraumvergrößerung einherging.
So hatte auch der legendäre Horch 853 ab 1938 immer noch “nur” 5 Liter Hubraum bei nunmehr 120 PS Leistung. Seine Magie bezog der Wagen dafür ganz aus seiner umwerfenden Gestaltung – bei Gelegenheit werden wir überprüfen, ob er immer noch seinen Zauber ausübt, der so gar nichts mit Zahlen zu tun hat…
Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Was kann an einem Cabriolet des hervorragend dokumentierten Achtzylindertyps 350 der sächsischen Luxusschmiede Horch schon einzigartig sein?
Von den fast 3.000 Exemplaren des Modells, die zwischen Ende 1928 und Sommer 1932 entstanden, gab es natürlich eine Reihe offener Versionen, vor allem die Ausführung als Sedan-Cabriolet findet sich öfters.
Hier haben wir ein Exemplar, das ich früher schon einmal vorgestellt habe:
Horch 350 Sedan-Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Das ist ein ziemlicher Brocken und ich tue mich schwer damit, diesen Aufbau als gelungen zu bezeichnen. Die Gürtellinie ist einfach zu hoch, da helfen auch die Versuche nicht, mit allerlei Zierrat die schiere Höhe der Türen zu kaschieren.
Diese teutonische Unbeholfenheit findet sich auch bei anderen offenen Versionen auf Basis des Horch 350, selbst das serienmäßige Zweisitzer-Sportcabriolet lässt sich kaum als elegant bezeichnen.
Vermutlich mochte es die Kundschaft aber meist so, denn dass es anders ging – wenn das jemand wollte – das kann ich heute an einem Exemplar zeigen, das mich restlos begeistert.
Dieser Horch 350 ist so unerhört anders und dermaßen raffiniert, dass ich die Behauptung wage, dass dies “einer wie keiner” war.
Die Fotos dieses Wagens verdanke ich Heiner Goedecke aus Leipzig, der uns kürzlich schon mit Familienfotos zum Fafnir 376 und zum Adler 6/25 PS beglückt hat.
Diesmal ist der Horch 350 an der Reihe, den einst sein Großvater besaß. Der war Generaldirektor bei einem bedeutenden sächsischen Stromversorger (ESAG) und ließ sich als solcher morgens von Chauffeur Henke zur Arbeit bringen.
Seine Tätigkeit war eine veranwortungsvolle – und eine konstruktive noch dazu. Unter seiner Leitung wurde das Kohlekraftwerk Kulkwitz der Landkraftwerke Leipzig AG gebaut. Grundlastfähigkeit und Regelbarkeit, das erscheint einem heute wie aus einer anderen Zeit.
Wie aus einer anderen Zeit kommt einem auch die Heckansicht des Wagens vor, um den es geht. Um die Sache spannender zu machen, zäume ich das Pferd heute von hinten auf:
Horch 350 Cabriolet; Originalfoto aus Familienbesitz (Heiner Goedecke, Leipzig)
Wüsste ich es nicht besser, würde ich hier schwören, dass es sich um einen amerikanischen “Rumble-Seat”-Roadster mit besonders niedriger Dachlinie handelt.
Vielleicht würde mich auf den zweiten Blick die Eleganz des hinteren Dachabschlusses stutzig machen, die man so an den in Großserie gebauten US-Wagen dieses Karosserietyps eher selten findet.
Dass es sich tatsächlich um eine Ausführung mit “Schwiegermuttersitz” handelt, belegt die folgende Aufnahme:
Horch 350 Cabriolet; Originalfoto aus Familienbesitz (Heiner Goedecke, Leipzig)
Auch hier fällt wieder die außerordentlich niedrige Dachlinie ins Auge – ansonsten Fehlanzeige, was irgendwelche Hinweise auf den Hersteller angeht.
Auf der nächsten Aufnahme aus dem Familienalbum von Heiner Goedecke erscheint der Wagen ebenfalls nicht gerade wie ein typischer Horch 350.
Meine Vermutung wäre hier gewesen: “Amerikanerwagen mit deutscher Manufakturkarosserie” – Ende der 1920er Jahre durchaus verbreitet.
Horch 350 Cabriolet; Originalfoto aus Familienbesitz (Heiner Goedecke, Leipzig)
Erst das nächste Foto bringt uns dem Hersteller näher.
Darauf sehen wir auch das erwähnte Kraftwerk Kulkwitz – wo der Großvater von Heiner Goedecke einst die Leitung innehatte, nachdem es unter seiner Aufsicht gebaut worden war – nebenbei zu einer Zeit, als Funktionsbauten noch ästhetische Qualitäten haben durften:
Horch 350 Cabriolet; Originalfoto aus Familienbesitz (Heiner Goedecke, Leipzig)
Anhand dieser Abbildung würde man vermutlich darauf kommen, dass es sich um einen Horch 350 handeln könnte – der Kühler mit schemenhaft wiedergegebener Figur und das Format der Scheinwerfer würden das jedenfalls nahelegen.
Aber diese vertraut erscheinende Frontpartie würde man doch nie mit einer dermaßen eleganten Seitenlinie in Verbindung bringen, oder?
Jedenfalls ist mir noch nie ein Horch des Typs 350 begegnet, dessen Aufbau so leicht und schwungvoll daherkommt.
Zum einen bewirkt die dunkel abgesetzte “Schulter”partie, dass die Tür weit niedriger erscheint, als sie es tatsächlich ist. Zum anderen hat die damit ansteigende Schwellerpartie zur Folge, dass die enorme Länge des Radstands optisch verkürzt wird.
Sonst wären hier bloß endlose Geraden zu sehen, die nicht nur langweilig wirken, sondern auch zu einem umharmonischen Verhältnis zwischen der Dachpartie und der Länge des Aufbaus führten.
Genug der Worte, dieser aus meiner Sicht meisterlich gestaltete Wagen vermag durch seine Präsenz ganz von alleine seine Wirkung zu entfalten:
Horch 350 Cabriolet; Originalfoto aus Familienbesitz (Heiner Goedecke, Leipzig)
Für mich ist dies eine der hervorragendsten Kreationen deutschen Karosseriebaus um 1930, und wenn die Überlieferung zutrifft, wurde sie von Zschau in Leipzig gefertigt.
Vielleicht kann ein Leser dies verifizieren oder eventuell auch eine andere dafür in Frage kommende Manufaktur benennen.
So oder so muss dieser Aufbau eine Rarität darstellen, wie sie sich am deutschen Markt jener Zeit sonst kaum findet (von Kellner aus Berlin abgesehen).
Das Beste aus diesem Bilderreigen habe ich aber bis zum Schluss aufgehoben. Denn eine Aufnahme zeigt den Horch 350 von Heiner Goedeckes Großvater auch aus der Idealperspektive schräg von vorne.
Dieser Wagen war wirklich “einer wie sonst keiner”…
Horch 350 Cabriolet; Originalfoto aus Familienbesitz (Heiner Goedecke, Leipzig)
Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.
Wer sich ein wenig mit den ab 1927 gebauten frühen 8-Zylindertypen von Horch auskennt, wird dem 1928 auf 80 PS erstarkten Modell 350 keine besondere Seltenheit zubilligen.
Mehr als 2.800 Exemplare entstanden davon – nur vom Typ 830 aus den 1930er Jahren baute die sächsische Premiummarke mehr Fahrzeuge.
Wenn ich mich heute dennoch auf die Suche nach einer raren Ausführung davon begebe – dem Tourer – dann mutet das merkwürdig an. Waren nicht Tourenwagen am deutschen Markt bis weit in die 1920er Jahre hinein überhaupt die am häufigsten anzutreffen Karosserievariante?
Sicher, denn auch wenn das folgende Exemplar von einem mir bisher unbekannten Autohersteller ein ziemlicher Brocken war, war diese offene Ausführung mit ungefüttertem Verdeck immer noch drastisch “billiger” als eine geschlossene Version:
unbekannter Tourenwagen, Mitte der 1920er Jahre
Auch für die “happy few”, die sich nach dem 1. Weltkrieg ein Automobil leisten konnten, war lange Jahre nur in Ausnahmefällen eine geschlossene Ausführung drin.
Da deutsche Hersteller (von Opel und Brennabor) abgesehen noch durchweg reine Manufaktur betrieben – und das auch noch kühn als Vorteil anpriesen – waren Limousinen wegen des großen Mehraufwands außen wie innen astronomisch teuer.
So begegnete einem auf deutschen Straßen jener Zeit auch ein gehobenes Automobil häufiger in der zugigen Tourenwagenvariante, deren dünnes Verdeck und aufgesteckte Scheiben nur notdürftigen Wetterschutz boten.
Zu ändern begann sich das ab Mitte der 1920er Jahre. Vor allem im Luxuswagensegment, in dem Horch zuhause war, bevorzugte man zunehmend entweder geschlossene Karosserien oder zumindest offene Ausführungen mit mehr Komfort.
Beispiele dafür finden sich im Fall des Horch 350 zuhauf und wirklich selten blieb nur der Tourer, wie wir heute anhand einer Reihe zeitgenössischer Fotos sehen werden.
Den Anfang macht die Pullman-Limousine, hier als Brautwagen, den sich betuchte Leute einst in Berlin bei Paul Thiem (Raumerstraße 11) mieten konnten:
Horch 8 Typ 350 Limousine; originale Postkarte aus Sammlung Michael Schlenger
Zu erkennen sind die Positionslichter am Ende der Motorhaube, die man so beim Horch 350 (wenn auch nicht immer) antrifft. Den geflügelten Pfeil auf dem Kühler gab es dagegen auch bei späten Fahrzeugen des nur 60 PS leistenden, äußerlich fast identischen Typs 305.
Ansonsten gibt es wenig Auffälliges an diesem Exemplar, sodass es sich zur Dokumentation der Pullman-Limousine ausgezeichnet eignet. Diese wurde übrigens laut Literatur (P. Kirchberg/J. Pönisch: Horch -Typen, Technik, Modelle, Delius-Klasing, S. 354) von einem weniger bekannten Karosseriebauer geliefert: Seehausen & Staar im schlesischen Liegnitz.
Wer es bei Bedarf etwas luftiger haben wollte, aber nur die rückwärtigen Passagiere in den exklusiven Genuss des Offenfahrens kommen lassen wollte, der konnte sich für die Ausführung als Landaulet entscheiden:
Horch 8 Typ 350 Landaulet; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks
Diese Version, die dem Grundaufbau nach der Pullman-Limousine entspricht, aber mit einem zu öffnenden Verdeck über der hinteren Sitzbank endet, findet sich nach meinem Eindruck eher selten beim Horch des Typs 350.
Jedenfalls liefert die mir vorliegende Literatur kaum entsprechende Beispiele (lediglich eines auf Basis des Horch 305).
Generell gehörten Landaulets zu einer eher raren Spezies – bloß bei Taxis findet man diesen speziellen Aufbau des öfteren. Ob so ein teurer Horch 350 jedoch in diesem Gewerbe zum Einsatz kam, ist mir nicht bekannt. Ausschließen sollte man das in Großstädten wie Berlin oder Hamburg mit sehr anspruchsvoller Oberschicht freilich nicht.
