Ein Hanomag “Sturm” am Golf von Neapel

Diesem Oldtimer-Blog liegen zwei Gedanken zugrunde:

Zum einen sollen hier Vorkriegsautos eine breite Bühne bekommen, vor allem solche von Herstellern aus dem deutschen Sprachraum. Einen entsprechenden Anlaufpunkt im Netz gibt es nach Kenntnis des Verfassers sonst nicht.

Zum anderen soll die faszinierende Vielfalt an Marken und Typen anhand historischer Originalfotos vermittelt werden, die die Fahrzeuge mit den Menschen zeigt, die sie einst besaßen oder bewunderten.

Dabei stößt man neben Schnappschüssen aus dem Familienalbum bisweilen auf Abzüge, deren Einordnung schwerfällt, die aber dennoch eine Veröffentlichung verdienen. Ein Beispiel für diese Kategorie zeigt die folgende Aufnahme:

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© Hanomag “Sturm” am Golf von Neapel; Originalreklame aus Sammlung Michael Schlenger

Für nüchterne Zeitgenossen ist mit dem Untertitel alles gesagt: Hier wird die Frontpartie eines Hanomag “Sturm” – des 6-Zylinder-Spitzenmodells des Maschinenbauers aus Hannover – von drei Straßenjungen begutachtet.

Tatsächlich verdient dieses Reklamefoto der späten 1930er Jahre einen Preis für eine der subtilsten Werbebotschaften jener Zeit. Denn vom Auto ist nur der Kühlergrill mit dem stilisierten Hanomag-Adler zu erkennen. Wer mehr von dem großzügigen und sauber gezeichneten Wagen sehen will, kann sich auf diesem Blog hier ein genaues Bild machen.

Raffiniert an diesem Werbefoto aus einem unbekannten Magazin der Vorkriegszeit ist die Platzierung des Wagens vor der grandiosen Kulisse des Vesuvs am Golf von Neapel.

Heuzutage, wo man künstliche Orte wie Dubai und schwimmende Massenquartiere wie Kreuzfahrtschiffe als Sehnsuchtsziele verkauft, mag es nicht mehr jedermann klar sein: Süditalien und speziell die Schönheit der Küste Kampaniens von Neapel bis Salerno hatten einst eine magische Ausstrahlung.

Für den Verfasser, der diese Gegenden seit einem Vierteljahrhundert bereist, ist diese Magie unvergänglich. Und so weckt dieses Reklamefoto Erinnerungen an Aufenthalte am Golf von Neapel und an benachbarten Traumzielen wie Capri und der Amalfiküste.

Wer einseitigen Medienberichten hierzulande Glauben schenkt, verbindet mit dieser Region nur Chaos, Mafia und Müllberge. Tatsächlich ist Neapel eine faszinierende Stadt und die herrliche Bucht mit dem Vesuv dürfte für religiös veranlagte Menschen den perfekten Gottesbeweis darstellen.

An solche Assoziationen knüpfte Hanomag einst mit seiner Werbebotschaft an: Das Modell Sturm führt seine Besitzer an die großartigsten Stätten Europas und erobert die Herzen der Jugend – im Sturm!

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Die drei Buben verkauften vielleicht Blumen an Touristen, die an dieser Stelle haltmachten, um den Blick über das Castel dell’Ovo auf den Vesuv zu genießen.

Der Aufnahmeort liegt an der Küstenstraße des neapolitanischen Stadtteils Mergellina. Die Aussicht von dort sieht heute noch genauso aus.

Wer auch immer den Hanomag Sturm an diese Stelle gefahren hatte, wollte gewiss keine Reklame für das Modell in Italien machen. Dort waren potentielle Käufer mit dem avancierten 6-Zylindermodell Fiat 1500 ohnehin besser bedient.

Es ging darum, dem Publikum in Deutschland zu vermitteln, dass der Hanomag Sturm ein Vehikel für gebildete Leute mit Lebensart war. Der Schlüssel zum Verständnis war der Vesuv im Hintergrund. Wer den Berg für den Fujiyama oder den Kilimandscharo hielt, gehörte nicht zur Klientel, die eines Hanomag Sturm würdig war.

Sollte aber am Ende nicht ein Lamento bezüglich der Kinder stehen, die einst offenbar etwas zum Überleben der Familie beisteuern mussten?

Nun, über das Schicksal der drei Buben auf unserem Foto wissen wir nichts Genaues. Immerhin lässt sich sagen, dass sie noch zu jung waren, um von ihrer Regierung in den 2. Weltkrieg geschickt zu werden.

Nach 1945 gehörte Neapel zu den Städten Italiens, in denen es kein Wirtschaftswunder wie im höherentwickelten Norditalien gab. Die strukturellen Voraussetzungen dafür waren nicht gegeben.

Dennoch können wir annehmen, dass die drei neapolitanischen Jungen, die vor rund 80 Jahren vor dem Hanomag Sturm abgelichtet wurden, in einem übermateriellen Sinn ein glückliches Leben hatten. Vielleicht sind sie hochbetagt noch unter uns.

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