Fiat 505: Ein “Außenlenker” der frühen 1920 Jahre

Leser dieses Oldtimer-Blogs bekommen einen Einblick in die faszinierende Welt der Vorkriegsautos nicht nur anhand von Fotos längst vergessener Marken und Typen – auch spezielle Karosserietypen werden hier eingängig präsentiert.

Beim heutigen Beispiel ist die Marke zwar noch existent  – Fiat aus Turin – doch Modell und der Aufbau sind alles andere als Großserienstandard.

Kurze Rückblende: Fiat war nach dem 1. Weltkrieg mit dem Typ 501 sein erster Massenerfolg gelungen. Der wie die Fords jener Zeit unerhört robuste Wagen wurde auf der ganzen Welt verkauft – tja, Globalisierung ist ein ziemlich alter Hut.

Der Fiat 501 erhielt noch 1919 einen großen Bruder, den Typ 505:

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© Fiat 505 Außenlenker; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Sein 2,3 Liter großer Vierzylinder leistete immerhin 33 PS. Zum Vergleich: Volkswagen übertraf diesen Wert erst 1960 knapp, als die Exportversionen einen 34 PS-Motor erhielt.

Der gegenüber dem Fiat 501 von 2,65m auf 3,05m verlängerte Radstand des Typs 505 erlaubte großzügigere Aufbauten. Auf unserem Foto sehen wir ein schönes Beispiel dafür.

Vor einer geschlossenen Passagierkabine sitzt der Fahrer im Freien. Dieser noch aus der Kutschbauzeit stammende Aufbau trug außerhalb des deutschsprachigen Raums mondäne Bezeichnungen wie “Coupe de Ville” oder “Sedanca de Ville”.

Im Deutschen bezeichnete man diese wenig arbeitnehmerfreundliche Variante sachlich als “Außenlenker”. Demgegenüber saß der Fahrer bei einer Limousine im Trockenen, daher die früher gängige Bezeichnung “Innenlenker”. Später gab es ähnliche Aufbauten, bei denen Fahrer wenigstens einen Regenschutz über dem Kopf hatte.

Man mag das heute alles belächeln, doch das Automobil konnte nicht vom ersten Tag an mit Airbag, Sitzheizung und WLAN für alle daherkommen. Über den heutigen Stand der Technik würde man in 90 Jahren ebenfalls den Kopf schütteln, wenn es beim früheren  Entwicklungstempo bliebe – hier sind allerdings Zweifel angezeigt.

Eine verbreitete Anwendung des Außenlenkers war neben privaten Chauffeurwagen das Großstadtaxi. Vielleicht war der Fiat 505 mit Zulassung im Rheinland (Kennung: “IZ”) auf unserem Foto ebenfalls ein solches. Typisch für das Modell waren übrigens die fast waagerecht über den Vorderrädern auslaufenden Kotflügel.

Gleich zwei solcher Fiats des Typs 505 sehen wir auf der folgenden Originalaufnahme, die einst vor dem Dom in Mailand entstand:

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© Fiat 505 Taxis in Mailand; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Man ahnt hier, dass es zwischen Auto- und Fußgängerverkehr noch keine strikte Trennung gab – auch das wollte erst erarbeitet sein. Jedenfalls scheinen sich die Flaneure zwischen den wenigen Wagen noch recht wohl gefühlt haben.

Natürlich werfen wir bei diesem schönen Foto einen genaueren Blick auf die Menschen, die an einem sonnigen Tag vor über 90 Jahren auf der heute verkehrsberuhigten Piazza del Duomo unterwegs waren:

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Man sieht hier links und rechts der beiden Fiats elegant gekleidete Damen und Herren spazieren, die allesamt “bella figura” machen, wie es die Italiener bei ansehnlichen und selbstsicheren Menschen zu sagen pflegen.

Bei der Gelegenheit erkennt man auch, dass der vordere der beiden Fiats eine Landaulet-Karosserie aufweist. Dort sitzen die Passagiere ebenfalls in einer separaten Kabine hinter dem – hier überdachten – Fahrerraum. Zusätzlich gibt es ein Verdeck über der hinteren Sitzreihe, sodass die Insassen bei schönem Wetter im Freien sitzen können.

Im Süden pflegt man allerdings an warmen und sonnigen Tagen eher den Schatten zu suchen, weshalb das Verdeck hier geschlossen ist. Touristen aus Ländern nördlich der Alpen hätten es vermutlich vorgezogen, sich einen ersten Sonnenbrand zu holen…

So unterscheiden sich die Lebensumstände und Sitten der Völker – und in genau solchen Unterschieden entdeckt der Reisende eine reizende Vielfalt, nicht in einem beliebig durchmischten Einheitsbrei…

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