Mehr Freiluftvergnügen, jedoch in Verbindung mit winddichten Kurbelscheiben und einem gut gefütterten Verdeck, gab es bei den Cabriolet-Versionen, deren Aufbauten teils von Horch in Zwickau selbst, teils von einer Vielzahl unabhängiger Hersteller gefertigt wurden.
Die folgende Aufnahme (aus Sammlung Matthias Schmidt, Dresden) zeigt ein Beispiel dafür, das anlässlich einer Landpartie einiger Herren abgelichtet wurde – vielleicht haben wir es mit einer Jagdgesellschaft zu tun:
Horch 350 viertüriges Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)
Da hier die Ausführung der Positionslampen nicht zu erkennen ist, will ich nicht ausschließen, dass wir hier den parallel zum Horch 350 angebotenen schwächeren (aber gleichgroßen) Typ 305 vor uns haben.
Dafür könnte das Fehlen des 1928 eingeführten geflügelten Pfeils auf dem Kühler sprechen. Es gibt allerdings auch Beispiele dafür, dass Besitzer eines Typs 350 die bisherige Kühlerfigur vom 305 bevorzugten und umgekehrt.
Zur Illustration der Variante des viertürigen Cabriolets eignet sich dieses Fahrzeug auf jeden Fall. Daneben gab es ab Werk – aber wiederum auch von diversen anderen Firmen – Sport-Cabriolets, die sich durch nur zwei Türen und elegantere Linien auszeichneten.
Ein besonders schickes Exemplar sehen wir auf folgender Aufnahme, die anlässlich eines Concours d’Elegance in Wiesbaden im Jahr 1928 entstand:
Horch 350 Sport-Cabriolet; Abbildung aus unbekannter Publikation
Dieses Prachtexemplar, das einer Baronin Günderode gehörte, wurde von Gläser aus Dresden gefertigt – in meinen Augen der geschmackssicherste deutsche Karosseriebaubetrieb im Deutschland der Vorkriegszeit.
Es gab von anderen Herstellern immer wieder auch hervorragende Entwürfe, von einigen Firmen auch sehr exzentrische Aufbauten von großem Reiz. Doch bei Gläser findet man eine seltene Beständigkeit der ästhetischen Qualität, die stets das Elegante sucht und zugleich den Exzess meidet.
Neben solchen sportlich erscheinenden offenen Versionen konnte man für den Horch 350 auch eine eigentümliche Karosserie erhalten, die Elemente der Limousine und des Cabriolets kombiniert – das Sedan-Cabriolet (oder Pullman-Cabriolet):
Horch 350 Sedan-Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)
Im Unterschied zum “normalen” viertürigen Cabriolet verfügt dieser Wagen über massive B-Säulen, die auch bei niedergelegtem Verdeck stehenblieben. In manchen Fällen konnte dort eine zweite Windschutzscheibe angebracht werden.
Interessant sind hier die für den Horch 350 typischen Positionslichter am hinteren Ende der Motorhaube in Verbindung mit der alten Kühlerfigur – einer geflügelten Weltkugel.
Sofern es sich nicht um einen Horch 305 mit Positionslampen nach Vorbild des stärkeren 350 handelt, könnten wir hier ein Beispiel dafür haben, dass der Besitzer eines Horch 350 nicht glücklich mit der neuen Kühlerfigur (dem geflügelten Pfeil) war.
Es gibt auch Abbildungen von Horch-Wagen dieses Typs, die gar keine Kühlerfigur tragen, also war auch das gängig. Übrigens bin ich stets für Korrekturen meiner Typbestimmungen von kundiger Seite dankbar, denn ich bin kein Horch-Kenner und die erwähnte Literatur kann bei allen Qualitäten auch nicht jedes Detail enthalten.
Man könnte jetzt noch eine Weile mit Cabriolet-Ausführungen des Horch 350 weitermachen, doch eigentlich sind wir ja auf der Jagd nach der raren Tourenwagenversion.
Auch diesbezüglich scheint Leser Matthias Schmidt aus Dresden etwas in petto zu haben:
Horch 305 Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)
Doch hier dürften wir es eher mit einem Horch 305 vor dem Facelift analog zum 350 zu tun zu haben. Darauf deutet neben dem Fehlen der Positionslampen und der neuen Kühlerfigur vor allem die noch unverchromte Doppelstoßstange hin.
Aber immerhin bekommen wir hier eine Vorstellung davon, dass auch ein Achtzylinder-Horch mit dem einfachen Tourenwagenaufbau nicht annähernd über die repräsentative Erscheinung verfügt wie die bisher vorgestellten aufwendigeren Varianten.
Das muss aber nicht bedeuten, dass diese einfachste und preisgünstigste Karosserieversion nicht ebenfalls ihren Reiz entfalten konnte.
Ein hübsches Beispiel dafür versteckte sich auf einer Ansichtskarte, die ein majestätisches Motiv ganz anderer Dimensionen zum Gegenstand hat – ich komme zum Schluss darauf zurück.
Hier erst einmal das Fundstück, das sich im Schatten eines prachtvollen Baumes ausruht:
Horch 350 Tourenwagen; Ausschnitt aus Ansichtskarte aus Sammlung Michael Schlenger
Wenn Sie genau hinsehen, erkennen Sie den geflügelten Pfeil auf dem Kühler und die erwähnten Positionslampen am Ende der Motorhaube oberhalb des Ersatzrads – das sollte ein Horch 350 sein!
Das dünne Verdeck und die aufgesteckten Scheiben – aus nur mäßig durchsichtigem Zelluloid in kunstlederbespannten Holzrahmen – sind ein untrügliches Zeichen für einen Tourer.
Nebenbei bin ich der Ansicht, dass Tourenwagen mit geschlossenem Verdeck fast immer besser aussehen als offen. Die schlichte gerade Gürtellinie bekommt durch die Spannung und die abfallende Linie des Verdecks einen abwechslungsreichen Gegenpart.
Damit könnte ich schließen, doch will ich Ihnen nicht vorenthalten, wo dieser Horch 350 Tourer einst geparkt war.
Angesichts der Tristesse der kalten Jahreszeit und endlosen, an der Lage gemessen überzogenen Einschränkungen unseres Alltags (hier in Deutschland) können wir alle Aufmunterung gebrauchen.
Es gab und gibt soviel Großartiges zu sehen, zu tun und zu erleben…
Ansichtskarte aus Garmisch-Partenkirchen mit Blick auf das Zugspitzmassiv; Original aus Sammlung Michael Schlenger
Die besten Dinge im Leben verdankt man nicht akribischer Planung, sondern dem Zufall – das ist eine meiner persönlichen Erfahrungen. Man kann dem Zufall allerdings auch ein wenig entgegenkommen, so findet er einen leichter.
Das tue ich, indem ich über diesen Blog gewissermaßen die Angel in ein Meer auswerfe, in dem unzählige Zeugnisse aus alter Zeit umhertreiben. Damit hat der Zufall eine größere Chance, seine oftmals beglückende Wirkung zu entfalten.
So hat der ausgelegte Köder in Form von aberhunderten Blogeinträgen und tausenden von historischen Aufnahmen von Vorkriegsautos schon manche zufällige Beute angelockt, von der man nicht wusste, dass sie überhaupt existiert.
Vor einigen Wochen erhielt ich Post von einem älteren Herrn aus Sachsen, der mir eine schöne Geschichte quasi “aus erster Hand” berichten konnte – und das anhand von drei Aufnahmen, die das gleiche Auto über eine Zeitspanne von über 90 Jahren zeigen.
Der Wagen, um den es geht, ist ein Horch 306 von 1927. Wer meine zahlreichen Blog-Einträge zu den frühen Achtzylinderwagen von Horch verfolgt hat, dem mag das Auto auf den ersten Blick bekannt vorkommen:
Horch “8” Typ 306 (1927/28), aufgenommen 1927; Originalfoto aus Privatbesitz
Die Frontpartie dieser im Jahr 1927 aufgenommenen Sechsfenster-Limousine findet sich identisch beim Horch 303 – dem ersten Wagen der Marke mit dem legendär aufwendigen Achtzylindermotor, der alles in den Schatten stellte, was es Ende der 1920er Jahre in Deutschland in dieser Hinsicht zu kaufen gab.
Drei Jahre hatte kein geringerer als Paul Daimler mit seinem Team in Zwickau mit der Entwicklung dieses Meisterstücks an Laufkultur zugebracht.
Dabei zog man alle Register : Zwei obenliegende Nockenwellen betätigten die Ventile ohne Umweg über klappernde und unpräzise Stoßstangen. Der Nockenwellenantrieb wiederum erfolgte über eine Königswelle – ebenfalls eine an Laufruhe nicht zu übertreffende Lösung.
Bei der Vorstellung des Horch-Achtzylinders im Herbst 1926 sah die einheimische Konkurrenz mit einem Mal alt aus. Für viele Jahre sollte Horch der dominierende deutsche Hersteller in der Achtzylinderklass bleiben.
Dabei sahen diese mechanisch so raffinierten Spitzenklassewagen zu Beginn erstaunlich dezent aus. Hier haben wir die Frontpartie eines frühen Horch-Achtzylinders:
Horch Typ 303, 304, 305 oder 306; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Diese Frontpartie besaßen die frühen Horch-Wagen der Typen 303 bis 306 von 1927/28, welche sich nur im Radstand bzw. der Motorisierung unterschieden.
Dabei waren der Horch 303 und 304 die 60 PS-Versionen mit langem bzw. kurzem Radstand, während die Modelle 305 und 306 die 65 PS leistenden Nachfolger wiederum mit langem bzw. kurzem Radstand darstellten.
Von vorn waren diese nicht zu unterscheiden, wohl aber von der Seite. So erzwingt der kürzere Radstand der Typen 304 bzw. 306 beim Limousinenaufbau deutlich kleinere Türen – genau das ist bei der eingangs gezeigten Limousine der Fall:
Dem knapp 30 cm geringeren Radstand entsprechend sind hier nicht nur die Türen kürzer als bei den Modellen 303 bzw. 305, es liegen auch die beiden Trittschutzbleche am Schweller viel näher beieinander.
Bei der Gelegenheit präge man sich zweierlei ein:
Zum einen die Ausführung der seitlichen Zierleiste unterhalb der Seitenscheibe – ein schmales Band, welches das dunkel gehaltene Oberteil von der helleren Flanke abgrenzt. Zum anderen das Kennzeichen (vom Ausgangsfoto): “III 4203” – für Leipzig stehend.
Das Nummernschild begegnet uns gleich wieder, und zwar auf einem zweiten Foto des gleichen Horch 306:
Horch “8” Typ 306 (1927/28), aufgenommen 1928; Originalfoto aus Privatbesitz
Dies zweite Aufnahme ist nur ein Jahr nach der ersten entstanden, nämlich im Jahr 1928, so ist es überliefert.
Doch bei näherem Hinsehen stellt man fest, dass der Aufbau ab der Frontscheibe ein anderer ist. Statt der schmalen Leiste entlang der Gürtellinie ist nun ein deutlich breitere zu sehen, die direkt unterhalb des unteren Abschlusses der Seitenscheiben angebracht ist.
Ins Auge fällt außerdem der Reserveradüberzug mit dem Schriftzug “8-Zylinder” unterhalb des gekrönten “H” – dem Emblem von Horch seit 1924.
