Ein interessantes, aber unterbelichtetes Kapitel der deutschen Automobilhistorie sind die Fremdfabrikate, die hierzulande in Lizenz oder aus Bausätzen montiert wurden, vor allem in der Zwischenkriegszeit.
Ein Beispiel dafür wurde hier kürzlich vorgestellt – Citroens 8 bzw. 10 CV-Modell aus den 1930er Jahren, bekannt als “Rosalie“. Die französische Marke begann bereits in den 1920er Jahren, ihre wichtigsten Modelle in Deutschland zu produzieren.
1927 startete Citroen in Köln mit der Fertigung des B14. Wenn einem das nichts sagt, ist das keine Bildungslücke – der Verfasser stieß auch erst durch folgendes Originalfoto auf den ihm bis dahin unbekannten Typ:
© Citroen B14, aufgenommen 1928 am Klausenpass, aus Sammlung Michael Schlenger
Das grandiose Bergpanorama weckt Assoziationen an die amerikanischen Rocky Mountains, und auch das Auto könnte auf den ersten Blick ein amerikanischer Typ der 1920er Jahre sein. Doch muss sich das gute alte Europa in punkto landschaftlicher Höhepunkte nicht hinter der Neuen Welt verstecken. Zudem weist der Wagen eine ganze Reihe von Charakteristika auf, die seine europäische Herkunft verraten.
Auffallend ist die schlanke Silhouette mit dem hohen Aufbau, die in den USA unüblich war. Dort bevorzugte man von jeher den breiten Auftritt, schließlich mussten sich die Autos auch abseits geteerter Straßen im Gelände bewähren. Weiteren Aufschluss gibt folgender Bildausschnitt:
Auf den Reifen ist der Schriftzug “Michelin” zu erkennen, was für ein französisches Fabrikat spricht. In Frankreich wäre man seinerzeit nicht auf die Idee gekommen, deutsche oder britische Reifen zu montieren – dasselbe galt natürlich auch umgekehrt. Die Bevorzugung heimischer Zulieferteile hatte meist logistische Gründe, muss also nicht als Ausdruck von Nationalismus gewertet werden.
Die hufeisenförmige Kühlermaske gibt einen Hinweis auf Citroen als Hersteller. Die Anordnung der Kühlluftschlitze in der Motorhaube und die Zugknöpfe des Werkzeugkastens oberhalb des Trittbretts erlauben schließlich die Ansprache als Modell B14, das von 1926-29 in fast 140.000 Exemplaren gebaut wurde.
Das Mittelklassemodell war mit seinem 1,5 Liter-Seitenventiler und 25 PS technisch unprätentiös, verfügte aber über Vierradbremsen – damals noch keine Selbstverständlichkeit. Außerdem waren die Wagen markentypisch solide konstruiert und zuverlässig. Vor allem die rückwärtigen Passagiere genossen ein großzügiges Platzangebot, gleichzeitig ließ der schlanke Aufbau den Wagen elegant wirken.
Die schmale Linie ist gut auf folgendem Foto zu erkennen, das einen Citroen B14 im 1947 entstandenen französischen Films “Non coupable – Nicht schuldig” zeigt:
© Citroen B14, Filmfoto von 1947; Bildquelle: www.imcdb.org
Kommen wir zur Aufnahmesituation. Laut umseitiger Beschriftung ist das Bild 1928 am Klausenpass in der Schweiz entstanden. Der genaue Ort lässt sich anhand der Bergformation im Hintergrund eingrenzen: Der Blick geht ostwärts vom oberen Ende des Urnerbodens, im Hintergrund ist der Ortstock zu sehen (Situation heute).
Interessant ist das deutsche Kennzeichen des Citroen. Das Kürzel “II Z” verweist auf eine Zulassung im Kreis Schwaben (zu Bayern gehörig). Da wir es mit einem weitab von der französischen Grenze in Deutschland zugelassenen Wagen zu tun haben, ist es sehr wahrscheinlich, dass das Auto aus deutscher Produktion stammt.
Citroen fertigte von 1927-28 im Kölner Werk knapp 9.000 Exemplare des Typs B14 und setzte dabei auch Zulieferteile aus deutscher Produktion ein, beispielsweise Solex-Vergaser und Bosch-Elektrik.
Im wirtschaftlich schwierigen Umfeld jener Zeit einen solchen Erfolg in Deutschland zu landen, spricht für das Preis-Leistungsverhältnis der Wagen von Citroen. Es ist kein Zufall, dass Opel seinerzeit im Kleinwagensegment nichts Besseres einfiel, als den Typ 5CV der französischen Konkurrenz zu kopieren. Dazu gelegentlich mehr…