Tatsächlich handelt es sich um das gleiche Auto, aber nicht mehr dasselbe – denn der Besitzer hatte nach nur einem Jahr den schweren Werksaufbau aus Blech gegen eine leichtere kunstlederbespannte Konstruktion nach “Weymann”-Patent tauschen lassen.
Damit mag er vor allem die Hoffnung verbunden haben, dass der 65 PS-Motor nun etwas leichteres Spiel mit dem zuvor rund 1,9 Tonnen wiegenden Horch hatte.
Jedenfalls muss der Besitzer dieses Horch mit seinem – auch bei “kurzem” Radstand – eindrucksvollen Automobil sehr zufrieden gewesen sein. Er behielt ihn nämlich bis an sein Lebensende im Jahr 1972!
Danach wechselt der Horch nur noch einmal den Besitzer – zum Glück landete der Wagen nicht wie viele andere deutsche Luxusautomobile der Vorkriegszeit bei einem Sammler in Übersee, sondern er blieb bis zum heutigen Tag in Leipzig.
Dort ist er immer noch zugelassen – auf besagten älteren Herrn, der ihn nun selbst schon länger besitzt als der erste Eigner, nämlich bald 50 Jahre!
Er hat den in die Jahre gekommenen Wagen aufwendig wiederhergestellt, einschließlich der Weymann-Karosserie. Damit entspricht er nun wieder weitgehend dem Zustand von 1928 – lediglich das Kühlernetz ist nicht mehr da originale:
Horch “8” Typ 306 (1927/28); Originalfoto aus Privatbesitz
Vom Besitzer dieses schönen Überlebenden habe ich die obigen Informationen zur Historie dieses Horch 306 – und er hat sie quasi noch aus erster Hand, nämlich von der Familie des Erstbesitzers.
Das ist etwas ganz Außergewöhnliches und so hat mir der Zufall wieder einmal ein prachtvolles Stück Geschichte zugespielt.
“Zur Zeit trage ich mit dem Gedanken, den Wagen zu veräußern, was nach fast 50 Jahren nicht so leicht fällt…”
Das schrieb mir der Besitzer des Horchs, der nicht namentlich genannt werden möchte. Für ernsthafte Interessenten hat er eine E-Mail-Adresse eingerichtet, unter der man ihn erreichen kann: horchfreund@kabelmail.de
Ich meine, mehr Historie beinahe noch aus erster Hand kann man bei einem bald 100 Jahren alten Wagen kaum bekommen…
Heute widme ich mich dem Luxusproblem, in welchem Umfang die in meiner Horch-Galerie versammelte Familie von Sport-Cabriolets des Typs 470/480 aus den Jahren 1931/32 Zuwachs verzeichnen kann.
Insgesamt knapp 350 Stück von dem edlen 2-Fenster-Cabriolet mit Achtzylindermotor (wahlweise 90 PS oder 100 PS) entstanden, laut Literatur die meisten im Werk selbst.
Für einen Wagen dieses Kalibers sind das beinahe orientalische Familienverhältnisse und dementsprechend konnte ich etliche Vertreter davon auf alten Fotos dingfest machen.
Doch keine Sorge: Im Unterschied zu den zehntausenden “Ortskräften”, die dem überschaubaren einstigen Bundeswehr-Kontingent in Afghanistan angeblich zuarbeiteten (wohl als Dolmetscher, Fahrer, Stiefelputzer, Mundschenk, Masseur und Privatkoch), wird sich der Familienzuwachs im vorliegenden Fall in engen Grenzen halten.
Beginnen wir mit dem Exemplar in meinem Fundus, das ich vor einigen Jahren als erstes identifizieren konnte:
Horch 470 oder 480; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Es gibt natürlich bessere Aufnahmen des Typs als diese, doch alle wesentlichen Details sind selbst auf diesem mittelmäßigen Schnappschuss zu sehen:
Zwei Reihen Haubenschlitze in Verbindung mit Drahtspeichenrädern und einem Steinschlaggitter vor dem Kühler sind ein zuverlässiger Hinweis auf den Horch 470 bzw. 480. Das Sport-Cabriolet besaß – wie hier zu sehen – vorn angeschlagene Türen. Beim viertürigen Sedan-Cabrilolet galt das nur für die hinteren Türen.
Man merke sich bei dieser Gelegenheit den reichlichen Abstand zwischen dem Türende und dem hinteren Türabschluss – auf dieses Detail komme ich am Ende zurück.
Zwar ist davon auf folgender Aufnahme nichts zu sehen, doch dafür haben wir einen besseren Blick auf das erwähnte Steinschlaggitter, welches nur beim Horch 470/480 serienmäßig verbaut wurde:
Horch 470 oder 480 Sport-Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Als weiteres wichtiges Merkmal dieses Typs ist hier die einteilige Stoßstange zu sehen.
Während sich die zwei Reihen Haubenschlitze und die Drahtspeichenräder auch an den parallel erhältlichen Sport-Cabriolets der Modelle 410, 420 und 430 finden, sind die einteilige Stoßstange und erwähntes Steinschlagitter spezifisch für den Horch 470/480.
So ließ sich auch der prächtige Horch auf folgender Aufnahme eindeutig identifizieren:
Horch Typ 470 oder 480 Sport-Cabriolet; Originalfoto aus Familienbesitz via Dr. Andreas Rosado
Zwar scheint hier das Steinschlaggitter ebenso wie die Kühlerfigur entfernt worden zu sein, auch fallen die drei (statt zwei) Türscharniere ins Auge, doch meines Erachtens kommt für dieses Sport-Cabriolet kein anderes Horch-Modell in Betracht als der 470/480.
Kommen wir nun zum angekündigten Familienzuwachs.
Diesen verdanke ich John Rouse aus den Vereinigten Staaten, der im Fotoalbum seiner (deutschstämmigen) Schwiegermutter eine Aufnahme fand, die eine ihrer Cousinen in den 1930er Jahren zeigt:
Horch Typ 470 oder 480 Sport-Cabriolet, Originalfoto aus Familienbesitz via John Rouse (USA)
Die vermutlich im Raum Gera (Thüringen) entstandene Aufnahme zeigt eindeutig ein Sport-Cabriolet auf Basis des Horch 470/480.
Gehen wir die dafür typischen Details von vorn nach hinten durch: einteilige Stoßstange, Steinschlaggitter vor dem Kühler (schemenhaft zu erkennen), Drahtspeichenräder, zweireihige Haubenschlitze und vorn angeschlagene Türen.
Auch der Abstand des Türendes zum hinteren Kotflügel “passt”. Hier ist der Fall klar, eindeutig ein Mitglied der Familie!
Doch wie steht es um dieses Exemplar, das nach einigen Elementen zu urteilen ebenfalls Anspruch auf “Familienzugehörigkeit” erheben könnte:
Horch 8, vermutlich 470/480 Sport-Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Zunächst einmal ist das eine sehr seltene Aufnahme – zeigt sie doch recht deutlich den Innenraum mit Armaturenbrett sowie die Details der Türverkleidung. Nebenbei scheint diese wie die Sitzbezüge in schlichtem Stoff ausgeführt zu sein, nicht in Leder.
Dass wir es mit einem Sport-Cabriolet von Horch zu tun haben, steht außer Zweifel. Das gekrönte “H” auf der hinteren Radkappe und die Kühlerfigur verraten uns das.
Leider ist die Ausführung der Luftschlitze in der Motorhaube nicht zu erkennen. Könnte das nicht auch ein etwas späterer Horch der Typen 500, 710, 720 oder 750 sein, der eine Sonderkarosserie als Sport-Cabriolet erhalten hat?
Nach bisherigem Stand der Recherchen würde ich das vorerst ausschließen. Dafür scheint mir der Radstand dieses Exemplars schlicht zu kurz zu sein. Und genau hier beginnt mein “Luxusproblem”.
Die Tür endet nämlich viel weiter hinten als bei den zuvor gezeigten Wagen des Typs 470/480, sie besitzt sogar einen Ausschnitt, welcher der Kotflügelrundung folgt:
Das bedeutet, dass dieses Sport-Cabriolet einen geringeren Radstand als die gängigen Exemplare des Typs 470/480 aufwies, welcher 3,45 Meter betrug. Spätere Horch-Modelle waren entweder gleichlang oder besaßen noch großzügigere Dimensionen.
Zwar gab es parallel zum Horch 470/480 auch den Typ 420 mit nur 3,16 Meter Radstand, und es gab ihn auch mit einem Aufbau als Sport-Cabriolet. Doch die Abbildungen in der Literatur zeigen dieses kürzere Modell durchweg mit doppelter Stoßstange.
Kann jemand dieses Luxusproblem lösen? Wurde hier vielleicht ein “kurzer” Horch 420 nachträglich mit der moderneren einteiligen Stoßstange ausgestattet? Oder haben wir es doch mit einem nur sehr entfernten Verwandten des Typs 470/480 zu tun?
Heute zeige ich einen Bilderreigen eines der wohl ikonischsten Vorkriegswagen überhaupt. Warum heute? Zum einen, weil ich erst im letzten Blog-Eintrag ein Foto davon eingeflochten habe, das Appetit auf mehr macht. Zum anderen, weil das Leben zu kurz ist, um die schönsten Dinge ewig aufzuschieben.
Gut vorbereitet soll die Sache aber schon sein, wenn sie bleibenden Eindruck hinterlassen und dem Gegenstand gerecht werden soll. Stellen Sie sich einfach vor, Sie seien Mitte der 1930er Jahre zu einem Tag der offenen Tür bei Horch in Zwickau eingeladen.
Auf dem Weg dorthin haben Sie in der Goethe-Stadt Weimar übernachtet und nehmen dort zur Erinnerung eine Ansichtskarte mit. Unten rechts bemerken Sie darauf natürlich sofort einen Horch 853 in der Ausführung als Sport-Cabriolet:
Ansichtskarte aus Weimar (Ausschnitt); Original aus Sammlung Michael Schlenger
“Das fängt ja gut an”, werden Sie denken. “Soviel Glück kann kaum anhalten”, wurden doch vom Horch 853 zwischen 1935 und 1937 keine 700 Exemplare gebaut.
Halten Sie sich fest, Ihre Glückssträhne setzt sich fort!
Denn unterwegs nach Zwickau überholen Sie einen Wagen desselben Typs. Dessen Fahrerin traut sich offenbar nicht, die 100 PS voll auszuschöpfen und Sie ziehen mit Ihrem fabrikneuen Fiat 1500 (soviel Spaß muss sein) lässig grinsend vorbei:
Horch 853 Sport-Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Erst nach der Entwicklung der Aufnahme stellen Sie mit Schrecken fest, dass die Fahrertür des Horch nicht ganz geschlossen war – das hätte leicht danebengehen können.
So nähern wir uns aber zumindest dem Thema “Tag der offenen Tür” ein wenig.
In Zwickau, wo sich die Zentrale der Auto-Union befindet, zu der neben Horch auch die sächsischen Marken Audi, DKW und Wanderer gehören, gehen Ihnen dann die Augen über.
Denn schon auf dem Besucherparkplatz bietet sich Ihnen dieser Anblick:
Horch 853 Sport-Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
“Ist ja nicht auszuhalten, dieser Tag der offenen Tür”, denken Sie. “Und schon wieder: Frau am Steuer. Immerhin steht der Wagen diesmal.”
Bei der Gelegenheit eine Frage an die Horch-Kenner: Was ist von den Scheibenrädern dieses Typs 853 zu halten? Waren diese optional neben den serienmäßigen Drahtspeichenrädern erhältlich oder weisen sie auf eine bestimmte Evolutionsstufe des Modells hin (bitte Kommentarfunktion nutzen)?
Im Horch-Werk angelangt, erwartet Sie anlässlich des Tages der offenen Tür ein etwas überraschender Fachvortrag: “Das Elektroauto – alter Hut oder Vision für das 21. Jh.?”
Sie denken sich – “Elektroautos sind doch kaum noch verkäuflich, seitdem es die günstigeren und reichweitenstärkeren Verbrenner gibt. Das kauft keiner freiwillig, der darauf angewiesen ist – es sei denn, man legt ihm ein paar tausend Reichsmark aus Steuergeldern drauf – aber so etwas Unsoziales wird doch keiner machen.”
Sie schnappen nach Luft und suchen das Weite. “Bloß raus hier, so habe ich mir den Tag der offenen Tür in Zwickau nicht vorgestellt.”
An der nächsten Tankstelle bunkern Sie noch einmal Kraftstoff – in wenigen Minuten ist genug Benzin für 500 km Fahrtstrecke aufgenommen. Selbst beim extrem durstigen Horch 853 würde eine Tankfüllung für fast 450 km reichen – das nur nebenbei.
Unterwegs stellt sich dann bald tiefe Zufriedenheit ein. Sie fahren von der Landstraße ab, um etwas abseits eine Pause einzulegen. Just in dem Moment rollt ein weiteres Exemplar des Horch 853 Sport-Cabriolet vorbei – jetzt mit einem Fahrer:
Horch 853 Sport-Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)
“So muss ein klassischer Wagen aussehen”, denken Sie vielleicht. Lange Haube, ein 5-Liter großer Reihenachtzylinder darunter und ein luxuriös ausgestatteter Innenraum hinter der gepfeilten Frontscheibe. Und so eine Zweifarblackierung steht doch jedem Auto gut.
Das Thema der offenen Tür hat Sie unterdessen noch nicht losgelassen. “Das schüchterne Mädel am Lenkrad dieses Riesenwagens auf dem Parkplatz, das hatte etwas. Schade, dass sie nicht allein unterwegs war, ein paar Details hätten mich schon interessiert.”
Interessante Details gibt es allerdings auch außerhalb eines Horch 853 Sport-Cabriolet zu erkunden, wenn man in einem solchen unterwegs ist. So könnten Sie auf dem weiteren Weg diesem offenbar einfarbig lackierten Exemplar begegnen:
Horch 853 Sport-Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)
Hier sieht man übrigens neben dem sinnlich gestalteten Wagenkörper die mächtigen Scheinwerfer, deren Gehäuse vollverchromt sind – ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal gegenüber dem ab 1938 gebauten Nachfolger 853A.
Während Sie ziellos über Land fahren – Reichweitenangst kennt man nicht bei einem Benziner – widerfährt Ihnen ein Zufall, der dem Thema “Tag der offenen Tür” doch noch zu einem glücklichen Abschluss verhilft.
Unterwegs begegnen Sie nämlich diesem Wagen mit Hamburger Zulassung:
Horch 853 Sport-Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Dem einen oder anderen Leser wird dieses Exemplar eines Horch 853 bekannt vorkommen – ich hatte es anlässlich eines Blog-Eintrags zum Steyr 530 Cabriolet schon einmal gestreift.
Diesmal steht das Traumstück ganz im Vordergrund – was soll man sagen? Nie wieder danach sind solche Kunstwerke auf vier Rädern in deutschen Landen entstanden. Der 2. Weltkrieg sollte sich auch in dieser Hinsicht als ultimativer Kulturbruch erweisen.
Doch haben Sie etwas auf obigem Foto bemerkt? Der Horch aus Hamburg lädt mit offener Tür zur eingehenden Besichtigung ein. Diese Gelegenheit lässt man sich nicht entgehen.
Die Insassen des begleitenden Steyr 530 werden wegkomplimentiert “Fahrt schon einmal vor, wir holen Euch dann auf der Autobahn ein und in Hamburg kommen wir als Erste an”.
Steyr 530 und Horch 853 Sport-Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Sodann geht es mit dem Horch 853 Sport-Cabriolet und der Blondine zum exklusiven Besichtigungstermin nebst Picknick irgendwo ins Gelände.
Das ist zumindest etwas, was manchen Herren in der Leserschaft rein theoretisch hätte durch den Kopf gehen können, wären sie damals auf Reisen gewesen.
Dabei hätte sich dann – rein theoretisch – die Gelegenheit ergeben, einen besonderen Tag der offenen Tür mit einem Horch 853 Sport-Cabriolet zu genießen, etwa hier im Grünen:
Horch 853 Sport-Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Keine Sorge, der Wagen war robust genug, um auch längere Zeit mit offener Tür herumzustehen, während seine Insassen vielleicht anderweitig beschäftigt waren.
Wo dieser Horch 853 aus Hamburg einst unterwegs war, was seine Insassen abseits der Chaussee trieben und was aus ihnen geworden ist, dass wissen die Götter.
Doch dass dieser Tag der offenen Tür mit einem Horch 853 Sport-Cabriolet göttlich gewesen sein muss, das dürfen wir Nachgeborenen wohl annehmen…
Gerade lese ich, dass unsere niederländischen Nachbarn dem Mummenschanz ein Ende gemacht haben: Die Pflicht zum Tragen von Gesichtsmasken in Geschäften und in der Innengastronomie ist aufgehoben (launiger Kommentar dazu hier).
Schon im Sommer 2020 verriet die Datenlage, dass “Corona” – was Infektiosität und Letalität angeht – mit gängigen Atemwegserkrankungen vergleichbar ist. Ja, es gibt Fälle schwerwiegender und hartnäckiger Verläufe – ein Grund mehr die bekannten Hochrisikogruppen zu schützen, aber mehr auch nicht.
Doch ganze Völker gezielt in Panik zu versetzen, flächendeckend Grundrechte vorzuenthalten, ohne Risikoabwägung Milliardenschäden in Kauf zu nehmen, keine systematischen Obduktionen bei “Coronatoten” vorzunehmen, das ist Politikversagen in großem Stil – wobei es durchaus Ausnahmen wie beispielsweise Schweden gab.
Die von überforderten Politikern nach anfänglichem Herunterspielen verordnete Maskerade (wohl nachdem man das Geschäftspotential erkannte…) hatte aus meiner Sicht zumindest ein Gutes: Nie war es so einfach zu erkennen, ob jemand bei Verstand ist oder nicht.
Mit Maske allein auf dem Fahrrad, mit Maske allein beim Laufen, mit Maske zu zweit im offenen Cabriolet, mit zwei Masken übereinander beim Einkaufen – nie gaben in so kurzer Zeit soviele Mitbürger Anlass zu Ausruf: “Herr, wirf Hirn vom Himmel!”
“An der Maske sollt Ihr sie erkennen”, das gilt in positiver Hinsicht indessen auch für viele Fahrzeuge der Vorkriegszeit – speziell für frühe Exemplare, deren Aufbau gängigen Mustern aus dem Kutschbau folgte und oft nur ein individuelles Merkmal aufwies: die Kühlermaske:
Horch Tourenwagen, Baujahr: 1913/14, Aufnahme aus dem 1. Weltkrieg; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Dieses Beispiel illustriert die Bedeutung der Kühlermaske – also des Bauteils, welches das eigentliche Kühlernetz bzw. bei ganz frühen Exemplaren die Kühlerschlangen – einrahmt, anhand eines Horch, der im 1. Weltkrieg eingesetzt wurde.
Hier ist die Kühlermaske von vorn betrachtet eiförmig gestaltet. Das findet sich bei mehreren Wagen aus dem deutschsprachigen Raum in der Zeit kurz vor dem 1. Weltkrieg. Doch haben wir das Glück, dass der Schriftzug auf dem Kühler gleich die Marke verrät: Horch.
Bei Horch taucht die eifömige Kühlermaske 1912 erstmals auf und scheint bis kurz nach dem 1. Weltkrieg verwendet worden zu sein – daneben gab es ab 1914 auch Spitzkühler.
Eine Besonderheit, die recht zuverlässig auf einen Horch verweist, war dabei das vorkragende Oberteil, an dessen nach innen geneigter Vorderseite das Horch-Emblem angebracht war – hier schemenhaft zu erkennen:
Horch Tourenwagen 6/18 PS oder 8/24 PS, Baujahr: ab1912; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)
Diese schöne Aufnahme, die kurz nach dem 1. Weltkrieg in Wien entstand, verdanke ich Sammlerkollege Matthias Schmidt aus Dresden.
Das kompakte Format des Wagens ließ nicht unbedingt an den Oberklassehersteller Horch denke, doch tatsächlich unternahm die Zwickauer Luxussschmiede einst auch einen Ausflug in die “Niederungen” der unteren Mittelklasse.
So wurden 1911 die Modelle 6/18 PS und 8/24 PS vorgestellt, die ab 1912 mit dem typischen eiförmigen Kühler weitergebaut wurden – bis Anfang der 1920er Jahre übrigens. Größere Verbreitung erlangte nur der Typ 8/24 PS mit etwas mehr als 900 Exemplaren.
Hier scheinen wir es mit einer Taxi-Ausführung zu tun zu haben – jedenfalls deutet die Tarifangabe auf dem Schild hinter der Windschutzscheibe darauf hin:
Vermutlich ist das der kleinste Horch, dem Sie je begegnen werden – sieht man einmal von den ganz frühen Typen vom Beginn des 20. Jahrhunderts ab.
Da man bei Horch gewohnheitsmäßig etwas Außergewöhnliches erwarten darf, erfüllt diese Aufnahme eines “Baby-Horch” zweifellos das Kriterium – doch letztlich gilt auch hier, dass selbst ein Horch außerhalb des üblichen Schemas “an der Maske zu erkennen” ist.
Eines noch: Wohl recht ähnlich war die Kühlermaske der Beckmann-Wagen aus dem schlesischen Breslau – doch davon konnte ich bislang noch keine Originalaufnahme an Land ziehen. Vielleicht kann ein Leser aushelfen?
Unter Horch-Kennern weckt der ab 1937 gebaute Typ 930V mit seinem “kurzen” Radstand von 3,10 Meter und Leistung von “nur” 80-90 PS nicht gerade die größte Leidenschaft.
Mit etwas mehr als 2.000 Exemplare gehörte der Horch 930V zu den meistgebauten Typen der sächsischen Manufaktur überhaupt. Man erkennt ihn von vorn anhand der beiden ovalen Zierblenden an der Frontpartie:
Horch 930 V Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Diese schöne Aufnahme, die einst bei einer Automobilausstellung entstand, ist eines der ältesten Vorkriegsautofotos in meiner Sammlung – sie hing schon in meiner Studienzeit am Schwarzen Brett in der Küche meiner WG und war Zeuge vieler unterhaltsamer Abende…
Heute dient sie mir als Ausgangspunkt einer nicht minder abwechslungsreichen Reise durch die Geschichte des Horch 930V, an deren Ende ein spektakuläres Exemplar auf uns wartet.
Ein Detail auf obigem Foto sei noch erwähnt – die geteilte und leicht v-förmige Windschutzscheibe, ein weiteres typisches Element jedes Horch 930V. Doch das “V” in der Bezeichnung hatte nicht unmittelbar damit zu tun.
Die v-förmige Frontscheibe hatte es bei Horch ja bereits ab 1935 gegeben, zumindest beim exklusiven Modell 853 mit mächtigem 5-Liter-Reihenachtzylinder. Hier haben wir zum Vergleich ein überlebendes Exemplar dieses Typs:
Horch 853 Cabriolet; aufgenommen 2017 bei den Classic Days auf Schloss Dyck; Bildrechte: Michael Schlenger
Tatsächlich verwies das “V” in der Bezeichnung des 930V auf den kompakteren V8-Motor, der in dem zwei Jahre nach dem Horch 853 vorgestellten, weit kleineren Wagen zum Einsatz kam.
Das Aggregat war bereits 1932 entwickelt worden. Ab 1933 wurde es beim Horch 830 verbaut, mit anfangs nur 60 PS aus 3 Litern. Für den 1937 eingeführten Typ 930V hatte man Hubraum und Leistung jedoch deutlich gesteigert, zuletzt auf 3,8 Liter und 92 PS.
Soviel an dieser Stelle zu Technik – viel interessanter sind die Aufbauten. Hier haben wir eine frühe Limousine, erkennbar am vorderen Ausstellfenster:
Horch 930V Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Das Ausstellfenster besaßen auch die frühen Cabrioausführungen wie die auf dem ersten Foto. Dort war zudem zu sehen, dass sich die Luftschlitze in der Motorhaube auf zwei übereinanderliegende Reihen verteilten, eingerahmt von einer Chromleiste.
Auf der Abbildung der Limousine sehen wir zwar nur eine Reihe davon, aber dafür lässt sich hier besagte Chromleiste besser erkennen. Aus stilistischer Sicht sei angemerkt, dass die ineinanderfließenden Elemente des Hecks die Formen der späten 1940er und frühen 1950er Jahre vorwegnehmen.
Selbst beim winzigen, mit Heckmotor ausgestattenen Renault 4V der Nachkriegszeit lebte genau diese Gestaltung fort:
Renault 4CV, aufgenommen 2012 bei Butzbach (Hessen): Bildrechte: Michael Schlenger
Nach diesem für Horch-Freunde vermutlich verstörenden Vergleich geht es nun weiter mit dem Typ 930V und zwar wiederum in der Ausführung als Limousine.
Diesmal haben wir es mit der späteren Version zu tun, die ohne vordere Ausstellfenster auskommen musste – ob schon 1938 oder erst 1939, das kann vielleicht ein sachkundiger Leser sagen (bitte dazu Kommentarfunktion nutzen).
Im Gegenzug bekam die spätere Variante der Limousine Stoßstangenhörner spendiert, die dem dichter werdenden Straßenverkehr in den Städten mit immer mehr Wagengrößen Rechnung trugen.
Einen solchen Horch 930V sehen wir – passend zur aktuellen Jahreszeit – hier:
Horch 930V Limousine; Originalfoto aus Sammlung Frank-Alexander Krämer
Diese Aufnahme aus der Zeit des 2. Weltkriegs zeigt einen Horch 930V als Kommandeurswagen der Wehrmacht, der noch das Kennzeichen des zivilen Vorbesitzers aus dem Nürnberger Raum trägt.
Wann und wo das Foto entstanden ist, konnte mir der Besitzer des Fotos – Frank Alexander Krämer aus Landau – leider nicht sagen. Nur, dass darauf ein Unteroffizier namens Foesel posiert, ist überliefert.
Hier haben wir ein Beispiel dafür, dass es oft kleine Details sind, die auf alten Autofotos die Identifikation des Wagens erlauben. Im vorliegenden Fall verraten uns die überlackierten ovalen Chromblenden an der Front, dass wir einen Horch 930V vor uns haben.
Die an diesem Wagen montierten Positionsleuchten sind übrigens nicht serienmäßig bei dem Modell – sie wurden nachgerüstet.
Wir setzen unsere Reise fort, kommen aber an der Tatsache nicht vorbei, dass viele Fotos solcher Horch-Wagen im Zweiten Weltkrieg entstanden, als sie als Offizierswagen beschlagnahmt wurden. Hier haben wir ein von der Wehrmacht eingesetztes Horch 930V-Cabriolet, das bei einer Marschpause in einem Waldstück abgestellt wurde:
Horch 930V Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Trotz der Vegetation im Vordergrund hat der Fotograf das Kunststück vollbracht, alle wesentlichen Details auf das Negativ zu bannen: die ovalen Ziergitter an der Front, die Radkappen mit gekröntem “H”, die geflügelte Weltkugel auf dem Kühler, die geknickte Frontscheibe und das vordere Ausstellfenster, das auf ein frühes Modell hindeutet.
Was verrät uns aber, dass dies ein Militärfahrzeug war? Der Notek-Tarnscheinwerfer am in Fahrtrichtung links befindlichen vorderen Kotflügel war im Krieg ja bisweilen auch an PKW zu finden, die weiterhin privat genutzt werden durften. Zudem wirkt der Lack nicht wie der eines Armeefahrzeugs und die Chromteile besitzen noch Glanz.
Nun, letzteres kann täuschen, doch der entscheidende Hinweis auf die militärische Nutzung ist der helle Streifen, der entlang des vorderen unteren Endes des Kotflügels aufgemalt worden ist. Dieser diente bei nächtlicher Kolonnenfahrt hinter einem fahrenden oder entgegenkommenden Fahrzeugen als Orientierung bei eingeschaltetem Tarnlicht.
Ich habe dies bisher nur bei Wehrmachts-PKW auf Fotos der ersten beiden Kriegsjahre gesehen, sodass Polen- oder Frankreichfeldzug als Situation in Frage kommen. Bei nicht an der Front eingesetzten Wagen scheint man damals oft noch auf Militärlackierung und Umkennzeichnung verzichtet zu haben (dieser Horch trägt noch sein Zivilkennzeichen).
Das nächste Exemplar des Horch 930V ist wieder ein Cabriolet, doch der Krieg ist nun zuende, und noch (oder wieder) in privater Hand befindliche Fahrzeuge des Typs wurden am Laufe gehalten – wie dieses hier:
Horch 930V Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Wer nach dem Krieg in Deutschland so einen Wagen bewegen konnte, durfte sich glücklich schätzen. Der enorme Benzinverbrauch von fast 20 Litern auf 100 km/h machte den Unterhalt zu einem ziemlich luxuriösen Vergnügen.
Doch hier konnte sich das offenbar jemand leisten und der Besitzer des Horch schaut versonnen lächelnd in die Kamera. Sein Haarschnitt ist ein Indiz für die frühe Nachkriegszeit, während der breit gestreifte Anzug und das geschlossene Hemd mit spitzem Kragen noch wie der Horch aus Vorkriegsproduktion stammen könnten.
Gewissheit verschafft uns der ramponierte Vorderkotflügel mit dem herabhängenden Keder zwischen vorderem Trittbrettende und Kotflügel. Ein solcher Horch, der erst ab 1937 gebaut wurde, wäre vor dem Krieg auf keinen Fall in diesem Zustand gewesen.
Ein weiteres Detail unterstützt die Einordnung in die frühe Nachkriegszeit: Die Sturmstange am Verdeck war stets vollverchromt, während sie hier von den Gelenken abgesehen in Wagenfarbe lackiert ist. Hier hat man sich also später ein paar Freiheiten genommen.
Das Baumaterial im Hintergrund spricht für die Wiederaufbauphase, wobei für meinen Geschmack das traditionelle schnörkellose, aber wohlproportionierte Haus mit Sprossenfenstern ein Ideal darstellt, auf das fast nur Minderwertiges folgte.
Vielleicht zur gleichen Zeit – wenige Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs – entstand im Osten Deutschlands eine Bilderreihe, in der für einen Moment noch einmal die mondäne Welt aufscheint, in der Horch-Automobile vor dem Krieg zuhause waren.
Jetzt mag einer die Nase rümpfen und denken: “Was war am 930V denn mondän? Das war doch bloß das kleine Einstiegsmodell von Horch, zudem in großer Zahl produziert.” Und hatte ich nicht selbst gesagt, dass sich am Heck der Limousine schon die biederen Formen der Nachkriegszeit abzeichnen?
Alles richtig. Doch gab es auf Basis des Horch 930V noch etwas, was zu den elegantesten und zugleich seltensten deutschen Autos der unmittelbaren Vorkriegszeit zählte – und das war der Roadster mit Karosserie von Gläser (Dresden).
Angeblich sollen nur 30 Stück davon gebaut worden sein, nach manchen Quellen noch weniger. Mir war noch nie ein originales Foto dieser Rarität begegnet, als ich wieder einmal elektronische Post von Leser Matthias Schmidt erhielt, zufällig ebenfalls aus Dresden.
Auf dem ersten Bild, das er mir übersandte, ahnte ich noch nicht, was ich da vor mir hatte:
Natürlich ist schon das begeisternd: Ein Horch-Cabriolet mit perfekten Proportionen und mit genau der richtigen Menge an Zierrat, direkt von vorn aufgenommen. Eine im Auto tänzerisch posierende junge Frau mit einem Lächeln, in das man gern alles Mögliche hineininterpretieren möchte. Der Hund daneben weiß um die Exklusivität seiner Situation.
Aber basiert dieses im Raum Annaberg (Sachsen) zugelassene Schmuckstück von Automobil tatsächlich auf dem Horch 930V? Wo sind denn die ovalen Zierbleche abgeblieben, die oben als typisch für das Modell hervorgehoben wurden? Immerhin: vermissen tut man sie hier nicht.
Tatsächlich kam der von Gläser auf dem Chassis des Horch 930V gebaute Roadster ohne dieses Detail aus. Er hatte andere Reize zu bieten:
Hier können wir nun die Flanke dieses Wagens genießen, die auf willkommene Weise von einem Paar schlanker Frauenbeine unterbrochen wird, das jedem Fotomodell Ehre machen würde.
Für mich ein Beispiel für die These, dass das klassische Automobil daran zu erkennen ist, dass es zu allen Zeiten vollkommen mit weiblicher Schönheit harmoniert. Kein Wunder, dass in einer Zeit, in der fanatische Ideologen die natürlichen Geschlechter verschwinden lassen wollen, auch keine vergleichbaren automobilen Schöpfungen mehr entstehen.
Wer die Linien dieses Roadsters dennoch “ungestört” studieren möchte, hat auf der nächsten Aufnahme Gelegenheit dazu – unser schönes Fräulein hat Verständnis für das Ansinnen und gibt sich hier vergleichsweise zurückhaltend:
Man mag beanstanden, dass der Bildausschnitt nicht ideal ist, auch dass die Schwellerpartie mit der “Gläser”-Plakette am Ende lädiert erscheint und schon einmal (nicht perfekt) überarbeitet wurde.
Doch ändert das nichts an dem bei deutschen Autos der direkten Vorkriegszeit seltenen, beinahe sinnlichen Schwung der Gürtellinie – ich wüsste auf Anhieb wenig Vergleichbares.
Raffiniert auch, dass die Gläser-Leute die Ausführung der Luftschlitze beim Horch 930V ebenso verworfen haben wie die Zierblenden an der Front. Die hier gewählte Ausführung vermeidet parallele Linien in der Horizontalen und unterstreicht das Dynamische an der Karosserie – man sieht förmlich die Luftströmung daran entlangstreichen.
Genug dieser Karosserie-Poesie, denn auch der Innenraum will gewürdigt werden – dort werden wir bereits erwartet:
Was soll man sagen? Diesem vorbildlich posierenden Hund ist anzusehen, dass auch er es gewohnt war, in einer Welt “bella figura” zu machen, die damals von der Lebenswirklichkeit fast aller Deutschen so weit entfernt war wie die Rückseite des Mondes.
Dass es das dennoch gab, auch das macht diese Fotos der Nachkriegszeit so berührend – ganz abgesehen von der Seltenheit des herrlichen Horch 930V Roadsters. Offenbar hatten es damals die in Berlin von Moskaus Gnaden regierenden Kommunisten noch nicht geschafft, im Osten unseres Landes die Reste großbürgerlicher Tradition auszurotten.
Dies gelang erst ab den 1970er Jahren mit der weitgehenden Beseitigung des verbliebenen Unternehmertums und dem Ausplündern derer, die über Krieg und sowjetische Besatzung Kunstgegenstände und Luxusobjekte wie diesen Horch hatten retten können.
Möglicherweise ist auch dieser wundervolle Wagen im Zuge der verbrecherischen Umtriebe des SED-Regimes zur Devisenbeschaffung im Westen gelandet. Es würde mich jedenfalls sehr wundern, wenn dieses Traumstück nicht noch irgendwo existiert.
Etwas fehlt aber noch. Zwar verdanke ich es der Findigkeit und Großzügigkeit von Matthias Schmidt, dass ich diese Bilderreihe des Horch 930V Roadster zeigen darf. Doch eine Heckansicht war nicht dabei.
Hier konnte ich selbst Abhilfe schaffen, indem ich einen neuzeitlichen Abzug vom originalen Negativ des einstigen Auto Union-Werksfotografen Friedrich Meiche erworben habe:
Horch 930V Roadster (Gläser); Abzug vom Originalnegativ des Auto Union-Werksfotografen Friedrich Meiche
Auf diesem Foto lassen sich die makellosen Linien des Horch 930V Roadsters mit Gläser-Karosserie studieren – sie passen perfekt zu den Proportionen dieses “kompakten” Modells.
Was mich an dem Blechkleid aus dieser Perspektive besonders begeistert: Man sieht keine einzige gerade Linie, keinen rechten Winkel – genau wie in der Natur, aus der wir stammen. Hier fehlt nur noch: eine charmante Beifahrerin, leichtes Reisegepäck und Futter für den Hund, ein voller Tank, freie Fahrt für freie Bürger und das Glück wäre vollkommen…
Heute machen wir Bekanntschaft mit einer illustren Persönlichkeit – und das in zweierlei Hinsicht. Dazu drehen wir das Rad der Zeit über 100 Jahre zurück und finden uns mitten im Ersten Weltkrieg wieder.
Dort sind wir bei früherer Gelegenheit bereits eindrucksvollen Fahrzeugen im Dienst des Deutschen Reichs (oder auch Österreich-Ungarns) begegnet wie diesem:
Horch Tourenwagen, Baujahr: 1913/14, Aufnahme aus dem 1. Weltkrieg; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Der trotz des wenig erbaulichen Umfelds beeindruckende Wagen war seinerzeit leicht als Horch von 1913/14 zu identifizieren – weniger wegen des Markenschriftzugs auf dem Kühler als wegen des neu eingeführten “Schnabelkühlers” mit birnenfömigem Querschnitt.
Die drei schrägstehenden Luftschlitze in der Motorhaube sind ebenfalls typisch für die Wagen der sächsischen Luxusmarke jener Zeit. Dummerweise finden sich genau diese Merkmale in so unterschiedlichen Motorisierungen wie 8/24 PS, 10/30 PS, 14/40 PS, 18/50 PS und 25/60 PS – nur anhand der Proportionen konnte man die Modelle auseinanderhalten.
Speziell in der Ansicht von vorn ist es praktisch unmöglich, sich auf eine der Varianten festzulegen, insbesondere wenn es sich um einen Tourer handelt.
Das Bild ändert sich, wenn man eine der luxuriösen Versionen mit geschlossenem Aufbau vor sich hat – idealerweise auf einer Abbildung, die den Wagen eher von der Seite zeigt:
Horch “Salonwagen” Typ 14/40 PS oder darüber, Baujahr ab 1914: Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks
Das Foto dieses mächtigen Wagens verdanken wir einmal mehr dem Spürsinn von Leser und Sammlerkollege Klaas Dierks, der das Auto auch gleich als Horch einordnete.
Soviel Treffsicherheit ist alles andere als selbstverständlich, besitzt dieses Exemplar doch nicht den zeittypischen Schnabelkühler, mit dem Horchs ab 1913 meist daherkamen.
Dennoch besteht an der Identifikation kein Zweifel. So finden sich ab 1914 auch Abbildungen von Horch-Exemplaren mit genau solch einem Spitzkühler, den man damals eher von Benz, Daimler und Opel gewohnt war.
Leider ist hier nicht zu erkennen, ob die Spitzkühlerversion eine “Horch”-Plakette (bzw. zwei davon) trug, wie das nach dem 1. Weltkrieg eine Weile üblich sein sollte.
Dasselbe gilt auch für die wenigen Fotos in der Literatur, die solche frühen Spitzkühler-Horchs zeigen.
Stellt sich die Frage, ob man aus dieser Perspektive eher eine Aussage zur Motorisierung treffen kann. Nun, mit der gebotenen Vorsicht meine ich, dass das tendenziell möglich ist.
Gegen die kleinen Typen 8/24 PS und 10/30 PS (beide seit 1911 im Programm) spricht zum einen die enorme Länge der Haube – darunter befand sich wohl kaum nur ein Aggregat mit 2,1 oder 2,6 Litern Hubraum.
Zum anderen verlangte auch der schwere Aufbau als Chauffeur-Limousine eher nach einem stärkeren Antrieb als bei den meist als Tourenwagen verkauften Horch-Einstiegsmodellen.
Trotz einiger Defekte auf dem Abzug kann man hier einige hübsche Details studieren.
Der Fahrer, der uns hier etwas müde anschaut, hat die Frontscheibe nach vorn umgelegt – frische Luft hilft auch nach einer eher durchgefahrenen als durchgefeierten Nacht den Lebensgeistern auf die Sprünge.
Hinter ihm an der Karosseriesäule, die das weit auskragende und freischwebende Dach trägt, sieht man einen Schalltrichter, über den Anweisungen aus dem Innenraum übertragen wurden.
Wie damals üblich haben wir außerdem in Griffweite die Ballhupe sowie die Betätigungshebel für Handbremse und Gangschaltung.
Mit Riemen an den Felgen der beiden Ersatzräder befestigt sind eine Flasche mit Wasser für den Kühler und ein rechteckiger Kanister, der Motorenöl enthielt. In einem der typischen Dreieckskanister dahinter wurde Reservekraftstoff mitgeführt. Dahinter verbergen sich wohl Schaufel und Hacke für den Fall, dass man sich festfuhr.
Der Adler auf der Tür zum Passagierabteil verrät, dass dieser Horch bei einer Einheit der preußischen Armee eingesetzt war, deren genaue Bezeichnung sich hinter den Kürzeln am hinteren Seitenteil verbirgt (kann jemand die Bedeutung entschlüsseln?).
Genau dieser Aufbau findet sich in der Standardliteratur zu Horch (P. Kirchberg/J. Pönisch, Verlag Delius Klasing) auf Seite 126 der 2. Auflage als sogenannte “Salonlimousine” wieder.
Der Zufall will es, dass der dort abgebildete Horch auch einen Spitzkühler besitzt. Dieser Wagen war ein mittelgroßer Typ 14/40 PS, der 1916 an einen illustren Besitzer ausgeliefert wurde – den damaligen türkischen Scheich ül-Islam.
Dazu muss man zweierlei wissen: Zum einen war das Osmanische Reich damals ein wichtiger Handelspartner und Verbündeter Deutschlands, zum anderen war der Scheich ül-Islam einer der ranghöchsten Würdenträger.
Hinter der Bezeichnung verbirgt sich das Amt des Mufti, der Fragen des Zusammenlebensaus religiöser Perspektive mit quasi rechtsverbindlichen Auskünften (Fatwa) beantwortete – eine sehr archaische und für Anhänger der europäischen Aufklärung völlig inakzeptable Tradition.
Vermutlich war der für den 1916 amtierenden Scheich ül-Islam angefertigte Horch 14/40 PS ein Geschenk des Deutschen Reichs an die verbündete Türkei. Möglicherweise ist ja etwas über den Verbleib des Wagens bekannt (Hinweise via Kommentarfunktion).
Jedenfalls diente genau solch ein Horch “Salonwagen” gleichzeitig irgendwo im 1. Weltkrieg auf deutscher Seite einem hohen Militärangehörigen.
Gut möglich, dass es sich ebenfalls um einen Typ 14/40 PS mit 3,6 Litern Hubraum handelte, ich würde aber auch das 18/50 PS Modell nicht ausschließen, für dessen 4,7 Liter-Aggregat reichlich Platz unter der Haube war. Darüber gab es nur noch den 25/60 PS-Typ mit 6,4 Liter Hubraum, der aber weit seltener blieb als die schwächeren Modelle.
Da alle großen Horchs einen ähnlichen Radstand von rund 3,5 Meter aufwiesen und ansonsten im wesentlichen gleich gestaltet waren, wird sich dieses Detail nicht mehr klären lassen. Der Fahrer des heute vorgestellten Wagens konnte aber seinen Kameraden und Angehörigen stolz vermelden: “In so etwas fuhr auch der Mufti!”
Heute gibt es in meinem Vorkriegsauto-Blog ein Wiedersehen mit alten Bekannten – und das in doppelter Hinsicht. Ermöglicht hat das Dr. Andreas Rosado aus München, der mir zwei schöne Fotos aus dem Familienalbum seiner Gattin zugesandt hat.
Darauf begegnen wir nicht nur einem mondänen Vorkriegsautomobil wieder, das ich hier bereits vorstellen durfte, sondern können uns auch dem Thema “Doppelgänger” widmen – auf mehreren Ebenen, die die Sphäre des Automobils hinter sich lassen.
Dabei ist der Wagen selbst ein Prachtexemplar, von dem man sich nur schwer losreißen kann – er war schon zu “Lebzeiten” ein seltener und erhebender Anblick. Rund 350 Exemplare wurden davon 1931/32 in Manufakturarbeit gefertigt.
Die Rede ist vom Horch Typ 470 und seinem Doppelgänger 480 – beide sind meines Erachtens äußerlich nicht voneinander zu unterscheiden. Hier haben wir die wohl gängigste Ausführung als Sport-Cabriolet:
Horch 470 bzw. 480 Sport-Cabriolet; Originalfoto aus Familienbesitz (via Andreas Rosado, München)
Dass wir einen Horch vor uns haben, das verrät bei etwaigen Zweifeln das gekrönte “H” auf den Radkappen. Diese finden sich in vollverchromter Ausführung nur bei den Sport-Cabriolets der Horch T-Typen 420, 470 und 480, die 1931 eingeführt wurden.
Die bis zur Windschutzscheibe reichende Motorhaube ist ein weiterer Hinweis auf diese eng miteinander verwandten Achtzylinder-Modelle (90 PS bzw. 100 PS beim Typ 480). Ebenfalls typisch sind die in zwei Reihen übereinander angeordneten Luftschlitze.
Exakt 5 Meter betrug die Gesamtlänge dieser großartigen Geschöpfe Zwickauer Automobilbaukunst, kaum weniger eindrucksvoll ist der Radstand von 3,45 Metern. Kein Wunder, dass der elegant gekleidete Herr daneben recht klein wirkt.
Dass er mit über 1,75 m Körpergröße dennoch fast Gardemaß besaß, zeigt sich beim Anlegen des Lineals anhand des Vergleichs mit dem bekannten Radstand – eine Technik, die nur dann funktioniert, wenn der Wagen möglichst genau von der Seite aufgenommen ist und kein die Proportionen verzerrendes Objektiv verwendet wurde.
Curt Soldan lautete der Name des Horch-Besitzers, er stammte aus Nürnberg und war unübersehbar ein Mensch, der den stilvollen Auftritt beherrschte. Zweifellos wusste er, dass die lässige Pose mit Hand in der Hosentasche nach Filmschauspieler-Vorbild nur solange erlaubt war, wie keine Dame in der Nähe war.
Das bekam ich bereits als 14-jähriger Jüngling von meinem stets mit Anzug und Krawatte gekleideten Großonkel aus Paderborn beigebracht.
Nach dieser persönlichen Abschweifung zurück zum Horch von Curt Soldan, nun aber aus anderer Perspektive – nämlich mit seiner Ehefrau Ilse Soldan-Pfaller, die uns hier im figurbetonenden Kostüm begegnet, das bis in die 1950er Jahre en vogue bleiben sollte:
Horch 470 oder 480 Sport-Cabriolet; Originalfoto aus Familienbesitz (via Andreas Rosado, München)
Diese Aufnahme gefällt mir noch besser als die vorherige, aus mehreren Gründen:
Zunächst ist ein Foto eines solchen Horch aus dieser Perspektive außergewöhnlich, dazu muss der Fotograf im Straßengraben in die Hocke gegangen sein. Dafür war sich der eben noch so auf’s Äußere bedachte Curt Soldan keineswegs zu fein.
Doch auch damit hat er Geschmack bewiesen, denn das Spiel von Licht und Schatten auf dem Horch und seiner Gattin ist ganz wunderbar. Dieselbe schaut etwas besorgt, aber auch in diesem Moment wirkt sie ausgesprochen fotogen.
Erst auf den zweiten Blick bemerkt man weitere reizvolle Details, die etwas Aufschluss darüber geben, bei welcher Gelegenheit dieses schöne Foto entstanden ist. So sind rechts am Wagen Skier angebracht, wenn nicht alles täuscht.
Zu einer Fahrt in einen Wintersportort würden die grobstolligen Reifen an der Hinterachse passen, die eventuell Schneeketten überflüssig machten. Da der Horch recht verschmutzt erscheint, könnte das Foto eher bei der Rückfahrt aus dem Skiurlaub entstanden sein – eventuell gegen Ostern, als im Flachland der Frühling Einzug hielt.
Was aber hat es mit dem Doppelgänger auf sich, der eingangs in mehrfacher Hinsicht in Aussicht gestellt wurde? Nun, dass die Horch-Typen 470 und 480 rein äußerlich Doppelgänger voneinander waren, das habe ich bereits erwähnt.
Tatsächlich hat das Thema weitere Facetten. Die beiden Fotos, die ein Horch 470 bzw. 480 Sport-Cabriolet mit Curt und Ilse Soldan zeigen, erinnerten mich nämlich an eine Aufnahme aus meinem eigenen Fundus.
Darauf ist nicht nur ein ganz ähnlicher Horch zu sehen, sondern auch ein Paar, das ebenfalls Curt und Ilse Soldan zeigen könnte – neben einem weiteren Paar:
Horch 470 bzw. 480 Sport-Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Beim Vergleich unterscheidet sich dieser Horch etwas in der Farbgebung, auch trägt er das bei den Typen 470/480 serienmäßige Steinschlaggitter vor dem Kühler, das an dem Wagen von Curt Soldan fehlt. Die letzte Ziffer des Kennzeichens unterscheidet sich ebenfalls.
Doch die Ähnlichkeit des modisch gekleideten, gut aufgelegten Paares links mit den zuvor getrennt neben ihrem Horch posierenden Eheleuten Soldan ist unübersehbar.
Sollten das wirklich nur Doppelgänger gewesen sein so wie auch das Auto? Das konnte auch die Gattin von Andreas Rosado, aus deren Familie die Fotos des Horch von Curt und Ilse Soldan stammen, nicht mit Gewissheit sagen.
Möglich, dass die Aufnahme aus meiner Sammlung tatsächlich die beiden mit einem Horch desselben Typs zeigt – entweder ihren eigenen mit anderer Zulassung und Detailänderungen am Aufbau oder einen Wagen von Bekannten.
Denn eines ist klar: Wer ein solches enorm kostspieliges Horch-Sportcabriolet fuhr, bewegte sich in einem sehr engen Milieu, in dem die allermeisten der rund 350 Exemplare der beiden Typen 470 bzw. 480 Käufer fanden.
Da ist es am Ende gleichgültig, inwieweit man es mit Doppelgängern zu tun hat oder nicht. Faszinierend sind die wenigen Dokumente dieser herrlichen Luxus-Automobile und ihrer einstigen Besitzer allemal.
Vor ziemlich genau 190 Jahren – im September 1830 – kam es im Königreich Sachsen zu einer breiten bürgerlichen Protestbewegung, die unter anderem auf eine stärkere Einbeziehung in die lokale Verwaltung und eine Verfassung abzielte.
Zwar gab die französische Julirevolution desselben Jahres gewisse Impulse, doch blieben gewaltsame Auseinandersetzungen die Ausnahme und der berechtigte Volkszorn konnte dank der Einsicht der Herrschenden eingehegt werden.
Da es in der Folge zu einer ganzen Reihe von Zugeständnissen der Obrigkeit kam, die 1831 in die erste sächsische Verfassung mündeten, ist das damalige Geschehen eher als Evolution denn als Revolution zu charakterisieren.
Zeugnisse einer weiteren “sächsischen Evolution” kann ich heute anhand von Fotos der Horch Achtzylindertypen 375 und 420 vorstellen. Damit setze ich meine bis ins Jahr 1904 zurückreichende Dokumentation der Zwickauer Luxusmarke fort.
Den Anfang macht ein Foto aus der Sammlung von Matthias Schmidt (Dresden), das ich mir für meine Zwecke kaum besser wünschen könnte:
Horch 8 Typ 375 (rechts) und 400 (links); Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt
Diese auf dem Land in Oberbayernentstandene Aufnahme wäre auch so bereits ein reizvolles Relikt der Vorkriegszeit. Leider ist während bei der Herstellung des Abzugs am linken Rand etwas schiefgegangen, sodass die Reisegruppe nur teilweise scharf wiedergegeben ist, obwohl der Fotograf die Tiefenschärfe wohl richtig festgelegt hatte.
So spare ich mir heute eine Beschäftigung mit den Charaktertypen (m/w/d…) auf zwei Beinen und beschränke das “Gesichtsstudium” auf die beiden prächtigen Automobile.
Die Frontpartie ist jeweils gut zu erkennen und auch ohne große Erfahrung kommt man zu dem Schluss, dass man hier Achtzylinderwagen von Horch vor sich sieht.
Wie es der Zufall will, handelt es sich um zwei aufeinanderfolgende Typen, die so die Evolution der Horch-Achtzylinderautos Anfang der 1930er Jahre illustrieren.
Werfen wir zunächst einen Blick auf das rechts abgebildete Fahrzeug:
Vor allem zwei Dinge fallen hier ins Auge: Zum einen ist die Stoßstange dieses Wagens dreiteilig ausgeführt – bei deutschen Autos sonst m.W. nirgends zu finden und ein wenig dick aufgetragen. Zum anderen beschränken sich die seitlichen Luftschlitze auf die hinteren zwei Drittel der Motorhaube.
In der Kombination sind diese Elemente ein klarer Hinweis auf denHorch 8 Typ 375, der von 1929-31 in über 900 Exemplaren gebaut wurde. Er besaß denselben 4-Liter-Achtzylindermotor mit 80 PS wie der bereits 1928 eingeführte Typ 350, der bis dato mit rund 2.850 Stück der meistverkaufte Horch überhaupt war.
Zum Vergleich hier ein aus fast identischer Perspektive aufgenommener Horch 375, der ein Detail erkennen lässt, das bei diesem Typ erstmals auftaucht – die Radkappen mit gekröntem “H”-Emblem:
Horch 8 Typ 375 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Bei dieser Limousine wie auch dem eingangs gezeigten Cabriolet des Typs 375 stehen die Säulen der Frontscheibe noch senkrecht. Dieses Detail ist für die weitere Betrachtung nicht unwesentlich, lässt sich auch an solchen Kleinigkeiten Evolution ablesen – bisweilen.
Auch wenn es neben dem Typ 375 noch die Typen 400 und 405 gab, stellten diese keine eigentlichen Evolutionsschritte dar.
Sie verfügten über dieselbe Motorisierung wie der Horch 350 und unterschieden sich von diesem nur durch kleinere technische und optische Details. Von einer neuen Entwicklungsstufe kann man erst beim Horch 420 sprechen.
Genau ein solches Modell steht im Mittelpunkt der von Matthias Schmidt zur Verfügung gestellten Aufnahme:
Im Vergleich zum benachbarten Wagen fällt hier die deutlich geneigte Frontscheibe ins Auge. Ebenso markant ist der Wegfall der dreigeteilten Stoßstange – zweifellos ein ästhetischer Gewinn.
Formal unverändert geblieben ist der eindrucksvolle Kühler mit den lackierten vertikalen Lamellen. Doch dahinter verbirgt sich ein neukonstruierter Achtzylindermotor.
Horch verzichtete beim neuen Typ 420 (und beim parallelen Sporttyp 410) auf den aufwendigen Ventiltrieb mit zwei obenliegenden Nockenwellen, vergrößerte aber den Hubraum auf 4,5 Liter und erreichte so (mit noch einer Nockenwelle) 90 statt 80 PS.
Auch bei der Konstruktion des Motorblocks schnitt man alte Zöpfe ab und verpasste außerdem im Interesse der Laufruhe der Kurbelwelle zehn statt zuvor nur fünf Lager.
Mit diesen Schritten folgte man der amerikanischen Tendenz, die bei Achtzylindern eher auf Hubraum und komfortablen Lauf denn auf dem Rennsport entlehnte technische Finessen legte, die in der SerienproduktionHemmnisse darstellten.
Äußerlich war die neue Motorengeneration beim Typ 420 an der Gestaltung der Haubenschlitze zu erkennen. Diese waren nun in zwei übereinander liegenden Reihen angeordnet.
Da man dieses wichtige Detail auf dem Foto von Matthias Schmidt nur ansatzweise erkennen kann, präsentiere ich ein weiteres Foto des Horch 8 Typ 420, das nicht nur in dieser Hinsicht kaum Wünsche offenlässt:
Horch 8 Typ 420 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks
Diese Aufnahme verdanke ich Klaas Dierks, der mit Matthias Schmidt um die häufigsten (und besten) Leserbildbeiträge zu dieser Dokumentation von Vorkriegsautos wetteifert.
Wie diese Horch-Limousine förmlich dazu ansetzt, gleich aus dem Foto herauszufahren, das ist schon raffiniert, zumal es sich um eine Amateuraufnahme handelt. Nun aber hinein ins Detail!
Vor dem Reserverad sieht man klar, dass sich die Luftschlitze auf zwei übereinander angeordnete Gruppen verteilen. Das findet man zwar auch bei den Typen 470 und 480, die einen größeren Radstand und im Fall des 480 einen stärkeren Motor besaßen.
Aber:Beim Horch 8 Typ 420 endete die Motorhaube noch deutlich vor der Frontscheibe – zu erkennen an der quer verlaufenden Zierleiste:
Die Modelle 470 und 480 besaßen bis zur Scheibe durchgehende Hauben, wie wir bei einem ausführlichen Porträt dieser Typen noch sehen werden, von denen mir mittlerweile einige schöne Aufnahmen vorliegen.
Dass hier die Windschutzscheibe hier wieder senkrecht im Wind steht, hat mit dem Aufbau als Limousine zu tun. Die sanfte Evolution hin zur schrägstehenden Scheibe beschränkte sich zunächst auf die offenen Aufbauten.
Den krönenden Abschluss markierte eine Aufnahme aus meinem eigenen Fundus, die ebenfalls einen Horch der frühen 1930er Jahre zeigt. Das genaue Modell konnte ich noch nicht identifizieren – es ist irgendwo zwischen den Horch-Typen 420 und 480 anzusiedeln.
Doch wer wollte sich bei einer so einladenden Situation nur mit den Reizen des Autos beschäftigen?
Horch 8, viertüriges Cabriolet der frühen 1930er Jahre; Orignalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Um auf’s Titelthema zurückzukommen: Sehen diese Damen etwa wie Revolutionäre aus?
Nein, man mag sie sich viel lieber als charmante, doch selbstbewusste Vertreterinnen des sächsischen Bürgertums vorstellen, die ihre berechtigten Forderungen nach mehr Teilhabe am Horch vorbringen – auch das war sanfte Evolution vor 90 Jahren…
“Nicht schön, aber selten”, so lautet eine Redewendung im Deutschen, mit der man in ironischer Absicht etwas dafür lobt, dass es zwar nicht gelungen ist, aber wenigstens eine Rarität darstellt – zum Glück, möchte man sich hinzudenken.
Interessanterweise konnte ich nichts über die Herkunft dieses spöttischen Spruchs herausfinden. Ich schätze aber, dass er eher neueren Datums ist, also vielleicht in den 1960/70er Jahren aufkam.
Wer mehr darüber weiß, kann auch das über die Kommentarfunktion mitteilen, in der im übrigen alles erlaubt ist, solange es gewisse sprachliche Mindestanforderungen erfüllt.
Ganz das Gegenteil – “Nicht selten, aber schön” ist indessen das Fahrzeug, von dem ich heute zwei “neue” Aufnahmen zeigen möchte. Sie mögen nicht sonderlich spektakulär sein, helfen aber den Blick für die Details des abgebildeten Wagens schärfen.
Wieder einmal geht es um den Horch Typ 10/50 PS, der Mitte der 1920er Jahre das einzige Modell der Zwickauer Luxusmarke war.
Mit Horch werden verständlicherweise meist die herrlichen Achtzylinderwagen der 30er Jahre in Verbindung gebracht. Hier ein Vorgeschmack auf eines dieser majestätischen Automobile, die ich in meinem Blog bislang für die Zukunft “aufgespart” habe:
Hoch 853 A Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Damit kann zwar der Horch-Typ 10/50 PS auf den ersten Blick nicht mithalten, um den es heute geht – er begnügte sich mit einem Vierzylindermotor.
Wie der oben nur ausschnitthaft abgebildete Horch 853 A wies er aber genügend formale Details auf, die ebenfalls eine Identifikation selbst dann erlauben, wenn der Wagen nur teilweise wiedergegeben ist.
Keines dieser Elemente ist für sich genommen ausreichend für eine präzise Typansprache, erst das Nebeneinander mehrerer Charakteristika erlaubt eine Identifikation. Die Fotos, die ich heute zeige, machen das deutlich.
Beginnen wir mit einer vor längerem vorgestellten Aufnahme eines Vierzylinder-Horch 10/50 PS, wie er von Ende 1924 bis Ende 1926 in über zweitausend Exemplaren entstand – bis dahin das meistgebaute Modell der Zwickauer:
Horch 10/50 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Man präge sich auf dieser winterlichen Aufnahme folgende Details ein: die auf die unteren zwei Drittel der Motorhaube beschränkten Luftschlitze, die Nabenkappe mit sechs Radbolzen, die Ausführung der mittig und horizontal unterteilten Windschutzscheibe und die Gestaltung der Trittschutzbleche am Schweller unterhalb der Türen.
Davon abgesehen wirkt der Aufbau vollkommen austauschbar – so sahen zahllose Tourer von Herstellern aus dem deutschsprachigen Raum Mitte der 1920er Jahre aus.
Einige der erwähnten Elemente findet man auf folgender Aufnahme wieder, die zusätzlich den Kühler erkennen lässt, auf dem schemenhaft ein gekröntes “H” zu sehen ist:
Horch 10/50 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Markant ist hier die Gestaltung des Kühleroberteils, die etwas an Rolls-Royce erinnert. Tatsächlich verwendeten in den 1920er Jahren auch andere Hersteller – vor allem in Italien – die klassische Tempelfront mit Dreiecksgiebel als Inspiration.
Ein weiteres Element ist auf folgender Aufnahme zu sehen, die Matthias Schmidt (Dresden) zur Verfügung gestellt hat – eine Kühlerfigur in Form eines geflügelten Pfeils:
Horch 10/50 PS; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)
Das Beispiel mag veranschaulichen, wie ein einzelnes Detail bei der Bestimmung eines Vorkriegsautos in die Irre führen kann. Die Kühlerfigur wurde nämlich erst bei den ab 1927 gebauten Achtzylindertypen von Horch eingeführt.
Hier hat sie jemand nachträglich an seinem Horch 10/50 PS montiert, was einst keineswegs unüblich war.
Während selbsternannte Originalitätswächter heute eine solche Kühlerfigur an einem erhaltenenHorch 10/50 PS sofort zum Tabu erklären würden, entspräche sie tatsächlich einem dokumentierten zeitgenössischen Zustand – wie auch die Dellen im Kotflügel…
Ein überlebender Horch 10/50 PS wäre mit solchen zeitbedingten “Zutaten” sicher ebenso als original anzusehen, wie ein in Neuzustand versetzter entsprechender Wagen – hier eines der ganz seltenen Exemplare, das “Audi Tradition” wiederhergestellt hat:
Horch 10/50 PS; Bildrechte: Michael Schlenger
Hier lässt sich nun das bei diesem Modell neu eingeführte Horch-Logo genau studieren. Die “Krone” über dem “H” ist tatsächlich aus dem Markennamen zusammengesetzt – ein schlichter, aber gelungener Effekt, wie ich finde.
Man mag auf dieser Aufnahme die typische Unterteilung der Frontscheibe vermissen, doch sehen wir sie gleich ebenso wieder wie die auffallende Gestaltung der Motorhaube mit den das obere Drittel aussparenden Luftschlitzen:
Horch 10/50 PS; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger
Auf dieser bis dato unpublizierten Aufnahme ist gerade noch das “H” auf dem Kühler zu erkennen, was in Verbindung mit der Gestaltung von Haube und Frontscheibe eine klare Ansprache als Horch 10/50 PS ermöglicht.
“Neu” sind allerdings die Drahtspeichenräder, die optional erhältlich waren und den Wagen sportlicher wirken ließen. Im Alltag auf meist unzureichend befestigten Straßen dürften die robusten Stahlspeichenräder die bessere Wahl gewesen sein.
Diese Bilder vermitteln eine Vorstellung des typischen Erscheinungsbilds des Horch 10/50 PS, lassen aber auch eine gewisse Variabilität im Detail erkennen, die es im Hinterkopf zu behalten gilt.
Mit solchermaßen geschärftem Blick wenden wir uns nun dem zweiten Foto eines Horch 10/50 PS zu, das ich kürzlich meiner Sammlung einverleiben konnte. Ohne die Beschäftigung mit den diversen Varianten des Typs wäre die Identifikation vielleicht schwergefallen, doch so ist sie ein Kinderspiel:
Horch 10/50 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Nicht selten, aber schön – das muss man bei diesem geglückten Foto einfach feststellen. Die Aufnahme stellt die Passagiere und den Fahrer des Wagens in den Mittelpunkt, dennoch sieht man genug, um mit Gewissheit sagen zu können: Ein Horch 10/50 PS.
Über die Haubenpartie muss ich nicht mehr viele Worte verlieren, außer vielleicht, dass man hier besonders gut sieht, wie sich das Profil des klassischen Kühlers bis zur Windschutzscheibe fortsetzt – ein Effekt, der dem Vorderteil des ansonsten vollkommen schlicht gezeichneten Wagens Spannung und Körperhaftigkeit gibt.
Von den Vorderrädern sieht man gerade noch die mächtigen Bremstrommeln, die der Horch 10/50 PS vom Beginn der Produktion im Dezember 1924 an besaß.
Die Nabenkappe mit den sechs Radbolzen ist am Hinterrad zu erkennen, der Feststellgriff des Ersatzrads entspricht ebenso den Verhältnissen auf den übrigen Fotos wie die erwähnten durchbrochenen Bleche am Schweller, die Beschädigungen des Lacks beim Einsteigen vorbeugen sollten.
Absolut übereinstimmend – wenn auch nicht marken- oder typspezifisch ist die minimalistische Ausführung der Seitenlinie, wie sie typisch für den sachlichen Stil ab Mitte der 1920er Jahre ist. Noch schlichter geht es nicht und zum Glück besann man sich ab 1930 wieder auf eine gefälligere Linienführung an der Fahrzeugflanke.
Die opulenten Formen der späteren Horch-Modelle müssen aber noch warten. Zum Abschluss ein Vorgeschmack darauf, der an das eingangs gezeigte Beispiel anknüpft:
Horch 853 Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger
Knapp zehn Jahre liegen zwischen dem nüchternen Horch 10/50 PS und diesem sinnlich geformten Blechkunstwerk, für das bis heute gilt: Nicht nur schön, sondern auch selten…